Magazinrundschau - Archiv

Revista de Libros

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Magazinrundschau vom 10.07.2007 - Revista de Libros

Unorthodoxe Ansichten über Sinn und Zweck von Kunst- und Literaturkritik formuliert der Schriftsteller (und Kritiker) Alberto Fuguet (mehr hier) in seiner Kolumne: "Die Künstler und ihr Werk sind ein bloßer Vorwand, das Medium, um sich auf die Welt zu stürzen, auf den Stand der Dinge; wenn ein Künstler wirklich gut ist, wird er bewirken, dass derjenige, der über ihn schreibt, ihn gar nicht erwähnt, dafür aber schließlich von sich selbst spricht. Darum geht es vielleicht letzten Endes: im Autor Erinnerungen wachrufen, aufhören, ein Kritiker zu sein, und sich stattdessen in einen Leser verwandeln, der einfach Glück gehabt hat, dem man eine Tribüne zur Verfügung gestellt hat, von wo aus er Türen öffnet, statt Rollläden runterzuziehen. Wie wenige schaffen das."

Der spanische Schriftsteller Javier Cercas schreibt zum bevorstehenden vierten Todestag Roberto Bolanos: "Zu den größten Verdiensten Bolanos gehört es, literarischen Anekdoten, Legenden, Gerüchten eine geradezu epische Dimension verschafft zu haben, in der sämtliche Leidenschaften, das schwindelerregende Auf und Ab der menschlichen Existenz, einen überwältigenden neuen Ausdruck finden."

Magazinrundschau vom 24.04.2007 - Revista de Libros

Pünktlich zur Internationalen Buchmesse Bogota und zum Welttag des Buches untersucht der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro (s. a. hier) den State of the Art der schwarzen Kunst: "Entgegen McLuhans Prophezeiung hat das Bild nicht die absolute Herrschaft übernommen. Würde McLuhan in einem Cybercafe wieder zum Leben erweckt, müsste er annehmen, in ein seltsames Mittelalter versetzt zu sein, unter lauter Mönche, die vor Bildschirmen geheimnisvolle Texte zu entziffern versuchen. Die Technik hat sich also mit dem Alphabet verbündet. Auf geradezu mythologische Weise leben wir damit weiter in einer von Büchern geschaffenen Welt. Die wichtigsten Religionen halten ihrerseits an diesem Glauben fest. Lesen ist immer noch die erfolgreichste Methode, um abstrakte Vorstellungen zu übermitteln und das Unsichtbare - indirekt - sichtbar zu machen."

Magazinrundschau vom 03.04.2007 - Revista de Libros

Rafael Gumucio (mehr hier) beschäftigt die Frage, warum die Literatur die Götter braucht, und umgekehrt: "Die Literatur entstand, weil man eine Form benötigte, um das Göttliche auszudrücken, zu erklären, mit Sinn zu erfüllen. Goldene Tafeln, Wiederauferstehungen, Besuche im Paradies an der Hand des Erzengels Gabriel: Jede Religion beruht auf unglaublichen Geschichten, die mit Hilfe komplexer erzählerischer Verfahren glaubhaft werden müssen. In Literatur und Religion entscheidet einzig die Form, in der etwas erzählt wird, über Wahrheit oder Lüge des Erzählten. Zudem hat jede Religion ihre Lieblingsgattung: der griechisch-römische Pantheismus Epos und Tragödie, das Christentum Drama und Komödie, der Zen den Haiku, der Rationalismus die Geschichte, der Positivismus Soziologie und Roman, und unser heutiger Glaube an Fakten und Gefühle den Journalismus. Wie alle Religionen unterzieht unser Glaube an Statistik und Psychologie die alten heiligen Erzählungen einer Neulektüre - aber ohne Götter, Religion, Kontext. Nur nach ästhetischen oder sentimentalen Kriterien betrachtet, wird die Literatur allerdings bald zum bloßen musealen Objekt, das man im Glasschrank ausstellt. Solche niedlichen Dinge gehen dann schnell mal kaputt und werden ebenso schnell vergessen."

Magazinrundschau vom 20.02.2007 - Revista de Libros

"Kann ein Blog Literatur sein?", fragt sich der chilenische Schriftsteller und (mehrfach-)Blogger Alberto Fuguet. "Fernando Pessoa wäre der ideale Blogger gewesen, schon allein wegen seiner pathologischen Schüchternheit, seiner bald psychotischen, bald dreipoligen Heteronyme und seines fatalen Mangels an sozialen Kontakten. Kafka und Pavese hätten heutzutage höchstwahrscheinlich ebenfalls Blogs. Letztlich ist das der Unterschied: Bevor Max Brod sie veröffentlichte, konnte sich niemand in Kafkas Tagebücher einklinken; in den Blog von Alexander von Alexandria dagegen kann sich jeder einklinken, nur weiß keiner, dass es ihn gibt. Alexander von Alexandria ist weder der einzige Blogger noch der einzige Schriftsteller dieser Welt, geschweige denn ihr einziger Bewohner - trotzdem, und das ist das Faszinierende daran, kommt es ihm oder ihr so vor, und wahrscheinlich schreibt er oder sie auch genau deshalb so gut und so wahrhaftig inmitten der digitalen Nacht."
Stichwörter: Brod, Max, Pessoa, Fernando

Magazinrundschau vom 19.12.2006 - Revista de Libros

Alvaro Bisama stellt fest, dass die chilenische Literatur sich ihres größten Dämons noch längst nicht bemächtigt hat: "Bis heute ist Augusto Pinochet das unbewältigte Ungeheuer des chilenischen Romans. Natürlich gibt es einige Romane, in denen er auftaucht, aber selbst in den besten - 'Casa de Campo' von Jose Donoso, 'Nocturno de Chile' von Roberto Bolano (erscheint auf Deutsch im Februar 2007) - bleibt er eine Randfigur, nirgends steht er im Zentrum der Erzählung. Es ist genau wie bei Franco, den Pinochet bewunderte: Niemand war imstande, von ihm zu erzählen, keiner brachte den Mut dazu auf."

Rafael Gumucio ist hingerissen von Adolfo Bioy Casares' soeben posthum erschienener 1600 Seiten starker Biografie seines Busenfreundes Jorge Luis Borges: "Ein monströses, erschöpfendes, absurdes, aber irgendwie auch heroisches und unglaublich befreiendes Buch. Denn darin tummeln sich die beiden unbekümmert wie zwei riesige vergnügte Kindsköpfe. Vorbild war ganz offensichtlich James Boswells 'Life of Johnson'. Darüber, dass Boswell - wie Bioy weiß - gemeinhin als der größte Narr der englischen Literatur betrachtet wird, dürfte Bioy sich durch die Tatsache hinwegtrösten, dass Johnsons Werk - seinerzeit bewundert als Gipfel angelsächsischer Intelligenz - heute vor allem in Boswells Biografie fortlebt."

Magazinrundschau vom 06.06.2006 - Revista de Libros

Der vor einiger Zeit von El Pais geschasste spanische Literaturkritiker Ignacio Echevarria bricht eine Lanze für das aussterbende Genre der literarischen Polemik: "Wovon sprechen wir, wenn wir von Literatur sprechen? Nachdem die wohlerzogenen jungen Schriftsteller, wie von Roberto Bolano noch zu Lebzeiten treffend beschrieben, heute weniger Wert auf die Anerkennung durch ihresgleichen als auf Anerkennung durch die politischen Instanzen (egal welcher Couleur) und, durch diese vermittelt, auf die Anerkennung durch das Publikum, soll heißen: die Buchkäufer legen, ist jede Form von Streit oder Polemik zwischen Schriftstellern, mag deren Anlass auch scheinbar nichtig sein, nur zu begrüßen: Schließlich verweist ein solcher Disput darauf, dass, jenseits des Marktes und über alle noch so erbärmlichen persönlichen Motive hinaus, immer noch ein schmales Terrain der Repräsentation existiert, von dem aus die Literatur Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs nimmt; darum zu streiten ist manchen Schriftstellern offenbar weiterhin der Mühe wert."

Magazinrundschau vom 28.03.2006 - Revista de Libros

Lobende Worte findet Juan Villoro in seiner Kolumne zu einer neuen Einrichtung im Flughafen-Express von Heathrow in die Londoner City: ein Abteil, in dem die Handy-Benutzung verboten ist: "Ich weiß, ich bin neurotisch. Ich weiß, andere sind es auch. Die englische Kultur mit ihrer großen Wertschätzung der Intimsphäre erweist einmal mehr Menschen mit Ohren ihren Respekt." Zu Villoros anfänglicher Irritation, späterer Freude traf er ausgerechnet hier auf eine Gruppe Taubstummer, die sich fröhlich lachend mit den Händen unterhielten: "Nach meiner Flucht vor den Stimmen der anderen hätte ich sonst etwas dafür gegeben, diese stummen Stimmen zu verstehen. Als wir in London ankamen, schienen die Taubstummen meine Isolation zu bemerken. Sie verabschiedeten sich mit Gesten und überreichten mir einen Apfel. Ich hatte keinen Hunger, aber ich nahm ihn an, als wäre er ein Wort ihrer Sprache."

Außerdem ein Interview mit dem spanischen Pfarrer und Bestseller-Autor historischer Romane Jesus Sanchez Adalid: "In meinem Dorf bin ich glücklich. Ich möchte unbedingt Dorfpfarrer bleiben. Das bedeutet in keiner Weise ein Opfer für mich. In meinem Dorf wird ständig gefeiert. Die Umgebung ist wunderschön, die Leute sind freundlich. Ich traue mich kaum, das so zu sagen, weil alles einfach viel zu schön ist."

Magazinrundschau vom 14.02.2006 - Revista de Libros

In seiner Kolumne denkt der chilenische Schriftsteller und Journalist Rafael Gumucio (mehr hier) über den Unterschied zwischen Lüge und Fiktion nach: "Die subtile Unterscheidung dieser beiden Konzepte, der geheime Gegensatz zwischen diesen scheinbar identischen Begriffen, ist eine der größten Errungenschaften des Westens. Einmal mehr an dem Wettstreit zwischen ihnen teilzuhaben und mit Gewinn daraus hervorgehen zu dürfen, ist unsere große Hoffnung, wenn wir uns daran machen, einen Roman zu lesen: einmal mehr spielerisch in Frage stellen, was man erzählen kann und wie man erzählen soll. Vielleicht sind wir aber durch ein Zuviel an politischen, historischen und patriotischen Fiktionen der Legenden überdrüssig geworden ... vielleicht sind wir durch Fernsehen und Kino einem derartigen Dauerbeschuss mit Fiktion ausgesetzt, dass wir es uns angewöhnt haben, allzu subtile Urteile über die Fiktion zu fällen, Gourmets, die sich nicht mehr ohne Murren alles vorsetzen lassen - erst recht nicht, wenn es von der Hand der selbstherrlichen Schriftsteller stammt, die uns das 20. Jahrhundert über mit ihrem Ego bombardiert haben."
Stichwörter: Gumucio, Rafael

Magazinrundschau vom 24.01.2006 - Revista de Libros

"Wovon wir reden, wenn wir von Liebe reden" - diesem Geheimnis, das u. a. dem wohl bekanntesten Erzählungsband Raymond Carvers den Titel gab, geht der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro in seiner Kolumne für die aktuelle Ausgabe der chilenischen Revista de Libros nach. Mithilfe einer amüsanten Anekdote illustriert er die These, dass "zu den kulturellen Beschränkungen des männlichen Geschlechts die Unfähigkeit gehört, in gelungenen, originellen Sätzen seine Liebe auszudrücken. Die Lyrik der Troubadoure, die mittelalterlichen Turniere, die Boleros und Serenaden wurden entwickelt, um dieser offensichtlichen männlichen Schwäche abzuhelfen. Meines Wissens gibt es bislang keine Web-Site, die Männern Hilfe bei ihren Ausdrucksschwierigkeiten bietet. Weshalb wissen Frauen auf wundersame Weise immer, was sie zu sagen haben? Es besteht dringender Bedarf an einer modernen Methode, die die Partner einer Beziehung in dieser Hinsicht auf gleiches Niveau bringt."
Stichwörter: Villoro, Juan

Magazinrundschau vom 22.11.2005 - Revista de Libros

"Sterile Väter: Borges und Nabokov." Der chilenische Schriftsteller und Journalist Rafael Gumucio hat ein wunderbar melancholisches Pamphlet gegen zwei Hausgötter (nicht nur) lateinamerikanischer Literaten verfasst: "Ihre Werke sind groß, ihr Einfluss verheerend, denke ich in manchen Nächten. Beide versichern sich, dass das Gesetz, das die Welt regiert, undurchschaubar und niemandes Seele zugänglich sei, dass die Gesellschaft sich weder verändern noch bewahren lässt. Ihre heutigen Epigonen bedienen sich ihrer Manien, aber das Eigentliche entgeht ihnen. Aus Borges' Schamhaftigkeit haben wir uns einen Allerweltspuritanismus zurechtgezimmert, um uns nie eine Blöße geben zu müssen, Nabokovs Lügen haben wir zu unseren Wahrheiten gemacht. So viele Treffer ohne Gewissheit, soviel Spiel ohne Spaß, da wird mir zuweilen ganz schwindlig, angst und bange. Denn so sehr wir uns auch verschworen haben und es bestreiten: die Erde dreht sich weiter, und nach all den literarischen Spielen und dem großtuerischen Skeptizismus haben wir immer noch Hunger und Durst."
Stichwörter: Borgen, Gumucio, Rafael