9punkt - Die Debattenrundschau
Jemand, der ein Krokodil füttert
Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Kulturpolitik
Ideen
Geopolitiker Herfried Münkler hat neulich in der NZZ die Idee universeller Werte verabschiedet und die Welt in Münklersche Räume unterteilt, die sich in Ruhe lassen sollten (unser Resümee). Sollte jemand in einem nicht westlichen Raum eine Vorliebe für Demokratie entwickeln, hat er laut Münkler leider Pech gehabt - der Ukraine bescheidet er etwa, dass sie sich mit Putin arrangieren solle. Richard Herzinger ist in seinem Blog nicht einverstanden: "Der Kardinalfehler in Münklers Vorstellung von einer kommenden neuen Weltordnung besteht in der impliziten Annahme, die antidemokratischen Mächte würden sich damit begnügen, ihre eigenen 'Räume' zu beherrschen, nachdem sie dort erst einmal ihre eigenen 'Normstrukturen' durchgesetzt haben. Die wirklichen Verhältnisse zeigen jedoch ein ganz anderes Bild. Mit Cyberattacken und Desinformationskriegsoperationen zielt Putins Russland darauf, die liberalen Demokratien in ihrem Inneren zu zerstören, und auch Peking strebt verschärft nach Kontrolle über die internen Schaltstellen der westlichen Gesellschaften."
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Jens Lehmann ist aus dem Aufsichtsrat von Hertha BSC gefeuert worden, weil er den schwarzen TV-Fußballexperten Dennis Aogo als "Quotenschwarzen" bezeichnet hat. Zurecht, findet Hamed Abdel-Samad auf Facebook: "Allerdings ist die Empörung darüber in den Medien äußerst selektiv. Denn hätte man die gleiche Äußerung über einen Schwarzen, der Trump wählt oder bei der AFD aktiv ist, wäre die Empörung ausgeblieben. In 2017 bezeichnete Jakob Augstein in einer Spiegel-Kolumne Muslime, die gegen den islamistischen Terror in Köln demonstriert haben als Onkel-Tom-Türken. Die von den Medien hofierte Journalisten Kübra Gümüşay bezeichnete die Islamkritikerin Necla Kelek einige Jahre zuvor als 'Haus-Türkin' in Anlehnung die afroamerikanischen Haussklaven. Weder nach Augsteins noch nach Gümüşays rassistischen Äußerungen habe ich einen Aufschrei in den Medien gehört oder in den sozialen Netzwerken gehört."
Auch der grüne Tübinger OB Boris Palmer hat sich auf Facebook zu dem Lehmann-Vorgang geäußert, ebenso wie zu Fußballspieler Dennis Aogo, der seinen Job als Fernsehkommentator los ist, weil er vor laufender Kamera den Ausdruck "Trainieren bis zum Vergasen" gebraucht hatte. "Lehmann weg. Aogo weg. Ist die Welt jetzt besser? Eine private Nachricht und eine unbedachte Formulierung, schon verschwinden zwei Sportler von der Bildfläche", kommentierte Palmer auf Facebook. In seinem Post, berichtete um Mitternacht im Tagesspiegel Christopher Stoltz, zitierte Palmer auch eine Kommentatorin, die das N-Wort benutzt und behauptet hatte, dass Aogo eben dieses Wort ihrer Freundin gegenüber benutzt hatte, die er zu, äh, heute würde man wohl wieder sagen "unsittlichen" Handlungen aufgefordert hatte.
Sittlichkeit erfordere Zwang, erklärte einst Robbespierre. "Worte für die Ewigkeit, auch 200 Jahre später", meint in der NZZ Josef Joffe an die woke Linke gewandt. "Die Schlachtrufe sind nun 'systemischer Rassismus', 'unbewusstes Vorurteil', 'Mikroaggression' - buchstäblich unfassbare Tatbestände à la chinoise. Das prinzipielle Problem: Wenn das Böse 'strukturell' ist, hilft nur die Abrissbirne. Wenn Entwürdigung unbewusst ist, müssen 236 Millionen weiße Amerikaner in die Gehirnwäsche. Mikroaggression bedeutet universelle Sprachkontrolle. Hinter der Radikalisierung lauert eine totalitäre Dystopie."