9punkt - Die Debattenrundschau
Quasi eine Abofalle
Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Europa
Als regelrechten Paukenschlag schildert Reinhard Veser in der FAZ die Pressekonferenz des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, in der dieser erstmal das polnische Mediengesetz einkassierte - mit dem Gesetz sollte bekanntlich der letzte kritische Privatsender TVN gleichgeschaltet werden. "Angesichts der abschätzigen bis aggressiven Äußerungen über TVN, die unter PiS-Politikern sonst zum guten Ton gehören, ließ schon aufhorchen, dass Duda TVN gleich zu Beginn seiner Erklärung als 'wichtiges und ernsthaftes Medium' bezeichnete. Es folgten eine Reihe verbaler Ohrfeigen für die Regierungspartei. So hob Duda hervor, dass sich angesichts der kurzen Übergangsfrist im Gesetz die Frage stelle, 'ob die Bedingungen rein menschlich betrachtet fair sind'."
Jesper Vind erinnert in Weekend Avisen an Rudi Dutschke, der Weihnachten 1979 im dänischen Aarhus gestorben ist. Seine Kinder leben nach wie vor dort. Sie "haben alle eine gute Schulbildung. Sie haben gewissermaßen 'den langen Marsch durch die Institutionen' angetreten. Aber nicht als Teil des revolutionären Klassenkampfes, von dem ihr Vater sprach, sondern eher als sozialer Kern des Wohlfahrtsstaates. Hosea Che ist jetzt Direktor für Gesundheit und Pflege in der Stadtverwaltung von Aarhus. Auch Polly hat den Wohlfahrtsstaat in der Praxis funktionieren lassen. Sie absolvierte eine Ausbildung als Krankenschwester und später als Leiterin eines Pflegeheims in Aarhus - und ist außerdem eine aktive Sozialdemokratin. Letzten Monat wurde Polly mit 1.170 persönlichen Stimmen in den Stadtrat von Aarhus gewählt."
Religion
Derzeit wird im Vatikan ein Strafprozess verhandelt, in dem der Kurienkardinal Angelo Becciu und neun weitere Angeklagte wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauch, Korruption, Erpressung, Geldwäsche und Betrug angeklagt sind. Doch dann hat der Papst seinen Kabinettschef entlassen und Dokumente zurückgehalten. Droht der Prozess zu platzen? Wie auch immer, die Vorgänge zeigen auf jeden Fall, schreibt Rainer Hank in der NZZ, dass der Papst, der gern für die Demokratie eintritt, "einem theokratischen Staat vorsteht, der sich weder zu Rechtsstaatlichkeit noch zu Gewaltenteilung je bekannt hat. Der Papst ist der letzte absolutistische Monarch der Welt. In Analogie zu Viktor Orban in Ungarn, der stolz in einer 'illiberalen Demokratie' regiert, müsste man den Papst als Souverän einer illiberalen Monarchie bezeichnen (England zum Beispiel wäre eine liberal-demokratische Monarchie). Das Grundgesetz des Vatikans, in Kraft seit dem 1. Februar 2001, hält in Artikel 1, Absatz 1 fest: 'Der Papst besitzt als Oberhaupt die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt.' Die richterliche Gewalt 'wird im Namen des Papstes' ausgeübt, heißt es in Artikel 15. Der grobe Antikapitalismus des gegenwärtigen Papstes ('Diese Wirtschaft tötet') speist sich aus dieser Rechtstradition einer Ablehnung von Aufklärung und Liberalismus."
Neun von zehn befragten Berliner Bildungseinrichtungen sagen nach einer Befragung, dass ihnen das Phänomen "konfrontativer Religionsbekundung" nicht unbekannt sei. Die taz stellte diese Studie gestern als problematisch dar, weil sie im Sinne des Berliner Neutralitätsgesetzes agiere (unser Resümee). Heute befragt Frederik Schindler in der Welt Sprecher der Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus: "Die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld, Vorsitzende des Ausschusses für Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation im Berliner Abgeordnetenhaus, hält das Projekt für fachlich falsch aufgesetzt: 'Statt Lehrer*innen eine Hilfestellung zu bieten, wenn sich Schüler*innen provozierend verhalten, ist das Ziel einzig und allein, Religion an sich als ein Problem darzustellen.' Zur Befragung an den Neuköllner Schulen möchte sich Kahlefeld nicht äußern, da sie zur 'undifferenzierten' Meinung der Welt passe und 'daher ohnehin nicht sozialwissenschaftlich ernsthaft beurteilt' werde."
Aus der Kirche "austreten" kann man nur in Deutschland, erklärt Tarek Barkouni bei vice.de. Es handelt sich eigentlich nur um die Bekundung gegenüber den Behörden, nicht mehr die vom Staat eingetriebene Kirchensteuer zahlen zu wollen. "Carsten Frerk ist Fachmann für das Thema Kirche bei der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung. Er kritisiert diese Sonderstellung: 'Bei der Taufe geben Eltern eine Absichtserklärung ab. Sozusagen ein 'Vorkaufsrecht' auf das Seelenheil. Das wird aber erst mit der Konfirmation eingelöst.' Wenn man Kirchenrecht ernst nehmen würde, so erklärt er es, müsste jeder, der sich nicht auch konfirmieren lässt und mit 14 Jahren seine Zustimmung gibt, von der Kirche vergessen werden. Das passiert aber nicht. Die Kirchensteuer ist damit quasi eine Abofalle."
Kulturpolitik
In der Welt ist Gerwin Zohlen vom Verlag Wasmuth & Zohlen empört. Er findet den Brief "hetzerisch" und erhebt vor allem gegen Oswalt schwere, bis ins Persönliche reichende Vorwürfe: "Philipp Oswalt ist als notorischer Querdenker bekannt geworden. Er stammt aus der Frankfurter Bauunternehmer-Dynastie Holzmann und ist seit mehr als 30 Jahren publizistisch tätig, zumeist mit hohem Aufmerksamkeitswert. Er ist Apologet der Formlosigkeit (Berlin - Stadt ohne Form, 2000) ... Oswalt hasst alle Rekonstruktionen, sofern sie nicht die Bauhaus-Moderne betreffen (etwa den Barcelona-Pavillon und die Dessauer Trinkhalle von Mies van der Rohe). Als wortgewandter Rhetoriker trägt er Züge der besessenen Tugendhaftigkeit eines Robespierre."
Ideen
Medien
Stefan Niggermeier thematisiert in seinen Übermedien die bestürzende Ritualisierung deutscher Medien - nicht nur der öffentlich-rechtlichen -, die unbeirrt die "aktuellen Coronazahlen" melden, obwohl alle wissen und auch erwähnen, dass diese Zahlen wegen Weihnachten und schlechter Datenlage schlicht falsch sind: "Auch die 20-Uhr-'Tagesschau' brachte den Hinweis, dass die Zahlen gerade einigermaßen unbrauchbar sind, ebenso wie die Zahlen selbst, unbeirrt anmoderiert mit: 'Hier die aktuellen Infektionszahlen.' Warum? Wären das nicht knapp 30 Sekunden Sendezeit, die man stattdessen mit, sagen wir: Nachrichten füllen könnte?"