Efeu - Die Kulturrundschau
Mit Farben und Trompeten
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.10.2020. Der Theaterregisseur Gerhard Willert erklärt in der FAZ den neuen Theaterrevolutionären, wie systemstabilisierend sie in Wahrheit sind. Zeit online erklärt, warum Horrorfilme eigentlich immer Filme über Schwarze sind. Die SZ nimmt Igor Levit seine Social-Media-Präsenz übel. Die FAZ beobachtet im Centre Pompidou, wie sich die Comic-Künstlerin Catherine Meurisse nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo neu erfand.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
16.10.2020
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Bühne
Äußerst skeptisch betrachtet in der FAZ der Theaterregisseur und langjährige Linzer Schauspieldirektor Gerhard Willert die Diskussionen, wie sie etwa in der nachtkritik geführt werden, um das Theater ins 21. Jahrhundert zu führen. So ganz kann er die angebliche Macht des patriarchischen Obermotz nicht ernst nehmen. Und auch nicht die These von der cultural appropriation oder den Wettbewerb, wer denn nun das größte Opfer sei: "Im deutschen Sprachraum scheint man die subversive Kraft der Frage nicht zu erkennen, die einst der böse Heilige Genet dahin gehend gestellt hat, was denn eigentlich ein Schwarzer sei, und vor allem: welche Farbe er habe. Diese Frage hallt nach in dem Satz, den der französische Regisseur Jean-Pascal Zadi in Le Monde als Einspruch gegen den unter dem Druck rassistischer Realitäten entstandenen Hang zur 'Community' zu Protokoll gegeben hat: 'Es gibt genau so viele schwarze Identitäten in Frankreich wie Schwarze.' ... Eine Trans-Person etwa, Colour egal, die eine Trans-Person der entsprechenden Colour spielt, bleibt in Wirklichkeit tautologisch. Und also affirmativ. Und also systemstabilisierend. Verhältnisse sind so nicht zum Tanzen zu bringen. Gesellschaftliche Veränderung ist so nicht zu haben."
Weiteres: Die nmz gibt Streamingempfehlungen für die kommende Woche. In 54books plädiert Anne Fritsch an die Politik, Theaterbesuche wieder leichter zugänglich zu machen, indem die pauschale Zuschauerbegrenzung von maximal 200 Besuchern aufgehoben wird. Und Roman Bucheli schläft sich für die NZZ genussvoll durch die jüngste Marthaler-Inszenierung.
Besprochen werden die Uraufführung von Lars Werners "Deutsche Feiern" am Theater Münster (SZ), Jon Fosses Theaterstück "Ich bin der Wind" im Wiener Hamakom (Standard), "Porgy and Bess" am Theater an der Wien (Standard) und der Roman des Dramatikers Ayad Akhtar "Homeland Elegies" (nachtkritik).
Weiteres: Die nmz gibt Streamingempfehlungen für die kommende Woche. In 54books plädiert Anne Fritsch an die Politik, Theaterbesuche wieder leichter zugänglich zu machen, indem die pauschale Zuschauerbegrenzung von maximal 200 Besuchern aufgehoben wird. Und Roman Bucheli schläft sich für die NZZ genussvoll durch die jüngste Marthaler-Inszenierung.
Besprochen werden die Uraufführung von Lars Werners "Deutsche Feiern" am Theater Münster (SZ), Jon Fosses Theaterstück "Ich bin der Wind" im Wiener Hamakom (Standard), "Porgy and Bess" am Theater an der Wien (Standard) und der Roman des Dramatikers Ayad Akhtar "Homeland Elegies" (nachtkritik).
Literatur
In einem 54books-Essay befasst sich Maryam Aras damit, wie Abbas Khider in seinen Romanen und Erzählungen über den Irak schreibt. Dieses Werk ist "ein Glücksfall für die deutsche Gegenwartsliteratur". Denn auch wenn Khider zwar für ein deutschsprachiges Publikum schreibt, so geschieht dies "ohne einen 'das Andere' erklärenden Blick von außen. Khiders mesopotamische Realitäten sind so selbstverständlich und authentisch unauthentisch, wie Literatur es eben sein kann."
An digitalen Angeboten herrscht bei dem Onlinehappening, als das sich die Frankfurter Buchmesse derzeit manifestiert, zwar kein Mangel und ein bisschen ist das Hin- und Herklicken tatsächlich so, als wäre man auf einer Messe, meint Dirk Knipphals in der taz. Nur satt werde man eben nicht: "Das liegt natürlich daran, dass man auf einer analogen Buchmesse von Eindrücken körperlich geradezu umspült wird", während man in Digitalien immer schon im eigenen Wohnzimmer Platz genommen hat. Während man vor Ort den Blick schweifen lassen kann, "zwingt das Digitale dagegen einen die Blickwinkel eher auf. ... Die analoge Messe ist von ihrer schieren Präsenz her so überwältigend, dass sogar die obligatorischen Krisenmeldungen aus der Buchbranche dagegen etwas Irreales annehmen. Es kann der digitalen Messe einfach nicht gelingen, diese schiere Macht der Buchbranche, ihre gesellschaftliche Bedeutung anschaulich deutlich zu machen."
Weitere Artikel: Carloes Spoerhase fragt in der Zeit, warum hierzulande kaum jemand die Nobelpreisträgerin Louise Glück kennt. Harro Zimmermann fragt in der FR anlässlich einer neuen Werkausgabe, warum hierzulande jeder den Nobelpreisträger Günter Grass kennt. Zwei Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller protestieren gegen die drohende Absetzung der Schweizer Radioliteratursendung "52 beste Bücher", berichtet Rudolf Walther in der taz (ihr Text wurde ursprünglich im Perlentaucher publiziert). Cornelia Geißler gratuliert in der Berliner Zeitung dem Verbrecher Verlag zum 25-jährigen Bestehen. In Tell-Review erinnert Sieglinde Geisel an den Schriftsteller und Filmemacher Thomas Harlan, der vor zehn Jahren gestorben ist.
Besprochen werden unter anderem Ulrike Almut Sandigs "Monster wie wir" (Tagesspiegel), Rolf Lapperts "Leben ist ein unregelmässiges Verb" (NZZ) und neue Krimis aus Kanada (FR).
An digitalen Angeboten herrscht bei dem Onlinehappening, als das sich die Frankfurter Buchmesse derzeit manifestiert, zwar kein Mangel und ein bisschen ist das Hin- und Herklicken tatsächlich so, als wäre man auf einer Messe, meint Dirk Knipphals in der taz. Nur satt werde man eben nicht: "Das liegt natürlich daran, dass man auf einer analogen Buchmesse von Eindrücken körperlich geradezu umspült wird", während man in Digitalien immer schon im eigenen Wohnzimmer Platz genommen hat. Während man vor Ort den Blick schweifen lassen kann, "zwingt das Digitale dagegen einen die Blickwinkel eher auf. ... Die analoge Messe ist von ihrer schieren Präsenz her so überwältigend, dass sogar die obligatorischen Krisenmeldungen aus der Buchbranche dagegen etwas Irreales annehmen. Es kann der digitalen Messe einfach nicht gelingen, diese schiere Macht der Buchbranche, ihre gesellschaftliche Bedeutung anschaulich deutlich zu machen."
Weitere Artikel: Carloes Spoerhase fragt in der Zeit, warum hierzulande kaum jemand die Nobelpreisträgerin Louise Glück kennt. Harro Zimmermann fragt in der FR anlässlich einer neuen Werkausgabe, warum hierzulande jeder den Nobelpreisträger Günter Grass kennt. Zwei Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller protestieren gegen die drohende Absetzung der Schweizer Radioliteratursendung "52 beste Bücher", berichtet Rudolf Walther in der taz (ihr Text wurde ursprünglich im Perlentaucher publiziert). Cornelia Geißler gratuliert in der Berliner Zeitung dem Verbrecher Verlag zum 25-jährigen Bestehen. In Tell-Review erinnert Sieglinde Geisel an den Schriftsteller und Filmemacher Thomas Harlan, der vor zehn Jahren gestorben ist.
Besprochen werden unter anderem Ulrike Almut Sandigs "Monster wie wir" (Tagesspiegel), Rolf Lapperts "Leben ist ein unregelmässiges Verb" (NZZ) und neue Krimis aus Kanada (FR).
Kunst
Weiteres: Andreas Förster sucht für die Berliner Zeitung nach Kunst, die nach Kriegsende aus deutschen Museen verschwand. Besprochen werden außerdem die Ausstellung "Masculinities" im Gropius Bau (Tsp, Berliner Zeitung) die Ausstellung "Let them speak" mit indigenen Künstler Kanadas im Frankfurter Weltkulturen Museum (FR), die Ausstellung "Die Architekturmaschine" in der Münchner Pinakothek (taz), die Aussstellung "Radikale Passivität: Politiken des Fleisches" im Kreuzberger Kunstverein ngbk (Tsp), die Ausstellung "The Futureless Memory" im Kunsthaus Hamburg (taz) und die Ausstellung "Im Gefängnis. Vom Entzug der Freiheit" im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden (SZ).
Film
Verblüffend, dass so wenige Horrorfilme schwarze Hauptfiguren haben, meint Jens Balzer auf ZeitOnline, nachdem er Xavier Burgins Dokumentarfilm "Horror Noire" gesehen hat, in dem es um das Verhältnis zwischen dem Genre und Blackness geht. Schließlich "'ist die Geschichte der Schwarzen in den USA ja nichts anderes als einziger Horrorfilm'. So formuliert es jedenfalls die Science-Fiction-Autorin und Historikerin Tananarive Due: 'Black Horror is black history', sagt sie, 'es gibt eine geradezu symbiotische Verwandtschaft zwischen dem Horrorgenre und der afroamerikanischen Erfahrung. Im Horrorfilm geht es um Ängste, Traumata und Unsicherheiten und darum, wie man vor ihnen flieht oder sich ihnen entgegenstellt; und das ist auch das, worum es im Leben schwarzer Menschen jeden Tag geht."
"Zwei Gehirne wohnen in diesem Film, und ein Körper", schreibt Lukas Foerster im Perlentaucher über "Orphea", eine experimentelle Collage von Alexander Kluge und des philippinischen Punk-Filmemacher Khavn mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg. Gemeinsam deuten sie den Orpheus-Mythos um und dringen tief vor ins Gewebe des Mythos und der Wissensgeschichte. "Das ist so seltsam, dass es schon wieder genial ist. ... Die Kluge-Passagen sind prägnanter, sie sind konkreter in ihrem Zugriff auf den Mythos und gleichzeitig kommunizieren sie direkter mit der politischen Gegenwart: auch die kenternden Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer und die zugehörige Indifferenz der Festung Europa haben Platz in seinem Karneval der Begriffe. Für die Textualität und insbesondere die Texturen des Films jedoch sind die Khavn-Beiträge mindestens ebenso wichtig. Sie erst konfrontieren die Begriffe mit ihrem Gegenteil, mit einer Kakophonie des Rauschens und des Rauschs, mit einer Ordnung der Bilder, die den von Kluge bei aller Freude an der Dekonstruktion noch respektierten Grundkonsens des Sinnlichen aufkündigt."
Besprochen werden Reiner Holzemers "Martin Margiela - Mythos der Mode" (Perlentaucher), Carmen Losmanns Dokumentarfilm "Oeconomia" (FR, mehr dazu bereits hier), "Astronaut" mit Richard Dreyfuss (FR), Michael Fetter Nathanskys "Sag du es mir" (Tagesspiegel), die dritte Staffel der Netflix-Serie "Star Trek: Discovery" (taz), Romomla Garais Horrorfilm "Amulet" (Berliner Zeitung), die HBO-Serie "I May Destroy You" (Presse) und Roman Drouxs Bärendoku "Der Bär in mir" (Berliner Zeitung).
Design
"Auch der Garten kann ein Kunstwerk sein", versichert Stefan Rebenich in seiner kleinen Gartenschule in der FAZ, und ganz besonders im Herbst: Das wusste schon Rilke. "Um sich an dem großen Finale erfreuen zu können, bedarf es im Garten auch der vorausschauenden und geschickten Kombination von sich im Herbst färbenden Gehölzen mit Stauden und Gräsern. Ein wahres Farbenfeuerwerk entzünden das rosa Pfaffenhütchen, der orange Perückenstrauch, die rote Bergenie und die goldgelbe Funkie. Das strahlende Rot der Blätter des japanischen Feuerahorns (Acer japonicum Aconitifolium') bildet einen herrlichen Kontrast zu dem weiß gefiederten Silber-Pampasgras (Cortaderia selloana). Die vielgestaltigen, leuchtenden Dahlien sind in dem schon fahler werdenden Licht die Königinnen des Herbstes".
Musik
Alle feiern Igor Levit, dabei ist doch eigentlich Daniil Trifonov das derzeit künstlerisch herausstechende Goldhändchen an den Tasten, schreibt Helmut Mauró in einer ziemlich bösen Abrechnung in der SZ. Der Kult um Levit hat nach Maurós Auffassung weniger mit Levits Können als mit seiner Social-Media-Präsenz zu tun, wo es Levit - anders als Trifonov - beim Bewerben neuer Aufnahmen einfach nicht belassen will: Vernetzt mit den richtigen Journalisten, zeige sich hier das Netz als "Bühne für ein Pausenstück, dessen Clownerien eine Schattenseite haben: die vehemente Ausgrenzung vermeintlich und tatsächlich Andersdenkender. ... Es hat sich da ein etwas diffuses Weltgericht etabliert, deren Prozesse und Urteile in Teilen auf Glaube und Vermutung, aber auch auf Opferanspruchsideologie und auch regelrechten emotionalen Exzessen beruhen. Es scheint ein opfermoralisch begründbares Recht auf Hass und Verleumdung zu geben, und nach Twitter-Art: ein neues Sofa-Richtertum."
Verpassen Sie nicht den Anfang von Liszts "Transzendentalen Etüden" unter den Goldhändchen Trifonovs:
Volker Hagedorn lässt sich für seine VAN-Kolumne von Troubadix und dessen prekärer Rolle im Kulturleben des berühmten gallischen Dorfes (ist er womöglich geschmähter Avantgardist?) zu einem Blick auf den Klassikbetrieb der Gegenwart inspirieren: Warum eigentlich will die Klassik ständig und immer wieder möglichst allen gefallen? Immerhin waren die Besucherzahlen vor Corona ja gar nicht schlecht. Doch "seit 20 Jahren wird mit gigantischem Aufwand von Vermittlungsarbeit die 'Schwelle' zum 'Musentempel' flachgehobelt, die doch auch eine Delle im kollektiven Kulturbewusstsein ist. Eine Menge Leute will von einer Menge Musik nun mal nichts wissen - ist das so schlimm? ... Von allen Branchen, die nicht dem nackten Überleben dienen, sieht sich nur die Klassik unter Rechtfertigungsdruck."
Weitere Artikel: Für die FAZ spricht Benjamin Fischer mit Matt Berninger von The National über dessen Soloalbum "Serpentine Prison". In der NZZ schreibt Marian Brehmer einen Nachruf auf den iranischen Sänger Mohammed Reza Shajarian. Die New York Times meldet außerdem, dass die Sopranistin Erin Wall gestorben ist, sie wurde nur 44 Jahre alt.
Besprochen werden das Album "Now Everybody", auf dem die New Yorker Band Visit sich an Thomas Pynchon entlang musiziert (Intellectures), "Zwei Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee" von The Screenshots (Freitag) und das neue Album der Techno-Klangkunst-Hexenmeister Autechre, bei dem tazler Christian Werthschulte die schiere "Euphorie des Ungehörten" packt. Wir hören rein:
Verpassen Sie nicht den Anfang von Liszts "Transzendentalen Etüden" unter den Goldhändchen Trifonovs:
Volker Hagedorn lässt sich für seine VAN-Kolumne von Troubadix und dessen prekärer Rolle im Kulturleben des berühmten gallischen Dorfes (ist er womöglich geschmähter Avantgardist?) zu einem Blick auf den Klassikbetrieb der Gegenwart inspirieren: Warum eigentlich will die Klassik ständig und immer wieder möglichst allen gefallen? Immerhin waren die Besucherzahlen vor Corona ja gar nicht schlecht. Doch "seit 20 Jahren wird mit gigantischem Aufwand von Vermittlungsarbeit die 'Schwelle' zum 'Musentempel' flachgehobelt, die doch auch eine Delle im kollektiven Kulturbewusstsein ist. Eine Menge Leute will von einer Menge Musik nun mal nichts wissen - ist das so schlimm? ... Von allen Branchen, die nicht dem nackten Überleben dienen, sieht sich nur die Klassik unter Rechtfertigungsdruck."
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