Im Kino

Schawarma im Bordellzimmer

Die Filmkolumne. Von Jochen Werner
08.05.2024. Oskar Roehler dreht mit der grellen Filmszene-Parodie "Bad Director" seinen lustigsten Film. Wie gewohnt schont der Regisseur nichts und niemanden, schon gar nicht sich selbst. Gleichwohl scheint er sich langsam von seiner Rolle als antilinksliberaler Provokateur zu verabschieden.

Wir begegnen dem Regisseur Gregor Samsa (Oliver Masucci) zunächst in nicht eben würdevoller Position. Über ein Waschbecken vor einem Spiegel in einem eher schäbigen Bordellzimmer gebeugt, penetriert er eine Prostituierte von hinten. Auf deren Bitte, er möge doch langsam mal fertig werden, erwidert er nur, dass er noch 15 Minuten auf der Uhr habe, woraufhin die junge Frau gelangweilt in das Schawarma beißt, das sie während des ganzen Aktes in der Hand hält.

Danach geht es nicht unbedingt bergauf - obwohl dieser Samsa, ein durchaus bekannter und etablierter Filmemacher, am Beginn eines neuen Filmdrehs steht. Ein 50er-Jahre-Film soll es werden, nicht ganz unähnlich Roehlers eigenem autobiografischen Epos "Quellen des Lebens", besetzt mit dem dümmlich-jovialen, aber umso größerspurigen Jungstar Fabian Reiter (Elie Kaempfen) und der legendär schwierigen Schauspielerin Konstanze (Anne Ratte-Polle), die sich bei Meinungsverschiedenheiten zappelnd und kreischend auf den Boden wirft und in den Teppich beißt. Der deutsche Film ist die Hölle, und dieser Gregor Samsa ist mittendrin, meist betrunken und/oder unter sonstigem Drogeneinfluss, machtlos gegenüber den Eitelkeiten und Machtspielchen seiner Schauspieler, die er aber besetzen muss, damit das Geld weiterfließt. Nicht zuletzt ist er auch selbst ein cholerischer Settyrann, der seine eigenen Neurosen hemmungslos an seinem leidgewohnten Team auslässt.

Oskar Roehler inszeniert diesen Samsa mit massig Mut zu äußerer wie innerlicher Hässlichkeit als Doppelgänger seiner selbst - oder vielmehr als groteske Karikatur, denn zur unverkennbaren Roehlerfrisur und Roehlerbrille fügt Hauptdarsteller Oliver Masucci noch riesige falsche Zähne und ein irgendwo zwischen Dieter Hallervorden und Tom Gerhardt chargierendes Knalltütenspiel hinzu. Nein, eine Identifikationsfigur ist dieser Samsa - dessen denkbar durchsichtig bei Kafka ausgeborgter Name eher ein spöttischer Seitenhieb auf schöngeistige Bildungshubereien im deutschen Förderfilm ist als ernsthaftes Identifikationsangebot - beileibe nicht, auch wenn das angesichts von Roehlers eigener Romanvorlage manch einer der ohnehin wenigen Rezensenten nur zu gern misszuverstehen bereit war.


"Selbstverfickung" hieß dieser Roman, in dem autobiografisches Erinnerungsprojekt und die Gegenwart des Künstlers als alter Hurenbock zusammenzufinden schienen. Denn auch in diesem als Hassmonolog geschriebenen Buch ist der Protagonist Samsa, wenn er nicht gerade an den Zumutungen verzweifelt, einen Film zu drehen, vor allem mit kärglichen Beischlafversuchen mit verschiedenen, meist osteuropäischen Prostituierten beschäftigt. Sowie mit Hass auf Ausländer, Obdachlose, Schwule, you name it, in Tiraden gegossen, die allerlei Roehler selbst und seinem bereits seit einem Jahrzehnt zunehmend marginalisierten Werk ohnehin misstrauisch bis ablehnend gegenüberstehende Rezensenten nur zu dankbar auf- und wörtlich nahmen.

"Ist das noch Kunst oder schon AfD", fragte Moritz von Uslar in der Zeit, das deutsche Feuilleton hatte sich ohnehin schon entschieden. Roehler, das war dieser durchaus begabte, aber allzu narzisstische Filmemacher, der mit der "Unberührbaren" seinen großen Moment gehabt hatte, aber inzwischen nach Meinung vieler Kritiker nach rechts abgerutscht war. Roehler tat wenig, um dieser Sichtweise entgegenzuwirken, eher im Gegenteil: provokationsverliebt, wie er ist, befeuerte er sie nach Kräften, beschrieb sich selbst in einer Episode der arte-Reihe "Durch die Nacht mit …" gegenüber einem fassungslosen Lars Eidinger als "eher rechts", schrieb für das Politmagazin Cicero eine tatsächlich ziemlich fürchterliche (und künstlerisch eher ungebrochene) "Wutrede eines Enttäuschten" für eine restriktive Flüchtlingspolitik, und verfilmte für "HERRliche Zeiten" einen Roman des inzwischen für die AfD aktiven Schriftstellers Thor Kunkel - der ihm allerdings gerade nicht zum rechten Film geriet, sondern zur bitterbös beißenden Gesellschaftssatire, die den inneren Herrenmenschen in uns allen attackiert.

Überhaupt ist das Roehlers Lebensthema - das Böse, das Lächerliche und das Mickrige nicht als das Andere bloßzustellen. Die da, aber nicht wir - das war nie Roehlers Modus von Kritik. Sein künstlerisches Projekt war immer, den Nazi, den Sexisten, den Zwangsneurotiker, den Narzissten, den lächerlichen alternden Mann in uns allen ans Tageslicht zu zerren - und zuallervorderst in sich selbst. Darin ist und bleibt er beeindruckend angstfrei: wie er sich selbst und seine Doppelgängerfiguren komplett nackt macht und immer wieder aufs Neue demütigt.

Und dennoch: "Bad Director" ist auch ein Rückzugsgefecht. Während "Selbstverfickung" in einer Zeit entstand, in der Roehler das öffentliche Spiel mit der Rolle des rechten Trolls auf die Spitze trieb, scheint "Bad Director" nun das Produkt eines Künstlers zu sein, der erkannt hat, dass sich niemand auf dieses Spiel einlässt und die Bereitschaft, ihn in seinen antilinksliberalen Rants beim Wort zu nehmen, die Geneigtheiten (oder Fähigkeiten) manch eines Feuilletons zur Literaturexegese übersteigt. So bleiben dann anstelle eines mehr oder weniger gezielt platzierten gesamtgesellschaftlichen Sprengsatzes nur eine sexuelle Selbstparodie in Anlehnung an Roehlers ewigen Lehrmeister Michel Houellebecq sowie eine grelle Satire auf den deutschen Filmbetrieb übrig. Was aber vollauf genügt, denn in seiner ungehemmten Lust an der (Selbst-)Entblößung ist "Bad Director" Oskar Roehlers lustigster Film.

Jochen Werner

Bad Director - Deutschland 2024 - Regie: Oskar Roehler - Darsteller: Oliver Masucci, Bella Dayne, Natalia Avelon, Joscha Baltha, Christian Bojidar, Samuel Finzi, Piet Fuchs - Laufzeit: 131 Minuten.