Magazinrundschau - Archiv

L'Express

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Magazinrundschau vom 27.06.2006 - Express

"Georgien muss Russland vergessen!", erklärt in einem Interview die ehemalige französische Botschafterin in Tiblis Salome Zourabichvili, die nach der Rosenrevolution 2004 zur Außenministerin Georgiens bestellt, bereits 2005 wegen "Kritik am georgischen Parlament" aber wieder abberufen wurde. Die dafür Verantwortlichen hätten zu dem von Ex-Präsident Eduard Schewardnadse eingesetzten "System" gehört, für das sie "das sichtbarste und unerträglichste Element der Regierungsmannschaft" gewesen sei. Die alten kommunistischen Strukturen haben überlebt, indem sie sich unter Schewardnadse in ein 'weiches' totalitäres Regime verwandelt haben, und sie sind sehr mächtig." Aufgrund des "gesetzlichen und steuerlichen Durcheinanders" werde der Einzelne in der Illegalität gehalten und sei vollkommen wehrlos gegenüber dem Staat. Auf die Frage nach der politischen Priorität für Georgien antwortet Zourabichvili: "Einen Rechtsstaat errichten, das ist der einzige Weg, das Land von totalitären Relikten zu befreien und die Wirtschaft anzukurbeln."

Magazinrundschau vom 13.06.2006 - Express

Muss Karl Marx angesichts der Globalisierung als "Pionier des modernen Denkens" gelten? Diese Frage diskutieren zwei, die davon überzeugt sind: Der englische Historiker Eric Hobsbawm, "unerschütterlicher Kommunist" und Experte des 20. Jahrhunderts, sowie der Ökonom und ehemalige Mitterand-Berater Jacques Attali, der im vergangene Jahr das Buch "Karl Marx ou l'esprit du monde" (Fayard) veröffentlicht hat. Hobsbawm diagnostiziert ein neues "überraschendes Interesse" an Marx, das er ganz natürlich findet: "Wir sind heute mit einer globalisierten Ökonomie konfrontiert, die Marx vorweggenommen hat. Allerdings hat er einige ihrer Auswirkungen nicht vorhergesehen. Beispielsweise ist die marxistische Prophezeiung, wonach in den Industrieländern ein immer zahlreicher werdendes Proletariat den Kapitalismus kippen werde, nicht eingetreten." Und Attali meint: "Mit der Sozialistischen Internationalen hat Karl Marx einen bemerkenswerten Versuch gestartet, die Welt in ihrer Gesamtheit zu denken. Er ist ein außerordentlich moderner Denker, weil seine Schriften nicht die Umrisse eines sozialistisch organisierten Staates zeichnen, sondern des Kapitalismus der Zukunft."

Magazinrundschau vom 02.05.2006 - Express

Der Philosoph Tzvetan Todorov hat für die Bibliotheque nationale in Paris eine Ausstellung über die Aufklärung konzipiert - "Lumieres! Un heritage pour demain" - in der unter anderem die Originalausgabe von Kants "Kritik der Urteilskraft" zu sehen ist. In einem Essay dekliniert Eric Conan aus diesem Anlass einige Kerngedanken der Aufklärung durch, die laut Todorov seit dem 11. September bedroht sind. Im Gegensatz zu den Protagonisten der Aufklärung, so Conan, die ihre Feinde zu erkennen wussten, glaube Europa etwa , "es reiche zu versichern, man habe keine Feinde, damit sie verschwinden. Die Texte und Briefe der Akteure der Aufklärung bezeugen ihre Beunruhigung und Aufmerksamkeit gegenüber allem, das sich ihren Überzeugungen entgegen stellt. Die eigentliche Schwäche der europäischen Gesellschaften besteht darin, regelmäßig ihre ureigenen Werte (Verhandlung, Befreiung, Vernunft und Demokratie) auf jene zu projizieren, die sie verneinen. Ob es sich um die Politik der 'Beschwichtigung' gegenüber dem Nazismus oder die des Pazifismus gegenüber dem sowjetischen Block handelt: die Tendenz, blind gegenüber der Realität oder der Gefährlichkeit ihrer Feinde zu sein, scheint als das Gegenteil eines europäischen Selbstvertrauens, das aus einer Mischung von universeller Arroganz und naiver Gedankenlosigkeit besteht."
Stichwörter: Pazifismus

Magazinrundschau vom 11.04.2006 - Express

In einem kleinen Essay denkt der Wissenschaftler, Schriftsteller und ehemalige Mitterand-Berater Jacques Attali über das Phänomen Sudoku nach. Das schnell süchtig machende Zahlengrübelspiel sage viel darüber aus, wer wir seien: "Es ist das globale Spiel schlechthin: Es setzt keinerlei Sprachkenntnisse voraus, nicht einmal Rechenkenntnisse, weil man es auch so spielen kann, dass man die Zahlen durch verschiedene Zeichen oder Buchstaben ersetzt. Es ist auch ein vielseitiges Spiel, perfekt für unterwegs und ideal, um auf 'nomadische Objekte', Spielbretter oder Handys übertragen zu werden. Außerdem ist es ein Spiel für den Einzelnen, das dem, der sich ihm hingibt, das beruhigende Vergnügen verschafft, durch sich steigernde Anstrengungen in wenigen Minuten ein Rätsel zu lösen. Es ist letztlich und vielleicht vor allem aufschlussreich für die grundlegende Angst unserer Gesellschaften: vor der Unordnung und der Leere; Sudoku vermittelt die Gelegenheit, Ordnung zu schaffen, alles an seinen Platz zu räumen und dem Durcheinander der Realität zu entfliehen. Insgesamt ist dieses Spiel ein Hinweis darauf, was aus uns zu werden droht: eine Ansammlung von Egoisten, Autisten, Konservativen und Verängstigten, die aus der Welt in einen virtuellen Zahlenraum flüchtet."
Stichwörter: Attali, Jacques

Magazinrundschau vom 04.04.2006 - Express

In einem Gespräch diskutieren der Psychoanalytiker und Anthropologe Malek Chebel ("L'Islam et la Raison", Perrin) und der Philosoph und Islamwissenschaftler Jean-Paul Charney die Frage, ob und inwiefern der Islam kompatibel mit der Moderne ist. Charney hat seine Zweifel. Der Haupthinderungsgrund ist für ihn "die Bedeutung, welche die Muslime ihren Dogmen beimessen. In Europa und andernorts, bedeutet der Koran für eine überwältigende Mehrheit von ihnen das Wort Gottes selbst, das von den Menschen zu ihrem Heil verbreitet wird. Im Gegensatz zur Bibel, die von Menschen geschrieben wurde, ist der Koran unantastbar, unaufhebbar und nichts kann sich ihm widersetzen." Chebel dagegen hält den Islam für reformierbar, er müsse nur "Ballast" abwerfen, der problematisch sei, wie die Prügelstrafe oder die Unterdrückung der Frau. "Das ist heute nicht mehr tolerierbar."
Stichwörter: Paul, Jean

Magazinrundschau vom 28.03.2006 - Express

In seiner Interviewserie im Vorfeld der israelischen Parlamentswahlen am 28. März erläutert in dieser Woche der israelische Schriftsteller Amos Oz seinen Standpunkt, wonach man die "Trennung" der beiden Völker und nicht die "Aussöhnung" unterstützen sollte. Zur Frage nach der wahren Natur des israelisch-palästinensischen Konflikts meint er: "Das ist kein Krieg der Kulturen und auch keiner der Religionen, auch wenn gewisse Leute sich wünschen, dass es so wäre. Die alleinige Frage, um die es geht, ist: Wem gehört das Land? Unser Land ist winzig klein. Beide Völker sind zu Recht dort. Wer könnte behaupten, dass die Palästinenser dort nicht zu Hause sind? Das sind sie, genauso wie die Holländer in Holland. Und wer könnte behaupten, dass die Juden nicht ebenfalls ein Recht auf dieses Land haben? Es ist ihre einzige und eindeutige historische Heimat, es hat nie eine andere gegeben. In dieser Sache gibt es keine Guten und Schlechten, wie die Europäer gerne glauben. Das ist kein Western, kein Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Es ist eine echte Tragödie, das bedeutet, ein Konflikt zwischen Anrecht und Anrecht."

Magazinrundschau vom 14.03.2006 - Express

Anlässlich der bevorstehenden Wahl in Israel am 28. März startet L'Express eine Interviewserie. Den Beginn macht Haim Gouri, ein bekannter israelischer Lyriker, Schriftsteller, Journalist und Dokumentarfilmer. Der 1923 in Tel Aviv geborene Sohn russischer Juden gibt darin Auskunft über seine Kindheit und Jugend im jungen Staat Israel, seinen zionistischen Traum und die gegenwärtige Realität. Über seine Teilnahme am Sechstagekrieg 1967 erzählt er: "... auf dem Weg nach Norden war alles wie ausgestorben. Auf den Dächern wehten weiße Fahnen und die Menschen hatten sich hinter den Mauern verkrochen. Am Wegrand sah ich eine junge arabische Frau, ganz in Schwarz, sehr schön, wie erstarrt und unter Schock. Es war, als wollte sie mir sagen: 'Ich bin hier, und ich bin euer Problem.' Das war die brutale Rückkehr der Wirklichkeit: Unsere beiden Völker sind aneinander gebunden, man kann sie nicht voneinander trennen, aber man kann sie auch nicht vermischen." Seinen alten Traum von einem Staat, in dem Israelis und Araber zusammen leben, hält er heute für "nicht realistisch. Wir müssen uns trennen. Zwei Staaten für zwei Nationen." Die Serie wird in der kommenden Woche mit dem israelischen Historiker und Politologen Ilan Greilsammer fortgesetzt.

Magazinrundschau vom 17.01.2006 - Express

Der französische Wirtschaftsanwalt und Essayist Nicolas Baverez, Autor der in Frankreich heftig diskutierten Polemik "La France qui tombe: un constat clinique du declin francais" (Perrin), legt dieser Tage ein neues Buch vor: "Vieux Pays, siecle jeune" (Perrin, dort heißt es allerdings "Nouveau monde vieille France"). In einem Interview erläutert er seine Kernthese, wonach das 21. Jahrhundert durch das Ende des Kalten Krieges mit einem "Urknall der Geschichte" begonnen habe, durch den sich "mehrere Kreise geschlossen" hätten. Allerdings hätte der Verlust von Feinden die Demokratien "eingelullt" und "unbewusst" dazu verführt, die Welt "auf Autopilot" zu schalten. "Das Erwachen war brutal: der Börsenkrach 2000, Terroristenanschläge in New York, Madrid und London, Kriege wie am Fließband in Afghanistan und im Irak... Wir wollten nicht zugeben, dass der Planet von ständiger Gewalt, Krisen und revolutionären Aufbrüchen erschüttert wird. Am Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Regierenden versucht, der Welt mit der UNO und den Beschlüssen von Bretton Woods neue Strukturen zu geben. Eine vergleichbare Umgestaltung hätte man am Ende des Kalten Krieges ebenfalls vornehmen müssen, aber die Demokratien haben sich damit begnügt, die Dividenden des Friedens unter sich aufzuteilen. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert standen sie dann da: wehrlos angesichts des Schocks einer sich überschlagenden Geschichte und mit entrechteten Institutionen, ratlosen Bürgern und erschütterten Werten."
Stichwörter: Irak, UNO, Unbewusste

Magazinrundschau vom 06.12.2005 - Express

Der französische Starjournalist Pierre Pean, der einst durch die Aufdeckung von Francois Mitterrands Vichy-Vergangenheit berühmt wurde, hat ein Buch über das Attentat auf den ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana in Jahr 1994 geschrieben, in dessen Folge Hunderttausende Tutsi von Hutu abgeschlachtet wurden ("Noires Fureurs, Blancs menteurs"). Pean bestreitet, dass es sich dabei um einen Genozid gehandelt habe. Im Interview erklärt er: "Ich versichere Ihnen: Es hat keine Todesschwadronen gegeben, wie sie der Augenzeuge Janvier Afrika beschrieben hat und wie oft von den Anhängern der offiziellen Wahrheit behauptet wurde." Er sei nicht davon überzeugt, dass der Genozid geplant war: "Es hat auf beiden Seiten Todeslisten gegeben, das nenne ich nicht Planung." Auch die Mitverantwortung der französischen Armee bestreitet Pean: "Die französische Armee kann nicht der Komplizenschaft mit dem Genozid beschuldigt werden. Das ist eine schändliche Behauptung. Die Haltung Frankreichs war untadelig."

Magazinrundschau vom 22.11.2005 - Express

Der islamistische "Schub" in Frankreich spaltet die französische Linke. L'Express hat die Journalistin Caroline Fourest und den Politologen Francois Burgat zu einem Streitgespräch geladen, das "nicht schärfer hätte ausfallen" können. Auf die Frage, ob die Linke dem Islamismus "den Weg bereitet" habe, antwortet Burgat: "Ich glaube ja, eine bestimmte Linke hat dem Fundamentalismus den Weg bereitet. Sie begegnet einer Generation, die am Fortschritt der Geschichte teilhaben möchte und dies auf ihre eigene Weise und einem anderen Wortschatz tut, mit einer absoluten, sektiererischen und arroganten Ablehnung, einem Veto. Eine der Wortführerinnen dieser Linken sind Sie, Caroline Fourest. Sie bestreiten, dass muslimische Frauen ihre Sache voranbringen können, indem sie sich Elementen ihrer eigenen Kultur bedienen." Caroline Fourest erwidert: "Lassen Sie uns über diesen islamischen Feminismus reden, den Sie interessanter finden als meinen laizistischen Feminismus. Gemäß der Definition von Tariq Ramadan sollen Frauen Tätigkeiten übernehmen, die ihrer 'Natur' entsprechen - unter der Bedingung, dass dies ihre Rolle innerhalb der patriarchalischen Familie nicht gefährdet, und, natürlich, dass sie sich verschleiert, um Männer nicht in Versuchung zu führen. Wenn das Ihre Auffassung von Frauenbefreiung ist ..."

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit Paul Bocuse, dem inzwischen 80-jährigen Starkoch, der seine Lebensgeschichte vorgelegt hat. Aufgezeichnet wurde sie von Eve-Marie Zizza, Tochter der Lebensgefährtin von Bocuse. ("Paul Bocuse. Le feu sacre", Glenat)