Magazinrundschau - Archiv

Der Spiegel

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Magazinrundschau vom 08.11.2005 - Spiegel

Hans Magnus Enzensberger analysiert den "radikalen Verlierer" wie er sich gestern in den Nationalsozialisten und heute in den Islamisten manifestiert. Die Anziehungskraft der Islamisten heute speist sich vor allem aus dem sich über Jahrhunderte hinziehenden Niedergang der islamischen Kultur: "In den letzten vierhundert Jahren haben die Araber keine nennenswerte Erfindung hervorgebracht ... Alles, worauf das tägliche Leben im Maghreb und im Nahen Osten angewiesen ist, jeder Kühlschrank, jedes Telefon, jede Steckdose, jeder Schraubenzieher, von Erzeugnissen der Hochtechnologie ganz zu schweigen, stellt daher für jeden Araber, der einen Gedanken fassen kann, eine stumme Demütigung dar." Welche Folgen das Bewusstsein einer permanenten und selbstverschuldeten Unterlegenheit auslöst, beschreibt Enzensberger am Beispiel der Deutschen: "Die Vermutung liegt nahe, dass es Hitler und seiner Gefolgschaft nicht darum ging zu siegen, sondern den eigenen Verliererstatus zu radikalisieren und zu verewigen. Zwar entlud sich die angestaute Wut in einem beispiellosen Vernichtungskrieg gegen alle anderen, die sie für ihre eigenen Niederlagen haftbar machten ... aber es lag ihnen völlig fern, die Deutschen zu verschonen. Ihr eigentliches Ziel war nicht der Sieg, sondern die Ausrottung, der Untergang, der kollektive Selbstmord, das Ende mit Schrecken."

Außerdem: Lars von Trier erzählt im Interview, was ihn zu seinem Film "Manderlay" inspiriert hat: "Ich wollte einen Film drehen, der meinen Eltern - vor allem meiner Mutter, einer überzeugten Sozialistin - gefallen hätte." Im Aufmacher erzählt der Spiegel, wie es 16 Jahre nach dem Mauerfall dazu kam, dass wir von zwei Ostdeutschen regiert werden.

Magazinrundschau vom 27.09.2005 - Spiegel

Der Titel gilt dem Machtpoker in Berlin, ist aber wie immer nur im E-Paper zu lesen.

Online finden wir ein Interview mit dem französischen Philosophen Andre Glucksmann über die Themen seines neuen Buchs: den Hass, die Ideologien und die Triebkräfte des modernen Terrorismus. "Um seine Zerstörungskraft zu entfalten, muss der Hass kollektiv werden. Der Einzelne, der in seiner Ecke hasst, bleibt ein armseliger Wicht oder wird schlimmstenfalls ein isolierter Mörder. Ideologien können der Kollektivierung des Hasses dienen, aber sie sind nicht dessen Ursache. Das zu glauben, war der große Irrtum der Demokratien im 20. Jahrhundert. Denn daraus folgt der zweite Irrtum: Wenn die Ideologien, also der Nazismus und der Kommunismus, widerlegt und besiegt seien, verschwinde der Hass von selbst. Ideologien sind das Alibi des Hasses. Der Schriftsteller Ernst von Salomon, Freikorpskämpfer und Beteiligter an der Ermordung Walther Rathenaus, hatte recht, wenn er nach 1918 feststellte: Der Krieg ist zu Ende, aber die Krieger sind immer noch da. Der Kalte Krieg war nur für uns, im Westen, kalt. Für den Rest der Menschheit war es eine sehr blutige Zeit, eine kriegerische Umwertung aller Werte."

Magazinrundschau vom 13.09.2005 - Spiegel

"Nach den Dichtern haben sich die Soziologen und Historiker zu Stichwortgebern der Politik gemacht." Matthias Matussek schreibt einen melancholischen Abgesang auf die linke Gesellschaftskritik. "Im großen Ganzen ist die linke Kritik reaktionär geworden. Sie meldet sich mit der Besitzstandsrhetorik Lafontaines oder gar nicht. Linke Visionen sind nicht mehr kulturstiftend, wahrscheinlich, weil sie sich zu oft revidieren mussten. Wen reißt heute noch der Internationalismus vom Hocker, wenn er um seinen Arbeitsplatz gegen die Globalisierung kämpft? Wer begeistert sich noch für Multikulti, wenn in den muslimischen Ghettos westlicher Großstädte Frauen verprügelt und Bomben gebastelt werden? Ja, wem hängt nicht der hedonistische Selbstverwirklichungszirkus der Geschlechter zum Halse raus, wenn der nur noch zertrümmerte Familien, allein gelassene Kinder, soziale Verrohungen anrichtet?" Die Welt, findet Matussek, ist aus den Fugen.

Alexander Osang berichtet aus New Orleans, wo er den Polizcheichef Eddie Compass trifft, der einen schlimmen Rücken hat, seit zehn Tagen dieselbe Unterwäsche trägt und etwas hilflos wirkt. "Er möchte den Superdome inspizieren, in den während des Sturms 30.000 Leute flüchteten, und dann auch noch ins Convention Center, wo er herausfinden will, wie viele Menschen dort wirklich in der vorigen Woche starben. Er springt auf die Pritsche eines feuerroten Pick-up-Trucks, fährt aber nur drei Straßen weiter zu einem Interview mit dem Fernsehsender NBC, dem er sagt, dass er nicht weichen wird, bis die Stadt sicher sei."

Magazinrundschau vom 23.08.2005 - Spiegel

Auch Romain Leick hat den neuen Houellebecq bereits gelesen - und ist begeistert. Ganz klar, meint Leick, "Houellebecq, der Depressive, der Erschöpfte und Gehetzte, der skandalöse Sexwütige, das Inbild des Weltschmerzes" ist in Wahrheit ein "unheilbarer Romantiker". Und noch ein Missverständnis kann Leick ausräumen: Houellebecqs Kritiker haben keine Ahnung und sind "in Wahrheit meist neidvoll, hasserfüllte Verfolger". "Nur weil Houellebecq mit aufreizender Flachheit eine flache, sich zu Grunde richtende Welt beschreibt, ist das Ergebnis nicht selbst flach und hohl. Sein Sujet ist der moderne Trash, der alle Lebensbereiche der Spaßgesellschaft durchdringt; aber der Roman ist deswegen nicht auch Trash." (Auch Volker Weidermann lobt den Roman in der FAZ am Sonntag, wenn auch nicht ganz so enthusiastisch.)

Weiteres: Zwei Wochen sind es bis zum großen Fernsehduell Schröder-Merkel. Thomas Tuma kann schon jetzt das ganze Polit-Gequassel nicht mehr ertragen: "Die Republik wird zerredet. Rund 40 Talk-Formate bieten die Sender mittlerweile regelmäßig auf. Das Palaver ist billig und einfach herzustellen. Getalkt wird über alles, und wenn dabei noch ein paar Polit-Köpfe zu sehen sind, gilt die Show bereits als seriöses Informationsprogramm."

Der Titel beschäftigt sich mit der neuen Linken, die vor allem im Osten erfolgreich agiert. In einem kurzen Interview spricht FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher über die geplatzten Pläne, mit Hans Magnus Enzensberger die Buchreihe "Frankfurter Allgemeine Bücherei" herauszugeben. Auf die Frage "Ist die Buchreihe damit beerdigt?" antwortet er erstaunlich: "Keineswegs. Im September geht es weiter. Da beginnt eine sehr schöne Comicreihe, die von den Donaldisten des FAZ-Feuilletons herausgegeben werden wird."

Magazinrundschau vom 19.07.2005 - Spiegel

In seinem neuen Roman "Saturday" schildert Ian McEwan eine Londoner Demonstration gegen den Irakkrieg. Während die Tochter des Helden auf der Seite der Demonstranten steht, ärgert sich ihr Vater über deren Selbstgefälligkeit. Im Interview erklärt McEwan, warum er ganz für den Vater ist: "Es ging bei dieser Diskussion nie allein um die Frage von Krieg oder Frieden. Zur Debatte standen Krieg oder Fortsetzung von Folter, Völkermord und Missachtung der Menschenrechte in einem faschistischen Staat. Davon war im Friedenslager nicht die Rede. Zwar war ich auch damals schon der Meinung, dass die Amerikaner nicht unbedingt ideale Voraussetzungen zum Aufbau einer Nation mitbringen würden, aber wenn man sich einmal ausmalt, man hätte Saddam auf seinem Platz belassen ... Es schien mir ein moralisches Problem darin zu liegen, dass Hunderttausende in der Absicht auf die Straße gingen, den Krieg gegen einen faschistischen Staat zu verhindern - und sich dabei so wohl fühlten."

Nur im Print: Islamischer Terror basiert auf dem Koran, behauptet Leon de Winter in einem Essay.

Magazinrundschau vom 05.07.2005 - Spiegel

142 Menschenleben hat der neu aufgeflammte Krieg der Camorra im vergangenen Jahr gekostet, Verwerfungen auf dem Drogenmarkt habe die Clans ans Licht getrieben wie Ratten die Flut, schreibt Alexander Smoltczyk in einer Reportage aus Neapel, die wir glücklicherweise im Netz lesen dürfen: "Der Bandenkrieg geht jetzt ins zweite Jahr, und das Renommee Neapels ist wieder da, wo es immer schon war, ziemlich weit unten. Neapel sei eben, sagt Don Vincenzo De Gregorio, eine eigenartige Stadt: 'Besessen vom Glauben und besessen vom Blut.' Es gibt ungefähr 40 Blut-Reliquien und in der Schwefelgrube des Vororts Pozzuoli einen Stein, der regelmäßig rote Tröpfchen schwitzt. Neapel ist süchtig nach Wundern, weil es sonst nichts mehr zu hoffen hat. In den Kirchen mussten Beinhäuser geschlossen werden, weil Großmütter sich in Ermangelung einer zertifizierten Reliquie irgendwelche Knochen einpackten, um sie zu Hause aufzustellen. Dann legten sie sich ins Bett und warteten darauf, dass ihnen die Lottozahlen im Traum erschienen."

"Wenn die Industrienationen den Afrikanern wirklich helfen wollen, sollten sie endlich diese furchtbare Hilfe streichen", sagt der kenianische Ökonom James Shikwati im Interview: "Es werden riesige Bürokratien finanziert, Korruption und Selbstgefälligkeit gefördert, Afrikaner zu Bettlern erzogen und zur Unselbständigkeit. Zudem schwächt die Entwicklungshilfe überall die lokalen Märkte und den Unternehmergeist, den wir so dringend brauchen. Sie ist einer der Gründe für Afrikas Probleme, so absurd das klingen mag. Wenn sie abgeschafft würde, bekäme das der kleine Mann gar nicht mit. Nur die Funktionäre wären schockiert. Darum behaupten sie, die Welt ginge unter ohne diese Entwicklungshilfe."

Magazinrundschau vom 31.05.2005 - Spiegel

"Ich bin bisweilen boshaft, aber Hass kenne ich nicht", bekennt Marcel Reich-Ranicki in einem Gespräch, das der Spiegel mit ihm zum 85. Geburtstag geführt hat. Es geht vor allem um seinen Steit mit Joachim Fest und dessen Versuche, Albert Speer hoffähig zu machen: "Es ist falsch, Fest für naiv zu halten. Seine Speer-Präsentation hat nichts mit Gutgläubigkeit zu tun, wohl aber mit seiner politischen Überzeugung und Taktik und vielleicht auch mit seinem Patriotismus. Indem er Speer der Nation, vor allem den kleinen Nazis und den Mitläufern als anständigen, wenn nicht gar edlen Nazi verkauft hat, verhalf er ihnen zu einem guten Gewissen. Wenn sich ein Mensch mit einem so außerordentlichen Talent wie Speer verstricken ließ, dann waren letztlich alle, die mitgemacht haben, entsühnt. Der gigantische Erfolg der Speer-Bücher hat damit zu tun. Ich unterstelle Fest keine bösen Absichten, nur konnte und kann bei Speer von Verstrickung keine Rede sein. Er war der nationalsozialistische Schwerverbrecher, der sich von Göring oder Himmler nur dadurch unterschied, dass er gute Manieren hatte."

Nur in der Printausgabe gibt es einen Text von Peter Schneider zum Ende von Rot-Grün zu lesen. Schneider hatte angesichts der Niederlage in NRW zwar kurz das Gefühl, seiner Mannschaft sei "unerhörtes Unrecht geschehen", aber eigentlich weiß er es besser. Die Regierung hat ihr Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken, einfach nicht eingehalten. Und noch etwas kreidet er Gerhrad Schröder an: "Im Unterschied zu Tony Blair in England oder Göran Persson in Schweden ist es Schröder nie gelungen, den Traditionalisten in der eigenen Partei den Besitzanspruch auf 'die höhere Moral' zu entreißen und ihre Gerechtigkeitshuberei als Gruppenegoismus zu entlarven."

Magazinrundschau vom 24.05.2005 - Spiegel

Es geht politisch nicht mehr um links oder rechts, verkündet die Schriftstellerin Juli Zeh in einem lesenswerten Essay im Spiegel, sondern um Freiheit oder Sicherheit. "Es ist nicht der Mensch als Teil eines unmündigen, von Verkaufsstrategien manipulierten, ausgebeuteten und entmenschten Konsumentenkollektivs, der unsere Epoche prägt. Auch nicht der schafdumme Endverbraucher, den man zum Schutz vor sich selbst mit Verboten umstellen und erst wieder lehren muss, was der Sinn des Lebens ist. Viel eher leben wir doch in einem Zeitalter, das durch ein hohes Maß an allgemeiner Bildung und Aufgeklärtheit sowie durch eine weitgehende Verwirklichung von Freiheitsidealen gekennzeichnet ist." Die Gretchenfrage ist für Zeh daher: "Sehnen wir uns nach einer kleinen, sicheren Welt oder arbeiten wir weiter an dem Versuch, die Ränder der Chancengleichheit (und damit des Risikobereichs) möglichst weit auszudehnen - auch über staatliche Grenzen hinaus? Und wären wir bereit, für eines unserer alten oder neuen Ideale in materieller Hinsicht etwas aufzugeben? Wie wollen wir denn nun sein - stark, schön und erfolgreich oder edel, hilfreich und gut?"
Stichwörter: Chancengleichheit, Zeh, Juli

Magazinrundschau vom 08.03.2005 - Spiegel

"Wenn westliche Pornografie ein Symptom westlicher Dekadenz ist, dann ist östliche Pornografie eine Begleiterscheinung der östlichen Repressionen. Pornografie ist fast immer das Ergebnis - oder das dramatische Symptom - eines nichtpornografischen sozialen Unbehagens. Sie ist fast nie dessen Ursache", schreibt der Autor Salman Rushdie in einem Aufsehen erregenden Essay für Timothy Greenfield-Sanders' Bildband "XXX 30 Porn-Star Portraits", den der Spiegel in dieser Woche abdruckt. Die subversive Qualität der Pornografie zeige sich zum Beispiel im Iran: "Die iranische Regierung sperrt immer wieder den Zugang zu Websites mit 'pornografischen und regierungsfeindlichen Inhalten'. Das ist übrigens eine interessante Wendung. Als Chomeini 1979 an die Macht kam, haben seine verurteilungsfreudigen Ajatollahs, wie etwa der 2003 verstorbene Chalchali, zahlreiche Prostituierte hinrichten lassen. Und nun scheinen die Porno-Königinnen die Stoßtrupps der Opposition zu bilden!"

Magazinrundschau vom 30.11.2004 - Spiegel

Der Spiegel stellt nichts online (außer für Abonnenten des E-Papers). Der Titel handelt von der immer noch zunehmenden Zahl von Scheidungen in Deutschland und ihrem angeblichen Hauptopfer: "Der geplünderte Mann". Alexander Osang schreibt eine lesenswerte Reportage über die Abiturklasse von Andrea Merkel.

Der Kulturaufmacher beklagt einen neuen Hang zur Leichtfertigkeit im Umgang mit der deutschen Geschichte bei Künstlern wie Norbert Bisky, der mit Vorliebe arische Knaben in "Heil Hitler"-Pose malt oder auch in Filmen wie "Napola": "Scheint ganz so, als mache sich derzeit in Deutschland ein oft irritierende Wille zur Unbefangenheit breit: eine Art Sehnsucht nach später Wiedergeburt...Die Grauen der Judenvernichtung scheinen auserzählt, aufs Publikum wirken die Täter unterhaltungstechnisch attraktiver."