Im Kino

In Komplizenschaft

Die Filmkolumne. Von Jochen Werner
03.04.2024. Einen Film, der einen zum Lachen bringt, obwohl er von Dingen handelt, die ganz und gar nicht zum Lachen sind, hat Paola Cortellesi gedreht. "Morgen ist auch noch ein Tag", das Regiedebüt der Schauspielerin, übersetzt häusliche Gewalt in stilisierte und eben deshalb wirkungsvolle Bilder. In Italien ein Überraschungserfolg, könnte der Film auch in Deutschland dem Arthauskino einen dringend notwendigen Energieschub verabreichen.

Die erste Ohrfeige fällt noch vor dem Vorspann. "Guten Morgen" sagt Delia nach dem Aufwachen zu ihrem Ehemann Ivano, woraufhin der ihr eine runterhaut und dann ohne ein Wort aufsteht. Kein großes Drama, so läuft es halt, scheint uns der Film mitzuteilen, und auf lakonischen Witz ist die Szene auch ein wenig inszeniert, wobei man sich vielleicht ein bisschen erschrickt beim unwillkürlichen Auflachen. Das trifft den Tonfall des Überraschungshits des vergangenen italienischen Kinojahres recht gut: Man lacht ziemlich oft, aber lustig ist hier wenig.

Denn "Morgen ist auch noch ein Tag" ist, wie die Eröffnungsszene bereits preisgibt, zuallererst ein Film über häusliche Gewalt. Genauer gesagt: über die Gewalt, die Ehemänner ihren Ehefrauen tagein, tagaus antun. Wie sehr diese Form der Gewalt im Italien der 50er-Jahre Teil des unhinterfragten Alltags war, darüber klärte im vergangenen Jahrzehnt bereits die "Neapolitanische Tetralogie" Elena Ferrantes zahlreiche Leser auch in Deutschland auf - ein harter Stoff, der allerdings nicht in Gestalt eines depressiven Miserabilismus daherkam, sondern als überbordend epischer und gleichzeitig ungemein zugänglich erzählter Romanzyklus. In eine ähnliche Kerbe schlägt das Regiedebüt der in Italien vor allem als Komödiendarstellerin bekannten Schauspielerin Paola Cortellesi.

Die Schwarzweißbilder, in denen sie "Morgen ist auch noch ein Tag" erzählt, wirken fast ein wenig wie ein höhnischer Kommentar auf jedwede Form von Klassizismus oder Kintopp-Nostalgie, denn so wirklich retro sieht das harte, kontrastreiche Digitalschwarzweiß nicht aus. Eher sieht es nach dem aus, was es am Ende auch ist: ein sehr kontemporärer Film, der sich die Vergangenheit wie eine Camouflage überzieht, ohne jede Verklärung und ohne in dieser Historisierung ganz aufzugehen. So wie er sich in der einen Gewaltszene, die wir in brutaler Deutlichkeit vor Augen geführt bekommen - die meisten der alltäglichen Übergriffe finden im Off statt, wir verlassen den Tatort ebenso wie die Kinder, die angesichts von Ivanos unbarmherzig drohendem Blick genau wissen, was ihrer Mutter bevorsteht - des Tanzes als Stilmittel bedient.


Die Prügelei wird zur Choreografie, "Morgen ist auch noch ein Tag" für einen Moment zum Musical, und der Blutstropfen, der aus Delias Nase rinnt, erscheint ebenso wie die tiefschwarzen Würgemale am Hals nur sekundenkurz, bevor er aus dem Filmbild ausgeblendet, ja, weggezaubert wird. Dieser Kunstgriff dient nicht dazu, die emotionale Wucht der stilisierten Gewalt abzumildern - ganz im Gegenteil: Es ist alles noch viel, viel schlimmer, und ihr wisst es ganz genau, das sagen uns die Bilder, und das, was in Komplizenschaft mit unserem Nichtsehenwollen im Off versteckt wird, übertrifft in seiner Wirkung jede an dieser Stelle denkbare kalkuliert realistische Darstellung. Es entsteht ein Kontrast, der Cortellesis Film in Gänze prägt.

In Italien wurde "Morgen ist auch noch ein Tag" zum Überraschungsblockbuster des vergangenen Kinojahres, der selbst Greta Gerwigs popfeministischen Welterfolg "Barbie" hinter sich ließ. Dass er seinen Siegeszug auch an den deutschen Kinokassen fortsetzen könnte, deutet zumindest der große Erfolg einer Reihe von - in einem klugen Schachzug - am Internationalen Frauentag am 8. März programmierten Previews in zahlreichen deutschen Kinos an. Das wäre nicht nur dem Film, sondern auch dem Publikum und den deutschen Kinos zu wünschen, denn bei Cortellesis Film handelt es sich um einen Erfolg, der so nicht vorherzusehen war. Ein Period Piece in Schwarzweiß zum Thema Gewalt in der Ehe, das zum Ende hin auch noch in Richtung eines empowernden Agitprop-Pamphlets zum Thema Frauenwahlrecht abbiegt, inszeniert von einer zumindest außerhalb Italiens völlig unbekannten Regiedebütantin - das klingt nicht unbedingt nach internationalem Arthouse-Hit. Dennoch sind es gerade Filme wie dieser, die die deutsche Kinolandschaft gerade braucht.

Denn dass das Kino gerade am Beginn einer großen Umbruchphase steht, kann kaum noch ignoriert werden. Die Erfolgsrezepte der letzten zehn, zwanzig Jahre, auf deren Bedienen sich das Mainstream- wie das Arthouse-Kino allzu sehr verknappt haben, sind schal geworden: Zwischen IP-Blockbusterendlosserien, Reboots und Shared Universes für die Multiplexe einerseits und Wohlfühlarthousekitsch von der Stange für die lange nur noch von Best Agern besuchten Programm- und Arthousekinos andererseits ist der Hunger nach neuen, frischen Stimmen (und, ja, auch das: der Wiederbelebung klassischer, vom Kino lange fallen gelassener Formen) inzwischen unübersehbar - gerade bei einem jungen Publikum, das das Versprechen des Kinos ernst nimmt und dort Erlebnisse und Erzählungen erwartet, die es bis dato nicht gesehen hat. Die Aufgeschlossenheit des Kinopublikums für neue Stoffe, neue Filmemacher und neue Gesichter auf der Leinwand ist momentan vielleicht so groß wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr, und ein Überraschungserfolg wie der von "Morgen ist auch noch ein Tag" vermag durchaus optimistisch zu stimmen für die Zukunft selbst des seit Jahren allzu anämisch vor sich hin siechenden europäischen Arthouse-Kinos.

Jochen Werner

Morgen ist auch noch ein Tag - Italien 2023 - OT: C'è ancora domani - Regie: Paola Cortellesi - Darsteller: Paola Cortellesi, Valreio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Emanuela Fanelli, Giorgio Colangeli - Lauzeit: 118 Minuten.