9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2024

Und hier hast du übrigens einen Widder

30.03.2024. Im Spiegel hofft Fania Oz-Salzberger, dass irgendwann nach dem Krieg und nach dem Sieg über die Hamas und nach Netanjahu eine Zweistaatenlösung zustande kommt. In der SZ unterhalten sich Sasha Marianna Salzmann und Ofer Waldman über die "Gleichzeit", die am 7. Oktober ausbrach. In der FAZ verzweifelt Martin Schulze Wessel über die Geschichtsversionen von SPD-Politikern. In der taz erklärt Catherine Belton, wie der Westen Putin besiegen kann. Und in der Welt zeigt Donald Tusk auf ein Ferienfoto vom 31. August 1939.

Und du schnappst einen Teil Polens?

28.03.2024. Die FAZ folgt den Blicken Alexander Lukaschenkos und seines adipösen Spitzes und legt einen Finger in die Suwalki-Lücke. Die taz ist gegen einen Einbürgerungstest mit Fragen zu Israel - muslimische Einwanderungswillige könnten sich ausgegrenzt fühlen. Ebenfalls in der taz fürchtet Adrian Lobe: "Die digitalen Klärwerke sind überfordert." Die Welt fragt: Warum sollen nicht ein paar jüdische Propheten auf dem Dach des Stadtschlosses stehen?

Ikonographie des Schreckens

27.03.2024. Wüssten die Westeuropäer, was die Russen über sie sagen, wären sie auf die eigene Sicherheit ernsthafter bedacht, warnt die litauische Schriftstellerin Kristina Sabaliauskaitė in der FAZ. In der FR setzt Olivia Mitscherlich-Schönherr indes auf eine Doppelstrategie, die militärischen Einsatz und politische Verhandlungen verbindet. In der Zeit erklärt der Terrorismus-Experte Guido Steinberg, weshalb der afghanische IS-Ableger ISPK Russland angegriffen hat: Dschihadisten denken pragmatisch. Nicht mal eine Wahlniederlage Putins hätte in Russland etwas geändert, glaubt der russische Journalist Vladimir Esipov bei Spon.

Zustand der Anomie

26.03.2024. Der UN-Sicherheitsrat fordert eine sofortige Waffenruhe in Gaza: Die FAZ erinnert daran, dass kein anderes westliches Land in den vergangenen Jahrzehnten in einen ähnlich existenziellen Kampf verwickelt war. In seinem Newsletter Thinking about hat Timothy Snyder keinen Zweifel daran, dass der Anschlag in Moskau auf den "Islamischen Staat" zurückgeht. Richard Herzinger hält es indes für möglich, dass das Attentat von Putin inszeniert wurde. Die taz blickt auf die finstere Redner-Liste beim "Palästina-Kongress". Und in der Berliner Zeitung glaubt Katja Lange-Müller: Der Wessi hat den "Jammerossi" aus Neid erfunden.

Werden wir Chinesen

25.03.2024. Putin wird den Terroranschlag in Moskau zweifellos für seine Zwecke nutzen, prophezeit Viktor Jerofejew in der FAZ. Schon weil er das Versagen seiner Sicherheitsapparate verschleiern muss, sekundiert die taz. Für viele muslimische Kaukasier ist es besser, "unter der Flagge des Propheten zu sterben als unter der von Putin", erklärt der Politikwissenschaftler Olivier Roy im Interview mit der FR. Die taz sieht den Konflikt zwischen Hutu und Tutsi auf den Kongo und Burundi übergreifen. Populismus schadet der Wirtschaft, verkündet die FAZ. In der NZZ erwartet der Militärhistoriker Edward Luttwak einen baldigen Rückzug Netanjahus aus der Politik.

Kritiklos hingenommene Ermächtigungsphrasen

23.03.2024. Es ist "absoluter Unsinn", dass die arabische Seite im Krieg von 1948 nur Opfer der Israelis war, sagt der Historiker Benny Morris in der taz. In der FR behauptet der Nahostexperte Olivier Roy, die zivilen Opfer in Gaza seien der israelischen Regierung egal. Auch die Welt analysiert das Gutachten Christoph Möllers' zur Kunstfreiheit. Die FAS fragt, warum Frauenfeinde attraktiv für Jugendliche sind. Die pädagogische Rhetorik, mit der Steinmeier und Scholz bei ihren Leipziger Reden auf Zwischenrufer reagierten, ist nicht demokratisch, sondern bieder repressiv, meint auch die FAS.

Die Schlange war ein Institut

22.03.2024. FAZ und Zeit online versuchen Christoph Möllers' Gutachten über mögliche Klauseln gegen Antisemitismus oder Rassismus zu verstehen. In der taz erklärt Louna Sbou vom Neuköllner Kulturzentrum Oyoun, warum sie Subventionen für israelfeindliche Positionen haben will. Putin wird nicht verhandeln, wenn der Ukraine die Patronen ausgehen, warnen SZ und Zeit online.

In der warmen Brühe der Begriffe

21.03.2024. Die Zeit stellt Omri Boehms Dankesrede für den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung" und Eva Illouz' Laudatio online: Mit Lessing und Mendelssohn empfiehlt Boehm auch Juden und Arabern Freundschaft, nicht Brüderlichkeit. Die Jüdische Allgemeine erzählt, warum man Hillel Neuers Intervention zur UNRWA im Europaparlament nicht sehen kann. Warum kommt das mit den rechtsextremen Spendern für das Berliner Stadtschloss eigentlich erst raus, wo das ganze Schloss schon fertig ist, fragt sich der Tagesspiegel (aber nicht an die eigene Adresse). Regieren ist nicht Verwaltungshandeln, sagt der Historiker Gerd Krumeich im Spiegel.

Russland ist längst zum kleinen Bruder degradiert

20.03.2024. "Einfrieren"? Eine sehr deutsche Sehnsucht, findet die FAZ, aber weder die Ukraine noch Russland sind daran interessiert,  ergänzt Politologe Gerhard Mangott im Tagesspiegel. Ebendort nennt Olaf Scholz die Debatte "lächerlich", lässt aber offen, ob er die Erfinder des Begriffs "Einfrieren" kritisiert oder nur die Debatte darüber. Tablet erzählt die superfinstere Geschichte des Hamas-Chefs und Mörders Yahya Sinwar.

Mit einer Gewaltmembran

19.03.2024. Gesellschaft im Aufruhr: Der "Meinungskorridor" für antiisraelische Äußerungen werde immer enger, beschwert sich die taz. Israel betreibt in Gaza einen Rachefeldzug, schreibt Joseph Croitoru in der FR. Susan Neiman wirft Deutschland in der Irish Times MacCarthyismus vor. Die Sozis sind "Munichois" ruft FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube  der "Gruppe der Schwesigs, Stegners und Scholzens" zu. Ein charmanter Zahnarzt aus Düsseldorf organisiert den Rechtsextremismus in Deutschland, berichtet die SZ: "sogar Sahra Wagenknecht"! Das Berliner Stadtschloss wird zur Festung für den Kulturkampf, fürchtet ebenfalls die SZ.

Minen in den Köpfen der Menschen

18.03.2024. Die Krim ist auf den Tag genau vor zehn Jahren besetzt worden. In der taz spricht Tamila Taschewa, die "Ständige Vertreterin des ukrainischen Präsidenten in der Autonomen Republik Krim", darüber, wie die Krim nach dem ukrainischen Sieg wieder demokratisiert werden soll. Auch an Stalins Genozid an den Krimtataren erinnert die taz. Im Spiegel zeichnet Karl Schlögel in einigen kräftigen Strichen das Porträt des Putinismus. Und Jan Fleischhauer informiert im Focus über das "Berliner Register" für missliebige Äußerungen.

Gut erprobte Methoden

16.03.2024. Eva Illouz wirft Judith Butler in einer fulminanten Replik für Le Monde "doppelten Negationismus" vor - wir zitieren ausführlich. Auch Butler hat sich nochmal geäußert. "Hinter dem Verschwinden verbirgt sich meist ein Verbrechen", schreibt  die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk über die historischen Traumata ihres Landes. Richard Herzinger fragt in der NZZ, ob Demokratien generell eine Tendenz zum Appeasement haben. Die taz stellt neue Erkenntnisse über den "progressiven" Pädagogen Helmut Kentler vor, der im Verein mit Gerold Becker von der Odenwaldschule ein Pädophilie-Netz in Deutschland unterhielt.

Im Alltag fühlen sie sich schwach

15.03.2024. Putin siegt auf ganzer Linie: Der Westen lässt die Ukraine im Stich - wogegen sich ein Aufruf wendet - und die Wahlen in Russland gewinnt Putin ja sowieso. In der FAZ erklärt Bülent Mumay den neuen türkische Religionsunterricht an Pappmodellen. In der Jüdischen Allgemeinen antwortet Esther Schapira zornig auf einen Spiegel-Artikel, der Israel einen "Vernichtungsfeldzug" vorwirft. Charlie Hebdo schlägt nun auch für Universitäten Schuluniformen vor.

Es liegt sehr viel Ungewisses in der Luft

14.03.2024. Putin lässt sich am Wochenende seine "Wiederwahl" fabrizieren. Aber der Krieg kommt nicht noch, er ist schon, schreiben Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie in der taz. Eine Gesellschaft, die ihre "Verletzlichkeit" ins Zentrum stellt, endet im Zwang, fürchtet die Juristin Frauke Rostalski in der Zeit. Was Judith Butler betreibt, ist eine Auslöschung der Differenzen im Namen der Fluidität, diagnostiziert Jan Feddersen in der taz. Aufruhr an der Saar: Nach der Absage einer Candice-Breitz-Ausstellung im November geht's immer noch drunter und drüber, berichtet der Saarländische Rundfunk.

Und beschämend ist es auch

13.03.2024. Im Guardian blickt Jan-Werner Müller auf die Bromance zwischen Orban und Trump: Vor allem Trump schwärmt davon, wie Orban die Kontrolle über Bildung und Kultur im Staat erlangte. In der Welt glaubt Hans Michael Rühle, ehemaliger Nato-Referatsleiter, dass sich die Ukraine irgendwann unter westlichem Druck auf Verhandlungen mit Russland einlassen muss. Ohne einen Regimewechsel in Russland wird es nie einen dauerhaften Friedensschluss geben, räumt indes die Historikerin Beatrice Heuser in Sirius ein. Gewalt ist kein theoretisches Konstrukt, klärt die Jüdische Allgemeine Judith Butler auf.

Der geringe Grad an Protest

12.03.2024. In Zeit online warnt Cory Doctorow vor einer "Verschlimmscheißerung" des Internets - aber es gibt Hoffnung. Ohje, jetzt gibt es nicht nur Künstliche Intelligenz, sondern auch "emotionale künstliche Intelligenz" - Kenza Ait Si Abbou erklärt in der FR, was das sein soll. Bernard-Henri Lévy prangert in seiner Kolumne die Kälte gegenüber Israel an. Der Figaro-Kolumnist Gilles William Goldnadel schildert den neuen Antisemitismus in Frankreich. In der FAZ erzählt Hubertus Knabe, mit welchem Aufwand Kolumbien sich mit sich selbst versöhnen will.

Es geschah am helllichten Tag

11.03.2024. Norbert Röttgen und Anton Hofreiter  prangern in der FAZ den "katastrophalen Defätismus des Kanzlers" an. Vor zwanzig Jahren begann in Spanien die Ära der Fake News, konstatiert die taz mit Blick auf den Terroranschlag von Madrid am 11. März 2004. Antisemitismus kann gar nicht links sein, dekretiert Wolfgang Benz in der FR - das hat er in Geschichte gelernt.  KI könnte fürs Übersetzen so schlimm sein wie Taschenrechner fürs Kopfrechnen, fürchten FAS und FAZ in mehreren Artikeln. Aber Thomas Rabe von Bertelsmann ist zuversichtlich: "Nehmen Sie das Beispiel Pumuckl."

Reale, physische, ereignishafte Gewalt

09.03.2024. Die Opposition in Russland liegt am Boden, aber sie ist nicht tot, hofft Sergei Lukaschewski, der einst das Sacharow-Zentrum leitete, in der taz. Die Welt nimmt Abschied von den Ideen des Universalismus, meint Leander Scholz in der NZZ. Die Welt nimmt Abschied von Butlers Konstruktionen, die ebenfalls gerade einen Super-GAU erlebten. In der FAZ erzählt der Autor Matthias Jügler die alptraumhafte Geschichte geraubter Babys in der DDR.  Und wir sehen einer Aktivistin dabei zu, wie sie das Porträt des Lord Balfour zerstört.

Donald Trumps Schwestern im Geiste

08.03.2024. Judith Butler möchte gern die Beweise für die Vergewaltigungen am 7. Oktober sehen und überprüfen. In der Welt rechnet Mirna Funk mit den Feministinnen der dritten Welle ab, die zu den Vergewaltigungen der Hamas schweigen. Die FAZ erklärt, warum vor allem weibliche Politiker den Rechtspopulismus in Europa und den USA befeuern. Die FR beklagt die Lage palästinensischer Frauen in Gaza. Kurz: Man hat schon bessere Weltfrauentage erlebt. Außerdem berichtet Andreas Umland in der Welt über die systematische Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland.

Es ging um ein Blutbad

07.03.2024. Die Äußerungen Judith Butlers über die Hamas stoßen auf Empörung: Sie spuckt auf Gräber, schreibt Jürgen Kaube in der FAZ. Trotz unterschiedlicher Ansichten zum Gazakrieg sind alle Kommentatoren der Meinung: Terror ist Terror, und Antisemitismus ist Antisemitismus. Atomwaffen sind kein Quatsch, sagt Joschka Fischer an die Adresse Olaf Scholz' in der Zeit. Wladimir Sorokin hofft in der NZZ, dass die Russen es irgendwann mal schaffen, zur Gesellschaft zu werden.

Analysen zur Beweinbarkeit

06.03.2024. Judith Butler möchte das Massaker der Hamas als "bewaffneten Widerstand" verstanden wissen, der keineswegs antisemitisch war. Wir bringen erste Reaktionen: Prominente Fürsprecher finden sich schon jetzt auch in Deutschland. In der FR skizziert der Russlandexperte Julian Hans, wie die Kombination aus Schuld und Scham die russische Gesellschaft zunehmend brutaler machte. Die FAZ verteidigt das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gegen den Vorwurf, rechts zu sein. Die französische Entscheidung, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern, hat Vorbildcharakter, meinen FAZ und SZ.

Negative Eskalationsdominanz

05.03.2024. Die FAZ fragt sich, wen ein Demokratiefördergesetz wirklich fördert: Die Demokratie oder nur die sympathischen Meinungen? Im Tagesspiegel fordert der Historiker Julius Schoeps, auch an Universitäten auf den Unterschied zwischen Antisemitismus und Israelkritik zu bestehen. Die SZ fordert einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel. In der NZZ erklärten vier Wissenschaftshistoriker, dass die Vermischung von Wissenschaft und Aktivismus durchaus Tradition hat. Sie ist dann aber nicht mehr von der Wissenschaftsfreiheit geschützt, meint in der FAZ der Verfassungsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz.

Diese Abkopplung der Staatsdiener

04.03.2024. Der Politologe Wolfgang Kraushaar glaubt in der FR nicht, dass die Terroristen der dritten RAF-Generation mehr reden werden als die der zweiten. Der Historiker Volker Weiß erzählt in der SZ, wie die AfD aus den Fehlern anderer rechtsextremer Parteien lernte. Auch die FAZ befasst sich mit rechtsextremen Diskursen - und deren Anleihen aus aktuellen soziologischen Bestsellern.

Die Nase zuhalten vom üblen Gestank

02.03.2024. Nawalnys Tod wird Putin stärken, glaubt Viktor Jerofejew in der Welt und befürchtet: Bald wird auch der Westen die Beziehungen zu Putin wieder aufnehmen. In der FAS setzt der russische Wirtschaftswissenschaftler Sergei Guriev auf strengere Sanktionen gegen Russland. Die deutsche Iranpolitik ist mitverantwortlich für das Massaker der Hamas, meint der Politologe Stephan Grigat in der taz. Ebenfalls in der taz blickt der Soziologe Jens Kastner auf die antisemitischen Aspekte in der postkolonialen Theorie.

Ohne Geld für Benzin

01.03.2024. Der 7. Oktober war für Israel eine Holocaust-Erfahrung, sagt Joshua Sobol in der FAZ und besteht auf Israels Recht auf Selbstverteidigung. Für den Iran war der 7. Oktober ein Propagandaerfolg, sagt der Konfliktforscher Tareq Sydiq in der taz - der leider auch fürchtet, dass die Mullahs vor den iranischen Wahlen sehr fest in ihrem Sattel sitzen. Die Preußen-Stiftung ist ein Riesen-Apparat mit einem lächerlichen  Ausstellungsetat, und daran ändert auch Joe Chialo nichts, fürchtet die Welt. Im Tagesspiegel bezeichnet Stefan Aust die dritte Generation der RAF  als "unpolitisch".