9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

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1925 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 193

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.05.2024 - Ideen

Im Interview mit Zeit online erklärt der Rechtshistoriker Jan Thiessen, warum es nach 1989 keine neue Verfassung gab, obwohl die bundesrepublikanische bis zur Wiedervereinigung eigentlich immer als Provisorium gedacht war: Das Zeitfenster war zu klein, zumal der Sieg der von der CDU unterstützten Allianz für Deutschland bei den letzten freien Wahlen in der DDR dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches viel von seiner Legitimation nahm, meint er. Schon deshalb findet es Thiessen auch unsinnig, von einer "Kolonisierung" Ostdeutschlands zu sprechen wie es zuletzt Grit Lemke tat. "Man kann nicht kolonisiert worden sein, wenn man einem solchen Prozess selbst durch ein Beitrittsgesuch ausdrücklich zugestimmt hat. Diesen Begriff zu wählen, ist so falsch wie zu sagen, dass Israel ein weißes, kolonialistisches Projekt ist. Schon gegenüber den Gesellschaften, die wirklich Opfer von Kolonialismus geworden sind, ist es einfach eine Geschmacklosigkeit. Das heißt andererseits nicht, dass die bis heute bestehenden Unterschiede im Eigentum, Vermögen, Bildungschancen, Aufstiegschancen, Repräsentanz in Führungspositionen nicht das Zusammenwachsen behindern. Aber das als Kolonialisierung zu beschreiben, geht völlig am Thema vorbei."

"Geschichte lehrt uns zu differenzieren und zu kontextualisieren. Vergleichen ist hierbei ein wesentlicher Teil. Aber vergleichen heißt nicht gleichsetzen", meint im Interview mit der SZ der Historiker Frank Trentmann, der grundsätzlich dafür ist, neben den Opfern des Holocaust auch derer des Kolonialismus zu gedenken. Denn jetzt laufe einiges falsch in der viel gerühmten deutschen Erinnerungskultur: "Bei Gedenkstättenbesuchen von Schulklassen mit Kindern mit Migrationshintergrund kommt es häufig zu paternalistischen Konstellationen: Wir Deutschen haben eine erfolgreiche Erinnerungspolitik etabliert. Jetzt erklären wir euch, wie man sich richtig an den Vernichtungskrieg und den Holocaust erinnert. Aber das wird Menschen gesagt, die zum Teil selbst Fluchterfahrungen in der Familie oder Rassismus am eigenen Leib erfahren haben und von denen viele ja nun auch deutsche Staatsbürger sind. Ihnen wird es schwer gemacht, sich dazu zu äußern, weil sofort der Vorwurf kommt: Halt, stopp, stellt euch nicht auf eine Stufe mit den ermordeten Juden. Da muss die Erinnerungspolitik flexibler werden und sich stärker mit aktuellen Krisen, Kriegen und Fluchtbewegungen auseinandersetzen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.05.2024 - Ideen

Anders als in den USA ist in Deutschland die Verfassung nicht umstritten. Dafür gibt es einen Grund, so die These des Staatsrechtlers Florian Meinel in der FAZ: seine "Irrelevanz für die Praxis der Verfassungsauslegung und Verfassungsanwendung, jedenfalls für deren öffentlich sichtbare Form". Ausschlaggebend dafür war das Bundesverfassungsgericht, so Meinel: "Die vom Bundesverfassungsgericht gegen große Widerstände durchgesetzte Auslegung des Grundgesetzes nahm ... sehr früh vorweg, was international erst in den Siebzigerjahren, im Zeitalter des Rechtsphilosophen John Rawls und des Abtreibungsurteils des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten im Fall Roe v. Wade, Fahrt aufnahm: die Umkodierung politischer Konflikte in Konflikte um 'Rechte'. Dabei wurde das deutsche Modell der Verhältnismäßigkeit vielfach zum Vorbild anderer Verfassungsgerichte, Grundrechtshermeneutik zu einer Soft Power der Bundesrepublik."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.05.2024 - Ideen

In einem ausufernden Essay für die Berliner Zeitung beklagt der Autor Ingar Solty von der Rosa-Luxemburg-Stiftung die angebliche Militarisierung deutscher Diskurse im Zeichen der "Zeitenwende". Wie bei dieser Zeitung inzwischen so häufig, weiß man kaum noch, ob man diese Rhetorik der "Linken" oder der "Rechten" zurechnen soll:  "Innere Zeitenwende meint auch die Rückkehr der Unterscheidung von 'Gut' (wir, na klar!) und 'Böse' (die anderen, was sonst?), von (westlicher) 'Zivilisation' und (östlicher) 'Barbarei', bloß dass die Grenze vom 'Ostproblem' (Walther Harich) weiter nach Osten verschoben wurde und die Barbarei nicht schon an der Grenze zu Polen beginnt. Es ist die Rückkehr der 'Erbfeinde' (einst Frankreich, heute Russland und China) und die Rückkehr der 'Bürde des weißen Mannes' (Rudyard Kipling) zur Zivilisierung der Barbaren, die wieder am deutschen Wesen genesen sollen."

Im Interview mit der Welt kritisiert Richard Schuberth, der hier als "intellektueller Nonkonformist der Linken" vorgestellt wird, scharf den Teil der Linken, der von Putin nicht lassen will und die Massaker der Hamas verharmlost: "Die Linke hatte nur so lange Bestand, da sie das Projekt der Aufklärung dem bürgerlichen Mainstream streitig machte. Sobald aber die skeptische Prüfung durch kritische Vernunft als westlicher Partikularismus oder gar rassistischer Chauvinismus gebrandmarkt wird, sind dem Wahn die Stadttore geöffnet und auch die Linke kann sich endlich vertrumpisieren. Dann ist wirklich alles möglich: Queerfeministinnen können mit klerikalfaschistischen Massenvergewaltigern kuscheln, antisemitische Woodstocks stattfinden und der Nationalsozialismus wird bloß der hamasartig übertriebene Widerstand eines Volkes gegen den Terror eines französisch-angelsächsisch-jüdischen Universalismus gewesen sein. Aus dem Quell dieser romantischen Revolte gegen die Aufklärung trinken die dümmeren Stränge der Linken Schulter an Schulter mit den Rechten seit 200 Jahren."

Auf Zeit online antwortet ein entsetzter Christian Bangel der Schriftstellerin Grit Lemke, die, ebenfalls in der Zeit, den Westdeutschen "Kolonialisierung" der Ostdeutschen vorgeworfen hatte. "Was bewirkt man bei diesen Menschen, wenn man ihnen sagt, sie seien vom Westen kolonisiert worden? Kolonisatoren sind per definitionem illegitime Herrscher. Sollte man das von der Bundesrepublik übernommene demokratische System also abwählen, gar gewaltsam beseitigen? Der AfD-Politiker (der übrigens gar nicht so selten auch aus dem Westen kommt) zeigt an dieser Stelle lächelnd auf sein Vollende-die-Wende-Plakat."
Stichwörter: Zeitenwende, Hamas, AfD, Universalismus

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.05.2024 - Ideen

"Dass Bildung und Moral, mit oder ohne akademische Titel, keine Einheit bilden, müsste eigentlich jeder wissen, der auch nur über geringes Geschichtswissen verfügt", konstatiert der Historiker Michael Wolffsohn angesichts der pro-palästinensischen Studenten-Proteste in der NZZ. Dabei erlegen jüdische Studenten aber auch Professoren dem Irrtum, dass sie von Antisemiten akzeptiert werden, wenn sie diese Demonstrationen unterstützten: "Jüdischer Juden- und Israelhass à la Judith Butler, Deborah Feldman oder Susan Neiman scheint wie, ist aber eben nicht die Eintrittskarte für den westlichen Wissens- und Kulturbetrieb. Sollten sie mit ihren Mitstreitern obsiegen, wird man sich ihrer entledigen. Denn dann hat der Jud seine für die Nichtjuden segensreiche Arbeit vollbracht. Der Jud kann gehn. (...) Unbestreitbar zählen, besonders in den USA, doch auch in Westeuropa, Juden zu den gegen Israel demonstrierenden Massen. Folglich, so das willkommene Alibi der nichtjüdischen Juden- und Israelhasser, könne ihr Anliegen nicht antisemitisch sein. Korrekt? Man schaue beidseits. Jenen Nichtjuden sind ihre jüdischen Mitstreiter, zumindest zeitweise, ein nützliches und daher willkommenes Alibi. Sie wären dumm, darauf zu verzichten."

In der Jungle World schaut sich Marlene Gallner derweil an, wie propalästinensische Intellektuelle jetzt auch noch ausgerechnet Jean Améry "als jüdischen Kronzeugen" für ihre Sache anführen. So beispielsweise in einem Essay des indischen Literaturkritikers Pankaj Mishra, der Ende März 2024 in der London Review of Books erschien. Zum einen strotze der Text "vor Lügen über Israel", zum Anderen gebe er Améry in reichlich verdrehter Version wieder: "Um Améry als Kronzeugen zu vereinnahmen, klaubt Mishra eine bestimmte Stelle aus dem Essay 'Grenzen der Solidarität' heraus. Darin erwähnt Améry mit Sorge die Gerüchte über die Folter palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen. Der Beitrag zeigt jedoch, liest man ihn zur Gänze, dass Améry die Solidarität mit Israel auch angesichts solcher Anschuldigungen gerade nicht zurücknimmt. In seinen Essays betont er den entscheidenden Unterschied zwischen der Situation der Juden und der Situation der Palästinenser, den Mishra geflissentlich ignoriert. 'Es steht aber nicht Gefahr gegen Gefahr gleicher Ordnung', schrieb Améry 1976. 'Tatsache ist, daß die arabische Nation - von dem die 'Protokolle der Weisen von Zion' verbreitenden saudiarabischen Despoten über den religionsbesessenen Ghadafi bis zu dem, wie es heißt, 'gemäßigten' prowestlichen Sadat und dem sich als Marxisten verstehenden Habache (dem Gründer der PFLP; Anm. d. Red.) - wild entschlossen ist, den Staat Israel auszuradieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.05.2024 - Ideen

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Auf den Geisteswissenschaften-Seiten der FAZ hat der Judaist Peter Schäfer Einwände gegen Omri Boehms Buch "Radikaler Universalismus". Boehms Genesis-Redigat, in dem er Abraham das Opfer letztlich nicht vollziehen und so dem Moralgesetz folgen lasse, stehe "textkritisch auf äußerst wackeligen Füssen. Es stützt sich auf die Anwendung einer Prämisse, wonach sich aufgrund der unterschiedlichen Verwendung der Gottesnamen Elohim (meist mit 'Gott' übersetzt) und JHWH (meist mit 'der Herr' übersetzt) verschiedene Schichten des Bibeltextes nachweisen lassen - eine Prämisse, die nicht nur dem jüdischen Bibelverständnis fundamental widerspricht, sondern heute auch in der biblischen Exegese mit Recht problematisiert wird und in diesem konkreten Fall bei genauerem Hinsehen in tiefe exegetische Abgründe führt. Durch seinen willkürlichen Eingriff gewinnt Boehm einen Text, in dem die Rettung Isaaks nicht durch göttliche Intervention bewirkt wird, sondern auf Abrahams mündigen und freien Entschluss zurückgeht, die Autorität eines willkürlich handelnden Gottes nicht zu akzeptieren. Damit macht er Abraham zum wahren Stammvater einer abrahamitischen, universalistischen und vorisraelitischen Religion und entsorgt nicht nur Mose als größten jüdischen Propheten, sondern auch noch den absoluten Anspruch des Monotheismus."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.05.2024 - Ideen

Im SZ-Interview mit Moritz Baumstieger glaubt die Historikerin Ute Daniel nicht, dass die Geschichte der Weimarer Republik sich gerade wiederholt. "Ganz abgesehen davon, ob die AfD wirklich mit der NSDAP zu vergleichen ist: Parallelen sind in dieser Form schon deshalb nicht sinnvoll, weil es nicht die Nationalsozialisten waren, die Weimar zerstört haben. Das haben andere getan - und die Nazis haben profitiert." Trotzdem sollte man "Erfahrungs- und Handlungszusammenhänge" erkennen und aus ihnen lernen. "In Weimar erschien das Problem der Reparationen jahrelang als nicht lösbar. Heute ist es die Migrationsfrage. Derartige Triggerthemen, die zuverlässig Ressentiments abrufen, können ganze Gesellschaften hysterisieren: Nämlich wenn sie, wie damals die Reparationen und heute die Migrationsfrage, die Politik vor sich hertreiben, weil sie keine Lösung aus dem Ärmel schütteln kann. Die politische Klasse müsste dann den Mut haben zu sagen: 'Liebe Leute, wir leben in einer Zeit, die ist nicht mehr wie früher. Unsere Lebensweise macht uns abhängig von offenen Grenzen - beziehungsweise: Wir haben 1918 den Krieg verloren. Wir müssen damit umgehen, ohne den Kopf zu verlieren.'"

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.05.2024 - Ideen

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Die jüdisch deutsche Autorin Dana Vowinckel, die teilweise auf dem Campus der Uni Chicago aufgewachsen ist, sucht im Interview mit Marlene Knobloch von der SZ Wege aus dem Getümmel. Sie ist durchaus bereit, den an den Unis protestierenden Studenten Friedenswillen zu unterstellen - nur hält sie das nicht davon ab den Antisemitismus der meisten Proteste zu übersehen. "Alle haben das Gefühl: Die anderen sind mächtiger. Das ist der Kern des Problems. Es ist eine Frage der Macht. Alle haben das Gefühl die anderen haben mehr Macht. Ich habe das Gefühl: Die Leute bei diesen Protesten haben eine Macht über mich, davor habe ich Angst. Viele Menschen bei diesen Protesten sehen sich als rassistisch unterdrückt an - und sind es zum Teil auch. Alle glauben, sie stehen auf der richtigen Seite der Geschichte."

Der 7. Oktober war nicht nur ein abscheulicher Mordkarneval. Er trug auch symbolträchtige, programmatische Züge, die der Historiker Gad Arnsberg in der virtuellen FAZ-Printbeilage "Bilder und Zeiten" thematisiert: "Hier wurden jüdische Zivilisten (und auch Nichtjuden) erstmals Opfer eines Pogroms im eigenen Land, und der Staat setzte aus. Zugleich sollten eingesessene Ortschaften, die die Angreifer als 'Siedlungen' gleich denen in der Westbank betrachten, leer gefegt und unbewohnbar gemacht werden. Von der Zerstörung der Orte sollte eine Signalwirkung ausgehen, die in nuce ankündigt, was der jüdischen Ansiedlung in ganz Israel droht, nämlich die komplette Ausradierung und Aufhebung des zionistischen Aufbauwerks."

Außerdem: Ebenfalls in "Bilder und Zeiten" liest Marc Zitzmann einige französische Neuerscheinungen zum Völkermord in Ruanda vor dreißig Jahren. In der Welt versucht Jan Küveler dem Begriff des "Globalen Südens" auf die Spur zu kommen, dem einzigen Süden, dessen Gegenpol der Westen ist.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.05.2024 - Ideen

Einst feierte der Postkolonialismus die Möglichkeiten einer Globalisierung und die Auflösung von Identitäten, mit der indisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Gayatri C. Spivak setzte sich dann spätestens ab den Zehnerjahren aber das Konzept des Indigenen an die Stelle des Nomadischen, erinnert Jens Balzer in der Zeit: "Damit etablierte sich ein Verständnis von 'kultureller Identität', das diese nicht mehr als werdende, der Zukunft zugewandte versteht, sondern sie vielmehr an die Vergangenheit bindet, an Herkunft, Tradition, Territorien, früher hätte man gesagt: an das Völkische, an die Scholle. Und dies in der gleichen Zeit, in der auch autoritäre und rechtspopulistische Politiker wieder erfolgreich das 'Eigene' gegen das 'Fremde' in Stellung brachten, gegen 'Kosmopoliten' und 'Globalisten'."

Außerdem: Der Philosoph Peter Strasser fordert in der NZZ, dass der Westen vor dem Bösen, wie es sich etwa in Autokratien manifestiert, nicht zurückweicht.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.05.2024 - Ideen

Wie ist es zu erklären, "dass der leidenschaftlichste Ausbruch studentischen Aktivismus seit den 1960er Jahren der Delegitimierung der Geschichte des jüdischen Volkes gilt, das über die Vernichtung triumphiert hat", fragt der Autor Yossi Klein Halevi in einem sehr lesenswerten Essay auf den Seiten der Times of Israel. Das Wesen des heutigen Antisemitismus liegt für ihn in der "Leichtigkeit, mit der antizionistische Aktivisten es geschafft haben, den jüdischen Staat als genozidal und einen Nachfolger Nazideutschlands darzustellen und in der sich ein Versagen der Erziehung nach dem Holocaust" manifestiert, denn die Generation, die da demonstriert sei bestens über den Holocaust unterrichtet. Was hier angegriffen werde, sei "Integrität der jüdischen Geschichte der Nachkriegszeit, eines Volkes, das das Selbstmitleid der Opferrolle ablehnt und sich seinen unwahrscheinlichsten Traum erfüllt: sich in seiner Gebrochenheit in dem Land seiner Jugend zu erneuern. Der Übergang vom tiefsten Punkt, den die Juden je erlebt haben, zur Wiedererlangung von Macht und Selbstvertrauen ist eine der erstaunlichsten Überlebensleistungen nicht nur in der jüdischen, sondern in der Weltgeschichte. Es ist diese Geschichte, die auf liberalen Universitäten verzerrt, trivialisiert und dämonisiert wird."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.05.2024 - Ideen

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Der Streit um das neue Hedwig Richter-Buch nimmt kein Ende (unsere Resümees). Richter antwortet heute in der FAZ recht deutlich auf die Attacke des FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube und erklärt nochmal, warum sie das von ihr und Bernd Ulrich gepriesene Regieren mit Dekreten, in die die Bürgerschaft freudig einstimmt, für die richtige Revolution hält: "Zur Revolution gehört ein Ende des Normalismus, der radikal und zerstörerisch geworden ist: Der aktuelle Fleischkonsum, das Autofahren, die Fliegerei, die Klamotten, unser ganzer Alltag ist durchtränkt mit Zerstörung, die Politiker nicht noch befeuern sollten (Fliegt, dass es kracht! Schaut euch meine Wurst an!). Sich aus der alltäglichen Zerstörung zu befreien, das ist für die westlichen Länder - für Politik, Bürger, Wirtschaft, sogar für das Feuilleton - das große Emanzipationsprojekt des 21. Jahrhunderts."

Jürgen Kaube kann es nicht lassen und kommt nochmal auf Hedwig Richters Kreuzfahrt 2019 zurück, über die sie damals beschwingt tweetete (Tweets, die sie nicht gelöscht hat, wie man ihr zugute halten muss) und die sie heute ebenfalls per Tweet bedauert:


Kaube versteht nicht, warum Richter seinen Hinweis auf diese Sünde als "ad hominem"-Attacke kritisiert. Er verstehe das nicht als hämisch, "denn es beruht auf einer Rechnung. Je nach Schätzung verursacht eine Kreuzfahrt auf Richters Strecke einen Ausstoß zwischen einer und 1,9 Tonnen Kohlendioxid pro Passagier. Hinzu kommen die Flüge, um ins Südchinesische Meer und wieder zurückzugelangen. Sie bringen es auf etwa 2,3 Tonnen CO2-Emission pro Kopf. Der durchschnittliche Konsum von Fleisch, gewichtet nach den Tierarten, kommt in Deutschland inzwischen auf eine jährliche Emission von knapp 300 Kilogramm CO2. Für jene Kreuzfahrt hätte sie also etwa zehn Jahre lang Fleisch essen können."

Schöne Allgemeinheiten, die in diesem Falle Hedwig Richter trösten könnten, sagt wie stets Carolin Emcke in ihrer SZ-Kolumne: "Die hasserfüllten Anfeindungen und mutwilligen Denunziationen, mit denen seit Jahren alle überzogen werden, die sich für eine humanistische, nachhaltige Lebensform einsetzen, zeigen Wirkung. Die sich stetig radikalisierende Verrohung, die sich gegen 'die Eliten', 'die Feministinnen', 'die Klima-Kleber', gegen 'Öko-Diktatur' richtet, die um sich greifende Gewalt eines sich selbst ermächtigenden Mobs - sie verbreiten Angst und Schrecken."