Magazinrundschau - Archiv

Revista de Libros

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Magazinrundschau vom 12.07.2005 - Revista de Libros

Wozu braucht man (heute noch) Journalisten? fragt sich Gabriela Esquivada in einem melancholischen Bericht über eine Veranstaltung zum zehnten Geburtstag der von Gabriel Garcia Marquez begründeten Fundacion Nuevo Periodismo Iberoamericano: "Um gut informiert zu sein, muss man zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr unbedingt Zeitung zu lesen. Aus verschiedenen Gründen erscheint Zeitungslesen heute oft schon als der reinste Luxus." Journalisten, die angesichts von längst in die Millionen gehenden Bloggern und anderen Bescheidwissern ihre Existenz auch künftig rechfertigen wollen, sollten sich zumindest Fragen stellen wie diese: "Haben wir Einfluss? Erzählen wir alles, was wir wissen? Wem fühlen wir uns vor allem verpflichtet, den Lesern oder den Zeitungseigentümern? Wissen wir, wer uns bezahlt? Sind wir uns der Tatsache bewusst, dass unsere Quellen versuchen, uns zu manipulieren? Haben wir ausreichend Mittel, um zu recherchieren?"

Über Vergangenheit und Zukunft der lateinamerikanischen Stadt meditiert der peruanische Schriftsteller Alfredo Bryce Echenique: "Während in Nordamerika die Urzelle der Stadt, das Symbol der Kolonisierung, das 'Fort' darstellte, wie wir es aus Wild West-Filmen kennen, hinter dessen Mauern sich Siedler verschanzten, die in keiner Weise auf die Arbeitskraft der Eingeborenen angewiesen waren, ja, diese ausschlossen, ließen die Begründer der südamerikanischen Städte - die Repräsentanten von Gegenreform und Inquisition, Katholizismus und Aristokratie - die Masse der ursprünglichen Landesbewohner - ihre künftige Dienerschaft - auf einem großen Platz im Zentrum zusammenkommen, wo sie von allen vier Seiten aus die neue Macht am eigenen Leib verspüren konnten." Für die wild wuchernden südamerikanischen Städte der Gegenwart, "die sich jeglicher staatlichen Kontrolle entziehen und alle Versuche urbanistischer Rationalität unmöglich machen", steht jedoch "in jeder Hinsicht als großes Vorbild Miami - inzwischen de facto die Hauptstadt Lateinamerikas".

Magazinrundschau vom 22.03.2005 - Revista de Libros

Nirgendwo ist die Vergabe von Literaturpreisen so korrupt wie in der spanischsprachigen Welt. Alle wissen über die Manipulationen Bescheid, trotzdem funktioniert das Ganze verblüffend gut. Zum ersten Mal sind nun aber der Gewinner eines solchen Schein-Wettbewerbs, dessen Agent sowie der Verlag, der den Preis ausgelobt hatte, gerichtlich zu einer Geldstrafe verurteilt worden - am Ende eines Prozesses, der sich über acht Jahre hinzog. Der Titel des strittigen Werks lautet sinnigerweise "Brennender Zaster". Um den Fall ist ein endloser Streit zwischen Literaten entstanden. Wenig elegant bediente sich der beklagte Autor, der bekannte argentinische Essayist und Romancier Ricardo Piglia, der guten alten "Haltet den Dieb!"- Methode, als er zwei Wochen nach dem Gerichtsurteil sein Schweigen beendete und seinen Kontrahenten attackierte, den argentinischen Schriftsteller Gustavo Nielsen: "Der typische Streber-Autor, wie ihn schon Borges beschrieb, hat einen Literaturwettbewerb verloren und stürzt sich daraufhin wie ein Besessener auf den Gewinner, um ihn zu verleumden." Das Gericht gelangte dennoch zu der Auffassung, dass die Entscheidung der Jury zugunsten von Piglia seinerzeit auf einer ebenso klaren wie illegitimen Absprache beruhte, weswegen es dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zubilligte.

Dieser wehrt sich gegen Piglias Attacke mit der Äußerung, ihm sei es vor allem darum gegangen, die Transparenz der literarischen Wettbewerbe zu sichern, zumal diese für die meisten lateinamerikanischen Schriftsteller die einzige Möglichkeit darstellten, mit ihren Werken nennenswerte Geldsummen zu verdienen. Die chilenische Revista de Libros berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe vom bislang letzten Kapitel der Auseinandersetzung, einem offenen Brief des argentinischen Kultautors Enrique Fogwill, der Piglia vorwirft, ein Scheingefecht über literarische Qualität zu führen, statt die Wahrheit über die Manipulationen des seinerzeitigen Verlagsleiters und heutigen Agenten Piglias offenzulegen. Kaum weniger peinlich ist die Geschichte für die Mitglieder der damaligen Jury, zu der unter anderem so bekannte Autoren wie Mario Benedetti, Tomas Eloy Martinez und Augusto Roa Bastos gehörten.

Offensichtlich unberührt von derlei Streitigkeiten äußert der spanische Schriftsteller Enrique Vila-Matas in einem Text für dieselbe Ausgabe der Revista de Libros über die Frage nach dem Sinn und Unsinn der Literaturproduktion: "Es gibt nichts Friedfertigeres auf dieser Welt als einen Menschen, der sich in das Buch vertieft, das er in seinen Händen hält."
Stichwörter: Borgen, Martinez, Tomas Eloy

Magazinrundschau vom 08.02.2005 - Revista de Libros

Mit einem schönen Text über das komplizierte Verhältnis von Blick und Gesetz in verschiedenen Teilen der gegenwärtigen Welt eröffnet der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro eine neue Kolumne für die Revista de Libros, die Literaturbeilage der chilenischen Tageszeitung El Mercurio:

"'Für die Fotografie gibt es nur noch in der Dritten Welt einen frei zugänglichen öffentlichen Raum', meinte der Fotograf Raul Ortega nach seiner Rückkehr von einer Reportage aus Chiapas. Für eine Aufnahme wie Robert Doisneaus berühmten 'Kuss vor dem Rathaus von Paris' müsste man heute zuvor mit Anwälten eine Vereinbarung aushandeln. Paradoxerweise wird aber in den Städten der entwickelten Welt, in denen man die Fotografie als aufdringliche Zumutung betrachtet, jedermann aus Sicherheitsgründen ungefragt per Video überwacht. Von einer besonders eindrücklichen Erfahrung auf einem deutschen Bahnhof berichtete der Schriftsteller Javier Marias: Als er sich einmal am Fahrkartenschalter beschwerte, weil man ihm falsch herausgegeben hatte, erklärte der Verkäufer, als handelte es sich um die natürlichste Sache der Welt, er werde sich das Ganze noch einmal auf Video ansehen. So erfuhr Marias, dass alles, was er dort getan hatte, offensichtlich Teil einer großen Reality-show gewesen war."

Passend dazu ebenfalls in der aktuellen Ausgabe der Revista de Libros: Eine Kurzgeschichte des jungen chilenischen Schriftstellers und Journalisten Daniel Villalobos über eine Razzia gegen peruanische Migranten - die auch auf einem Foto zu sehen sind - in der chilenischen Hauptstadt Santiago: "Fuerza publica".

Magazinrundschau vom 04.01.2005 - Revista de Libros

In der Revista de Libros der chilenischen Tageszeitung El Mercurio gelangt Camilo Marks im Rückblick auf das vergangene Literatur-Jahr zu folgender Einschätzung: "Die glorreichen Zeiten der sechziger und siebziger Jahre liegen weit hinter uns; damals las alle Welt Carpentier, Onetti, Sabato, Cortazar, Rulfo, Puig und vielleicht noch zwanzig andere Autoren, deren Werke den Buchhändlern in den spanischsprachigen wie auch in Dutzenden anderer Länder zu Tausenden aus den Händen gerissen wurden. Heute betätigen sich stattdessen in jedem einzelnen Land Lateinamerikas Hunderte von Schriftstellern, die aber nur im Ausnahmefall außerhalb ihrer Heimatländer bekannt werden. Die Globalisierung hat uns äußerst provinziell gemacht, selbstbezüglich, isoliert - in Chile liest man chilenische Autoren, in Bolivien Bolivianer, dasselbe gilt für Guatemala usw. usf. In Spanien spielen zum ersten Mal seit fünfzig Jahren spanische Autoren wieder eine größere Rolle als lateinamerikanische."

Magazinrundschau vom 12.07.2004 - Revista de Libros

Neruda satt diese Woche in der spanischsprachigen Presse. Zum 100. Geburtstag des 1973 verstorbenen Dichters und Nobelpreisträgers tut sich natürlich besonders die Presse seines Heimatlandes, Chile, hervor. Revista de Libros, die Literaturbeilage von El Mercurio, hat sich die offizielle Festschrift besorgt, zu der auch Hans-Magnus Enzensberger beigetragen haben soll. An dieser Stelle nachzulesen ist allerdings nur, wie Mario Vargas Llosa behauptet, schon als 10-jähriger in dem vom Nachttischchen seiner Mutter entwendeten Band "Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung" geblättert zu haben. Die erotischen Verse verstand er nur insofern, dass sich da die ein oder andere "Sünde" verbarg. Ziemlich schmalzig geht in derselben Festschrift, die nur an Staatsgäste und Bibliotheken verteilt wird, Carlos Fuentes zu Werk: "Am siebten Tag der amerikanischen Schöpfung waren Gott und der Teufel müde. Da sprach Pablo Neruda und taufte all die Dinge dieses großartigen und schrecklichen Kontinents mit ihrem Namen".

Der Dichter wird auch in einer Vielzahl weiterer Artikel geehrt. Interessant zu lesen ist etwa wie der peruanische Literaturkritiker Julio Ortega begründet, warum der dieses Jahr erstmals verliehene Pablo-Neruda-Preis an den Mexikaner Jose Emilio Pacheco geht. Andere Beiträge beschäftigen sich mit mehreren der Biografien zu Neruda (hier und hier). Eine davon, "Las furias y las penas", ist übrigens in Deutschland entstanden: David Schidlowskzy hat mit ihr am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin promoviert und wird hierzu interviewt (auch die "Junge Welt" ist schon auf ihn gestoßen).

Magazinrundschau vom 01.06.2004 - Revista de Libros

Die Literaturbeilage der chilenischen Tageszeitung El Mercurio hat den hier schon mehrfach zu Wort gekommenen argentinischen Schriftsteller und Journalisten Rodrigo Fresan interviewt. Anlass ist sein neuer, von der spanischen Kritik hochgelobte Roman "Jardines de Kensington", der im Herbst unter dem englischen Titel "Kensington Gardens" bei Fischer auch in Deutschland erscheinen wird. Darin geht es, auf über 500 Seiten, um die Geschichte von James Matthew Barrie, dem Schöpfer von Peter Pan. "Sagen wir, dass Barrie einer dieser Menschen war, die dem verfielen, was Henry James den "Wahn der Kunst" nannte: von seiner eigenen Schöpfung verschlungen zu werden. Für Schriftsteller ist das eine Art Berufsrisiko. Dickens und Hemingway und Fitzgerald und Kerouac sind daran gestorben. Salinger hat es kommen sehen und daher vorgezogen, zu verschwinden. Peter Pan ist nichts anderes als die ideale Sublimierung eines perfekten Albtraumes", erzählt Fresan seinem Interviewer Juan Pablo Meneses. Übrigens lebt er schon seit 1999 nicht mehr in Argentinien. Wie auch sein vor gut einem Jahr verstorbener chilenischer Freund Roberto Bolano hat er sich in der Nähe von Barcelona niedergelassen, von wo aus der Vielschreiber spanischsprachige Kulturbeilagen und Zeitungen mit "mindestens zwanzig monatlichen Artikeln" versorgt . Barrie scheint aktuell zu sein. Das TLS (siehe dort) berichtet, dass auch Andrew Birkin erin Buch über ihn geschrieben hat.

Aus dem Nachlass einer der ganz Großen der lateinamerikanischen Literatur, Manuel Puig, ist indes ein neues Buch erschienen, "Un destino melodramatico", "Ein melodramatisches Schicksal" . Gabriela Goldchluk hat diverse Drehbücher und Roman-Vorarbeiten des Autors von "Der Kuss der Spinnenfrau" zusammengestellt. "Der Frust Manuel Puigs war es, nie so glamourös geohrfeigt worden zu sein wie Rita Hayworth, und auch nicht Lara Turner zu heißen, die so wunderbar weinen konnte. Wie auch Susan Hayward mochte er nicht sterben. Aber wir Menschen sind ein sich wandelnder Widerspruch und Puig musste sich jeden Tag rasieren, wie ein wahrer Macho", befindet Rezensent Vera-Meiggs über den bekennenden Homosexuellen Puig..

Ebenso in Revista de Libros: eine Besprechung von "Cosa de Negros", einem Band mit zwei Kurzgeschichten und zwei Novellen des bislang eher als Dichter und Agitator bekannten Argentiniers Washington Cucurto, im wirklichen Leben Santiago Vega. Die Kritiker der argentischen Tageszeitung Pagina 12 haben dieses Buch zu einer der wichtigsten literarischen Veröffentlichungen des vergangenen Jahres gekürt. In einer oralen, derben, aber gleichwohl barocken Sprache geht es um zumeist illegale lateinamerikanische Einwanderer in Argentinien. Manche davon sind Schwarze. Cucurto malt sich beispielsweise aus, wie sich die Tochter Evita Perons in einen von ihnen unsterblich verliebt. Veranschaulicht werden hier die "Überbleibsel des neoliberalen Albtraumes der neunziger Jahre", meint Rezensent Milton Aguilar. Cucurto ist übrigens Mitbegründer eines bemerkenswerten Verlages, Eloisa Cartonera, der für drei argentinische Pesos ganz besondere Bücher herstellt: Schächtelchen mit Fotokopien, die von Altpapiersammlern aus recyceltem Karton hergestellt werden. Für das Projekt haben schon so namhafte Autoren wie Ricardo Piglia und Cesar Aira unveröffentlichte Texte beigesteuert.

Magazinrundschau vom 22.12.2003 - Revista de Libros

Die Diskussion um die Vergabe des wichtigsten spanischsprachigen Literaturpreises, des Premio Cervantes, an den chilenischen Dichter Gonzalo Rojas dauert an. Viele meinen, dass diese Auszeichnung eher an seinen ebenfalls schon über 80-jährigen Landsmann und Poeten Nicanor Parra (mehr) hätte gehen sollen. Die beiden werden schon seit Jahrzehnten als Konkurrenten wahrgenommen und können sich auch nicht besonders gut leiden. In der Literaturbeilage des chilenischen El Mercurio erzählt Rojas, wie es 1958 zu dem Zerwürfnis kam: Parra hatte sich in einem Interview abfällig über ihn geäußert, und er rächte sich mit einem bitterbösen Gedicht, das er auch noch "Grazie und Unglück eines Antipoeten" nannte. "Das hat uns getrennt", meint Rojas heute. Im Unterschied zu vielen Kommentatoren sieht er das aber nicht so eng: "Er ist ein Grundstein, und ich auch" (der chilenischen Poesie, ist anzunehmen).

Was als Geplänkel zwischen altehrwürdigen Dichter daherkommt, hat einen ernsteren Hintergrund wie Romancier Alberto Fuguet beschreibt : die außerordentlich hochdotierten spanischen Literaturpreise bringen eine zweischneidige mediale Aufmerksamkeit mit sich. "Das ist nichts für Schwächlinge. Da muss man stark sein, sehr stark, und sehr dickhäutig. Ein Preis garantiert nichts als Lärm, Polemik und Skandal. Wenn Politiker, Preister, Manager, Generäle, Sportler und Fernsehmoderatoren zu Fall gebracht werden, warum nicht auch Schriftsteller", findet Fuguet. Ganz falsch sei es, wie Gonzalo Rojas so zu tun, als sei ihm der Ruhm egal. Berühmte Schriftsteller sollten vielmehr dazu stehen, dass sie dergestalt zu Lesern kommen, und auch alle Konsequenzen tragen: "Regel Nummer eins: wenn du im Rampenlicht stehen willst, verinnerliche, dass sie dich nicht nur ansehen, sondern möglicherweise auch verbrennen werden."

Fuguet, der noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist, obwohl er einen wunderbaren Roman über chilenische Boulevardjournalisten geschrieben hat ("Tinta Roja"), kann mit Antonio Skarmeta noch ein weiteres Beispiel anführen. Der ehemalige chilenische Botschafter hat jüngst für seinen neuen Roman, "El baile de la victoria", ebenfalls einen Preis bekommen. Und nicht irgendeinen: mit sagenhaften 601.000 Euro ist der Planeta die höchstdotierte spanischsprachige Auszeichnung. Allerdings ist weithin bekannt, dass es bei der Auswahl mehr um Vermarktung als um Qualität geht. Der literarisch interessierten Öffentlichkeit ist der Planeta-Preis deswegen suspekt. Davon kann Skarmeta mittlerweile ein Lied singen, denn sein Buch über "Liebe und Freundschaft" ist von der Kritik gnadenlos verrissen worden (hier eine noch wohlwollende Besprechung, die den ein oder anderen "interessanten" Aspekt ausmacht). "Wäre der Roman nicht preisgekrönt worden und in einem anderen Verlag und in einem anderen Jahr erschienen, würde es dem Autor jetzt vielleicht besser gehen", meint Fuguet, der allerdings ebenso davon überzeugt ist, dass die Kritiker "Skarmeta nicht so leicht fertigmachen werden".
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