Vorworte

Leseprobe zu "Tremor" von Teju Cole

Über Bücher, die kommen.

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Tunde nimmt abends ein Bad, bevor er sich neben seiner Frau Sadako schlafen legt. Die schwarze, aus Nigeria stammende Seife lässt seine Gedanken in die Heimat schweifen: Er erinnert sich an die Zeit vor dem Abschied, aber auch an ein Gespräch mit dem jungen Dienstboten Michael, der nicht glauben wollte, dass Menschen tatsächlich zum Mond fliegen können. Das wiederum lenkt seine Gedanken auf Emily, die an derselben Uni wie Tunde Astronomie lehrt.


Tunde war mit siebzehn Jahren in die USA gegangen, lange vor der Krankheit seines Vaters. Zu dieser Zeit hatte er durch Jesus eine direkte Beziehung zu Gott, die intensiv und bereits von sexuellen Schuldgefühlen durchdrungen war. Kurz vor seiner Abreise kam der Mann, den sie Alagba nennen, zu ihnen nach Hause, um für seine Reise zu beten, und Tunde erhielt ein Stück schwarze Seife als spirituelle Vorbereitung auf seinen bevorstehenden Aufbruch. Ihm wurde gesagt, er solle sich damit waschen. Er weigerte sich. Er hatte keine Geduld für diese Version des Christentums, die in weißen Gewändern daherkam. Alagbas Ansatz, zu gleichen Teilen christlich und einheimisch, deckte sich auch nicht mit dem Glauben seiner Eltern, doch darum ging es ihnen letztlich nicht - sondern darum, all das als Teil des Lebens anzunehmen, was helfen könnte, die spirituellen Kämpfe zu bestehen, die sie überall vermuteten. Sie konnten die Engstirnigkeit ihres Sohnes und seine wiedergeborene Rechtschaffenheit nicht verstehen. Er wiederum verstand sie nicht und wollte es auch gar nicht. Er weigerte sich, die Seife von Alagba zu benutzen. Seine Mutter und sein Vater waren verärgert über seine Undankbarkeit. In solchen Dingen waren seine Eltern sich immer einig. Nach dem Vorfall mit Alagba schrie sein Vater ihn an, gefolgt von Schweigen: Seine Eltern redeten nicht mehr mit ihm, die Zwillinge, drei Jahre jünger als er, waren von der ganzen Sache verwirrt und hielten sich bedeckt. Das Haus glich einem Grab in jenen Tagen vor seiner Abreise aus Nigeria.


Das Wasser hat sich etwas abgekühlt. Schaum der schwarzen Seife sammelt sich in der weißen Seifenschale. Das Leben verändert uns, und in diesem Moment ist es das, was er sich wünscht. Der Duft von Nkangas Seife ist dezent, und im warmen Wasser lässt er sich von dem paradoxen Gedanken umfangen, dass etwas Schwarzes Schmutz abwaschen kann. Die Blasen auf der Seife und in der Seifenschale wirken plötzlich unendlich tief. Die Seife ist marmoriert und beweglich. Er badet in Nebel.

Er wusste beinahe gar nichts über den Himmel in jener Nacht vor vielen Jahren mit Michael in Ojodu. Er kannte den Mond, wusste, was Sterne sind, und hatte eine vage Erinnerung an den Halleyschen Kometen, von dem er 1986 in den Nachrichten gehört, den er aber nicht selbst gesehen hatte. Tunde war nicht gefestigt genug in astronomischen Dingen gewesen, und als Michael lachte und es als abwegig abtat, dass Menschen ein metallenes Gefährt bestiegen und sich selbst dort hochgeschossen hätten - Michael hatte nach oben, zum Mond, gezeigt -, konnte er die Zweifel zum Teil nachvollziehen. Michaels Skepsis hatte ihn nicht umgestimmt, aber er hatte verstanden, dass die Vorstellung von der Raumfahrt nicht leicht Raum in einer Weltsicht findet, in der er nicht durch Bildung geöffnet wurde.

Heute, viele Jahre später, kennt er die Namen einiger Sterne. Der Große Wagen ist leicht zu entdecken, und ab und an sieht er etwas Gelbliches, beinahe Rotes und erkennt darin den Mars. Es erstaunt ihn, dass er das Wort "Mars" korrekt einem Objekt am Nachthimmel zuordnen kann. Vor allem aber hat er mittlerweile ein erweitertes Verständnis von der Astronomie, von dem umfassenden Wissen, das sie beinhaltet, von den Feinheiten, denen Emily ihr ganzes Erwachsenenleben gewidmet hat. Es ist, wie eine Sprache zu kennen, die er noch nicht spricht, auf die er aber akustisch eingestimmt ist.

Eine Sprache besteht aus Wörtern genauso wie aus nichtlexikalischen Phonemen, und eine klare Aufteilung in die einen, die sie fließend, und die anderen, die sie gar nicht beherrschen, lässt sich nicht vornehmen. Diese Art von Wissen bewegt sich auf einer Skala, und irgendwo auf ihr liegt die Einsicht in unverstandene Komplexität, das Wissen, dass da noch viel mehr ist, von dem man nichts weiß. Es wäre unmöglich gewesen, Michael all dies verständlich zu machen: dass der Mond real ist, die Raumfahrt real ist und der Zweifel ebenso; abgesehen davon, dass Tunde zu jener Zeit selbst kaum mehr als eine schwache Ahnung von alldem hatte.


Er spürt, dass sie wach ist. Im Dunkeln warten sie darauf, dass die andere, der andere einschläft. Siebzehn Jahre zusammen, fünfzehn Jahre verheiratet. Es ist nicht so, dass sie so tun, als schliefen sie. Der Versuch einzuschlafen, wenn jemand anderes im Zimmer ist, lässt sich nicht vom Vortäuschen des Schlafes unterscheiden. Man stellt sich so lange schlafend, bis der Schlaf kommt. Bald schon verändert sich Sadakos Atmung, und er weiß, dass sie jetzt schläft. Sprache: Er stellt sich eine Person vor, die wenig bis gar kein Yoruba spricht, aber weiß, wie es klingt, wie es sich in der Luft bewegt. Das gehört zu dem, was ihm an der Universität gefällt, wo ihm sonst so vieles missfällt und wo sich die engstirnige Verwertungslogik, der die Disziplinen unterworfen sind, oft wie eine Disziplinierungsmaßnahme für seinen Geist anfühlt. Es gefällt ihm, dass es an der Universität Menschen gibt, die mit einem Staunen die immense Komplexität der Andromeda-Galaxie oder von C. elegans oder von Sanskrit oder der Geometrie betrachten und sie mit der immensen Komplexität ihrer Gehirne zum Sprechen bringen. Das ist einer der Gründe, warum er sich gern mit Emily unterhält. Selbst wenn es ihm schwerfällt, die technischen Details ihrer Arbeit nachzuvollziehen, was fast immer der Fall ist, gibt es da noch etwas anderes, ein "Mehr", das ihn anzieht. Er schätzt nicht das Fachwissen an sich, wie es üblicherweise verstanden wird, sondern etwas damit Verwandtes: das Herausragende an allen Orten und in allen Kulturen, das sich in den modernen Technologien ebenso findet wie in traditionellen Praktiken; das Antlitz von entschlossener Kompetenz, mit der die Menschen einem feindlichen Universum begegnen.

Während eines Vortrags im Rahmen der Vernissage von Tree of Heaven in Neapel im vergangenen Sommer fragte ihn jemand, wen er am meisten bewunderte. Wenn ihm auf einer Bühne eine solch allgemeine Frage gestellt wird, versucht er mitzuspielen. Er antwortet, doch nicht mit der Absicht, etwas Unumstößliches zu liefern, sondern, um eine plausible Möglichkeit anzubieten, den Aufschlag zurück ins Feld zu bringen. In Neapel lautete seine Antwort auf die Frage, wen er am meisten bewundere, "Pius Mau Piailug", ein Name, der ein von ihm erwartetes, verständnisloses Schweigen auslöste.

Pius Mau Piailug starb im Juli 2010 im Alter von achtundsiebzig Jahren. Er war Mikronesier und einer der letzten Hüter, vielleicht der einzige, eines uralten Wissens: der Kunst, ohne den Einsatz moderner Instrumente weite Strecken über die offene See hinweg zu navigieren. 1976 segelte er allein in einem Holzboot von Hawaii nach Tahiti und ließ sich dabei nur von seinem Wissen leiten und von dem, was die Natur ihm preisgab: die Bewegungen der Sterne bei Nacht, der Stand der Sonne bei Tag, das Verhalten der Seevögel, die Farbe des Wassers und der Unterseiten der Wolken, der Geschmack der Fische und das Ansteigen der Wellen. Wer will behaupten, das Universum sei feindlich? All diese Informationen, gesammelt und behutsam ausgelegt durch den aufmerksamen Seefahrer, verwandeln das Meer in ein freundliches und verständliches Buch. Mau wusste, wann er sich einer Insel oder einem Archipel näherte, wann das Wasser mehr oder weniger salzig war, wann ein Sturm sich ankündigte. Die Welt war für ihn viel verständlicher, als sie es für die meisten jemals sein würde. Menschen wie er belegen, dass eine tiefe Verbundenheit mit der Natur möglich ist und dass diese Verbundenheit nicht auf die auslöschende Arroganz der westlichen Kultur angewiesen ist.

Tunde teilte seinem Publikum mit, dass es ihm guttue, diesen Mann zu bewundern. Mau erinnert ihn daran, dass das Leben anderswo nicht nur reicher, sondern auch auf intensivere Weise reich ist. Das spürt er ganz besonders, wenn er an die Yoruba-Kultur denkt oder an die Musik, die er so liebt, dass sie ihm in manchen Momenten wie der "Sinn" des Lebens selbst vorkommt. Die Überheblichkeit der Aufklärung und ihrer liberalen Erben ist Zeitverschwendung. Aber Maus Leben verweist noch auf etwas anderes, sagte er dem Publikum in Neapel: Es zeigt, dass fundiertes traditionelles Wissen einen Menschen in Momenten der tiefsten Einsamkeit zu stützen vermag. Seine Reisen dauerten sehr lange. Er brauchte einen Monat, um von Hawaii nach Tahiti zu gelangen. Diese ausgedehnte Abgeschiedenheit ebenso wie das komplexe Wissen, auf hoher See zu navigieren, versetzen einen in ein stilles Staunen. So wie wir heute leben, sagte Tunde, empfinden wir es beinahe als übermenschliche Stärke, einen ganzen Monat lang auf jegliche menschliche Kommunikation zu verzichten. Wie aus einer anderen Zeit scheint dieser Kraftakt des Durchhaltevermögens zu stammen, ein Beispiel von physischer wie psychischer Autarkie, die nur noch schwer vorstellbar ist. Die wenigsten, die Einzelhaft ertragen müssen, haben sich freiwillig dafür entschieden.

Tunde kann nicht behaupten, ein besonderes Interesse an der Seefahrt oder an gefährlichen Abenteuern zu haben. Und doch überkommt ihn, wenn er an Mau denkt, der Wunsch, sein eigenes Leben zu ändern. Seine Begegnung mit Mau fand in Form eines schriftlichen Nachrufs statt. Seitdem hat er nichts weiter über ihn gelesen und ist auch nicht daran interessiert. Seine Bewunderung für ihn ist ein Diagramm, das er allein aus den Hinweisen des Nachrufs konstruiert hat. Die Erinnerung daran erfüllt ihn mit dem einfachen Wunsch, mehr im Einklang zu sein mit dem, was in seinem eigenen Leben dem Auf und Ab der Wellen, dem Flug der Vögel, dem Geruch der Luft entspricht. Er möchte das Nützliche der Welt in sich aufnehmen, nicht um sie auszubeuten, sondern um zu leben. Er möchte sein Boot bewusst auf ein Ziel zusteuern. Dem Publikum in Neapel konnte er nur einen Bruchteil dieser Überlegungen vermitteln. Möglicherweise schwärmte er zu sehr für etwas, was für sie obskur und wenig nachvollziehbar gewesen sein muss. Es ist nun tiefe Nacht. Er ist in jene Region abgedriftet, in der bewusste Gedanken an den Rumpf der Träume wogen. Er versucht weiter, einzuschlafen, bis aus dem Versuch schließlich der Schlaf selbst wird.

Mit freundlicher Genehmigung des Claassen Verlags
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