Magazinrundschau
Unhöflich, unreif, streitlustig
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
New York Review of Books (USA), 06.10.2020
New York Times (USA), 03.10.2020
Außerdem: Fernanda Santos sieht die nächste Immobilienkrise kommen, in Phoenix ist sie schon da. Und im Interview mit David Marchese verrät Nicole Kidman, was Kubrick am liebsten isst.
The Atlantic (USA), 01.11.2020
New York Magazine (USA), 28.09.2020
Magyar Narancs (Ungarn), 28.09.2020
London Review of Books (UK), 05.10.2020
Camille Pissarros "Maison bourgeoise à l'Hermitage" (1873) und Paul Cézannes 'Maison et arbre, quartier de l'Hermitage' (1874).
Eines der größten Mysterien des 19. Jahrhunderts ist für T.J. Clark die Freundschaft zwischen Cézanne und Pissarro, die bei aller Rivalität und Gegensätzlichkeit eine Zeit lang zusammen arbeiteten: "Wenn wir dieses Rätsel lösen könnten, hätten wird den Schlüssel zur französischen Malerei in Händen, ungefähr auf dieselbe Weise, wie das Verhältnis von Platon zu Sokrates noch immer den Schlüssel zur Philosophie darstellt", glaubt Clark: "In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts malten Cézanne und Pissarro mehrmals im Jahr gemeinsam. Beim ersten Besuch in Frühsommer 1873 war Cézanne 34 Jahre und Pissarro 42 Jahre alt. Der Altersunterschied verdeckt eine komplizierte Geschichte. Mit Anfang dreißig war Cézanne unhöflich, unreif, streitlustig und halsstarrig, aber als er begann, mit Pissarro zu arbeiten, hatte er sich bereits in den fünf Jahren zuvor eine bemerkenswerte Art zu malen angewöhnt: Man sollte es eher seinen ersten Stil als seinen frühen bezeichnen, denn die Verbindung aus Courbets kräftigem Auftrag, Manets Aggressivität und Delacroix' kühler Lust war ganz klar die Folge davon, dass er sich ein halbes Leben lang den Kopf über die Frage zerbrochen hat, wie französische Malerei bisher war und wie sie künftig sein sollte."
Weiteres: Christopher Tayler staunt über die Verstiegenheit, zu denen sich Martin Amis als Stilist bekennt ("Ein sorgsamer Schriftsteller sollte nicht zweimal in einem Satz dieselbe Silbe verwenden").
Merkur (Deutschland), 05.10.2020
Weiteres: In seiner Ästhetikkolumne seziert Wolfgang Kemp das International Art English, das Kennerschaft und criticality ausweist: "Space ist für Artspeak das Hauptwort aller Hauptworte, verdünnt und vermehrt in einer langen Reihe dazugehöriger Substantive und Sachverhalte. Unverzichtbar sind terms wie: intersection, parallel, void, enfold, involution, displacement, liminal, rupture, platform, abyss, site. Im Deutschen geht nichts ohne Position, Aporie, Dystopie, Choreografie, rhizomatisch, Schwelle usw." Vanessa de Senarclens rekapituliert die Geschichte der ehemals deutschen Bibliotheken in Polen.
New Yorker (USA), 12.10.2020
In der neuen Ausgabe des Magazins schreibt Daniel Alarcon aus Chile, wie die politische Revolution im Land mit der Pandemie zurechtkommt und die seit Oktober 2019 stattfindenden als "el estallido" (die Explosion) bekannten Proteste gegen soziale Ungleichheit davon beinflusst werden: "Die Pandemie hat die Revolution nicht beendet, aber sie hat abrupt das Thema gewechselt … Die Beliebtheit von Präsident Pinera war nach 'el estallido' auf 6 Prozent gefallen. 'Die Regierung sah einen gebündelten Einsatz gegen das Virus als Chance, verlorene Legitimation wiederzuerlangen', so Pablo Ortuzar vom konservativenThinktank I.E.S. Es wurde schnell klar, dass Pineras Plan für eine sichere Rückkehr zur Normalität zu kurz griff. In einem TV-Interview gab der Gesundheitsminister zu, dass das Virus sich schneller verbreitete, als er angenommen hatte, auch wegen sozialer Bedingungen. 'Das Ausmaß der Armut und der Überbevölkerung war mir nicht bekannt', erklärte er. Ein schlagendes Beispiel für die Realitätsferne der politischen Elite."
Paige Williams stellt das Lincoln Project vor, eine Gruppe von Republikanern, die die Wiederwahl von Donald Trump verhindern will - was sie den zahnlosen Demokraten nicht zutrauen. Einer der Gründer ist Rick Wilson, ein politischer Berater, der für Rudolph Giuliani und Dick Cheney gearbeitet hat und weiß, wie man einen schmutzigen Kampf gewinnt: "Wilson sagt gerne: 'Demokraten spielen, um einen Streit zu gewinnen; ich spiele, um eine Wahl zu gewinnen.' Seine Anzeigen sind historisch gesehen mörderisch: 2008 bezeichnete er Obamas Pastor Jeremiah Wright als 'Prediger des Hasses'. In Wilsons jüngstem Buch 'Running Against the Devil', einem pointiert unanständigen Nachfolger seines 2018 erschienenen Bestsellers 'Everything Trump Touch Touches Dies', beschimpft er die 'Helfer und Speichellecker' des Präsidenten und beschreibt Trump als 'ein dunkles, beschissenes Monster' mit 'waschbärpfotengroßen Händen im Nanomaßstab'. Das Buch bietet strategische Ratschläge, wie die Demokraten im November gewinnen könnten: Sie müssten aufhören, das 'woke Twitter' zu umwerben und zu 'kaltblütigen, klarsichtigen Wahlkämpfern' werden, die 'die Wahlwirklichkeit über progressive Phantasien stellen'. Politik könne debattiert werden, nachdem Trump weg sei. Die Demokraten müssten unnachgiebig Beweise für die 'Korruption, Vulgarität, Unehrlichkeit, gebrochene Versprechen und gescheiterte Politik' des Präsidenten vorlegen. Sie dürften nie vergessen, dass Trumps Team 'dieses Land bis auf die Grundmauern niederbrennen' werde, um zu gewinnen, und sie müssten den Kampf dem wissenschaftlichen Diskurs vorziehen: 'Dies ist eine Schlägerei mit Eisenketten in einer Biker-Bar in Frogsass, Alabama.'"
Außerdem: Peter Hessler berichtet aus Wuhan, wo alles begann. Dana Goodyear überlegt, ob Peter Zumthors neues LACMA in Los Angeles ein Meisterstück ist oder eine Katastrophe. Adam Gopnik liest John Birdsalls Biografie des Kochs James Beard, "The Man Who Ate Too Much". Vinson Cunningham betrachtet das Treiben auf den virtuellen Theaterbühnen und fragt, ob es dem Publikum gefällt. Und Anthony Lane sah im Kino Julie Taymors Biopic über Gloria Steinem "The Glorias".
The Nation (USA), 12.10.2020
H7O (Tschechien), 02.10.2020
Times Literary Supplement (UK), 02.10.2020
In seinem Daily Dish hat Andrew Sullivan das Buch besprochen. Ein Gespräch mit Helen Pluckrose gibt's im Deutschlandfunk.
Elet es Irodalom (Ungarn), 02.10.2020
Africa is a Country (USA), 01.10.2020
Hier ein Lied von Hachalu Hundessa:
Hakai (Kanada), 29.09.2020
Außerdem schreibt F. Salazar darüber, wie ein Nest auf einer norwegischen Insel nicht so recht touristisches Kapital aus dem Umstand schlagen kann, dass Forscher dieses Eiland aus durchaus guten Gründen für jenen sagenumwobenen Boden halten, den der römische Autor Pytheas einst "Ultima Thule" taufte (auch wenn die Insel so ultimativ hoch im Norden eigentlich gar nicht liegt).