Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.04.2024 - Bühne

Szene aus "RCE" am Berliner Ensemble. Bild: Marcel Urlaub

Nachtkritikerin Frauke Adrians ist schier überwältigt: Kay Voges hat Sibylle Bergs 700-Seiten-Systemumsturz-Spektakel "RCE" für das Berliner Ensemble auf siebzig Minuten gekürzt und herausgekommen ist ein alle Theater-Sehgewohnheiten sprengendes Techno-Wunderwerk samt KI-Filmsequenzen, schwärmt der Kritiker: "Fünf Erzähler/Avatare/Nerd-Darsteller schweben in einer begeh- und erklimmbaren Wabe durch Hochhausschluchten und durchs All, durch Raum und Zeit; fünf Fleißbienchen mit Weltenretter-Impetus. Sie sprechen und rappen ihren Part - mal mit ausdruckslosen Computerstimmen, mal emotional gefärbt in Wahlkampf-Sound - nach strikter Zeitvorgabe über exakt eine Stunde und zwölf Minuten: Damit Text, Musik und KI-generierte Bilder haargenau aufeinander passen, bekommen die Schauspieler ihre Texte via Kopfhörer aufs Ohr und sprechen exakt mit, als uniforme Mensch-Maschinen." Dieser Abend "zieht visuell mitreißend in ein Rabbit-Hole der Algorithmen, wo die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine nicht mehr so leichtfällt", kommentiert Patrick Wildermann im Tagesspiegel.

Szene aus "Intermezzo". Bild: Monika Rittershaus

Exakt hundert Jahre nach ihrer Uraufführung feiert Richard Strauss' autobiografische Oper "Intermezzo" über die Abgründe (s)einer Ehe Premiere an der Deutschen Oper Berlin, inszeniert hat Tobias Kratzer, und zwar erstaunlich werktreu, meint Helmut Mauro in der SZ: "Kratzer hat die Oper dort gelassen, wo sie angesiedelt ist, hat sich aufs elegant Komische konzentriert und sich für eine gepflegte Gesellschaftskomödie entschieden, die sich aber im Privaten erschöpft." Ähnlich urteilt Judith von Sternburg in der FR: "Man muss 'Intermezzo' nicht wichtiger machen, als es ist, aber es ist gut, eine große und durchtriebene Produktion dieses unterschätzten Strauss-Projekts zu sehen." Hingerissen von Kratzers "Instinkt für das Loriothafte der Wirklichkeit" ist hingegen nmz-Kritiker Joachim Lange. Und auch die "parlierende Intermezzo-Musik" ist für "Liebhaber des schwelgerischen Richard-Strauss-Tons ist ein Fest", jubelt er: "Eines, bei dem man an einer üppig gedeckten musikalischen Tafel, den Verwandten und Bekannten begegnet, die man gerne von Zeit zu Zeit wiedersieht bzw. hört. Aufbruch zu neuen Ufern oder Einbruch der Turbulenzen der Gegenwart gibt es anderswo."

Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung blickt Stella Tringali auf vierzig Jahre Friedrichstadt-Palast zurück. Für die taz porträtiert Katrin Bettina Müller die Schauspielerin Lina Beckmann, die in Karin Beiers Inszenierung von Ronald Schimmelpfennigs Stück "Laios" beim Berliner Theatertreffen zu sehen sein wird. Rita Argauer wirft in der SZ einen Blick auf das Programm der Tiroler Festspiele Erl unter dem neuen Intendanten Jonas Kaufmann. Ebenfalls in der SZ trifft Marlene Bock die Gender-Performerin Bridge Markland, die das Münchner "Go Drag!"-Festival kuratiert.

Besprochen werden Johan Simons Inszenierung von Eugène Ionescos "Die kahle Sängerin" am Schauspielhaus Bochum (FAZ, SZ), die Ausstellung "Wilfried Hösl: Bühnenwelt - Weltbühne" an der Bayerischen Staatsoper (SZ), Rafael Sanchez' Inszenierung von Nora Abdel-Maksouds Stück "Jeeps" am Theater Essen (nachtkritik), Yana Eva Thönnes' Inszenierung von Unica Zürns Stück "Dunkler Frühling" am Zürcher Theater am Neumarkt (nachtkritik), Jan Christoph Gockels Inszenierung von "Der Schimmelreiter / Hauke Haiens Tod" nach der Novelle von Theodor Storm und dem Roman von Andrea Paluch und Robert Habeck am Deutschen Theater Berlin (nachtkritik) und der dreistündige René-Pollesch-Gedenkabend an der Berliner Volksbühne (Offen bleibt sowohl die Frage, was aus Polleschs Stücken wird, hat er doch verfügt, dass andere Regisseure seine Texte nicht nachinszenieren, sowie die Frage, wer künftig die Intendanz übernehmen wird, schreibt Peter Laudenbach in der SZ. Weitere Besprechungen in taz, FAZ und Welt, mehr hier).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.04.2024 - Bühne

Zwei Monate nach dem plötzlichen Tod von René Pollesch (unser Resümee) haben sich seine Wegbegleiter von ihm verabschiedet. Rüdiger Schaper erlebte im Tagesspiegel "eine Trauerfeier, vielleicht doch eher eine Trauerparty. Surreales, komisches, ergreifendes Spektakel: Das konnten sie an der Volksbühne schon immer. Und hier war es wie eine Energieausschüttung. Die kommenden Monate, Jahre werden schwer. Ein Nachfolger, eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht." Florentina Holzingers Rückblick war für Schaper einer der Höhepunkte: "Wie er immer für sie da war, für ihre verrückten Performances. Warum sie ihn für Jesus hält." Auch Ulrich Seidler ist in der Berliner Zeitung wehmütig und froh zugleich über den würdigen Abschied: "Viel ist von Zeitanhalten, von Alleingelassensein und von Berappeln die Rede und mindestens einen Alarmruf gibt es in Richtung Kultursenator Joe Chialo, der jetzt hier bloß nichts kaputt machen soll, weil es sich an diesem Abend doch noch so heil und zusammen und gegenwärtig anfühlt, und auch ein bisschen zu klein und zu eng für die Ewigkeit und die Leere, in die Pollesch vorausgegangen ist." In der nachtkritik schreibt Christine Wahl.

"My Little Antarctica." Foto: Julie Cherki.



Nachtkritikerin
Esther Slevogt sieht mit "My Little Antarctica" eines der Highlights des diesjährigen FIND-Festivals an der Schaubühne: "Vom intellektuellen Kältetod Russlands" erzählt das Stück des KnAM-Theaters, das bei seiner Gründung 1985 das erste freie Theater der Sowjetunion war, aber seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine im Exil ist: "Im Zentrum des Stücks stehen (per Video eingespielte) Interviews mit Bewohnern der Stadt Komsomolsk am Amur, die - geprägt von der sie umgebenden Taiga und sechsmonatigen Wintern mit Temperaturen um minus 40 Grad - am östlichen Ende Russlands gelegen ist. Hier war auch der Sitz des KnAM Theaters. Die Stadt entstand als Teil des Gulag-Systems mit seinen Straflagern, weshalb das Gros seiner Bewohner entweder von Wachpersonal oder einstigen Inhaftierten abstammt. Trotzdem wollen viele diese Geschichte nicht wahrhaben und beharren bis heute darauf, die Stadt sei in den 1930er Jahren von einer Gruppe idealistischer Jungkomsomolzen gegründet worden: Ein Junge etwa zweifelt die Echtheit der Dokumente an, auf die sich der Interviewer bei seinen Fragen über die stalinistische Terrorgeschichte des Orts bezieht. Eine alte Frau gibt offen zu, alles gewusst, ihre Familie aber gezielt belogen zu haben." Slevogt resümiert: "Diese Unfähigkeit, weder Schmerz noch Glück empfinden zu können, und sich damit auch gegen jede Veränderung zu immunisieren, wird als eine Art Grundsymptom aus dem Erbe des Stalinismus beschrieben." Auch Katja Kollmann zeigt sich in der taz überzeugt.

An der Staatsoper München laufen die Verträge von Intendant Serge Dorny und Dirigent Wladimir Jurowski aus (unser Resümee), die Gerüchteküche brodelt, wer wohl die Nachfolge übernehmen wird, die Namen Viktor Schoner und Joana Mallwitz tauchen immer wieder auf. Axel Brüggemann fasst für Backstageclassical den Stand der Debatte zusammen und konstatiert vor allem ein Versagen der bayrischen Kulturpolitik unter Minister Blume: "Hätte der Minister einen Wandel an der Staatsoper gewollt (was man durchaus argumentieren könnte), hätte er längst andere Kandidaten anfragen müssen, vielleicht sogar Leute wie Schoner - aber das hat Blume verpasst. Nun drängt die Zeit, und der Politiker wird von den Kandidaten, die öffentlich ins Gespräch gebracht werden, bloßgestellt. Wenn in diesen Tagen sowohl Mallwitz als auch Schoner erklären, dass es keine Gespräche mit Blume gegeben habe, fragt man sich: 'Warum denn nicht?'" Im Backstageclassical-Podcast äußert sich auch Regisseur Barrie Kosky zu dem Thema.

Weiteres: Die FR interviewt die Schauspielerin Valery Tscheplanowa zu Russland und ihrem Verhältnis zu Theater und Film. Besprochen werden: Wagners "Die Meistersänger von Nürnberg" am Teatro Real in Madrid (Welt) und "Zentralfriedhof" in der Inszenierung von Herbert Fritsch am Wiener Burgtheater (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.04.2024 - Bühne

 Szene aus "The Confessions", Probe. Foto: © Gianmarco Bresadola  

Aktuell zeigt das Festival Internationaler Neuer Dramatik an der Berliner Schaubühne, FIND, eine Werkschau des 38-jährigen britischen Autors und Regisseurs Alexander Zeldin. In der SZ ist Peter Laudenbach einfach hingerissen: Keine Effekte, kein Kalkül, sondern eine "Schule der Empathie" bekommt er zu sehen, ganz gleich, ob Zeldin in "The Confessions" die Lebensgeschichte samt Vergewaltigung seiner Mutter erzählt oder in der "Trilogie der Ungleichheit" Menschen am "unteren Ende der Klassengesellschaft" porträtiert: "Für 'Beyond Caring', dem ersten Stück der Trilogie, das die Putzkolonne eines Schlachtbetriebs bei der Nachtschicht zeigt, hat Zeldin mit Gewerkschaftern und Arbeitern gesprochen, und natürlich war er auch selbst in Schlachtbetrieben. Um die Schmutzecken einer harten Klassengesellschaft möglichst genau und ohne ideologische Besserwisser-Parolen auszuleuchten, will Zeldin erst mal die Leute und ihr Leben kennenlernen, von denen er erzählt. (...) So lernt man Respekt vor harter Maloche und verlässt zumindest für einen Arbeitstag die gerne wohlfeil beklagte Bubble des eigenen Milieus."

Weiteres: In der FAZ resümiert Lotte Thaler das kulturpolitische Debakel am Staatstheater Kassel um den Intendanten Florian Lutz, dessen Vertrag trotz massiver Beschwerden des Orchesters verlängert wurde und der sogar versuchte, Einfluss auf die Presse zu nehmen. Im VAN-Gespräch blickt der scheidende Direktor der Lyric Opera in Chicago Anthony Freud auf den amerikanischen Kulturbetrieb. Ebenfalls im VAN-Magazin erzählt Katja Petrowskaja von der Arbeit an ihrem ersten Opernlibretto frei nach Dostojewskis "Doppelgänger". Besprochen wird das Stück "Im Osten was Neues" des polnischen Regisseurs Łukasz Ławicki am Oldenburger Staatsschauspiel (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2024 - Bühne

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Die in Russland geborene Schauspielerin Valery Tscheplanowa hat im letzten Jahr einen von der Kritik gelobten biografischen Roman veröffentlicht, nun ist sie in Ulrich Rasches "Nathan"-Inszenierung zu sehen, die das Berliner Theatertreffen eröffnet. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärt sie, weshalb sie als Tartarin nicht mehr als "russisch" bezeichnet werden will und warum es ihrer Meinung nach keine russische Nation, sondern nur eine "Ansammlung von zig Kulturen unter einem imperialen Dach" gibt: "Es gab diesen Landstrich der Wolgabulgaren um Kasan herum zum Beispiel, da herrschte Religionsfreiheit, auch da ging die Goldene Horde auf Streifzug und eroberte Riesengebiete. So entstand dieses unendlich weite Land. Die ganzen Nationen wurden einfach überdeckt, es gibt da viele Volksgruppen, die asiatisch geprägt sind, die viel enger mit Türken oder Mongolen verwandt sind als mit Slawen. Das Russische, das man mit Dostojewski, Tschaikowski, Moskau und St. Petersburg verbindet, betrifft nur den kleinsten Teil dieses zusammengeraubten Reichs." Putin nutze die Naivität vieler Russen aus, ergänzt sie: "Diese Naivität speist sich aus der zaristischen und kommunistischen Geschichte und aus der Religiosität. Der Weg daraus könnte über die Emanzipation der Menschen führen, dabei könnte das Bewusstsein einer eigenen Nationalität und Sprache vielleicht helfen."

Szene aus "ROM". Bild: Marcel Urlaub

Shakespeares Römertragödien "Titus Andronicus", "Coriolanus", "Julius Caesar" und "Antonius und Kleopatra" hat die Autorin Julia Jost zu einem Stück mit dem Titel "ROM" modernisiert zusammengefügt, Luk Perceval hat es nun auf die (Dreh-)Bühne des Wiener Volkstheaters gebracht und nicht nur FAZ-Kritiker Martin Lhotzky ist enttäuscht: "Natürlich hat es durchaus etwas mit unserer Gegenwart zu tun, wenn man dabei zuschauen und zuhören darf, wie Macht zu Korruptheit führt, wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder grausam ausgelebt wird, welche furchtbaren Folgen Kriege haben. Allerdings wären solche Erkenntnisse auch schon beim Poeten aus Stratford-upon-Avon selbst zu erspähen. Dafür braucht es keine Überschreibung. Am Ende wirkt ROM eher wie eine szenische Lesung als ein Drama." Ähnlich urteilt Jakob Hayner in der Welt, der in diesem düsteren "Bilderreigen" immerhin ein paar Höhepunkte ausmacht, etwa den Wasserringkampf zwischen Kleopatra und Antonius: Wie sie "wortlos miteinander ringen, sich an die Wand und ins Wasser werfen, Arme und Beine umeinanderschlingen, drücken und ziehen, ist ein ergreifendes Bild von zärtlicher Brutalität. Ist das noch Kampf oder schon Sex?"

Weitere Artikel: Am Sonntag feiert der "Tannhäuser" unter dem Dirigat von Thomas Guggeis an der Oper Frankfurt Premiere. Im FR-Interview spricht Guggeis über die Tücken der Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts, die Bedeutung des Musiktheaters und die "Wunderwelten" des Tannhäuser. In der NZZ rauft sich Paul Jandl die Haare über Dieter Hallervorden, der unter anderem Hamas-Propagandavideos postet. Im Standard wirft Margarete Affenzeller einen Blick auf das neue Programm des Wiener Burgtheaters unter dem designierten Direktor Stefan Bachmann. Nachtkritiker Martin Thomas Pesl kommentiert dazu: "Alle atmen erleichtert auf, weil Kušej weg ist und sie noch da sind, also empfangen sie die Neuen mit offenen Armen. Wie interessant oder gar innovativ das Theater wird, das aus diesem Burgfrieden hervorgeht, scheint dabei zunächst zweitrangig."

Besprochen werden Ricard Soler Mallols Oper "Ali" am Brüsseler Opernhaus La Monnaie/De Munt (SZ), Ewald Palmetshofers Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" am Theater Bremen (taz), eine Aufführung der Oper Poznan von Stanislaw Moniuszkos Oper "Das Gespensterschloss" an der Berliner Philharmonie (Tsp) und die Ausstellung "Opera Meets New Media - Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie" im Bertelsmann-Sitz Unter den Linden (Welt).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.04.2024 - Bühne

Szene aus "Zentralfriedhof" am Volkstheater Wien. Foto: Matthias Horn.

"Es lebe der Zentralfriedhof!", singt FAZ-Kritiker Simon Strauß in Einstimmung auf Herbert Fritschs neues Stück am Burgtheater in Wien. Während Wolfgang Ambros damals noch "die Melancholie eines nächtlichen Grabstättenbesuchs auf sympathisch-mitreißende Weise mit der engagierten Utopie von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" verband, zieht Fritsch angesichts politischer Desillusionierung "keine moralischen Schlüsse" mehr, erklärt Strauß: "Deshalb, als letzte Hoffnung: das freie, stumme Spiel. Fritsch hat sich bei seinem Friedhofsbesuch vor allem in die Totengräber verliebt, jene sagenumwobene Berufsgruppe, für die das letzte Geleit zu geben tägliche Verpflichtung ist. Bei Fritsch treten die Bestattungshelfer als komödiantische Combo auf, als elfköpfiges Ensemble, das sich dem Tod so widmet, als wäre er nur eine Seite der Medaille. Und auf der anderen stünden: ausgelassenes Leben, verrückte Zufälle und überbordende Spiellust."

Weitere Artikel: nachtkritikerin Laura Strack berichtet vom lautstarken Protest der Italiener gegen die undemokratisch entschiedene Einsetzung des umstrittenen Kandidaten Luca De Fusco als Intendant der Stiftung "Teatro di Roma". Tom Mustroph war für die taz beim Theaterfestival "FIND" an der Schaubühne in Berlin, für die nachtkritik berichtet Esther Slevogt. Ebendort denkt Wolfgang Behrens darüber nach, was es bedeutet, wenn schon produzierte Theaterstücke nicht auf die Bühne kommen.

Besprochen werden eine Kombiinszenierung der Opern "Ohne Blut" von Péter Eötvös und "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók am Theater Osnabrück, inszeniert von Ulrich Mockrusch (FAZ), Luk Percevals Shakespeare-Projekt "Rom" am Volkstheater Wien (SZ), Tiago Rodrigues Stück "Catarina und von der Schönheit Faschisten zu töten" am Schauspiel Frankfurt (Welt), Reinhard Hinzpeters Inszenierung von Ingeborg Bachmanns "Das dreißigste Jahr" am Freie Schauspiel Ensemble Frankfurt (FR) und Adel Abdessemeds Inszenierung von Olivier Messiaens Oper "Saint François d'Assise" am Grand Théâtre de Genève (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.04.2024 - Bühne

Szene aus "Die Ehe der Maria Braun" am Schauspiel Frankfurt. Foto: Birgit Hupfeld.

Einen Fassbinder-Film auf die Bühne bringen? Judith von Sternburg hat in der FR einige Bedenken. Und so ganz kann Lilja Rupprechts Adaption von "Die Ehe der Maria Braun" am Schauspiel Frankfurt diese auch nicht zerstreuen. Dazu hat Sternburg doch viel zu sehr die grandiose Vorlage im Kopf, die das Schicksal von Maria und gleichzeitig deutsche Geschichte vom Ende des Krieges bis Mitte der Fünfziger Jahre erzählt. Aber, es gibt dann noch ein "kleines Wunder" für die Kritikerin und das Theater kann sich mit seinen eigenen Mitteln behaupten: "So. Und dann kommt die Szene, in der Maria für ihren neuen Arbeitgeber mit einem Ami verhandelt. Rupprecht blendet nicht weg (aber Text gibt es auch nicht), sondern sie lässt Manja Kuhl tanzen und der Ami, Michael Schütz, tanzt gleich mit, und der Unternehmer und Geliebte in spe, Sebastian Reiß, tanzt dann auch mit, und schließlich tanzen alle nach Marias ziviler Pfeife. Und da ist auf einmal eine Leichtigkeit, die nicht läppisch ist, sondern bezaubernd."

Auch Sandra Kegel ist in der FAZ zufrieden mit diesem Theaterabend: "Die Inszenierung ist ideenreich, es wird gesungen und getanzt, mit in den Fünfzigerjahren aus Amerika importierten Hula-Hoop-Reifen hantiert und mit Sitzbällen, die zur Weltmetapher werden im beginnenden Kalten Krieg. Trotz aller Showeinlagen aber steht im Vordergrund der Text."

Weitere Artikel: Zum hundertsten Todestag von Giacomo Puccini zeigt Bertelsmann in Berlin die Multimedia-Ausstellung "Opera Meets New Media - Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie"(gelungen", in "ihrer virtuellen Fülle allerdings überbordend" findet Manuel Brug in der Welt - Clemens Haustein bemängelt in der FAZ hingegen, dass hier der erfolgreiche Geschäftsmann zu sehr in den Vordergrund rückt und der Künstler ins Hintertreffen gerät.)

Besprochen werden Luk Percevals Inszenierung von "Rom" nach Shakespeare in einer Fassung von Julia Jost am Volkstheater Wien (nachtkritik), Toshiki Okadas Inszenierung seines Stücks "Home Office" am Düsseldorfer Schauspielhaus (nachtkritik), Jan Friedrichs Inszenierung von "Romeo und Julia … oder Szenen der modernen Liebe" nach Shakespeare am Staatstheater Mainz (nachtkritik, FR), Christian Breys Inszenierung der musikalischen Komödie "Zusammenstoss" nach Kurt Schwitters und Ludger Vollmer am Theater Heidelberg (nachtkritik), das musikalische Stück "Signal To Noise" der Theatergruppe Forced Entertainment im Frankfurter Mousonturm (FR), Alexander Giesches Adaption von Tennessee Williams Roman "Moise und die Welt der Vernunft" am Zürcher Schauspielhaus (NZZ) und Stefan Puchers Inszenierung von Hermann Melvilles Roman "Moby Dick" am Münchner Residenztheater (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.04.2024 - Bühne

Szene aus "Moise" am Schauspielhaus Zürich © Eike Walkenhorst

"Seltener war Depression schöner anzuschauen" als bei Alexander Giesches Abschieds-Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus, findet Valeria Heintges auf Nachtkritik. Mit einer Adaption von Tennessee Williams' Roman "Moise und die Welt der Vernunft" bringt der Regisseur einen letzten seiner "Visual Poems" auf die Bühne. Schöne Dekors darf man hier nicht erwarten, so Heintges, aber das war bei Giesche ja schon immer so: "Giesche nutzt Bausteine, Motive aus Williams' Roman, um sie in Bilder, Töne, Atmosphäre zu übersetzen. Immer wieder etwa taucht Moises Philosophie der Farbe auf: viel Grau, viel Schwarz, die sie auf ihren Bildern 'mit kaum wahrnehmbaren Punkten in Blau hier und dort' begleitet. Auch Giesche malt in Schwarz und Grau, mit wenig Licht, dunklen Stimmungen, einer Schwarz-Weiß-Animation und viel Nebel, in der der Satz 'Theatre kills' kurz aufscheint."

Weiteres: Fortunato Ortombina wird der neue Intendant der Mailänder Scala, meldet Karen Krüger in der FAZ. Der Tagesspiegel meldet mit dpa, dass der frühere Balletdirektor Marco Goecke, der nach der "Hundekot"-Attacke auf eine Kritikerin gehen musste, nun als Choreograf wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.04.2024 - Bühne

Besprochen werden die Uraufführung von Branko Šimićs "Traum(a): Synchronisierung der Kriege" beim Hamburger "Krass"-Festival (nachtkritik), Ersan Mondtags Inszenierung von Kurt Weills "Silbersee" im französischen Nancy (nmz) und Tatjana Gürbacas Inszenierung von Leoš Janáčeks "Jenůfa" am Theater Duisburg (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.04.2024 - Bühne

Nach einer "Romeo und Julia" und einer "Hamlet"-Inszenierung an nicht näher benannten deutschen Schauspielhäusern, ist Feridun Zaimoglu so wütend, dass er am liebsten in den Fundus einbrechen und die Kostüme zerschlitzen würde, wie er in einer schäumenden Suada in der Zeit bekennt: "…das alte Theater ist alt, das neue Theater ist tot, wie wird es weitergehen, mich ekelt vor dem Immergleichen, vor den immergleichen Geschichten der jungen Bourgeoisen ohne Eigenschaften, kein Geist, keine Seele, nur ein blödes Zeugs, kleines Glück, blöde Grimassen, keine Gefühlsregung wirklich echt gespielt, …", ruft er und fordert: "Es braucht der Strenge. Es braucht des Erbarmens. Wir wollen die Avantgardekunst der Heutigen verabschieden, weil sie zum Hinterteil der Kultur geworden ist: Die Kultur sitzt gern auf diesem warmen Arsch. Die Geläufigkeit der Spieler beim Spielen und der Zuschauer beim Schauen muss abnehmen. Wir müssen auf unseren Sitzen abnehmen. Es muss möglich sein, die deutschen Geschichten unserer Zeit zu spielen, die Geschichte von Frauen und Männern mit guten Gesichtern."

Sowohl das Berliner Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht hatten die Kündigungen der beiden geschassten Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin Ralf Stabel und Gregor Seyffert für unwirksam erklärt. Beiden war von Eltern der Schüler unter anderem Gefährdung des Kindeswohls und Diskriminierung vorgeworfen worden (Unsere Resümees). Nach dem Scheitern der Senatsverwaltung vor Gericht sind auch die von zwei Expertengremien angefertigten Gutachten von der Webseite der Senatsverwaltung verschwunden, bemerkt Dorion Weickmann in der SZ und fragt, "wer die Missstände zu verantworten hat, die Expertenkommission und Clearingstelle 2020 dokumentiert haben. Festgehalten wurden in den Berichten Fälle von Bodyshaming, Mobbing, Gesundheitsschädigung, Verletzung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht. Was bedeutet es, dass die Berichte aus dem Verkehr gezogen wurden? Soll die Frage der Verantwortung stillschweigend begraben werden? (…) Dafür kursiert in Berlin das Gerücht, eine West-Verschwörung wolle die traditionsreiche Ost-Ausbildungsstätte niedermachen. Was vollkommen irrwitzig ist und einzig dazu dient, die Zerrissenheit der Schule zwischen methodischer Vorwärtsbewegung und Stillstand zu übertünchen."

Besprochen werden die Performance "Titanic II" des Kollektivs Markus & Markus in der Bremer Schwankhalle (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.04.2024 - Bühne

ANTHROPOLIS I: Prolog/Dionysos © Monika Rittershaus, 2023

Das "bedeutendste Theaterereignis der Saison" will FAZ-Autor Simon Strauß am Hamburger Schauspielhaus erlebt haben. Zur Aufführung kam Karin Beiers Antiken-Penthalogie, ein Kraftakt des Erzähltheaters, gegen den, findet Strauß, die diskurs- und moralseelige Konkurrenz aus Zürich, München und Berlin alt ausschaut. Hier hingegen, wird wieder in die Hände gespuckt: "Die Aufführungen beginnen stets mit körperlicher Arbeit. Im Regen schaufeln die Bewohner Thebens Mulch auf einen Haufen. Verausgaben sich, um eine erste Ordnung zu schaffen. (...) Ein bisschen wirken diese schweißtreibenden Arbeitseinsätze zu Beginn jeder Aufführung aber auch wie autogene Trainingseinheiten, um die Gewichte der Gegenwart abzutragen. Sich durch die physische Anstrengung von allzu leichtfertigen Transformationsgedanken zu entledigen, es sich ein bisschen schwerer zu machen mit dem Verhältnis von Mythos und Moderne."

Warum hat es so lange gedauert, bis Leoš Janáceks Opern als die Meisterwerke anerkannt wurden, die sie sind? Judith von Sternburg kann sich das in der FR nicht erklären, schon gar nicht angesichts einer grandiosen, von Tatjana Gürbaca verantworteten Aufführung seiner "Jenufa" am Theater Duisburg. Ein Abend, an dem "die Emotionen so hochschwappen, dass Rosie Aldridge in einigen Momenten das Singen sein lässt und brüllt. Es ist ungeheuerlich. Aldridge kommt der übergroßen Partie der Küsterin mit ebensolcher Wucht bei wie die Titelheldin, Jacquelin Wagner, zwei Sängerinnen mit Kraftreserven und dem Mut, alles reinzuwerfen in eine solche Unternehmung. Die Küsterin muss und darf sich vielleicht immer noch etwas mehr die Seele aus dem Leib singen, und Aldridges Mezzo leistet das überbordend, ist Jenufas Stiefmutter doch das tragische Zentrum des Geschehens."

Besprochen werden das Solo-Stück "The Importance of Being Erna" am Staatstheater Darmstadt (FR), Raphael Bardutzkys "Das Licht der Welt" am Wiender Burgtheater (Standard), Pedro Calderón de la Barcas "Das Leben ein Traum" am Hamburger Thalia-Theater (taz Nord) und eine Doppelaufführung von Arnold Schönbergs "Erwartung" und Ethel Smyth' "Der Wald" an der Oper Wuppertal (van).