Efeu - Die Kulturrundschau

Zu sehen, wie eine Welt sich anfühlt

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.05.2024. Der Deutsche Filmpreis wurde verliehen: Der Hauptpreis ging an Matthias Glasners "Sterben", die "beste Regie" an Ayşe Polat für "Im toten Winkel". Der Tagesspiegel kann mit dieser Entscheidung gut leben. Zeit Online ist erleichtert, dass die Preisverleihung diesmal ohne Eklat stattfand. Siri Hustvedt macht ihrer Wut auf Instagram Luft: kaum war ihr Ehemann Paul Auster tot, wusste es schon das ganze Netz - die SZ pflichtet ihr bei. Ulrich Rasches "Nathan der Weise" in Berlin gibt sich nicht mit einer oberflächlichen Botschaft der Harmonie zufrieden, loben Tagesspiegel und SZ.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.05.2024 finden Sie hier

Film

Gestern wurde der Deutsche Filmpreis verliehen: Der Hauptpreis ging an Matthias Glasners "Sterben", die "beste Regie" an Ayşe Polat für "Im toten Winkel". Beide Filme bekamen am Abend auch die meisten Auszeichnungen. Andreas Busche vom Tagesspiegel kann damit gut leben: Es "wurden zielsicher die beiden Filme ausgezeichnet, die das Versprechen eines überraschenden, noch nicht von Fördergremien konfektionierten deutschen Kinos einlösen. Der dritte Hoffnungsträger, der hier erwähnt werden sollte, Timm Krögers Sci-Fi-Noir 'Die Theorie von Allem', gewann drei Lolas in den Kategorien Kamera, Szenenbild und visuelle Effekte. Für den sogenannten künstlerischen Film ... stimmen diese Preise optimistisch, auch wenn der Referentenentwurf aus dem Hause Roth bisher vor allem auf wirtschaftliche Anreize abzielt."

"An diesem Abend sollte auf keinen Fall etwas schiefgehen", resümiert Carolin Ströbele auf Zeit Online den Abend, das Debakel der Berlinale-Abschlussgala noch in guter Erinnerung. "Claudia Roth erinnerte zu Beginn ... an die Situation der israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Hamas befinden: 'Bring them home now.' Roth sprach weiter von der erschütternden Situation der Zivilbevölkerung in Gaza, der Lage im Sudan, dem Krieg in der Ukraine. ... Warnungen vor zunehmendem Antisemitismus und Rechtsextremismus in Deutschland prägten auch den weiteren Abend, am eindringlichsten in der Rede von Margot Friedländer. Die 102-jährige Holocaustüberlebende ... sagte: 'Als ich vor 14 Jahren zurückgekommen bin, hätte ich es mir nicht träumen lassen, was jetzt in der Öffentlichkeit los ist. So hat es damals auch angefangen.' An die rund 1.600 Gäste richtete sie einen Appell: 'In diesem Raum sitzen ganz viele Geschichtenerzähler. Ihr habt die Verantwortung, die Kraft des Films zu nutzen, damit so etwas nie wieder passiert. Ich bitte euch: Seid Menschen.'"

Thomas Thiel berichtet für die FAZ von einer Paneldiskussion der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen zum Bekenntniszwang im Film- und Kulturbetrieb, der in aller Regel zu Unterschriften gegen Israel führt. "Wie kommt es, dass Autorenfilmer, die Wert auf ihre unverwechselbare Handschrift legen und gern schwierige, widersprüchliche Stoffe wählen, bei politischen Themen im Gleichschritt marschieren? Weil sie sich nicht damit auskennen, aber trotzdem überall mitmachen, wäre die erste Antwort. Kunst wird von der Kulturförderung immer häufiger nach Gesinnungskriterien bewertet. Oft kommt ein narzisstischer Überschwang dazu. ... Bazon Brock machte die Zurückdrängung des individuellen Autors durch Bekenntniskollektive für die Kulturmisere verantwortlich und forderte, dem Künstler, Bürger und Wissenschaftler in dem kunstfernen Betrieb wieder eine Stimme zu geben."

Außerdem: Thomas Abeltshauser spricht für die taz mit Kelly Reichardt über deren Komödie "Showing Up". Michael Ranze erinnert im Filmdienst an Valerio Zurlinis Drama "Das Mädchen mit dem leichten Gepäck", das Claudia Cardinale 1960 berühmte machte. Doris Akrap weist in der taz darauf hin, dass das diesjährige Münchner Dokfest auch online wieder eine Auswahl seiner Filme zeigt.

Besprochen werden Stéphane Brizés Liebesfilm "Zwischen uns das Leben" (FAZler Andreas Kilb weist dieses "gefühlsdunstige Einerlei" weit von sich), die ARD-Serie "Die Zweiflers" (FAZ), die Netflix-Serie "Ripley" nach dem berühmten Roman von Patricia Highsmith (Jungle World), der Netflix-Sechsteiler "Briganti" (Presse) und eine Dortmunder Ausstellung zu 35 Jahren "Die Simpsons" (taz).
Archiv: Film

Literatur

Siri Hustvedt, die Witwe Paul Austers, hat in einem bitteren Instagram-Posting ihre Wut darüber zum Ausdruck gebracht, dass bereits erste Meldungen vom Tod ihres Gatten durchs Netz schwirrten, bevor Austers Leiche aus dem Haus war. "Nicht mir, nicht unserer Tochter Sophie, nicht unserem Schwiegersohn Spencer, nicht meinen Schwestern, die Paul wie seine eigenen liebte und die seinen Tod bezeugten, wurde die Zeit gelassen, diesen schmerzenden Verlust anzunehmen. Niemand von uns war in der Lage, Menschen, die uns nahe sind, per Anruf oder Mail davon in Kenntnis zu setzen, bevor das Online-Geschreie einsetzte. Diese Würde hat man uns geraubt." Also "genau dort, wo keinem seine eigene Geschichte noch wirklich gehört, in den sozialen Medien, fordert Siri Hustvedt ihre Souveränität über die Erzählung des Lebens und Sterbens des ihr Liebsten erschütternd elegant zurück", schreibt Marie Schmidt in der SZ. "Sie verwahrt sich und das Werk ihres Mannes mit einem Hohnlachen ('I have laughed out loud') gegen die Kategorisierung als postmoderner Autor, die sie in allen Nachrufen gefunden habe. ... Wenn das Wort "Postmoderne" als Bezeichnung für bestimmte formale und motivische Entscheidungen von Paul Austers Schreiben auch weder falsch noch sehr präzise ist, muss Siri Hustvedts Entsetzen darüber doch zu denken geben, wie schnell ein geliebter Mensch in einer Schublade verräumt wird."

Weitere Artikel: In einem Essay für die FR verneigt sich Jonathan Littell vor der ukrainischen Literatur. Cornelia Geißler und Anja Reich sprechen für die Berliner Zeitung mit der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die im englischsprachigen Ausland nach diversen Nominierungen für den Internationale Booker Prize auch als aussichtsreiche Literaturnobelpreiskandidatin gehandelt wird (mehr dazu bereits hier und dort). Die Schriftstellerin Lene Albrecht erinnert in "Bilder und Zeiten" der FAZ an die weitgehend in Vergessenheit geratene Schriftstellerin Andrea Manga Bell, die nicht nur mit Joseph Roth zusammen war, sondern auch die erste afrodeutsche Autorin der Literaturgeschichte ist. Mara Delius erzählt in der Literarischen Welt von ihrer Begegnung mit der französischen Schriftstellerin Colombe Schneck. Wieland Freud und Mladen Gladic sprechen in der Literarischen Welt ausführlich mit dem Literaturwissenschaftler Mark McGurl, der sich mit literarischen Netzkulturen wie Instabook und Youtube-Rezensionsvideos befasst. Dieter Borchmeyer holt für die NZZ Goethes "Werther" und Thomas Manns "Zauberberg" - "die beiden berühmtesten Romane der deutschen Literatur", die allerdings "in einem antithetischen Verhältnis zueinanderstehen" - aus dem Regal. Im FAZ-Kommentar kriegt Jürgen Kaube graue Haare, wenn er sich auf Tiktok umschaut, wie der aktuelle bayerische Abitur-Jahrgang sich darüber beschwert, dass ihm in der Prüfung mit einem Gedicht von Jan Wagner moderne Lyrik vorgelegt wurde: Zu sehen sind hier "Stereotype des Deutschunterrichts", bei dem gepaukt, statt lesen gelernt werden soll. Ronald Pohl erinnert im Standard daran, wie Karl Kraus' einst Moralapostel aufspießte.

Besprochen werden unter anderem die ukrainische Lyrikanthologie "Den Krieg übersetzen" (FR), Dana Grigorceas "Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen" (taz), Teju Coles "Tremor" (taz), Laura Leupis "Das Alphabet der sexualisierten Gewalt" (NZZ), Karl Ove Knausgårds "Das dritte Königreich" (LitWelt) und eine deutsche Neuausgabe von Albert Cohens autobiografischem Buch "Ô vous, frères humains" (FAZ).
Archiv: Literatur
Stichwörter: Auster, Paul, Hustvedt, Siri

Architektur

Innenansicht ADA
© Archiv der Avantgarden, SKD, Foto: Klemens Renner

SZ-Kritiker Peter Richter und Andreas Platthaus (FAZ) sind beeindruckt vom neuen Ausstellungsort des "Archiv der Avantgarden" in Dresden. Der Galerist, Verleger und Sammler Egidio Marzona hat im Jahr 2016 1,7 Millionen Objekte aus seiner Sammlung den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden geschenkt, wo sie künftig im sogenannten "Blockhaus" zu sehen sein werden, so die Kritiker. Für diese weltweit einzigartige Sammlung war das "Ungewöhnlichste gerade gut genug", nickt Platthaus: "Das ist ein Block, der dem Namen 'Blockhaus' gerecht wird, ein technisches Wunderwerk durch seine Aufhängung an zwei jeweils seitlich errichteten Treppenhäusern in Stahlbauweise für das innere Tragwerk und an vier aus den oberen Gebäudeecken hervorragenden Konsolen aus Stahlbeton für das äußere. Die Wirkung ist geradezu magisch: Im Barockhaus scheint auf vier Metern Höhe ein massiver Kubus zu schweben, der wie in den schönsten Bauten von Peter Zumthor in Sichtbeton ausgeführt ist, der hier jedoch durch die Fenster ringsum und zusätzliche Öffnungen im Dach zum Lichtbeton wird."
Archiv: Architektur

Musik

Wäre früher ikonisch geworden: Das Cover zum neuen Album von Dua Lipa

Die Popkritiker tanzen zu "Radical Optimism", dem neuen Album von Dua Lipa. Während andere Frauen im Gegenwarts-Pop den großen Überbau liefern, zelebriert Dua Lipa den reinen Hedonismus der Oberflächen, ist Michael Pilz' Welt-Besprechung zu entnehmen: "Dua Lipa singt elf Songs auf "Radical Optimism", die alles und nichts bedeuten könnten - was die Stücke umso schöner strahlen lässt." Samir H. Köck von der Presse hört "solide schnalzenden Disco-House, homöopathisch gewürzt mit hässlichen Geräuschen", sprich: Das Album ist "durch und durch radiofreundlich". Stimmt schon alles, räumt Jakob Biazza in der SZ ein. Aber trotzdem gibt es hier "verwirrend credibile Disco-Herrlichkeiten. ... Auf dem Cover steht die Sängerin sehr entspannt und mit viel Sonnenuntergang im Blick in einem Pool, die Arme auf den Beckenrand gestützt, dicke, goldene Ohrringe, bauschiger, goldener Bikini, und in Strampeldistanz die Rückenflosse eines eher riesigen Haifischs. Früher, als absolut nichts besser war, aber Alben-Cover noch Kaufanreize schaffen mussten, wäre es wahrscheinlich ikonisch geworden." Das Album ist also "der vielleicht lockerste Kommentar auf die Zeit, die Welt, die Kriege, den Hass, das Gift, die Marias und die ganz allgemein pessimistische Verzweiflung: Mag schon sein, dass nur einen Beinschlag entfernt der Tod lauert, Schmerz, Elend, Gefahr, Verstümmelungen, Reißzähne, Gier und Blutdurst. Aber wir bleiben jetzt trotzdem mal ruhig. Es kann genauso gut vorbeiziehen." Eine Videoauskopplung läutet schon mal die Badesaison ein:



In einem Essay für "Bilder und Zeiten" der FAZ blickt Gerhard Poppenberg darauf, wie Alejo Carpentiers Roman "Die verlorenen Spuren" (1953) und Thomas Manns "Doktor Faustus" (1947) sich ins Verhältnis zu Beethovens vor 200 Jahren uraufgeführter Neunter setzen. In Carpentiers "Reise durch die Menschheitsgeschichte" wird die Sinfonie zu einem Brennglas der europäischen Geschichte: Er sieht "kulturgeschichtliche Entwicklungslinien, die von der Romantik über die Moderne und die Avantgarden bis zum deutschen Faschismus und den Konzentrationslagern führen." Kenntlich wird die Sinfonie einerseits als "das Gestalt gewordene Ideal der Alten Welt, ... mit dem Leben als absolutem Wert." Doch "der Übergang zum Schlusssatz der Sinfonie setzt eine weitere Schicht des Komplexes frei. ... Die 'Wege der Apokalypse' dieser Reise führten zum 'Haus des Grauens', dem Konzentrationslager, das der Protagonist als das Neue und Moderne der ansonsten alten Schrecken des Krieges versteht. Dabei ist nicht das Konzentrationslager an sich, sondern die Verbindung aus gebildeter Kultur und barbarischem Terror bei den Nationalsozialisten 'das Unheimliche der Moderne'; er deutet es geradezu als ihre Erfüllung." Lose dazu passend deutet Justizminister Marco Buschmann Beethovens Neunte in der Wams ebenfalls politisch, allerdings als Aufruf, Verantwortung zu übernehmen.

Außerdem: Christian Schröder schreibt im Tagesspiegel einen Nachruf auf Monika Döring, die das Berliner Nachtleben jahrzehntelang geprägt hat. Für die WamS plaudert Martin Scholz mit Wolfgang Niedecken von BAP. Besprochen werden das neue Album der Pet Shop Boys (taz, mehr dazu bereits hier), ein Konzert des London Symphony Orchestra in Frankfurt (FR) und ein Auftritt von Mine in Frankfurt (FR).
Archiv: Musik

Kunst

Isabel Quintanilla konnte wirklich alles malen, schwärmt Niklas Maak in der FAS, die komplexesten Lichtbrechungen, das Knorpelige und knackend Trockene eines Schinkens, das Bröselige von rohem Blumenkohl, die Feuchtigkeit im Inneren eines Granatapfels.." Vor allem aber war sie eine der ersten, die die alltäglichen Dingen ihrer Lebensrealität für "bildwürdig" erklärte, wie Maak in einer Retrospektive im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid bewundern kann: "Es ist eine Malerei, die es schafft, nicht nur das Auge, sondern auch den Geschmacks- und den Tastsinn zu aktivieren. Es geht darum, zu sehen, wie eine Welt sich anfühlt. Der Stahlgriff eines Kühlschranks wird mit allen Reflexen so liebevoll gemalt wie früher nur das Gesicht eines Fürsten. Das Licht verzaubert die Alltagsdinge, ein lautloser Surrealismus kriecht aus ihnen heraus. Die Nähmaschine und der Stoffbeutel in einem Gemälde sehen plötzlich aus wie zwei Wesen, die sich scheu voreinander verneigen, die Tür des Küchenschranks, die halb offen steht, wirkt wie der Eingang in den Hades."

Weitere Artikel: Die FAZ trauert um den Karikaturisten Walter Hanel. Karen Krüger schildert dort den Besuch von Papst Franziskus im Frauengefängnis auf der Insel Giudecca, auf der sich der Vatikan-Pavillon der diesjährigen Biennale befindet. Marcus Woeller hat sich für WamS den von der venezianischen TBA21-Stiftung eingerichteten "Ocean Space" in der Renaissancekirche San Lorenzo angesehen, mit dem auf die Auswirkungen des Klimawandels aufmerksam gemacht werden soll. In der FAZ meldet Benno Herz, dass das Haus der Kunsthändlerin Galka Scheyer in Los Angeles zum Verkauf steht.

Besprochen werden eine Rebecca Horn-Retrospektive im Haus der Kunst in München (Welt), die Ausstellung "Ohne Lippen sind die Zähne kalt" mit Werken von Cornelia Schleime in der Galerie Judin in Berlin (FR, tsp) die Ausstellung "Squares" mit Werken von Oskar Fischinger in der Berinson-Galerie in Berlin (Welt), die Ausstellung "J'accuse" von Kader Attia in der Berlinischen Galerie (BlZ), die Ausstellung "Social Geometry" mit zwei Videoinstallationen des Medienkünstlers Clemens von Wedemeyer in der Berliner Galerie KOW (tsp).
Archiv: Kunst

Bühne

Szene aus "Nathan der Weise". Foto: Monika Rittershaus


Mit Ulrich Rasches Inszenierung von Lessings "Nathan der Weise" eröffnet das Berliner Theatertreffen mit einem Knall, freut sich Rüdiger Schaper im Tagesspiegel. Lessings Stück gilt gemeinhin als Lob von "Toleranz und Verständigung", das die Harmonie zwischen den Religionen beschwört. Mit dieser oberflächlichen Botschaft gibt sich Rasche aber nicht zufrieden, so Schaper: "Nein, nichts wird gut. So nicht. Wieder lässt Ulrich Rasche sein Ensemble in ruhigem Schritt über die Drehbühne gleiten. ... Die Akteure in ihren engen Leibchen schreiten durch Lichtvorhänge und Lichtwände, wie aufgezogen kommen sie aus einer Wahnwelt. Glaube ist da durchweg: Aberglaube, hoch explosiv. Religion trennt und bildet Fanatismus aus. Rasches textnahe Führung gleicht einem Horrortrip. Techno-Tänzerinnen in der Verlangsamung. Treibende Live-Musik, die tiefe Schichten von Furcht und Bedrohungsgefühl anrührt, aber auch sanft sein kann - und im Schluss sakral, süßlich. Dieser Harmonie ist nicht zu trauen."

"Pure Könnerschaft" sieht auch SZ-Kritiker Peter Laudenbach bei dieser Aufführung bewiesen. Rasche montiert Textauszüge von Lessings Zeitgenossen in das Stück. "Gespenstisch", meint der Kritiker, wie sich die Texte der "Aufklärungsphilosophen Voltaire und Fichte mit ihren antisemitischen Hassausbrüchen, der Paranoia und den Gewaltfantasien von abgeschnittenen Judenköpfen fugenlos in Lessings Text einpassen. Logisch, dass die Ringparabel hier kein 'Appell für Toleranz' ist, sondern Nathans Versuch, sich irgendwie zu retten." Ein bisschen peinlich fand Laudenbach hingegen die Eröffnungsrede von Claudia Roth, die sich für mehr Einbindung auch ostdeutscher Kulturakteure aussprach: 'Indem Roth dieses eigentlich selbstverständliche Interesse einfordert, blamiert sie ungewollt die neue Leiterin des Festivals, Nora Hertlein-Hull. Im Begleitprogramm des Festivals ist eine Diskussion zum 'Umgang mit neurechten Kulturkämpfen' angesetzt, bei der kein einziger Theatermacher aus dem Osten Deutschlands oder aus der sogenannten Provinz und erst recht keine Akteure der Zivilgesellschaft auf dem Podium sitzen."

Besprochen werden Bernd Mottls Adaption von Michel Houellebecqs Roman "Vernichten" am Staatstheater Wiesbaden (FR), Enrico Lübbes Inszenierung von Georg Büchners "Woyzeck" am Schauspiel Leipzig (SZ), Christof Loys Inszenierung von Albéric Magnards Oper "Guercœur" an der Opéra National du Rhin in Straßburg (FAZ).
Archiv: Bühne