9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Ideen

1902 Presseschau-Absätze - Seite 1 von 191

9punkt - Die Debattenrundschau vom 29.04.2024 - Ideen

Buch in der Debatte

Bestellen Sie bei eichendorff21!
In ihrem Buch "Demokratie und Revolution", das sie zusammen mit dem Zeit-Redakteur Bernd Ulrich verfasst hat, fordert die Historikerin Hedwig Richter eine Revolution von oben, der sich die Bürger freudig unterwerfen sollen - Steaks kämen dann nicht mehr auf den Teller. Sie träume von einer "Volksgemeinschaft" hatte ihr daraufhin Jürgen Kaube vorgeworfen (unsere Resümees). Philipp Krohn empfiehlt in einem neuen Beitrag mehr Pragmatismus - von Dänemark sollen wir lernen: "In der Erdölkrise nach 1973 wurde das Ziel, vom Erdöl unabhängig zu werden, zum Narrativ. Schon sechs Jahre später beschloss Dänemark ein Wärmeversorgungsgesetz, das Kommunen zu einer Wärmeplanung verpflichtete. Viereinhalb Jahrzehnte vor Deutschland. Noch mehr: Der Energieversorger Dansk Naturgas wandelte sich von einem Fossilkonzern zu Ørsted, dem weltgrößten Offshore-Windparkbetreiber. Kopenhagen wurde zur Weltfahrradhauptstadt."

Im Zeit Online-Interview mit Simone Gaul fordert die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, dass Politiker mehr ihre Emotionen zeigen, die angeblich wichtiger seien als rationales Nachdenken. "Es geht nicht darum, dass ich in jedem Moment mitteile, dass ich hungrig bin, unglücklich verliebt oder morgen in den Urlaub fahre. Sondern es geht um die versteckten emotionalen Grundlagen unserer Entscheidungen. Darum, da genauer hinzuschauen. Warum habe ich eine gewisse Überzeugung? Warum will ich ein Tempolimit oder ein Frauenwahlrecht? Ich kann nur faktenbasiert darüber reden, wenn ich mir vorher klarmache, ich habe diese und jene Überzeugung und dieses oder jenes Gefühl zu einem Thema. Sich das klarzumachen, zeugt von emotionaler Reife. Der zweite Schritt ist die kommunikative Reife, also über diese Einstellungen und Gefühle auch zu sprechen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 27.04.2024 - Ideen

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Buch in der Debatte

 Philipp Daum und Marilena Piesker unterhalten sich für Zeit online mit Ingrid Robeyns, Professorin für Ethik der Institutionen an der Universität Utrecht, über ein "Luxusproblem", nämlich über die Frage, wann Reichtum unmoralisch wird. Sie setzt sich für einen Limitarismus ein, also eine Obergrenze für Reichtum: "So wie wir nicht wollen, dass jemand unterhalb der Armutsgrenze lebt, fordert der Limitarismus, dass niemand mehr als einen bestimmten Betrag besitzen sollte." Die Grenze zwischen erlaubtem Reichtum und unerlaubtem extremem Reichtum zieht sie für Westeuropäer bei einer Million Euro (als ethische Obergrenze) bzw. zehn Millionen Euro (als politische Obergrenze). Letztere ist für sie eine "Wohlstandsobergrenze, die unser politisches System, unsere Demokratie, anstreben sollte. Ab einer bestimmten Menge wird Geld nur noch schädlich. Es schadet der Gesellschaft. Zum Beispiel durch politische Einflussnahme. Mit Geld kann man Lobbyisten bezahlen, politische Kandidatinnen unterstützen oder Medien kaufen.(...) Reichtum schadet auch Superreichen selbst. Manche werden sogar süchtig nach Reichtum."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.04.2024 - Ideen

Warum ist der Rechtsnationalismus gerade weltweit so erfolgreich, fragt sich in der Zeit Maximilian Probst. Seine Antwort ist recht ungemütlich: "Es ist schlicht und einfach die Tatsache, dass autoritäre Systeme heute mit den liberal-demokratischen ernsthaft konkurrieren können. Und manchmal sogar überlegen wirken, oder schlimmer noch: gelegentlich sogar überlegen sind. Das ist ein gruseliger Satz, gerade in Deutschland, wo die Geschichte davon zu künden scheint, welche Gefahren drohen, wenn man der autoritären Verlockung folgt. Doch könnte es eben auch eine Gefahr sein, ihre Leistungsfähigkeit zu verkennen." Heute könne es jedoch sein, "dass man einem Land wie China sogar ein Stück weit dankbar sein muss, dass es nicht den Weg in die liberale Demokratie gewählt hat. Das beste Beispiel für diesen provozierenden Gedanken betrifft die Klimakrise. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das 2-Grad-Ziel (von 1,5 Grad muss man nicht mehr reden) nur deshalb überhaupt noch erreicht werden kann, weil China in den letzten Jahren in rasantem Tempo die Solarindustrie entwickelt und ausgebaut hat."

Der Philosoph Philipp Hübl konstatiert im Welt-Interview mit Anna Schneider einen hohen Grad an Selbstdarstellung in moralischen Debatten, der besonders in der westlichen Welt verbreitet sei und den Debattenraum einschränke: "Das kann man Moralspektakel nennen. Man könnte auch Effekthascherei sagen. Mit Forderungen oder Aussagen, die offensichtlich extrem utopistisch, übertrieben, auch manchmal grundlos sind, möchte man zeigen, dass man zu einer bestimmten moralischen Gruppe gehört. Und das kann jede moralische Gruppe sein, von konservativ bis progressiv. Diese Verlockung ist neu in unserer heutigen Zeit."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.04.2024 - Ideen

Buch in der Debatte

Bestellen Sie bei eichendorff21!
Die Historikerin Hedwig Richter und und der Zeit-Hierarch Bernd Ulrich predigen in ihrem Buch "Demokratie und Revolution" dem Volk Verzicht. Es soll zum Beispiel endlich einsehen, dass es kein Fleisch mehr essen darf und sich überhaupt notwendigen Dekreten der Politik freudig unterwerfen. Hedwig Richter hatte diesen Ansatz gegen die "Suppenkaspar-Freiheit" der Unartigen in der FAZ nochmal verfochten (unsere Resümees). Darauf antwortet heute FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube: "Sie träumt, wie alle Anhänger des Volksbegriffs, von einer Gemeinschaft und von einer volonté générale, einem vernünftigen Volkswillen, der sich den Gesetzen beugt, weil er sie selbst erlassen hat. Die Bürgerschaft stimmt den Zumutungen zu, weil sie die Zumutungen als vernünftig erkennt." Auch der von Richter bemühte "Suppenkaspar" leuchtet ihm nicht ein: "Ist Zwangsernährung die gebotene Therapie bei Essstörungen? Hatte denn der Suppenkasper einen 'niedrigen Instinkt'? Ist denn die schwarze Pädagogik, die ihn zu disziplinieren sucht, das letzte Wort der Aufklärung?"

In postkolonialen Studiengängen werden bestimmte Haltungen kultiviert, die nicht unbedingt zu objektiven Ergebnissen führen, fürchten die Ethnologin Susanne Schröter und der Musikwissenschaftler Ulrich Morgenstern in einem gemeinsamen FAZ-Artikel. Die Studenten würden angeleitet, aus einer Position der "Allyship" mit als unterdrückt gelesenen Gruppen heraus Forschung zu machen: "Während empirische Sozialwissenschaft fragen kann, wo, inwieweit und warum gesellschaftliche Übelstände zu verzeichnen sind und welche Faktoren zu ihrer Überwindung beitragen können, setzt aktivistische Wissenschaft diese Nachteile absolut und sich selbst als die rettende Kraft in Szene. Jede Wissenschaft, die Aktivismus einfordert, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Implizite oder explizite politische Positionierungen von Hochschulen, Instituten und Lehrveranstaltungen erzeugen zudem einen Konformitätsdruck auf Studenten und Stellenbewerber." Nicht erst seit dem 7. Oktober geht diese Positionierung überdies mit einer Dämonisierung Israels einher, so Schröter und Morgenstern.

In der Welt erklärt der Extremismusforscher Hendrik Hansen ebenfalls, warum die postkoloniale Theorie besonders anfällig für radikale Haltungen ist und warum viele Linke die Hamas nicht als Täter sehen (wollen): "Dieser ideologische Postkolonialismus ist - wie der Antiimperialismus von Lenin - von einem radikalen Dualismus gekennzeichnet. Während Lenin die Welt auf den Kampf zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten reduziert, erfolgt im Postkolonialismus eine Zweiteilung in Unterdrücker und Unterdrückte, wobei die Mechanismen der Unterdrückung nicht mehr primär ökonomisch gedeutet werden, sondern im Bereich von Sprache und Normensetzung gesehen werden. Unterdrückte handeln moralisch gut, Unterdrücker sind moralisch böse. Wenn 'Unterdrückte' - wie im Fall der Hamas - Taten verüben, die auch gewaltorientierte Linksextremisten nicht gut finden, dann ist die Ursache für ihr Handeln dennoch bei den 'Bösen' zu suchen, zum Beispiel den angeblichen 'israelischen Kolonisatoren'. Akademisch orientierte Hamas-Unterstützer wie Judith Butler nennen dies die 'notwendige Kontextualisierung' der Taten der Hamas."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.04.2024 - Ideen

Die FAZ bringt zum dreihundertsten Geburtstag Immanuel Kants ein paar Miniaturen ihrer Redakteure zu verschiedenen Aspekten seines Oeuvres. Jürgen Kaube kommt im Editorial auf Kants Empfehlung zurück, selber zu denken. "Hegel hat sich daran mit der Bemerkung gestört, der selbstdenkerisch auf eigene Rechnung gemachte Irrtum sei nicht besser als der von Autoritäten angenommene. Kant sieht das anders. Man hole sich beim Versuch, selbst zu gehen, gewiss oft blaue Flecken, am Ende aber gelinge es doch. Wer sich aber von vornherein fremder Krücken bediene, so darf man ihn verstehen, bleibe stets auf sie angewiesen."

Gustav Seibt ergründet in der SZ Kants Position zur Französischen Revolution. Kant wollte sich seinen "Enthusiasm" trotz allem nicht nehmen lassen, für ihn verkörperte die Revolution die "moralische Anlage des Menschengeschlechts", so Seibt. Kann man daran nach dem finsteren 20. Jahrhundert festhalten? "Kants Position ist mit bloßer Empirie nicht zu widerlegen, dafür ist sie zu umsichtig und vorsichtig ausgestaltet. Man kann sie als Appell der Vernunft verstehen, an die Pflicht, sich die Möglichkeit zum Besseren nicht nehmen zu lassen. Das Entsetzen, das die Verbrechen des 20. Jahrhunderts (und andere in Vergangenheit und Gegenwart) auslösen, ist der düstere Bruder von Kants 'Enthusiasm'. Oder um es in einem Vers des Kant sehr bewundernden Goethe zu sagen: 'Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil.'"

Außerdem unterhält sich in der SZ Jens-Christian Rabe mit dem Kant-Experten Marcus Willaschek. In der taz gedenkt Tim Caspar Boehme. In der NZZ schreibt Otfried Höffe. Zeit online meldet, dass Philosoph Daniel Dennett im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Stichwörter: Kant, Immanuel

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.04.2024 - Ideen

Suppenkasper-Freiheit", die sich in allen Ecken der Politik einniste. Politiker aller Parteien scheinen mittlerweile zu glauben, sie könnten ihren Wählern überhaupt keine Einschränkungen mehr in ihrem Alltagsleben zumuten, kritisiert Richter, die überzeugt ist, dass die Politik den Menschen mehr zutrauen kann: So habe "Im großen SZ-Interview mit Jörg Häntzschel erklärt der Fotograf Wolfgang Tillmans, der schon 2016 eine Plakat-Kampagne gegen den Brexit gestaltete, warum er nun ausgerechnet die SPD Sachsen mit einer 50000 Euro-Spende unterstützt, auch wenn er nicht einhundert Prozent einverstanden mit deren Programm ist: "Meine erste große Spende hätte auch einer anderen Partei zukommen können, aber in Sachsen richtet sich die Hoffnung so einseitig auf die CDU als einziger Alternative zur AfD, dass ich es wichtig fand, die SPD zu unterstützen." Plakative Slogans gegen Rechts findet Tillmanns trotzdem nicht so gut: "Es ist völlig okay, für diese Bundesrepublik Deutschland aufzustehen. Wenn wir so weitermachen, ist dieser Staat wirklich in Gefahr. Es muss ein ganz anderes positives Gefühl von Zusammenarbeit an der Gesellschaft entstehen. Umgekehrt muss aber dieses Ausgrenzen von Menschen aufhören, egal in welche Richtung. Ein Slogan wie 'Ganz Berlin hasst die AfD' ist so unangenehm. Menschen erst mal hassen, das kann nicht sein. Diese Negativität wird von der AfD verbreitet. Sich davon nicht anstecken zu lassen, ist ganz wichtig."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 17.04.2024 - Ideen

Die 1993 geborene Autorin Pauline Voss, die in ihrem neuen Buch mit der Generation Z abrechnet, wirft in der NZZ den "Woken" Traditionsvergessenheit vor: "Die Wokeness ist im Kern ein radikal antikonservatives Projekt: Indem die Conditio humana und die aus ihr resultierenden Fragen verleugnet werden, verlieren sämtliche Traditionen ihre Legitimation. Sie werden nicht länger als bestmögliche Lösungen eines Problems angesehen, die aus einem langen Prozess gesellschaftlicher Aushandlung resultieren, sondern als Produkte einer fehlgeleiteten Wahrnehmung." Voss schreibt dieser Haltung weitreichende politische Konsequenzen zu: "Die Anhänger der Wokeness bewerten die Welt allein nach metaphysischen Kriterien. Der Westen ersetzte seine Vorherrschaft durch metaphysische Selbstgeißelung. Er ließ zu, dass die Idee der Aufklärung als reines Instrument weißer Dominanz uminterpretiert werden konnte. Er akzeptierte, dass der Orient zu einem sozialen Konstrukt des Westens deklariert wurde, ohne gleichzeitig die Werte der Aufklärung zu schützen und Israel vor Angriffen anderer Nahoststaaten zu bewahren. Das Vakuum, das der Westen auf physischer Ebene hinterließ, füllten andere."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.04.2024 - Ideen

Alan Posener veröffentlicht auf seinem Blog starke-meinungen.de einen der besten Texte zu den finsteren Diskursformationen, die sich seit dem 7. Oktober (und nicht erst seitdem) aufgebaut haben - es handelt sich um einen Vortrag, den er vor der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. gehalten hat. Die Hamas steht für ihn klar in der Kontinuität der Nazis - die Pogrome des 7. Oktober sind die "Fortsetzung des Holocausts" mit anderen Mitteln, die Postkolonialisten die nützlichen Idioten dieser neuen Nazis. Unter anderem analysiert Posener die Losung "Free Palestine from German Guilt!" als eine handgreifliche Verlängerung von Thesen à la Dirk Moses. "Nach dieser Lesart sind die Deutschen schuld an dem Elend der Araber. Der Holocaust habe erst zur Massenauswanderung der Juden aus Europa und also zur Masseneinwanderung der Juden nach Palästina geführt, wodurch erst die Juden demografisch stark genug wurden, sich gegen die Araber zu behaupten und sie sogar 1948 teilweise zu vertreiben. Palästina von deutscher Schuld befreien hieße also konsequent, Palästina von den Juden zu befreien. Die Losung unterstellt aber auch, die Deutschen würden vor lauter schlechtem Gewissen wegen des Genozids an den Juden sich nicht trauen, Israels Genozid an den Palästinensern zu kritisieren. So muss man logischerweise dieses schlechte Gewissen attackieren, damit sich Deutschland einreiht in die Phalanx der Staaten des globalen Südens, die Israel als Apartheid-Staat, als Staat weißer Siedler, als neokolonialistisches Projekt bekämpfen."

Bestellen Sie bei eichendorff21!
In seinem aktuellen Buch "Epistemic Courage" denkt der amerikanische Philosoph Jonathan Ichikawa über den Einfluss von Skeptizismus auf die Politik nach. Im ZeitOnline-Gespräch erklärt er: "Ich glaube, dass die Überbetonung von Skepsis zu einem greifbaren politischen Problem beiträgt: Wir handeln zu langsam und zu konservativ, weil sich viele Menschen nicht zu einer klaren Meinung in Sachfragen durchringen können. Der Skepsis will ich den Begriff vom 'epistemischen Mut' entgegenhalten." Wie "epistemischer Mut" laut Ichikawa aussieht, erfahren wir im Buch auch: Er schreibt unter anderem, Impfstoffe hätten während der Pandemie viel früher an freiwilligen Probanden getestet werden sollen: "Natürlich ist es eine schwerwiegende Entscheidung, medizinische Versuche durchzuführen, die den Probanden schaden könnten. Aber es ist eben auch eine schwerwiegende Entscheidung, eine Pandemie einfach weiterlaufen zu lassen. Und diesen zweiten Aspekt hat man zu wenig berücksichtigt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.04.2024 - Ideen

Die "per Staatsräson abgestützte Verbotspraxis ist auch eine Selbstbeschädigung", kommentiert Stefan Reinecke in der taz nicht nur die Ausladung von Nancy Fraser: "Faktisch trifft diese Antiantisemitismus-Cancel-Culture auffällig oft linke Jüdinnen wie Breitz, Gessen oder Fraser. Genau jene Medien, die sonst heftig vor links-woker Cancel-Culture warnen, winken diese hier lässig durch. Jürgen Kaube stellt in der FAZ treuherzig fest, mit einer 'Einschränkung der Meinungsfreiheit' habe der Fall Fraser gar nichts zu tun. Auch diese rhetorischen Nebelkerzen können nicht verhüllen, dass sich hier rasant eine Verbotspraxis verfestigt."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2024 - Ideen

Wem ist "damit geholfen, wenn eine Künstlerin wie Laurie Anderson nicht nach Essen kommt? Wenn man Judith Butler nachträglich den Adorno-Preis aberkennt? Wenn Nancy Fraser ihre Vorträge nicht hält", fragt Tobias Rapp, der deutschen Kulturinstutionen im Spiegel in dieser Hinsicht Kleingeistigkeit vorwirft. Und dennoch ist all das Gerede von eingeschränkter Meinungsfreiheit in Deutschland falsch, meint er, vor allem wenn von ausländischen Zeitungen immer wieder nur in Berlin lebende Expats befragt werden, die kaum Deutsch reden und das Land nicht verstehen: "Nicht, wie das politische System funktioniert oder die künstlerischen Institutionen, die von diesem finanziert werden. Nicht, was in den deutschen Medien diskutiert wird, die ja vor allem auf Deutsch erscheinen. Aber eben auch nichts über die Mentalitäten im Land. Nichts über die fragile Identität der deutschen Juden, die Jahrzehnte im Schatten des Holocaust lebten und immer vor der Frage standen: 'Warum bin ich noch hier?' (…) Deutschland ist eben nicht wie andere Staaten und Berlin nicht wie andere Hauptstädte. Es ist ein manisch-depressiver Musterschüler, der es allen recht machen möchte, kein Leuchtturm der Freiheit, auch wenn das natürlich ebenfalls ein Anspruch ist, den man an sich selbst hat."

Weitere Artikel: In der taz berichtet Julia Hubernagel von der Pressekonferenz von "Die Vielen", dem bundesweiten Bündnis aus Kulturinstituten, das gegen Rechtsextremismus kämpfen will: "Einfacher sind die Zeiten in den vergangenen sieben Jahren nicht gerade geworden. Die Kulturszene ist zunehmend mit sich selbst beschäftigt, im Kontext des Kriegs in Gaza tun sich Gräben auf. Diese Differenzen gilt es wohl oder übel auszuhalten, soll dem Rechtspopulismus etwas entgegengehalten werden." Baha Kirlidokme meldet in der FR den Beginn des umstrittenen Palästina-Kongress in Berlin (unser Resümee) und fasst die verschiedenen Positionen zusammen.