Fallende Blätter

Literat und Feuilletonist

Drei Zitate - Drei Thesen. Von Georg Klein
21.09.2003. "Den Literaten wie den Feuilletonisten quälen - und dies ist beiden Seiten peinlich - die gleichen Schrumpfschmerzen. Und die große Ähnlichkeit dieses Schrumpfens, die Gestaltverwandschaft der Schwindsucht, macht das Verhältnis zwischen Feuilletonist und Literatur heute so heikel."
Erstes Zitat: "Aber lieber Herr Klein! Genau Sie sind doch das Beispiel für einen Schriftsteller, den das Feuilleton gemacht hat!"
Dies hielt mir der freie Mitarbeiter einer Tageszeitung entgegen, als ich mich skeptisch zum Einfluss des Feuilletons auf den Buchverkauf geäußert hatte. Das Feuilleton hätte mich also gemacht? Das ist nicht so einfach von der Hand zu weisen. Denn eine kleine Serie guter Kritiken zu meinem ersten Buch war ohne Zweifel meine Eintrittskarte in den Literaturbetrieb. Verdankt der Literat, verdanke ich also dem Feuilleton viel, unter Umständen sogar alles?

Ohne Zweifel schulde ich ihm jenen Teil des Erfolgs, den man den Geltungserfolg nennen könnte. Das Feuilleton weniger großer Tages- und Wochenblätter ist immer noch der Altar, auf dem Bücher zu Werken geweiht werden. Hier werden, Attribute wie 'bedeutend', 'gültig' und 'groß' verliehen, hier wird im Idealsfall das, was dem Verfasser im Schein seines PC-Monitors als eine wahnwitzige Bastelei erschien, im öffentlichen Licht zum homogenen Meisterwerk geheiligt. Und da dies mit etwas Glück in einer Diktion geschieht, die der Literatur verwandt ist wie eine schöne Stiefschwester, könnte es sich um einen gelungenen Akt handeln, um eine Zeremonie gütlich wie eine Taufe und stärkend wie eine Firmung - wenn das nicht gewissen Probleme mit der Glaubensstärke der Gemeinde wären.

Man kann es einer Rezension buchstäblich abhorchen, ob der Feuilletonist glaubt, wie in der alten katholischen Messe mit starkem Rücken vor einem gut gefüllten Gotteshaus zu stehen oder ob er, zagend seit langem, auf halbleere Reihen blickt. Ja, zunehmend gibt es Feuilletonisten die argumentativ und stilistisch nicht mehr verhehlen können, wie sehr sie mit der eigenen Resonanz- und Wirkungslosigkeit hadern.

Auffallend zum Beispiele, wie oft die Besprechungen von literarischen Texten bereits im ersten Absatz von 'erfolg' reden. Ein überraschender, ein anhaltender, ein längst verdienter oder ein zweifelhafter Erfolg wird zum Einstiegsgedanken, zum Köder, den man den Lesenden hinwirft und nicht selten scheint dieser herbeizitierte, ja beschworene Erfolg dem folgenden Raisonnement als Rechtfertigung vorauszugehen.

Ein bemerkenswertes Phänomen. Die Instanz, die immer noch antritt, Geltungserfolg zu verleihen oder zu verweigern, deren Selbstbewusstsein aus der Aktualität, ja Akutheit von Wertschätzung, ja Wertsetzung leben müsste, braucht wie ein Amphetamin einen schon vorhandenen, bereits etablierten Erfolg. Und dieser vorgängige Erfolg ist immer seltener der alte Geltungserfolg, den der Autor mit seinen bisherigen Büchern bei der Kritik erworben hat, sondern es handelt sich um den Verkaufserfolg, wie er in Bestsellerlisten und Auflagenhöhen zwar nicht sofort sicher greifbar, aber doch schnell ruchbar wird.

Als Beleg für dieser Entwicklung kann man verschieden Phänomene beobachten: Literarische Kritiken die damit anheben, dass sie den kommenden Verkaufserfolg als unausweichlich beschwören und prophetisch ausmalen. Feuilletonbeiträge, die kaum mehr vom Text sprechen, sondern, manchmal sogar in mehreren Etappen, eine Art Erfolgsfrontberichterstattung betreiben. Exklusiv-Interviews, die einen Tag vor dem Erscheinen des bombensicher erfolgreichen Buches, an dessen Erfolg partizipieren wollen, indem man just diesen prognoszierten Erfolg mit den bescheidenen Mitteln des Feuilletons mitzuproduzieren versucht.

Zur These verkürzt:
Der literaturräsonierende Feuilletonist hadert mit der begrenzten Bedeutung des Geltungserfolgs, mit dessen Zuweisung oder Verweigerung er traditionell beschäftigt ist. Er sucht die Symbiose mit dem großen Verkaufs- und Medienerfolg, kommt aber, da dieser offensichtlich außerhalb der Feuilletons produziert wird, nicht über eine unbefriedigend parasitäre Beziehung hinaus. Das Feuilleton fühlt sich von der charismatischen Ökonomie des wahren Erfolgs ausgeschlossen.


Zitat Nummer Zwei:
"Georg, ich verstehe gar nicht, dass Du dich bei den Feuilletons so penetrant andienst. Hast du das als Autor wirklich nötig!"
Dies hielt mir ein Schriftsteller auf einem sogenannten Poetentreffen entgegen. Er schien um meine Würde als Literat besorgt, und hatte sympathischerweise die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich kollegialem Ratschlag zugänglich sei. Anlass war, dass in relativ kurzer Zeit verschieden Zeitungen feuilletonistische Beiträge von mir gebracht hatten. Allein schon, dass er diesen Umstand wahrgenommen hatte, muss man ein halbes Wunder nennen, denn nach eigenem Bekunden las er so gut wie nie Feuilleton, mied, um seelisch gesund und ungebrochen kreativ zu bleiben, vor allem jene Beiträge, die sich mit der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur beschäftigen.

Die hier aufscheinende und wohl tatsächlich weit verbreitete Feuilleton-Abstinenz, ja der Feuilleton-Abscheu vieler Literaten wurzelt in einem tiefen Misstrauen gegenüber dem Feuilletonisten. Der etablierte Rezensent, insbesondere der Literaturredakteur ist in den Augen des argwöhnischen Autors nicht der literaturliebende Mittler zum Leser, sondern ein Betriebsagent, der mit obskuren Betriebsgeschäften zugange ist. So gesehen ist das Feuilleton keine allgemein zugängliche öffentliche Sphäre offener Diskurse. Der abseits bleibenden Literat glaubt einen verschlüsselten Buschfunk zu hören, der nicht in erster Linie zu den Lesern, sondern vor allem für andere Instanzen des Kulturbetriebs sendet. Der literarische Feuilletonist spricht zu anderen Feuilletonisten, zu den Werbeabteilungen der Verlage, zu Organisationen und kulturellen Institutionen, die im Zusammenhang mit Literatur Geld und andere Ressourcen verwalten. Dieses Feuilleton scheint vor allem mit Betriebspolitik beschäftigt, also mit Macht, mag sie, verglichen mit anderen Gesellschaftsbereichen, auch noch so gering sein.

Zur These verkürzt:
Dem durch seine Produktionsweise isolierten Literaten droht die Paranoia einer Betriebsverschwörungstheorie. Der Feuilletonist, selbst Opfer der Zwänge seines inzestuösen Geschäfts und der schwer vorhersehbaren Entwicklungen des kulturellen Feldes, wird dem Literaten als Projektion der eigenen Ängste zur tückischen Spinne im Netz. Diese Paranoia zehrt allerdings nicht selten von einem kleinen Kern schmerzhaft wahrer Erfahrung.


Zitat Nummer Drei:
"In Wirklichkeit streben diese Erzählungen zum Feuilleton ..."
Dies stand im vorletzten Satz der Besprechung meines letzten Erzählbandes in einer großen deutschen Wochenzeitung. Was will der Feuilletonist uns damit sagen? Der Zusammenhang verrät zumindest, dass dieser Drang ins Feuilleton, der meinen Erzählungen hier abgelesen wurde, eindeutig nicht zu ihren Gunsten spricht. Ja, dieses Streben scheint in den Augen des Rezensenten sogar der entscheidende Mangel der besprochenen Texte und führt nach manchem klug abwägendem Wort dazu, von der Lektüre solcher Literatur, die ja nur auf die flüchtigen Blätter der Gazetten will, abzuraten.

Nun ist der Ort, nach dem die Literatur also auf keinen Fall gieren darf, just die Stelle, von der der Feuilletonist spricht. Will er mir also sagen: Betreibe nicht mein Geschäft, es ist ein minderwertiges, der Literatur nicht ebenbürtiges. Oder meint er vielleicht: mach mir bloß meinen Platz nicht streitig, bei uns im Feuilleton geht es zur Zeit schon eng genug zu!

Dazu als dritte und letzte These:
Das deutsche Feuilleton wie die deutsche Literatur expandieren nicht mehr, sie sind nicht aggressiv ausgreifende, sondern in ähnlicher Weise regressive, um Raum ringende Sphären. Ihre symbolische Geltung und ihr Zugriff auf gesellschaftliche Ressourcen, vor allem auf die Ressource Aufmerksamkeit, sind in einem mehr oder minder sanften Rückgang begriffen. Den Literaten wie den Feuilletonisten quälen - und dies ist beiden Seiten peinlich - die gleichen Schrumpfschmerzen. Und die große Ähnlichkeit dieses Schrumpfens, die Gestaltverwandschaft der Schwindsucht, macht das Verhältnis zwischen Feuilletonist und Literatur heute so heikel.

Anders metaphorisch gesprochen: Die Flamme der Fackel, die uns, die Schreibenden, nährt und wärmt und verzehrt, ist kleiner geworden. Darunter jedoch muss die Qualität des Lichtes nicht zwangsläufig leiden.