Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Februar 2024

Friseure wären sonst menschlich enttäuscht

29.02.2024. Zwischen goldenen Gebissen, Girls und Platin-Bananen atmen FAZ und FR auf, dass die große Hip-Hop-Schau in der Frankfurter Schirn ganz ohne Antisemitismus, Machismus und Homophobie auskommt. Eine neue "Kunstschau des Antisemitismus", befürchtet derweil die NZZ in Venedig. Jonathan Glazers in Cannes gefeierter Film "The Zone of Interest" erfüllt Claude Lanzmanns Maßstab, wie man vom Holocaust erzählt, glaubt die FAZ. Perlentaucher und Filmdienst haben Zweifel. Henryk Broder verrät seinem Kollegen Deniz Yücel in der Welt, warum kein Filmemacher auf die Idee gekommen ist, Solidarität mit den Ukrainern zu zeigen.

Ach

28.02.2024. "Ja nichts ist okay": Die Feuilletons trauern weiter um René Pollesch. Birgit Minichmayr wurde laut SZ von niemand so zärtlich geküsst wie von ihm. Die taz erinnert sich daran, wie der Theatermacher seine Schauspieler leuchten ließ. Briefeschreibende Möchtegern-Aktivisten sind mal wieder in Sachen Israelboykott unterwegs, weiß die Welt. Derweil streitet das Feuilleton weiter darum, wie antisemitisch die Berlinale-Preisverleihung war. Die FAZ betrachtet Magrittes Giraffe im Cocktailglas in Brüssel. Die SZ gratuliert Frank Gehry, dem Architekten, der sogar bei den Simpsons vorkommt, zum 95.

Warm und weit in den Momenten des Friedens

27.02.2024. Die Theaterwelt ist schockiert über den unerwarteten Tod René Polleschs: Die FAZ betrauert ihn als Liebhaber des "boulevardesken Ungefähren". Die Berliner Zeitung weiß, wie sehr er mit Vorurteilen zu kämpfen hatte. Heftig diskutiert wird weiter über den Berlinale-Eklat: die SZ staunt, wie gerade jene aus der Kultur- und Queerszene für die applaudieren, die ihnen bei der nächstbesten Gelegenheit an die Gurgel gingen. Die FAZ schmerzt immer noch vor allem der Jubel des Publikums. Die taz fragt sich, warum ausgerechnet Israels Beitrag für den ESC auf politische Inhalte geprüft wird. 

Nicht dümmer gewordene Utopie

26.02.2024. Der Goldene Bär der diesjährigen Berlinale geht an Mati Diops Restitutionsfilm "Dahomey": die taz hat nichts dagegen, dass wieder ein Dokumentarfilm gewonnen hat - aber war das wirklich der beste Film? Die Zeit findet: hier bleibt einiges im Unklaren. Überschattet wurde die Preisverleihung am Ende allerdings von diversen Palästina-Solidaritätsbekundungen: Von einem "erschreckend undifferenzierten Israel-Bashing" schreibt die SZ, der Tagesspiegel attestiert der Kultur ein handfestes Israelproblem. Und die FAZ starrt bei der Musica Viva mit weitaufgerissenen Ohren ein Glühwürmchen  an.

Heimgesuchte Gegenwart

24.02.2024. Die FR hofft auf einen Berlinale-Bären für Nelson Carlos de Los Santos Arias' Querschläger "Pepe". Die taz unterhält sich mit der iranischen Filmemacherin Farahnaz Sharifi über die Beschlagnahmung ihres privaten Archivs. Die SZ kommt völlig erschlagen aus "The Zone of Interest", Jonathan Glazers Film über den Auschwitzkommandanten Rudolf Höß. In der taz diagnostiziert Viktor Jerofejew eine tödliche Epidemie der Dummheit in Russland. In der FAZ stellt Artur Becker den polnischen Lyriker Krzysztof Siwczyk vor.

Die Regie muss sich entscheiden

23.02.2024. Weiter geht's mit der Berlinale, die FAZ macht den tunesischen Beitrag "Mé el Aïn" als Favoriten aus, der Tagesspiegel drückt dem dominikanischen Nilpferd "Pepe" im Wettbewerb die Daumen. Die Welt bezweifelt, ob die sprachliche Überarbeitung von Michael Endes "Jim Knopf" wirklich förderlich ist. Die FAZ lässt sich im Den Haager Mauritshuis von den Bildern Roelant Saverys von wilden Blumen und Tieren verzaubern. Wie Putin klassische Musik für seine Propaganda missbraucht, erklärt die Neue Musikzeitung.

Schön grob körperlich und schroff

22.02.2024. Die FAZ erschaudert, wenn in Oksana Karpovychs Film "Intercepted" russische Soldaten unverhohlen ihre moralische Entfesselung offenbaren. Außerdem staunt sie, wie viele Russen in Michael Lockshins Neuverfilmung von Bulgakows "Der Meister und Margarita" stürmen, den der Kreml aufgrund antistalinistischer Tendenzen attackiert. Die NZZ erkennt dank KI erste Schriftzeichen auf 2000 Jahre alten, zu Klumpen verbackenen Papyrusrollen. Und die Zeit kniet kritiklos nieder vor dem größten Park der Welt, den sich Mohammed bin Salman von einem 85-jährigen Dortmunder Architekten entwerfen lässt.

Keine Schnörkel

21.02.2024. Auf der Berlinale spürt Zeit online mit Tilman Singers Horrorfilm "Cuckoo" den Dämon in sich. Die NZZ setzt sich den bösen Blicken der DDR-Kunst aus, die im Schaulager in Beeskow lagert. Die FAZ swingt in Graz mit Anton Foersters slowenischer Nationaloper "Die Nachtigall von Gorenjska". Die taz lässt sich von Brittany Howard Klangschalen aus Quarz reichen.

Wahrheit in der Welt der Wünsche

20.02.2024. Es ist Halbzeit bei der Berlinale: Die Feuilletons klammern sich an Martin Scorsese, der den Ehrenbären erhält, wie an einen Fels in der Brandung. Die Welt weist daraufhin, dass der Regisseur dem Kino auch abseits der eigenen Filme einen enormen Verdienst erwiesen hat. Die taz blickt in einer Ausstellung im KW Institute for Contemporary Art in die düsteren Fratzen des Technozäns. In den Büchern der "New Adult"-Erfolgsschriftstellerin Sarah Sprinz fallen oft Haarsträhnen sexy ins Gesicht - aber ist das so schlimm, fragt die Zeit.

Eine kopfüber abgestürzte Marilyn Monroe

19.02.2024. Frank Castorfs Inszenierung von Thomas Bernhards Skandal-Stück "Heldenplatz" in Wien scheidet die Geister: Die Nachtkritik taucht ab in ein "wildes, erratisches Universum", die FAZ weiß nicht, was das alles soll, die taz freut sich über das brillante Ensemble. Auf der Berlinale ist die Welt froh, dass Andreas Dresens "In Liebe, Eure Hilde" keine platte Moralpredigt geworden ist. Die FAZ feiert die Schauspieler in Matthias Glasners "Sterben".

Eine Auster aus fernen Galaxien

17.02.2024. Hat die Berlinale mit Maryam Moghaddams und Behtash Sanaeehas "My Favourite Cake" über eine siebzigjährige Iranerin, die einen Mann sucht, schon den ersten Bärenfavoriten? Die Welt möchte jedenfalls weinen vor Glück. Die FAZ setzt eher auf Abel Ferraras 'Turn in the Wound' über den Horror des Ukraine-Kriegs. Die FAS kleidet sich in Paris in Quallen aus Seide von Iris van Herpen. Die Welt hofft, dass mit "berlin modern" die Ära der Megabauten endlich ein Ende nimmt.

Keine Grimassen, reine Verzückung

16.02.2024. Die Berlinale ist in vollem Gange: Die politischen Querelen haben FAZ, NZZ und Tagesspiegel noch nicht vergessen, die SZ freut sich über Cilian Murphy im Eröffnungsfilm. Der Perlentaucher bemängelt ein einfallsloses Retrospektive-Programm, das der taz hingegen gut gefällt. Die SZ lässt sich mit William Forsythe vom postmodernen Ballett verzauben. Die FR sieht das Frankfurter IG-Farben-Haus mit Laura J. Padgett mal aus einer anderen Perspektive. Zu einem möglichen Comeback der Monogamie in der Literatur macht sich die Welt Gedanken. Zeit Online lässt sich gerne von den sanften Klängen Helado Negros wecken. Die Feuilletons trauern um Johanna von Koczian.

Mit klaren Grenzen und offenem Visier

15.02.2024. Heute beginnt die Berlinale, aber durch das Lavieren des Festivals steht mit der AfD der Sieger bereits fest, meint Deniz Yücel in der Welt. Die FR hofft noch, dass die Skandale in diesem Jahr mal von der Leinwand ausgehen. In der Londoner Tate Modern erhält Yoko Ono endlich ihre verdiente Würdigung, auch wenn offen bleibt, ob ihr Werk nun poetisch oder banal ist, konstatieren SZ und Standard. In der NZZ ärgert sich der Historiker Michael Wolffsohn über subtilen Antisemitismus in Robert Carsens Inszenierung der "Jüdin von Toledo". Und die Jungle World lauscht dem "dröhnenden Stillstellen der Zeit" in den Tiefen der Drone Music.

Freudloses Büßergewand

14.02.2024. Die Störaktion im Hamburger Bahnhof sorgt weiter für Ärger, nicht zuletzt aufgrund eines irritierenden Instagram-Posts der Künstlerin Tania Bruguera. Diese verteidigt die Aktivisten und stilisiert sich selbst als Opfer, kritisiert die Welt. Die SZ weist auf den bemerkenswert autoritären Gestus der Störer hin. Claudia Roth stellt derweil den finalen Entwurf für die Reform der Filmförderung vor - und die Feuilletons sind mehrheitlich zufrieden, die SZ spricht sogar von einem großen Wurf. Außerdem: Der Künstler Flatz präsentiert seinen 71-jährigen Körper furchtlos den Smartphones, staunt die FAZ. Und die SZ freut sich über Sexgeflüster und Keiferei in Falk Richters "Bad Kingdom"-Inszenierung an der Schaubühne.

Menschen, die nur sich selbst hören wollen

13.02.2024. Die Feuilletons blicken auf die Störaktion bei der Lesung der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera im Hamburger Bahnhof: Zeit Online war dabei und fragt, warum man die Störenfriede nicht rausgeworfen hat. Was soll die die Bezeichnung "pro-palästinensisch", fragt die Welt, das war ganz klar Antisemitismus. Die Berliner Zeitung fürchtet Ähnliches für die Berlinale. Nachtkritik horcht mit René Polleschs "Ja, nichts ist ok" in Berlin am Herz der kranken Gesellschaft. Die SZ hängt an Dua Lipas Lippen, auch wenn sie über Literatur spricht.

Präludien lautester Friedfertigkeit

12.02.2024.  Die FAS schaut auf Carlo Chatrians glücklose Berlinale-Jahre, denen wohl auch keine goldene Zukunft für das Festival folgen wird. Die FAZ lauscht hingerissen flauschigen Streichern in Robert Carsens Inszenierung der Oper "Die Jüdin von Toledo" in Dresden - die israelkritischen Elemente hätte sie allerdings nicht gebraucht. Die NZZ schüttelt den Kopf über "Mattscheiben"- Fassaden.  Die FAS hat viel Freude an der Serie "The New Look" über Dior: schauspielerisch hochgradig besetzt und ästhetisch ein Genuss! Und: Beyoncé spielt jetzt Country.

Immer mit einer Prise Geheimnis

10.02.2024. Alle trauern um insolvente Verlage, aber niemand um die Autoren, schreibt Roswitha Quadflieg in der FAZ. Too little, too late: Dass die Berlinale Vertreter der AfD nun wieder ausgeladen haben, nehmen die Filmkritiker nur noch skeptisch zur Kenntnis. Die Welt vermisst derweil die großen Filme im Programm des Festivals: Selbst Scorsese muss die Berlinale mit einem Ehrenbär an die Spree locken. Die taz sieht in Melek Celals Bildern in Istanbul die "Epochenumbrüche der Türkei" widergespiegelt. Und die Musikkritiker trauern um Seiji Ozawa, das Energiebündel unter den Weltklasse-Dirigenten.

Zwischen Wohlstandsaufhellern und Elendsbetäubern

09.02.2024. Nachdem die Berlinale Vertreter der AFD wieder ausgeladen hat, fragen SZ und Tagesspiegel, wie künftig mit der Partei umgegangen werden soll. Am Zürcher Schauspielhaus lernt die NZZ dank Trajal Harrell tänzerischen Gemeinschaftssinn kennen. Wie Museumsmitarbeiter Willy Kurth wichtige Kunstwerke der Moderne gerettet hat, lernt die Berliner Zeitung im Berliner Kupferstichkabinett. Van denkt sich in die kompositorisch-musikalische Wut von Olena Ilnytska auf Russland ein. Die FAZ bewundert die avantgardistische spanische Architektur.

Nicht-Verstehen zulassen

08.02.2024. Die Filmkritiker applaudieren Andrew Haigh, der sie in "All of Us Strangers" erleben lässt, wie sich ein Coming-out in den Achtzigern anfühlte. Der Tagesspiegel fragt sich, warum Politiker überhaupt Berlinale-Freikarten von Steuergeldern erhalten müssen. In Kuba wurde Tania Bruguera wegen ihrer öffentlichen Hannah-Arendt-Lesung vor zehn Jahren inhaftiert - nun liest sie im Hamburger Bahnhof und warnt vor kubanischen Verhältnissen in Deutschland, berichtet die Berliner Zeitung. Die FAZ wüsste von Hermann Parzinger gerne, weshalb der SPK-Präsident Bilder aus der Sammlung Marx zurückgibt und es verschweigt. Und in der Zeit hat Fabian Hinrichs die Nase voll von Funktionärskultur.

Innere Allgegenwart

07.02.2024. Die taz lernt im Berliner Ensemble, dass die Gehirne von Müttern weniger geachtet werden als ihre Brüste. In Andrew Haighs queerem Zeitreisefilm "All of Us Strangers" muss die Power of Love einiges aushalten, meint die FAZ. Außerdem trauert sie um die Fotografin Helga Paris, in deren Bildern die Enttäuschung über die gebrochenen Versprechen der DDR mitklingt. Der Guardian empfiehlt mit Tomatensoße um sich werfenden Klimaaktivisten einen Strategiewechsel. Die SZ erinnert an die goldenen Jahre des Ethiojazz.

Der sagenhafte Siegeszug von Frauen

06.02.2024. Die Filmbranche protestiert gegen AfD-Politiker bei der Eröffnungsgala der Berlinale, die Feuilletons diskutieren: Der Tagesspiegel gibt sich kämpferisch, die SZ kann derweil keinen Skandal entdecken und die FR rät der Branche, lieber das große Ganze im Blick zu haben. Die Musikkritiker sind völlig umgehauen von den Grammy Awards. Das ND ist hin und weg von Alois Zimmermanns Zwölfton-Oper "Die Soldaten" in Hamburg, die als unaufführbar galt. Die NZZ lässt sich von Yves Netzhammers visuellen Metamorphosen verführen. Und in der SZ erklärt die Schriftstellerin Rie Qudan, warum KI niemals hohe Literatur ersetzen kann, obwohl sie selbst auf ChatGPT zählt.

Mischmasch der Uneigentlichkeit

05.02.2024. Oksana Lyniv hat das Konzert des Kyiv Symphony Orchestras bei den Wiener Festwochen abgesagt, weil sie im Programm nicht neben Teodor Currentzis stehen will, berichtet der Tagesspiegel. Historischer Triumph für Taylor Swift bei den Grammys: Die Frauen haben endgültig den Pop übernommen, schreibt die SZ. Artechock schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: Wie kann die Berlinale so naiv mit dem Skandal um die Einladung von AfD-Politikern umgehen? Die FAZ kommt mit Peter Eötvös' neuer Oper "Valuschka" in Regensburg in den Genuss eines der besten Libretti der zeitgenössischen Oper. Und die Welt preist das Auswendiglernen der literarischen Klassiker.

Offenbarung in Plauen

03.02.2024. Nachtkritik lernt von Daniil Charms, wie man am Theater Empörung durch befreiendes Lachen ersetzen kann. Zeit online erklärt, warum der Tantiemenstreit zwischen Universal und TikTok gesellschaftspolitische Folgen in der ganzen Welt haben kann. In der FAZ protestiert Titanic-Mitbegründer Bernd Eilert gegen die Zumutung eines gezähmten Humors. Die taz ist traurig, dass sich kaum jemand über das Kinosterben aufregt. Auf Zeit Online schildert die Science-Science-Fiction-Schriftstellerin Aiki Mira, wie der kranke reale Körper dem utopischen schreibenden Grenzen setzt. Kommt nach poplinks jetzt poprechts, fragt sich die Zeitschrift Testcard.

Hoffnung klingt richtig gut

02.02.2024. Die Berlinale schlägt Alarm: Die iranischen Filmemacher Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha dürfen nicht mehr ausreisen. Die FR lässt sich von Aïda Muluneh erklären, wie man ihre Bilder auf äthiopische - und das heißt hier: politische - Art betrachtet. In der SZ erklärt die Sopranistin Asmik Gregorian, warum sie auf der Bühne nie versucht, eine Turandot oder Salome zu sein. Mit dem Niedergang von Pitchfork zeigt sich auch die handfeste Krise des Kulturjournalismus, der dem Effizienzdiktat geopfert werden soll, schreibt 54books.

Erstaunliche Flashbacks

01.02.2024. Die FAZ schlendert durch die Säle des Genfer Musée de beaux arts, die der belgische Konzeptkünstler Wim Delvoye in die schönste Unordnung gebracht hat. In der Türkei diskutiert die Kulturszene nach einem Gerichtsurteil über die Autorin Elif Shafak, ob diese säkular und links genug ist, berichtet die taz. nachtkritik, taz und SZ empfangen an der Schaubühne "Postkarten aus dem Osten". Im Interview mit der Zeit erklärt die polnische Regisseurin Agnieszka Holland über ihr Flüchtlingsdrama "Green Border": Es geht um die Zerbrechlichkeit Europas.