Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.01.2007. Im Figaro erklärt der Philosoph Remi Brague Sinn und Unsinn der alle zwanzig Jahre wiederkehrenden Heidegger-Debatte. In al-Sharq al-Awsat fragt Amir Taheri, was Papst Benedikt XVI. meint, wenn er Freiheit einen "mythischen Wert" nennt. Im Guardian fragt sich Nick Cohen, warum die Linke nur noch faschistische Regime unterstützt. Outlook India murmelt angesichts eines Big Brother Skandals: Arme Briten. Der New Yorker erklärt, wie man eine Diagnose stellt. In der Gazeta Wyborcza verteidigt Joseph Stiglitz die Wirtschaftspolitik Hugo Chavez'. In Nepszabadsag spricht der Komponist Ivan Madarasz über Musik und höhere Weltordnung.
Figaro (Frankreich), 22.01.2007
Anlässlich eines neuen Buchs über Martin Heidegger, herausgegeben von Francois Fedier ("Heidegger a plus forte raison", Fayard, hier die Besprechung des Buchs), entspinnt sich in Frankreich offenbar erneut eine Debatte über den deutschen Philosophen. Im Zentrum steht dabei meist Heideggers politische Position zum Nationalsozialismus und die Frage, ob er nun zu "verteufeln" oder zu "kanonisieren" sei. In einem beigestellten Interview gibt der Philosoph Remi Brague, Mitautor des 2005 bei Cerf erschienenen Buchs "Heidegger", eine recht interessante Antwort auf die Frage, ob das neue Buch eben jenen Aspekt der Debatten beenden könne: "Das würde mich überraschen. Zum einen, weil es eine zeitraubende Aufgabe ist, den Kontext wieder herzustellen, zu versuchen zu verstehen, die Irrtümer zu ermitteln und die Fehler zu sehen, die Heidegger selbst zugegeben hat. Zum anderen, weil diese Polemiken fast alle 20 Jahre periodisch wiederkehren. Jedermann zieht Nutzen daraus, nicht nur die Verleger und Journalisten. Sie nützen den Autoren: Wenn man unfähig ist, ein Buch zu schreiben, kann man immer noch Heidegger angreifen. Und sie nützen den Lesern: Ist ein Denker erst einmal diskreditiert, kann man sich die Mühe sparen, ihn genau zu lesen und sich den entscheidenden Fragen zu stellen, die er aufwirft."
al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 17.01.2007
Amir Taheri, im Iran geborener und in Europa lebender Publizist, wundert sich (hier auf Englisch) über die Skepsis, die Papst Benedikt XVI. in seinem Buch "Werte in Zeiten des Umbruchs" vermeintlich "mythischen Werten" von heute wie Fortschritt, Wissenschaft und Freiheit entgegenbringt. "Das Problem ist, dass der Papst nicht ausführt, was er mit diesen drei Begriffen meint. (...) Inwiefern kann man Freiheit als einen 'mythischen Wert' beschreiben? Das Buch des Papstes erschien zufällig gerade zu dem Zeitpunkt, als sich die Welt darauf vorbereitete, die Abschaffung der Sklaverei zu feiern - einem Übel, das vom Christentum ebenso wenig wie von anderen Glaubensrichtungen jemals wirklich in Frage gestellt wurde. Für diejenigen, die aus der Sklaverei befreit wurden, war Freiheit etwas sehr reales, und nichts mythisches." Bissig äußert sich Taheri auch über Benedikts Sorge um das Fortbestehen Europas: "Einige europäische Ethnien, insbesondere die Deutschen, die Italiener und die Spanier könnten irgendwann aussterben, da sie nicht genug Kinder bekommen. Aber dies heißt nicht, dass Europa als solches stirbt... Sollten die heutigen Einwohner nicht genug Kinder bekommen, wird es neue Einwanderer geben, die diese demographische Schieflage ausgleichen."
Der Umgang mit Minderheiten in der arabischen Welt steht im Mittelpunkt von zwei weiteren Artikeln. So berichtet al-Khayar Shawar aus Algier, der "arabischen Kulturhauptstadt 2007", dass der Beginn der Veranstaltungen ausgerechnet auf den 12. Januar gelegt wurde: Dem Neujahrsfest der Berber. Dass symbolische Gesten, die die kulturelle Vielfalt eines Landes würdigen, nicht selbstverständlich sind, macht ein Artikel von Khalid Sulayman aus Kairo deutlich: "Die ägyptischen Schriftsteller und Intellektuellen sind sich darüber einig, dass der Konfessionalismus - egal in welcher Form und mit welchem Interesse er auftritt - der Kultur und dem Schöpfergeist nicht dienlich ist." Die Konflikte im Irak und im Libanon sind für sie Grund genug, an der nationalen Einheit lieber nicht zu rütteln.
Der Umgang mit Minderheiten in der arabischen Welt steht im Mittelpunkt von zwei weiteren Artikeln. So berichtet al-Khayar Shawar aus Algier, der "arabischen Kulturhauptstadt 2007", dass der Beginn der Veranstaltungen ausgerechnet auf den 12. Januar gelegt wurde: Dem Neujahrsfest der Berber. Dass symbolische Gesten, die die kulturelle Vielfalt eines Landes würdigen, nicht selbstverständlich sind, macht ein Artikel von Khalid Sulayman aus Kairo deutlich: "Die ägyptischen Schriftsteller und Intellektuellen sind sich darüber einig, dass der Konfessionalismus - egal in welcher Form und mit welchem Interesse er auftritt - der Kultur und dem Schöpfergeist nicht dienlich ist." Die Konflikte im Irak und im Libanon sind für sie Grund genug, an der nationalen Einheit lieber nicht zu rütteln.
Guardian (UK), 20.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q75/A16158/guardian.jpg)
Weiteres: Simon Schama empfiehlt, sich den "unhippesten Künstler" anzusehen, der jemals in Londons White Cube gezeigt wurde, diesem "Sanhedrin der Coolness" - Anselm Kiefer: "Er albert nicht herum, er hält sich an den Stoff, der einen richtig in Verlegenheit bringt, auf den es ankommt: das epische Gemetzel der Welt, die Einäscherung des Planeten, Apokalypse damals und immer wieder, die anfällige Dauerhaftigkeit des Heiligen inmitten der ausgebrannten Ruinen der Erde." Hermione Lee schreibt über Edith Wharton und die Schriften ihrer Pariser Zeit.
Outlook India (Indien), 29.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q15/A16156/outlook.jpg)
Außerdem: In der Titelstory berichtet Saikat Datta über den Einfall der Russenmafia in Goa. Sanjaya Baru empfiehlt das Indien-Buch "Inhaling the Mahatma" des australischen Korrespondenten Christopher Kremmer. Madhu Jain wünscht sich einen Folgeband zu Yashodhara Dalmias Aufriss der indischen und pakistanischen Gegenwartskunst ("Memory, Metaphor, Mutations"). Und im Interview äußert die britische Kolumnistin Yasmin Alibhai-Brown ihren Zorn über Blairs Irak-Politik.
New Yorker (USA), 29.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q19/A16150/ny.jpg)
Weiteres: David Sedaris erzählt von einem Ferienerlebnis in der Normandie mit einem seltsamen Vogelpaar. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Cell One" von Chimamanda Ngozi Adichie.
John Updike bespricht den neuen Roman von Jane Smiley, "Ten Days in the Hills" (Knopf). Peter Schjeldahl porträtiert seinen "Lieblingsaußenseiterkünstler", den schizophrenen mexikanischen Maler Martin Ramirez. Sasha Frere-Jones stellt das neue Album des brasilianischen Sängers, Liedermachers und Komponisten Caetano Veloso vor. Und David Denby sah im Kino das Drama "Breaking and Entering" von Anthony Minghella und die Actionkomödie "Smokin' Aces" von Joe Carnahan.
Nur im Print: ein Bericht über Putin und seine Kritiker, ein Porträt des Footballspielers Tiki Barber und Lyrik.
Gazeta Wyborcza (Polen), 20.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q83/A16154/gazeta.jpg)
Foglio (Italien), 20.01.2007
Sigmund Ginzberg interessiert sich aus gegebenem Anlass für die Exekution durch den Galgen und stößt etwas pikiert auf reichhaltige Literatur, allen voran das Handbuch des Hängens des nordirischen Autors und Zola-Übersetzers Charles Duff. Der Untertitel sagt alles: "Eine kurze Einleitung in die Kunst des Hängens, mit viel nützlicher Information über das Brechen des Genicks, Erdrosseln, Erwürgen, Ersticken, zum Köpfen und den Tod durch Stromschlag; Daten und Kniffe zum Henkerhandwerk, mit der Methode des seligen Mr. Berry und seiner bahnbrechenden Liste der Fallhöhen; zusätzlich mit einem Bericht der großen Exekutionen in Nürnberg; eine Rechentabelle für Henker, und viele andere Gebiete wie die Anatomie des Mordes." Christopher Hitchens hat die Einleitung zu einer Neuauflage in der Klassikerreihe der New York Review of Books geschrieben.
Edoardo Camurri beendet die auch in Italien mit Leidenschaft geführte Wertedebatte mit einer subtilen Anmerkung. "Wer den Verlust der Werte in der gegenwärtigen Gesellschaft beklagt, tut das in der Annahme, selbst noch welche zu besitzen. Und weil alle den Verlust der Werte beklagen, heißt das, dass wir alle noch mehr als genug Werte haben und dass das Problem vielleicht nicht deren Abwesenheit, sonderen deren ständige Präsenz ist."
Weiteres: Claudio Cerasa bricht eine Lanze für die Fettleibigkeit. Alfonso Berardinelli erinnert an den vor vierzig Jahren gestorbenen Literaturtheoretiker Giacomo Debenedetti, dem Italien seine geheimnisvollsten und erhellendsten Texte zur Interpretation des Romans verdankt. Giulio Meotti liest Michael Kazins Biografie über den dreifach erfolglosen Präsidentschaftskandidaten William Bryan und ist erst hier und dann hier überzeugt, dass dessen Infusion von biblischer Vorhersehung ins politische Geschäft alle Präsidenten nach ihm geprägt hat.
Edoardo Camurri beendet die auch in Italien mit Leidenschaft geführte Wertedebatte mit einer subtilen Anmerkung. "Wer den Verlust der Werte in der gegenwärtigen Gesellschaft beklagt, tut das in der Annahme, selbst noch welche zu besitzen. Und weil alle den Verlust der Werte beklagen, heißt das, dass wir alle noch mehr als genug Werte haben und dass das Problem vielleicht nicht deren Abwesenheit, sonderen deren ständige Präsenz ist."
Weiteres: Claudio Cerasa bricht eine Lanze für die Fettleibigkeit. Alfonso Berardinelli erinnert an den vor vierzig Jahren gestorbenen Literaturtheoretiker Giacomo Debenedetti, dem Italien seine geheimnisvollsten und erhellendsten Texte zur Interpretation des Romans verdankt. Giulio Meotti liest Michael Kazins Biografie über den dreifach erfolglosen Präsidentschaftskandidaten William Bryan und ist erst hier und dann hier überzeugt, dass dessen Infusion von biblischer Vorhersehung ins politische Geschäft alle Präsidenten nach ihm geprägt hat.
Al Ahram Weekly (Ägypten), 18.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q73/A16149/ahram.jpg)
London Review of Books (UK), 25.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q10/A16152/lrb.jpg)
Weitere Artikel: Für Michael Wood beweist Alejandro Gonzalez Inarritus Film "Babel", dass auch ein Film, der einem Rezept folgt, schlicht großartig sein kann. Und schließlich wittert John Lanchester den Tod der E-mail.
Weltwoche (Schweiz), 18.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q26/A16157/weltwoche.jpg)
Der Altamerikanist Nikolai Grube nimmt im Interview mit Mathias Plüss die Maya gegen Mel Gibson in Schutz, der diese in seinem Film "Apocalypto" als dekadente Opfermörder darstellt. "Wir haben überhaupt keine Belege für diese Blutopfer. Es gab die Tötung von Gefangenen als Folge von Kriegszügen. Aber es ging nie darum, möglichst viele Menschen zu fangen, damit man sie opfern konnte. Es gab keine Opfersteine. In keiner einzigen Maya-Stätte haben wir einen Opferstein gefunden, über den man einen Gefangenen hätte legen können, um ihm das Herz herauszureißen."
Point (Frankreich), 18.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q39/A16159/point.jpg)
Weiteres: Bernard-Henri Levy kommentiert in seinen Bloc-Notes das Treffen und die neue "revolutionäre Freundschaft" zwischen Ahmadinejad und Chavez. Zu lesen ist außerdem ein Bericht über die Beteiligung des Louvre an einem ehrgeizigen Museumsprojekt in Abu Dhabi, die in Frankreich eine heftige Debatte ausgelöst hat.
Times Literary Supplement (UK), 19.01.2007
![](https://www.perlentaucher.de/cdata/fliess/B2/Q23/A16151/tlsx.jpg)
Weiteres: Auch Bernard Williams weiß in seinem Buch "On Opera" nicht zu sagen, "wie etwas, dass in vielerlei Hinsicht so grotesk ist, so enorm bewegend sein kann", aber Jerry Fodor konzediert, dass man mit dem Buch der Erklärung ein ganzes Stück näherkommt. Michael Holroyd stellt schockiert fest, dass heutzutage kaum jemand den Schriftsteller Hugh Kingsmill kennt. Gavin Stamp liest Ian Gows Architektur-Band "Scotland's Lost Houses". Bharat Tandon hat sich Kevin Macdonalds Idi-Amin-Film "The Last King of Scotland" angesehen. Und schließlich gibt es als Gedicht der Woche Sylvia Plaths "An Appearance".
Nouvel Observateur (Frankreich), 18.01.2007
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Nepszabadsag (Ungarn), 19.01.2007
Auf die Frage, ob sich die modernen gesellschaftlichen Strukturen, der Sieg des Individuums über das Kollektiv, auch in der zeitgenössischen Musik widerspiegeln, antwortet der Komponist Ivan Madarasz: "Die Verbindung zwischen musikalischer Ordnung und den Systemen der Außenwelt ist so kompliziert, dass man diese Frage nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten kann. Bis zum 19. Jahrhundert existierte ein musikalisches Ideal, an dem sich die Komponisten gleichermaßen orientierten und das sie nach ihrem Geschmack und ihrer Phantasie variierten. Doch wie fern ist dieser ideale Zustand, als ein Choral Bachs erklang und jedem seiner Zuhörer fast das gleiche bedeutete - diese Musik fungierte auch als Volkslied. Der Mensch des Mittelalters formte die Gesetze der ihn umgebenden höheren Weltordnung zu einer musikalischen Ordnung. Im 20. Jahrhundert existieren bereits mehrere musikalische Ideale, die einander ausschließen, die aber auch unterschiedliche Funktionen haben. Die Musik von heute wurde - durch die gesellschaftlichen Veränderungen - zu einer individuellen Kunst, deren Funktion nicht die Schaffung einer Gemeinschaft ist."
New York Times (USA), 21.01.2007
Zehn Jahre nach "Das Jesus-Evangelium" liefert der 83-jährige Norman Mailer mit "The Castle in the Forest" (Auszug) einen neuen Roman ab. Eine Phänomenologie des Bösen am Beispiel des jungen Adolf Hitler und seiner Familie. Der Erzähler ist der Teufel persönlich in Gestalt eines SS-Mannes namens Dieter. Lee Siegel beschreibt das tollkühne Buch so: "Eine Geschichte über das einfache Volk, gutmütige Bauern, erzählt von einem Teufel mit samtweicher Stimme, geschrieben im Geist heilsamer Ironie. Wir sehen Hitler und die Seinen im Schweinestall ihrer Instinkte, hastig erfüllten Bedürfnisse und primitiven Ängste, ein jeder überzeugt von der Vornehmheit und Ehrenhaftigkeit seines Existenz. Mailer, der Meister des menschlichen Egos, zeigt diese Illusionen in klarem Licht - als das, was sie sind: die trügerisch heimeligen Ursprünge des Bösen."
Weiteres: Liesl Schillinger findet die Heldin in Roddy Doyles neuem Roman "Paula Spencer" authentisch unglücklich. Alan Wolfe hält Dinesh D'Souzas Appell, christliche und islamische Konservative gegen die kulturelle Linke in Stellung zu bringen, für heiße Luft (Auszug "The Enemy at Home"). Und in einem Essay verrät Joe Queenan sein oberstes Lektürekriterium: das Buch muss "erstaunlich" sein.
Weiteres: Liesl Schillinger findet die Heldin in Roddy Doyles neuem Roman "Paula Spencer" authentisch unglücklich. Alan Wolfe hält Dinesh D'Souzas Appell, christliche und islamische Konservative gegen die kulturelle Linke in Stellung zu bringen, für heiße Luft (Auszug "The Enemy at Home"). Und in einem Essay verrät Joe Queenan sein oberstes Lektürekriterium: das Buch muss "erstaunlich" sein.