Magazinrundschau - Archiv

Le Figaro

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Magazinrundschau vom 01.07.2008 - Figaro

In einem kleinen Essay fragt sich Jean-Luc Marion, Philosophieprofessor in Paris und Chicago, ob auch der Sport ebenso wie Kulturen sterblich sei. Seine in Teilen durchaus nachvollziehbare These kündet vom Ende des Sports und vom Ende des Helden in der Arena. Nicht nur Kommerz sowie ökonomische und politische Aspekte hätten den Sport verzerrt, auch der zentrale Begriff der Identifikation sei ins Wanken geraten. Die Entwicklung seiner modernen Gestalt Ende des 19. Jahrhunderts beruhe auf dem Paradox, dass er aus "körperlicher Anstrengung zum Vergnügen, vor allem dem der Zuschauer" bestehe. "Alles hängt daher an dieser Identifikation. Und diese Identifikation ist heutzutage radikal gefährdet durch die zunehmende Internationalisierung der Sportler: die Bosman-Entscheidung, Mannschaften quasi ohne nationale Spieler (Chelsea etwa hat fast keine englischen Spieler mehr), missbräuchliche Einbürgerungen et cetera machen diese Übertragung immer schwieriger." Seine Prophezeiung: "Wir werden zu Sportliebhabern ohne Sport. Endlich frei." Das hätte man mal den 600.000 auf der Berliner Fanmeile mitteilen sollen!
Stichwörter: Chicago, Einbürgerung

Magazinrundschau vom 26.02.2008 - Figaro

In einem Gespräch erklärt der italienische Diplomat Maurizo Serra, weshalb er in seinem Essay "Les freres separes - Malraux, Aragon, Drieu face a l'histoire" den Gaullisten, den Kommunisten und den Faschisten als eine zusammengehörende Gruppe porträtiert. "Es sind drei Persönlichkeiten mit sehr starken Affinitäten, die als wechselnde Strömungen wiederkehrten. Denken Sie an die Zeichnung auf dem Umschlag meines Buchs. Am Ende seines Lebens hat Aragon, der den Namen Drieu seit dreißig Jahren öffentlich nicht mehr ausgesprochen hatte, es für nötig befunden, ein Porträt seines Jugendfreunds Drieu zu zeichnen. Was Malraux angeht, so hat dieser viel dafür getan, dass Drieu bei Gallimard neu aufgelegt werden konnte. Vereinfachungen drängen sich auf, sind jedoch zwangsweise reduzierend. Der Eine erklärt sich nicht allein durch Faschismus, der andere nicht allein durch Stalinismus und der Dritte nicht ausschließlich durch Gaullismus. Drieu, Aragon und Malraux durchdringen die gesamte französische und europäische Ideologie des 20. Jahrhunderts."

Magazinrundschau vom 09.10.2007 - Figaro

Unter der Überschrift "Zwei Berichte zur gleichen Geschichte" stellt der deutsche Historiker Ernst Nolte, Auslöser der Historikerstreits, die Erinnerungsbücher von Günter Grass ("Beim Häuten der Zwiebel") und Joachim Fest ("Ich nicht") an ihre Jugend in der Nazizeit vor und resümiert am Ende - für einen Historiker recht überraschend: "In 50 Jahren, wird man auf die Frage, wie die Deutschen (und Vertreter einiger anderer Nationen) den Rätseln und Schrecken der Geschichte des 20. Jahrhunderts gegenüber standen, antworten, dass niemand befugt ist, sich zu äußern, ohne die Bücher von Günter Grass und Joachim Fest gelesen zu haben."

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit Norman Mailer, dessen Roman "Das Schloss im Wald" (Langen Müller), in dem er versucht, den Wurzeln des Bösen über die Erforschung von Hitlers Kindheit beizukommen, nun auch in Frankreich erscheint.

Magazinrundschau vom 14.08.2007 - Figaro

Die Historikerin Elisabeth G. Sledziewski beklagt auf den Meinungsseiten des Figaro, dass die Franzosen über den Warschauer Aufstand, dessen 63. Jahrestag gerade begangen wird, so gut wie gar nichts wissen - meistens verwechseln sie ihn mit dem Aufstand des Warschauer Ghettos 16 Monate zuvor: "Diese Verwechslung ist Teil einer viel tieferen Unkenntnis über den Krieg in Polen, von dem die Franzosen nur eine Dimension - die Vernichtung der Juden - in Erinnerung behalten haben. Diese Ignoranz grenzt an eine Leugnung der historischen Realität, die in der Vernichtung der Aufständischen von 1944 nach fünf Jahren barbarischer Besetzung durch die Nazis und im zynischen Verrat des stalinistischen 'Verbündeten' bestand. Als würde der Schrecken der Shoah im besetzten oder beziehungsweise annektierten Polen den Leidensweg der seit dem 1. September 1939 in Sklaverei gehaltenen polnischen Nation als ganzer auslöschen. Die Polen verstehen diese Leugnung nicht und leiden darunter."

Magazinrundschau vom 05.06.2007 - Figaro

Wird die Wissenschaft den Atheismus widerlegen? Diese Frage diskutieren der Philosoph Andre Comte-Sponville (mehr hier) und der Mathematiker, Paläontologe und Gründer der Universite interdisciplinaire de Paris, Jean Staune ("Notre existence a-t-elle un sens?", Auszug) in einem lebhaften Gespräch. Mit Verve widerspricht Comte-Sponville darin der These Staunes, die Philosophie lasse sich ohne Wissenschaft gar nicht denken. "Das ist eine Platitüde oder ein Irrtum! Aristoteles und Epikur sind unendlich erhellender als mein Freund Jean Staune. Schlicht, weil es auf der Ebene der Metaphysik keinen Fortschritt gibt. Das heißt, die großen Metaphysiker sind per Definition unüberschreitbar. Die Wissenschaft des Vergangenen ist eine überlebte Wissenschaft. Die großen Philosophien werden niemals von der Wissenschaft widerlegt werden: Sie bleiben lebendig." Staune hält dagegen: "Aber die Wissenschaft wirft all die philosophischen Konstruktionen über den Haufen, die auf der Vorstellung basieren, das Universum sei 6000 Jahre alt oder die Erde sei das Zentrum der Welt. Meiner Auffassung nach gilt das auch für die Philosophien, die auf der ausschließlichen Selbsterhaltung der Materie basieren, was sowohl die gegenwärtigen als auch vergangenen Systeme in Frage stellt."

Magazinrundschau vom 20.03.2007 - Figaro

Der Historiker Max Gallo und der Essayist Alain Finkielkraut legen beide neue Bücher vor, in denen sie sich mit der französischen Identität auseinandersetzen (Gallo: "L'Ame de la France", Fayard; Finkielkraut: "Qu'est-ce que la France?", Stock). In einem Gespräch reden sie über ihre Thesen, ein neubelebtes Interesse an der Demokratie und die Bedeutung der Nation. Dazu meint Finkielkraut: "Die Nation ist der Sockel der Demokratie. Wir haben ein perfektes Gegenbeispiel im Irak. Die amerikanische Intervention war verheerend, weil die Amerikaner geglaubt haben, man könne die Demokratie in eine nicht-nationale Gesellschaft einführen. (...) Sie haben die infernalischen Kräfte eines Bürgerkriegs entfesselt. So weit sind wir in Frankreich noch nicht, aber es ist nicht mehr das nationale Gedächtnis, das die Alltagswelt formt, sondern das Fernsehen." Der Linkspatriot Max Gallo will dagegen "nicht ganz schwarz" sehen für die Nation: "Wir wissen ja heute, dass die europäische Konstrutkion nur eine oligarchische Konstruktion ist. Also ist für die Nationen noch nicht alles verloren. Man muss nur wollen."
Stichwörter: Finkielkraut, Alain, Irak

Magazinrundschau vom 30.01.2007 - Figaro

In einem kurzen, aber sehr unterhaltsamen Interview kritisiert der Wegbereiter der "Nouvelle Cuisine" Paul Bocuse deren Auswüchse ("Nichts auf dem Teller, dafür alles auf der Rechnung") und zieht über moderne Kochtechniken her. Auf die Frage, was an der modernen Küche am stärksten ablehne, antwortet er: "Den Stickstoff. Der interessiert mich überhaupt nicht. Und übrigens auch diese Küche nicht, wo man erklären muss, was auf dem Teller liegt, und die einem vorschreibt, in welcher Reihenfolge man etwas zu probieren habe. Das ist überhaupt nicht mein Ding. Ein Thermometer für die richtige Fleischtemperatur? Ich ziehe jene Zeit vor, in der man die Garzeit noch gerochen und erspürt hat, und an der Ofenhitze merkte, ob man noch Kohle nachlegen musste oder nicht. Der Handgriff und der Instinkt, das sind doch die schönen Dimensionen unseres Berufs."

Und in einem weiteren Interview bekennt der österreichische Dirigent und Bachexperte Nikolaus Harnoncourt, dass er gerne einmal Gershwins "Porgy and Bess" dirigieren würde. "Aber Simon Rattle, mit dem ich darüber gesprochen habe, hat mir erklärt, dafür hätte ich nicht den richtigen Pass?"

Magazinrundschau vom 23.01.2007 - Figaro

Anlässlich eines neuen Buchs über Martin Heidegger, herausgegeben von Francois Fedier ("Heidegger a plus forte raison", Fayard, hier die Besprechung des Buchs), entspinnt sich in Frankreich offenbar erneut eine Debatte über den deutschen Philosophen. Im Zentrum steht dabei meist Heideggers politische Position zum Nationalsozialismus und die Frage, ob er nun zu "verteufeln" oder zu "kanonisieren" sei. In einem beigestellten Interview gibt der Philosoph Remi Brague, Mitautor des 2005 bei Cerf erschienenen Buchs "Heidegger", eine recht interessante Antwort auf die Frage, ob das neue Buch eben jenen Aspekt der Debatten beenden könne: "Das würde mich überraschen. Zum einen, weil es eine zeitraubende Aufgabe ist, den Kontext wieder herzustellen, zu versuchen zu verstehen, die Irrtümer zu ermitteln und die Fehler zu sehen, die Heidegger selbst zugegeben hat. Zum anderen, weil diese Polemiken fast alle 20 Jahre periodisch wiederkehren. Jedermann zieht Nutzen daraus, nicht nur die Verleger und Journalisten. Sie nützen den Autoren: Wenn man unfähig ist, ein Buch zu schreiben, kann man immer noch Heidegger angreifen. Und sie nützen den Lesern: Ist ein Denker erst einmal diskreditiert, kann man sich die Mühe sparen, ihn genau zu lesen und sich den entscheidenden Fragen zu stellen, die er aufwirft."
Stichwörter: Heidegger, Martin, Jedermann

Magazinrundschau vom 09.01.2007 - Figaro

In Frankreich bereitet man sich auf die Präsidentenwahl vor, deren erster Wahlgang am 22. April ansteht. Der Figaro bringt dazu nun wöchentlich Beiträge von Intellektuellen und Politikern, die das Verhältnis der Franzosen zur Politik ausloten sollen. In dieser Woche denkt der Philosoph und ehemalige französische Erziehungsminister Luc Ferry über das Verhältnis von Politik und Privatleben nach und benennt als Haupttendenz, dass die "Politik immer mehr zum Lebenshelfer für den Alltag wird und nicht umgekehrt". Ferry begrüßt das: "Nach meiner Überzeugung bedeutet die Sakralisierung der Privatsphäre als Hauptsinn des Lebens, die wir heute erleben, keineswegs einen 'Rückzug in den Individualismus', wie viele mit enttäuschter Herablassung konstatieren, sondern im Gegenteil eine ungeheure Erweiterung des Horizonts: die Wahrheit eines endlich zur Reife gelangten Humanismus und nicht sein Abdriften in den 'liberalen Egoismus'."

Zum gleichen Thema untersucht der Soziologe Dominique Wolton die Frage, ob die Franzosen von der Politik abgestoßen oder fasziniert sind.

Magazinrundschau vom 19.12.2006 - Figaro

In einem Kommentar ärgert sich Francois Simon, Restaurantkritiker des Figaro, angesichts der Internationalität etwa der Slow Food-Bewegung über die Arroganz und Selbstbezüglichkeit der Franzosen, was ihre Essgewohnheiten angeht. "Auf dem Gastronomiesektor herrscht hierzulande eine derartige Selbstzufriedenheit, dass die gesamte Welt von unserer Selbstbeweihräucherung ausgeschlossen scheint. Einträchtig quittiert unser Land bolivianische Nüsse oder die argentinische Yakon-Wurzel mit einem verächtlichen Seufzer des Desinteresses. Mit köstlich altmodischer Großmäuligkeit fordern wir in unserem lieblichen Land die ganze Welt heraus. Ja, wir waren einmal Weltmeister der Gastronomie. Wir haben uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht. Und in der Zwischenzeit sind der Welt die Augen aufgegangen. Nachdem sie uns bewundert hat, hat sie sich an die Arbeit gemacht. Heute kann man auf der ganzen Welt göttlich speisen."
Stichwörter: Gastronomie, Slow Food