Im Kino

Exzellent gefertigte Glasaugen

Die Filmkolumne. Von Thekla Dannenberg
02.11.2022. David O. Russell hat grandiose Filme gedreht. In "Amsterdam" wechselt er zwischen den komödiantischen Registern, doch die Schlagfertigkeit und die Komik der Screwball-Comedy hat er nicht. Auch nehmen die vielen Großaufnahmen seines Starensembles dem Film das Tempo. Der Witz liegt diesmal in seiner grundsätzlichen Cleverness, der Doppelbödigkeit und dem Anspielungsreichtum.
In Ernst Lubitschs großer Screwball-Komödie "Sein oder Nichtsein" von 1942 führte eine polnische Theatertruppe im besetzten Warschau den Widerstand gegen die Nazis an. Der Film, der seiner Zeit furchtlos in die Augen sah, sprühte vor Esprit und der Gewissheit, dass im großen Welttheater ein geübtes Schauspiel-Ensemble mit Witz und Eleganz noch jeden Politclown von der Bühne fegen würde.

"Amsterdam". Szenenbild.



David O.Russell
, Hollywoods Fachmann für intelligente Komödien, fährt in seinem Film "Amsterdam" ein imposantes Starensemble auf, um eine faschistische Verschwörung gegen Amerika zu vereiteln. Der Film ist Hommage an Lubitsch, aber auch Agententhriller und Film-Noir-Parodie, mit ein wenig Dada, aber auch Harlem-Spirit. Lange hat sich Hollywood nicht mehr zu einer Komödie aufgerafft, die sich mit so viel Verve, Sarkasmus und Slapstick dem Ernst der Lage stellt.

Der Film umkreist den sogenannten "Business Plot" von 1933, als eine Gruppe von protofaschistischen Industriemagnaten den Umsturz der Regierung Franklin D. Roosevelt plante. Christian Bale, in einem Russell-Film stets dabei, spielt den Arzt Burt, der als kosmetischer Chirurg in Harlem den Veteranen des Ersten Weltkriegs die versehrten Körper zusammennäht, recht komödiantisch, mit verrenkten Armen, ungelenken Beinen und rollenden Augen, wobei vor allem sein Glasauge immer wieder über den Boden kullert. Zusammen mit seinem Freund, dem schwarzen Anwalt Harold (John David Washington, etwas weniger gelenkig), soll er dem Tod von General Meekins nachgehen, dem verehrten Kommandeur ihres einstigen Regiments. Die Generalstochter (Taylor Swift) vermutet sinistre Machenschaften hinter dem Mord, um nicht zu sagen ein Komplott. Sie kommt in dem turbulenten Plott allerdings ebenfalls bald unter die Räder - eines Busses. Burt und Harold werden des Mordes beschuldigt.

Die beiden haben zusammen in Europa den Krieg überstanden, körperlich versehrt, aber moralisch unbeschadet. Ihre beste Zeit hatten sie nach Ende des Krieges in Amsterdam, zusammen mit der Krankenschwester Valerie (Margot Robbie), die Harolds Geliebte wird. Zu dritt, aber nicht in einer ménage à trois, lebten sie das ausgelassene Leben der Bohème: Sie sangen französische Nonsenslieder, während Valerie aus blutigen Schrapnellresten blasphemische Skulpturen formte. Europa, eben noch ein gewaltiges Schlachtfeld, erblühte als Kontinent der Demokratie und der Avantgarde, wo Schwarz und Weiß zusammenleben können, Frauen Kunst machen und Veteranen den makabren Tanz der Verstümmelten vorführen. Bevor die moderne Kunst den Körper des Menschen auseinander nahm und neu zusammensetzte, tat es der Krieg. Die Kunst war so surreal wie das Leben.

Doch im New York der dreißiger Jahre stehen die drei Freunde einer Oligarchie gegenüber, die ihre Privilegien mit der Härte ihrer Diamanten behauptet. Valerie wird von ihrer vornehmen Familie für verrückt erklärt und auf dem herrschaftlichen Ostküsten-Anwesen ihres versnobten Bruders gefangen gehalten. Bert wird von seiner Frau, einer höheren Tochter der Park Avenue, verachtet, ihre Familie hatte ihn in den Krieg gedrängt, um der Mesalliance ein Ende zu bereiten. Der schwarze Harold hat seinem Ivy-League-Abschluss und den Tapferkeitsmedaillen zum Trotz sowieso keine Chance. Auch Burt wird sich in eine schwarze Frau verlieben, ebenfalls eine Krankenschwester (Zoe Saldaña). Aus den quotierten Paaren spricht nicht so sehr die kontrafaktisch gewollte Diversität der Netflix-Serie "Bridgerton", sondern der Wille, das Harlem der dreißiger Jahre realistisch in den Blick zu nehmen. Für die Gleichheit muss erst noch gemeinsam gekämpft werden.

Es ist ein düsteres Amerika, das Russell zeichnet, nicht mit den scharfen Schwarzweiß-Kontrasten des Film Noir, sondern in durchgehend dunklen, entsättigten Farben. Man muss es mit dem heutigen verwechseln: Die vermögenden Familien haben sich in ihre Landhäuser zurückgezogen, für das visionslose Mittelmaß der Demokratie bringen sie nur noch Verachtung auf, sie verehren die großen Männer, die eine historische Gelegenheiten beim Schopf zu ergreifen verstehen, und sie paktieren um des geschäftlichen Vorteils willen mit noch jedem Diktator. Aber wehe man triggert kindliche Traumata, da reagieren sie sehr sensibel.

Die verarmten Veteranen, die in gewaltigen Protestmärschen "For a Sound Dollar" streiten, richten ihre Hoffnungen auf den moralisch tadellosen General Dillenbeck, den Robert de Niro mit der Autorität eines Schauspielers gibt, der schon so oft Film und Vaterland gerettet hat. Aber auch die Krypto-Nazis der Great Nation Society setzen auf Dillenbecks Veteranenbewegung. Hilfe kommt von zwei britischen Agenten des MI6, die Burt, Harold und Valerie zur Seite stehen, Burt mit exzellent gefertigten Glasaugen ausstatten und überhaupt einen bemerkenswert sympathischen Part übernehmen. Als Liebhaber der Vogelkunde geben sie nicht nur die spleenigen Engländer, sondern wissen guten Rat: "Beim Vogelbeobachten muss man sich entscheiden, wo man hinguckt."

David O. Russell hat grandiose Filme gedreht: die zwischen überbordender Extravaganz und subtiler Intelligenz schillernde Gaunerkomödie "American Hustle" (2014) oder die krachende Irakkriegssatire "Three Kings" (1999). In "Amsterdam" wechselt er zwischen den komödiantischen Registern, doch die Schlagfertigkeit und die Komik der Screwball-Comedy hat er nicht. Auch nehmen die vielen Großaufnahmen seines Starensembles dem Film das Tempo. Der Witz liegt diesmal in seiner grundsätzlichen Cleverness, der Doppelbödigkeit und dem Anspielungsreichtum. Allerdings sehen wir die Gesichter des Dreigestirns Bert, Harold und Valerie in den waghalsigsten Konstellationen.

Am Ende wird General Dillenbeck, aber mehr noch Robert de Niro der Nation ins Gewissen reden, sich das Land nicht von den Reichen und Mächtigen wegnehmen zu lassen. Dann zeigt sich wieder, dass Russell seine Filme als Komödien tarnt, wo sie doch vielmehr moralische Erzählungen sind. In "Amsterdam" offenbart er seinen etwas sentimentalen, aber durch und durch aufrichtigen Glauben an das Kino, die Freundschaft und die Liebe.

Thekla Dannenberg

Amsterdam - USA 2022 - Regie: David O. Russell - Darsteller: Christian Bale, John David Washington, Margot Robbie, Zoe Saldaña, Taylor Swift, Robert de Niro - Laufzeit: 134 Minuten.