Vom Nachttisch geräumt

Liebestanz oder Baumringe

Von Arno Widmann
18.12.2017. Helmut Böttiger in "Wir sagen uns Dunkles" über Liebe und Werk von Paul Celan und Ingeborg Bachmann.
Paul Celan (1920-1970) war schon lange tot, als ich davon erfuhr, dass er einmal eine Liebesgeschichte mit Ingeborg Bachmann (1926-1973) gehabt hatte. Das war eine mich und viele meiner Bekannten elektrisierende Nachricht. Celan galt uns als der bedeutendste deutschsprachige Dichter der Nachkriegszeit. Er war schließlich dazu von Adorno geweiht worden. Ingeborg Bachmann war die einzige, die ihm diesen Titel streitig machen konnte. So sahen viele von uns das damals Mitte bis Ende der 60er Jahre. Es hatte also zu einer Zeit, da wir kaum lesen gelernt hatten, eine Götterhochzeit stattgefunden. Der Literaturkritiker und Historiker der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, Helmut Böttiger, ist dieser Geschichte nachgegangen. Er hat sie so genau beschrieben, dass von meinen Fantasien vom seltenen Glück nur das selten übriggeblieben ist.

Die erste Begegnung Bachmann-Celan fand 1948 in Wien statt. Ingeborg Bachmann - "die Freundin bedeutender Männer" - war damals liiert mit dem Schriftsteller und Theaterkritiker Hans Weigel (1908-1991). Die Stärke von Böttigers Buch liegt darin, dass er den biografischen Fluss, die Erzählung vom Zusammenkommen und Auseinanderdriften, Wiederzusammenkommen und wieder Auf-Abstand-Gehen immer wieder unterbricht, um sich den Gedichten, den Texten zuzuwenden, die die beiden schrieben. Es gibt eine Literaturkritik, die besteht darauf, dass Gedichte aus Wörtern und nicht aus Empfindungen gemacht werden. Es mag Autoren geben, bei denen das stimmt, und es ist sicherlich mehr als verwegen, da, wo nichts als die Gedichte erhalten sind - Shakespeare zum Beispiel - , aus ihnen eine Biografie des Autors zu entwickeln, aber die Vorstellung, dass Texte Texte zeugen, ist aberwitzig.

Helmut Böttiger hängt ihr zu unserem Glück nicht an. Er liest Celans Gedicht "Corona" als Gedicht aus und über einen Moment seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann. Es erschien 1952 in dem Band, der Celans Ruhm begründete: "Mohn und Gedächtnis". Der Titel des Buches ist ein Zitat aus "Corona": "Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles, wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis, wir schlafen wie Wein in den Muscheln, wie das Meer im Blutstrahl des Mondes."

Der gelernte Interpret erklärt dem Leser, wie der Zauber entsteht, den diese Zeilen ausüben. Neben dem Geheimnisvollen, diesem "Wir sagen uns Dunkles" ist es das Sich-Umschlingen betonter und unbetonter Silben, ein Tanz, in dem die Liebenden sich nähern, sich trennen, um den Moment der Annäherung wieder zu erleben. Nein, da ist meine offenbar noch immer spätpubertäre Fantasie wieder mit mir durchgegangen. So steht es bei Böttiger nicht. Er schreibt: "Der Kreislauf, aus dem das Gedicht ausbrechen möchte, ist in ihm selbst gegenwärtig. Die ersten Zeilen werden von den letzten eingeholt in einem neuen Zyklus der Wiederkehr allerdings, so wie ein Baum immer neue Jahresringe ansetzt."

Helmut Böttiger, Wir sagen uns Dunkles - Die Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, Deutsche Verlagsanstalt, München 2017, 269 Seiten, sw Abbildungen, 22 Euro