Magazinrundschau - Archiv

Die Zeit

5 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 16.10.2018 - Die Zeit

Ziemlich matt und müde wirkt Cixin Liu im Gespräch, das Xifan Yang mit dem chinesischen Science-Fiction-Autor geführt hat. Seine Trisolaris-Reihe schlug in den letzten Jahren im Westen zwar ein wie eine Bombe, wurde in China aber schon vor zehn Jahren veröffentlicht. Seitdem habe er kaum mehr etwas zu Papier gebracht, erklärt der Schriftsteller, und auch die Bücher der Kolleginnen und Kollegen seiner Zunft begeistern ihn nicht so recht - insbesondere nicht für Science-Fiction als Vehikel philosophischer Überlegungen. "Wir leben in einer Zeit, in der sich die Geschwindigkeit technologischer Veränderungen überschlägt, sodass die Vorstellungskraft eines Science-Fiction-Autors kaum noch mitkommt. Das ist für das Genre fatal." Warum nun gerade chinesische Science-Fiction einen Boom erlebt, weiß er ebenfalls: "Ich kenne hervorragende ägyptische, vietnamesische und philippinische Science-Fiction-Autoren! Für deren Werk interessiert sich kaum jemand. Das liegt daran, dass Science-Fiction ein besonderes Literaturgenre ist: Ihr Erfolg ist ein Barometer für den Entwicklungsstand des Herkunftslandes. Ein Leo Tolstoi oder ein Gabriel García Márquez wurden zu Lebzeiten international bekannt, obwohl das Zarenreich und das Kolumbien der Sechzigerjahre technisch wie wirtschaftlich rückständig waren. In der Science-Fiction ist das anders: 'Frankenstein' von Mary Shelley, der erste Science-Fiction-Roman der Welt, stammt aus der Blütezeit der englischen Industrialisierung. Oder schauen Sie sich die Goldene Ära der amerikanischen Science-Fiction zwischen 1930 und 1960 an, die zusammenfiel mit dem Aufstieg der USA zur Supermacht. Dass die Welt nun chinesische Science-Fiction liest, hat mit der Modernisierung in unserem Land und seiner wachsenden Bedeutung zu tun."

Magazinrundschau vom 03.01.2017 - Die Zeit

Ziemlich flau werden kann einem bei der Lektüre von Stefan Willekes großer Reportage aus Polen, die die Zeit zum Neujahrstag online nachgereicht hat. Kenntlich wird das Nachbarland im Osten als ein Land, das von der, gelinde gesagt, nationalkonservativen Regierungspartei PiS stramm auf einen erzkatholisch unterfütterten Nationalismus gepolt wird: "Das gesamte Bildungssystem soll umgebaut werden, vordergründig wegen der Effizienz, aber natürlich wird es zur Folge haben, dass etwa 45.000 Lehrer im neuen System keinen Platz mehr finden. Schon heute werden Lehrer von Schulleitern bestraft, wenn sie sich weigern, ein Kreuz in die Klassenräume zu hängen. In einer Schule in Milanówek in der Nähe von Warschau setzt sich der Direktor bereits für eine 'patriotische Mathematikklasse' ein: Die Schüler sollen nicht nur rechnen, sondern auch schießen lernen. Auch das Demonstrationsrecht soll demnächst eingeschränkt werden. Es geht jetzt alles sehr schnell, so schnell, dass selbst hartgesottene Oppositionspolitiker, die das Wesen der Regierung zu kennen glaubten, vom Tempo des Wandels überrascht werden. Geschwindigkeit wird mit einem Mal zu einer politischen Kategorie. ... Wie in einem Ausnahmezustand soll dieses Land sich fühlen, atemlos und erregt vom Adrenalin des Systemwechsels, so als gelte es, das Leben im Rausch von Notstandsgesetzen zu feiern."

Magazinrundschau vom 21.06.2016 - Die Zeit

In einer sehr schönen Reportage erzählt Wolfgang Bauer von den Geisterschiffen mit Dutzenden von Toten, die immer wieder an Japans Küsten landen. Mehr als 283 sollen es in den letzten vier Jahren gewesen sein. Die Boote gehören nordkoreanischen Fischern, die sich gefährlich weit aufs Meer hinauswagen, um ein bisschen was zu verdienen. Einer von ihnen, Rhee, erzählt Bauer seine Geschichte: wie der Motor auf See versagte, kein Radiosignal und damit auch keine Wettervorhersage zu empfangen war. "Am Morgen des sechsten Tages beginnt die Maschine zu röcheln, stottert und erstirbt. Der Operator versucht, den Fehler zu finden, gemeinsam mit Rhee zerlegt er den Motor in seine Einzelteile. Beide Kolben haben sich festgefressen, die Zylinder sind angeschmolzen. 'Da habe ich begriffen, dass wir so gut wie verloren sind', sagt Rhee. Die befreundeten Fischer sind zu diesem Zeitpunkt weit entfernt. Rhee gaukelt seiner Besatzung Zuversicht vor. 'Wenn der Kapitän verzweifelt, verzweifelt die ganze Mannschaft.' Sie beratschlagen sich. In einigen Hundert Metern Entfernung sehen sie jetzt unbekannte Fischerboote, sie winken, rufen um Hilfe, doch keiner dreht auf sie zu. 'Fremde Boote helfen einander nicht', sagt Rhee. Die Kapitäne haben Angst um ihre Netze oder wollen keinen Diesel verschwenden, um andere zu retten. Diesel, der so kostbar ist in Nordkorea."

Magazinrundschau vom 28.04.2015 - Die Zeit

Um Pegida ist es ruhig geworden ist, der enge Freundeskreis, aus dem sich der Führungszirkel zusammensetzte, ist verkracht. Martin Machowecz blickt von sehr weit oben auf den Ursprung dieser "Bewegung aus Türstehern und Hausmeistern", der sich auf den Facebook-Seiten von Lutz Bachmann und seinen einstigen Freunden nachvollziehen lässt, wo sich dem Betrachter "ein Sittengemälde des deutschen Prolls" bietet: "Auch ihre Hochzeit präsentierten Vicky und Lutz komplett im Internet: ein Fest mit Pomp und Pumps. Weißes Kleid, weiße Blumen, weißer Schirm, weiße Krawatte, weißes Hemd. Viele von denen, die später zu Pegida-Anführern wurden, waren nicht nur bei Hochzeit oder Polterabend anwesend, sondern kommentierten auch fleißig mit, wenn die Bachmanns aus ihrem Leben berichteten. Das taten sie, über Jahre, für alle einsehbar. Wer sich heute noch einmal durch ihre Profile klickt, der stellt fest: Pegida, ein Phänomen, das die Republik über Monate in seinem Bann hielt, hat seine Wurzeln im Allerbanalsten."
Stichwörter: Pegida, Hemd, Krawatte

Magazinrundschau vom 23.05.2014 - Die Zeit

Alice Bota beschreibt in einer Reportage für die Zeit, die jetzt online steht, wie sie einen Trupp prorussischer Demontranten in der Ostukraine begleitet: "Ich stehe neben ihnen, mache keine Notizen, spreche nicht, aber irgendwie muss ich einer älteren Frau aufgefallen sein. Sie kreischt, was ich hier täte, ich zeige ihr die Akkreditierung der "Volksrepublik Donezk", die ich zwei Stunden vorher abgeholt habe, aber es hilft nicht, Hände greifen nach meiner Tasche, wollen sie durchsuchen, ich öffne die Tasche, sie durchwühlen sie, aber da ist nur die Regenjacke, der Block, das iPad, sie versuchen, es mir zu entreißen..."