9punkt - Die Debattenrundschau
Aus verständlichen historischen Gründen
Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Politik
Zwei Debatten erschütterten in der letzten Woche das deutsche Twitter-Dorf, Ahmad Mansour wurde als Person unmöglich gemacht (unsere Resümees), die Nahostexpertin Muriel Asseburg wurde für Dinge kritisiert, die sie gesagt hat (unser Resümee). Sie hatte in einem uferlosen Videogespräch mit dem Jungjournalisten Tilo Jung den Eingriff Israels in Dschenin mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verglichen und behauptete, Deutschland mache die israelische Regierung zum "Schiedsrichter" ihrer Nahostpolitik. Da sie für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) arbeitet, die die Bundesregierung berät, sorgten ihre Äußerungen für Irritationen und den üblichen Clash der Twitter-Blasen - auch der israelische Botschafter hatte sich allerdings geäußert. Zu ihrem Schiedsrichter-Vergleich äußert sie ich im Interview mit Christoph Schult vom Spiegel etwas eirig: "Ich bin sicher nicht die Erste, die auf diese Idee gekommen ist und das formuliert hat. Vielleicht ist der Begriff Schiedsrichter nicht so glücklich. Kronzeuge wäre besser. Die frühere Kanzlerin Angela Merkel zum Beispiel sprach diese Rolle dem israelischen Botschafter in Deutschland zu. Anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Haifa im Oktober 2018 sagte sie: 'Der Botschafter des Staates Israel in Deutschland wird genau beobachten, wie wir uns verhalten.'"
Anders als Mansour arbeitet Asseburg im Schutz einer Institution. Die Stiftung Wissenschaft und Politik publizierte gestern eine Verteidigung ihrer Kollegin: "Wenn Zitate verkürzt oder verfälscht wiedergegeben und Interpretationen des Gesagten genutzt werden, um gezielt Empörungen zu schüren, dann sind diese Vorwürfe in der Sache und im Ton unangemessen. Dies betrifft insbesondere den Vorwurf des Antisemitismus. Dagegen verwahren wir uns entschieden."
Stefan Reinecke und Katja Maurer verteidigen Asseburg in der taz. "Deutsche Linke, die aus verständlichen historischen Gründen Israel schützen wollen, sollten beachten, neben wem sie sich hier einreihen. Zum Beispiel Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, der SWP 'antisemitischen Dreck' unterstellt und die Streichung der Gelder fordert. Beides ist lehrbuchhaft für rechtsautoritäre Politik: Auf ätzende Verleumdung folgt die materielle Zerstörung der Orte rationaler Diskurse." Für die beiden steht auch fest: "Man kann mit der teils rechtsextremen und offen rassistischen Regierung in Tel Aviv nicht mehr unverbrüchlich solidarisch sein. Sie ist Teil einer weltweiten autoritären Rechten, die auf die Abschaffung der Demokratie und die Herrschaft der Fake News zielt."
Medien
Empört antwortet Michael Hanfeld in der FAZ auf die wortreiche Selbstrechtfertigung des Berliner-Zeitung-Verlegers Holger Friedrich, der journalistischen Quellenschutz nur unter unklaren Bedingungen gewähren will und der auch noch von einem Berliner Gericht Recht bekam (unser Resümee): "Folgten wir Friedrich und der 67. Zivilkammer des Berliner Landgerichts, wäre es mit der Aufdeckung von Missständen, Whistleblowern, Enthüllungsrecherchen vorbei. 'Selbst dort, wo der Quellenschutz nicht gilt, gibt es professionelle Standards, wonach Interna oder Informationen von Dritten nicht ohne Zustimmung verwendet werden dürfen', schreibt der Verleger Friedrich. Wäre das so, könnte die Presse einpacken, Geheimhaltung würde Gesetz, derjenige, der Wahrheit ans Licht bringen will, würde kriminalisiert. Das sind die Konsequenzen, die hinter dem Geschwurbel des Verlegers Friedrich stecken."
Ebenfalls in der FAZ meldet Jannik Müller, dass der RBB seine ohne Vergabeverfahren bei einer Anwaltskanzlei in Auftrag gegebene Untersuchung der Vorgänge am Sender einstellt - die Kanzlei ist einfach zu teuer.
In Frankreich wurde der Chefredakteur der Sonntagszeitung Journal du Dimanche (JDD) vom Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré durch einen Rechtsextremisten ersetzt, erzählt nun auch Thomas Kirchner in der SZ (unsere Resümees). Deshalb befinden sich sechzig Mitarbeiter seit drei Wochen im Ausstand. Dieser Streik weist auf eine gefährliche Entwicklung in der französischen Medienlandschaft hin, meint Kirchner: Bolloré "wird oft mit Rupert Murdoch verglichen. Sein wichtigstes Vehikel, der viel gesehene Nachrichtensender CNews, hat sich seit Bollorés Übernahme zu einem französischen Fox News entwickelt. Zemmour, mehrmals wegen rassistischer Äußerungen verurteilt, war lange Zeit der Starkolumnist bei CNews. Er verharmlost die Haltung des Vichy-Regimes während des Zweiten Weltkriegs gegenüber der jüdischen Bevölkerung und hat sich immer wieder offen antisemitisch geäußert."