Im Kino

Eher halbgeöffnete Augen

Die Filmkolumne. Von Benjamin Moldenhauer
10.04.2024. Woody Allen hat wieder einen Woody-Allen-Film gedreht. Leider bestätigt sich in der mit einem Mord angereicherten Dreiergeschichte "Ein Glücksfall" der Trend des Spätwerks hin zum routiniert unspektakulären Billo-Existenzialismus. Man muss wohl schon ein Kind der 1970er oder 1980er sein, um sich in dieser Parallelwelt heimisch zu fühlen.

Über lange Zeit hat Woody Allen alljährlich einen Film gedreht und so, der Eindruck drängt sich zumindest auf, seine Reisen finanziert. Barcelona, Paris, Côte d'Azur, Rom, London. Die Drehorte waren sehr schön, die Filme aber zunehmend durchwachsen, auch wenn ich die letzten dann nicht mehr oder nur mit halber Aufmerksamkeit gesehen habe. Was aber auch nichts macht, das filmische Werk Allens hat viele Menschen, die in den Siebziger- oder Achtzigerjahren geboren sind, durchs Leben begleitet.

Die letzten wirklich guten waren, in meinen eher halbgeöffneten Augen, "Blue Jasmine" und "Match Point". Dazwischen und danach: Immer die gleiche Credit-Sequenz, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, dazu konservativ gestimmter Jazz, und dann folgten routiniert unspektakulär weggefilmte Erzählungen, die den schon seit Längerem etwas verbraucht wirkenden Billo-Existenzialismus Allens immer wieder aufs Neue durchvariierten. Am liebsten am Themenkomplex "Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander" entlang.

Die Abstände zwischen den Filmen sind größer geworden, der letzte, "Rifkin's Festival", ist von 2020. Die Plotprämisse des neuen ist nicht neu. "Ein Glücksfall" erzählt, wie schon "Match Point", von einer Dreiergeschichte und einem Mord. Dieses Mal hat die Frau, Fanny (Lou de Laâge), die Affäre, und zwar mit dem jungen Schriftsteller Alain (Niels Schneider), als tendenziell verhuschter Intellektueller ein Woody-Allen-Stand-in. Alain trifft seine Jugendliebe Fanny in Paris wieder, die beiden bändeln miteinander an. Fanny ist allerdings bereits semi-unglücklich mit dem sehr reichen Finanzmenschen Jean (Melvil Poupaud) verheiratet, einem fürchterlichen Schnösel und Pestcharakter.


Der wirkt zuerst noch regulär toxisch und fragil, entpuppt sich dann aber als veritabler Psychopath, der, als er der Affäre seiner Frau auf die Schliche kommt, Alain umbringt und verschwinden lässt. Von da an schwankt Ein Glücksfall etwas ratlos und wurstig zwischen den Registern, als wüsste er nicht so recht, wie er nach dem Aufschlag als herbstliche Romcom weiter verfahren soll. Ein Thriller ist er nicht, auch wenn Fannys Mutter in der zweiten Filmhälfte misstrauisch wird und drauflos ermittelt. Und lustig ist das alles auch nicht.

Der halbgare finale Plottwist jedenfalls verpufft, und dann ist der Film vorbei. Er soll alles Vorangegangene quasi in der Rückschau zu einer tiefsinnigen Meditation über die lebensbestimmende Macht unwahrscheinlicher Zufälle umdeuten. Was nicht klappt, dafür ist es dann doch alles etwas zu banal. Allens Filme waren schon immer dann am schwächsten, wenn sie tiefe Gedanken suggerieren wollten. Und am besten dann, wenn ihre Figuren sich in all ihrer herzerweichenden Wurstigkeit entfalten durften. Ersteres war zum Glück nicht allzu oft der Fall, weil sich hier einer dann eben doch zuallererst als Komödienregisseur versteht. Mit dieser Kluft jedenfalls, die sich hier zwischen Anspruch und Zuschauerreaktion ("Ach ja, na gut") auftut, wirkt "Ein Glücksfall" fast schon wie eine verschmitzte Parodie aufs eigene Spätwerk. 

Aber alles egal letzten Endes. Wer mit Woody Allens Filmen aufgewachsen ist, fühlt sich von der ersten Minute an heimelig und heimisch in einer Parallelwelt, deren Gesetze man in- und auswendig kennt. Wieder so ein Fall, in dem ein Regisseur und Autor zu einem eigenen Genre geworden ist. Was dann ja wieder ganz schön ist, schließlich hat Konstanz etwas Beruhigendes. Auch wenn einem die jeweilige Jahreslieferung mehr und mehr egal war.

Benjamin Moldenhauer

Ein Glücksfall - Frankreich 2023 - OT: "Coup de chance" - Regie: Woody Allen - Darsteller: Lou de Laâge, Valérie Lemercier, Niels Schneider, Melvil Poupaud, Guillaume de Tonquédec u.a. - Laufzeit: 93 Minuten.