Andreas Dorschel
überlegt, warum sich heute eine Basisgruppe für das Studierendenparlament allein mit den Behauptungen empfiehlt, sie sei "antirassistisch, antifaschistisch, antiableistisch, antisexistisch, (queer-)feministisch, antiheteronormativ, klimagerecht, kapitalismuskritisch und emanzipatorisch". Warum, fragt er, steht denn
die Gesinnung auf einmal wieder so hoch im Kurs? "
Ziele, Zwecke, praktische Vorteile, Interessen, der Verweis auf Erreichtes oder auf bestimmte Missgriffe derer, die bisher die Positionen innehatten - nichts davon wäre ohne Weiteres mit einer Gesinnung gleichzusetzen. Im Vergleich des einen mit dem anderen erscheint die Emphase der Gesinnung als
Position des Rückzugs. Denn die Gesinnung hält sich nach Max Weber grundsätzlich für unbelangbar, was den Erfolg von Handlungen angeht. Weder lässt sich an der Gesinnung der Erfolg ablesen, noch am Erfolg die Gesinnung. Zur Frage des Erfolgs hat die Gesinnung vornehmlich eine Auskunft parat: Alles würde gut werden, wenn jeder und jede die richtige Gesinnung hätte, zum Beispiel, wenn es auf Erden keine Rassisten mehr gäbe. Die Gesinnung feiert
Triumphe im Konjunktiv."
Der
Soziologe Andreas Reckwitz hat mit seiner Deutung einer
krisenhaften Mittelschichtsgesellschaft großen Einfluss gewonnen. Reckwitz zufolge spaltet sich die Mittelschicht in eine alte, die von Facharbeit und Nationalstaat geprägt ist, sowie eine neue, die - von Universität und kosmopolitischem Lebensstil geprägt - kulturell den Ton angibt. Nils C. Kumkar und Uwe Schimank
finden Reckwitz' Theorie schon deshalb suspekt, weil sie so viel Anklang findet. Und auch seine unrevolutionären Lösungsvorschläge behagen ihnen nicht: "Es geht um die
politische Re-Regulierung eines aus dem Ruder gelaufenen kulturellen und ökonomischen Liberalismus. Etwas konkreter heißt das etwa, es bedürfe eines 'neuen Gesellschaftsvertrags', der die Menschen nicht länger in Erfolgreiche und Versager unterteilt, sondern 'die gesellschaftliche Notwendigkeit gleichermaßen aller Tätigkeiten prinzipiell anerkennt'. Auch die staatliche Bereitstellung vieler Infrastrukturen - nach einer Ökonomisierungs- und Privatisierungspolitik - müsse revitalisiert werden, und angesichts des Ausmaßes kultureller Heterogenität müsse eine '
Arbeit an kulturellen Grundwerten und einer von allen geteilten kulturellen Praxis' geleistet werden. Es ist nicht so, dass Reckwitz sich diese Aufgaben einfach vorstellt - aber dennoch in der entscheidenden Frage, wer denn die Koalition der Träger dieser Re-Regulierung sein könnte, viel zu einfach, wenn er die 'Chance' erblickt, dass es einen 'aufgeklärten und selbstkritischen Teil' der 'neuen Mittelklasse' gibt, mit dem sich 'Teile der alten Mittelklasse sowie der prekären Klasse' verbünden könnten. Genauer wird er nicht, und hätte er es versucht, wäre ihm sicher selbst aufgefallen, dass ein solcher 'historischer Kompromiss'
ein Luftschloss ist. Ganz abgesehen davon, dass Reckwitz hier nur der 'neuen Mittelklasse' die
Fähigkeit zur Selbstkritik zuspricht, während die anderen beiden Klassen offenbar - drastisch formuliert - so tumb, wie sie sind, genommen werden müssen (ein Angehöriger der 'alten Mittelklasse' müsste hier berechtigterweise einwenden: Noch in der Selbstkritik überheblich!)."