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The New York Times en Español

1 Presseschau-Absatz

Magazinrundschau vom 26.03.2019 - The New York Times en Español

"Die Doppelmoral der Bücher." Rafael Gumucio, der chilenische Schriftsteller, Journalist und Leiter des Instituto de Estudios Humorísticos der Universidad Diego Portales in Santiago de Chile, verweist auf einige gern übersehene Aspekte - oder auch Gefahren - des Romanlesens: "Ich weiß, manche Bücher haben mir geholfen, die Welt und die Menschen besser zu verstehen. Ebenso wahr ist jedoch, dass sie mich gezwungen haben, mir und anderen unbequeme Fragen zu stellen, die mir das Leben mit meinen Artgenossen nicht unbedingt einfacher gemacht haben. Das Lesen war für mich ein Quell der Weisheit, aber im selben Maß auch der Ernüchterung. In jedem Fall bringt ein Roman uns nicht bei, besser zu leben, sondern besser zu denken. Das eine sollte idealerweise aus dem anderen folgen, die meisten guten Romane erzählen jedoch, dass der Weg vom Gedanken zum Handeln voll von Schluchten, baufälligen Brücken, dichtem Gestrüpp und vielen falschen Abkürzungen ist. Sie machen das Romanlesen zu einer gefährlichen Angelegenheit, anders gesagt: zum Abenteuer. Das ist jedoch zugleich wohl das einzige Mittel, um Kinder und Jugendliche zum Lesen zu verführen: Man muss sie davon überzeugen, dass Lesen eine Droge ist, die süchtig macht und man davon nicht besser, sondern lebendiger wird. Wenn wir Bücher nicht als Heilmittel gegen die Übel unserer Gesellschaft anpreisen, sondern stattdessen auf dem Schwarzmarkt verkaufen würden, hätten wir womöglich mehr Erfolg bei der Leseförderung."