Magazinrundschau - Archiv

The New York Times

766 Presseschau-Absätze - Seite 4 von 77

Magazinrundschau vom 31.05.2022 - New York Times

Moises Velasquez-Manoff verfolgt im New York Times Magazine den anwachsenden Trend der Impfgegnerschaft. Dazu tragen auch verzerrte Informationen bei, wie er von Kolina Koltai erfährt, die die Thematik an der University of Washington erforscht: Eine wahre Aussage wird aufgegriffen aus dem Zusammenhang gerissen, erklärt sie. "Eine dieser Wahrheiten ist, dass Impfungen gelegentlich furchtbare Reaktionen auslösen. Jene 'unerwünschten Ereignisse', wie sie euphemistisch genannt werden, sind äußerst selten. Auch wenn der Zusammenhang nicht vollständig belegt ist, gibt es Hinweise darauf, dass eins von einer Million Kinder, das beispielsweise die Dreifachimpfung gegen Mumps, Masern und Röteln erhält, Enzephalitis entwickelt, eine potenziell gefährliche Entzündung des Gehirns. Zwischen drei und vier von einer Million Geimpfter gegen die Grippe werden von einer Lähmung namens Guillain-Barré befallen. Peter Hotez (Dekan der National School of Tropical Medicine am Baylor College of Medicine) weist allerdings darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit von einem Blitz getroffen zu werden - 1 zu 500000, laut dem Center for Disease Control - größer ist, als von einer dieser Nebenwirkungen betroffen zu sein. Außerdem sind diese Erscheinungen behandelbar. Wichtiger aber ist, dass die Krankheiten selbst sehr viel wahrscheinlicher zu jenen Nebenwirkungen führen als die Impfungen. Die Grippe kann Guillain-Barré und zahlreiche andere Krankheiten auslösen. Eine Masern-Infektion führt in einem von 1000 Fällen zu Enzephalitis, übersteigt also um ein Vielfaches das entsprechende Risiko der Masern-Impfung. Das gilt ebenso für die Covid-19 Impfung: Die Gerinnungsstörung und Herzentzündung im Zusammenhang mit einer Covid-19 Impfung, treten genauso, sogar sehr viel häufiger, bei einer tatsächlichen Covid-19 Infektion auf."

Magazinrundschau vom 24.05.2022 - New York Times

Im New York Times Magazine berichtet James Verini, begleitet von erschütternden Bildern Paolo Pellegrins, aus dem zerstörten ukrainischen Charkiw, wo die Absurdität der Geschichte den Ukrainern trotz aller Verzweiflung nicht entging: "So sehr Putin auch von der Wiedergutmachung der Geschichte sprach, seine Truppen bombardierten ohne Rücksicht auf die Geschichte - ohne Rücksicht auf Russlands eigene Geschichte. Diese Heuchelei stand in den Gesprächen der Charkiwer über den Krieg immer im Hintergrund, wenn nicht im Vordergrund. Schlimmer als heuchlerisch, schlimmer als ironisch, wie sie betonten, war die Belagerung sadomasochistisch. Selbstmörderisch. Russland behauptete, die Ukraine sei Russland, hat sich Russland mit der Invasion der Ukraine dann nicht selbst überfallen? Wollte es sich selbst umbringen? Was könnte man sonst daraus schließen? Den Russen war ihr eigenes Leben ebenso gleichgültig wie das ihrer Opfer. Schauen Sie sich nur an, wie sie ihre Truppen behandelten: Sie schickten sie unausgebildet, unterernährt und ohne Kommando in die Schlacht und ließen ihre Leichen auf dem Schlachtfeld verrotten - um 'von Hunden gefressen zu werden', wie es hieß."

Außerdem hat die NYT ein ganzes Dossier der Geschichte Haitis seit seiner Befreiung von der Sklaverei gewidmet. Mehrere Artikel behandeln die Geschichte der Reparationen, die Haiti nach seiner - durch eigene Kräfte erfolgten! - Befreiung an Frankreich zahlen musste, die Banken in Frankreich und den USA, die Haiti auch nach Abbezahlung seiner "Schulden" aussaugten, und die Forderungen nach Reparation, die zuletzt der ehemalige Staatspräsident Jean-Bertrand Aristide gestellt hatte - dessen Privatvermögen laut Wikipedia auf 40 Millionen Dollar geschätzt wird. Und eben das fehlt leider: ein Artikel, der auch die Kollaboration und Korruption haitianischer Machthaber (die teilweise durchaus angerissen wird) beschreibt. Nicht um das Unrecht, das Haiti angetan wurde, zu relativieren. Sondern weil er verdeutlichen würde, dass in der Forderung nach Reparationen sehr ungemütliche Fallstricke lauern: Etwa die Frage, an wen diese ausgezahlt werden sollten. Dass Haiti aber schon im 19. Jahrhundert, direkt nach der Befreiung, unter Androhung von Gewalt von den Franzosen buchstäblich ausgeblutet wurde, steht außer Frage, liest man den ersten Artikel: "Es wird oft als 'Unabhängigkeitsschuld' bezeichnet. Aber das ist eine falsche Bezeichnung. Es war ein Lösegeld. Der Betrag überstieg bei weitem die mageren Mittel Haitis. Allein die erste Rate war etwa sechsmal so hoch wie das Einkommen der Regierung in jenem Jahr, basierend auf den offiziellen Einnahmen, die der haitianische Historiker aus dem 19. Jahrhundert, Beaubrun Ardouin, dokumentiert hat. Aber das war der Sinn der Sache und Teil des Plans. Der französische König hatte dem Baron einen zweiten Auftrag erteilt: Er sollte dafür sorgen, dass die ehemalige Kolonie einen Kredit bei jungen französischen Banken aufnahm, um die Zahlungen zu leisten. Dies wurde als Haitis 'doppelte Schuld' bekannt - das Lösegeld und der Kredit, um es zu bezahlen - eine überwältigende Last, die das junge Pariser internationale Bankensystem ankurbelte und dazu beitrug, Haitis Weg in die Armut und Unterentwicklung zu zementieren. Den Aufzeichnungen Ardouins zufolge überstiegen allein die Provisionen der Bankiers die Gesamteinnahmen der haitianischen Regierung in jenem Jahr. Und das war nur der Anfang. Die doppelte Verschuldung trug dazu bei, dass Haiti in einen Schuldenkreislauf geriet, der das Land mehr als 100 Jahre lang lähmte, ihm einen Großteil seiner Einnahmen entzog und seine Fähigkeit beeinträchtigte, die für eine unabhängige Nation unerlässlichen Institutionen und Infrastrukturen aufzubauen. Generationen, nachdem versklavte Menschen rebelliert und die erste freie schwarze Nation in Amerika gegründet hatten, wurden ihre Kinder gezwungen, für andere zu arbeiten, manchmal für wenig oder gar keinen Lohn, zuerst für die Franzosen, dann für die Amerikaner, dann für ihre eigenen Diktatoren."

Magazinrundschau vom 17.05.2022 - New York Times

Das neue New York Times Magazine befasst sich mit Körpermodifikationen. Und so woke man hier inzwischen auch ist: Besteht die Wahl fürs Coverbild zwischen einem Hirnimplantat, dem neuen Penis eines Transmannes oder einem aufgespritzten weiblichen Hintern wählt die Redaktion... Ganz genau. Ferris Jabr besucht für seine Reportage Menschen, die durch eine Krankheit oder einen Unfall körperlich so schwer beeinträchtigt sind, dass sie technische Hilfsmittel nur übers Gehirn steuern können. Die Forschung zur Verbindung menschlicher Gehirne mit Technik beschränkt sich allerdings bisher auf einige Freiwillige. Einer von ihnen ist Dennis DeGray, der seit einem Unfall gelähmt ist und sich für ein Projekt der Stanford University zwei 4 mal 4 Millimeter große Elektroden in den Cortex implementieren ließ, die die Impulse hunderter Neuronen in ein elektrisches Signal umwandeln: "Die Algorithmen wurden von David Brandman entwickelt, der damals als Doktorand der Neurowissenschaften mit dem Team aus Stanford im Rahmen der Gruppe 'BrainGate' zusammenarbeitete. Er entwickelte sie so, dass sie schnell verschiedene Muster neuronaler Aktivität mit verschiedenen beabsichtigten Handbewegungen verknüpfen und sich alle zwei bis drei Sekunden aktualisieren, wobei sie theoretisch jedes Mal genauer werden. Wären die Neuronen in DeGrays Schädel Klaviernoten, dann wären seine unterschiedlichen Absichten mit einzigartigen Kompositionen vergleichbar. Der Versuch, seine Hand zu heben, entspräche beispielsweise einer neuronalen Melodie, während der Versuch, die Hand nach rechts zu bewegen, mit einer anderen übereinstimmte. Wenn der Decoder lernte, DeGrays Bewegungen zu erkennen, würde er Befehle senden, um den Cursor in die jeweilige Richtung zu bewegen. Brandman bat DeGray, sich eine Bewegung vorzustellen, mit der er den Cursor intuitiv kontrollieren könnte. Während er auf den Computerbildschirm starrte und seine Gedanken nach einem möglichen Beginn absuchte, erinnerte sich DeGray an eine Szene aus 'Ghost', in der der verstorbene Sam Wheat (gespielt von Patrick Swayze) unsichtbar einen Penny an der Tür entlang gleiten lässt, um seiner Freundin zu beweisen, dass er noch immer in spektraler Form existiert. DeGray stellte sich vor, wie er den Cursor genauso zum Ziel bewegte wie diesen Penny. Auch wenn er physisch unfähig war, seine Hand zu bewegen, versuchte er es trotzdem mit aller Kraft. Brandman war begeistert, als er sah, dass der Dekoder genauso schnell funktionierte, wie er erhofft hatte. In 37 Sekunden erlangte DeGray Kontrolle über den Kursor und erreichte den ersten leuchtenden Punkt. Innerhalb weniger Minuten erreichte er dutzende Ziele hintereinander."
Stichwörter: Woke, Algorithmen

Magazinrundschau vom 26.04.2022 - New York Times

Mit Interesse könnten einige Thalia- und Hugendubel-Manager Elizabeth A. Harris' Artikel über Barnes & Noble lesen. Die größte amerikanische Buchhandelskette schaffte unter dem neuen Manager James Daunt die Rekonversion vom Bösen in der Branche zu einem Akteur, den sogar unabhängige Verlage und Buchhändler schätzen. Denn Barnes & Noble ist in der amerikanischen Provinz meist der einzige, der überhaupt noch an die Existenz physischer Bücher erinnert. Und gleichzeitig heißt der Hauptfeind heute natürlich Amazon. Daunt renovierte die Kette vor allem, indem er sie dezentralisierte und lokalen Managern weit mehr Einkaufs- und Präsentationsbefugnisse gab. "Barnes & Noble hat auch aufgehört, von Verlegern Gebühren für die Platzierung bestimmter Bücher an gut sichtbaren Stellen wie am Eingang oder im Schaufenster zu verlangen. Das war wie Geld für nichts, sagt Daunt, aber es verursachte eine Kaskade von Problemen: Bücher, die niemand kaufen wollte, wurden an prominenter Stelle präsentiert, und große Bestellungen, die sich nicht verkauften, mussten zurückgeschickt werden. (Eine Besonderheit im Buchgeschäft ist, dass unverkaufte Bücher gegen volle Gutschrift an die Verlage zurückgegeben werden können, eine Praxis, die noch aus der Zeit der Depression stammt. Die Versand- und Bearbeitungskosten können erheblich sein.) Jetzt können die Filialleiter selbst entscheiden, welche Bücher sie bewerben wollen."
Stichwörter: Buchhandel, Barnes And Noble

Magazinrundschau vom 12.04.2022 - New York Times

Das New York Times Magazine macht ein Special über Geld, sehr viel Geld, und immer noch sehr viel mehr Geld. Es geht um die Listen mit den reichsten Milliardären der Welt - und sie werden immer mehr, Forbes zählt weltweit über 2.500. Übrigens kann man das Ranking auch live hier beobachten. An der Spitze steht Elon Musk mit zur Zeit 264 Milliarden Dollar Vermögen. Der reichste Deutsche ist ein gewisser Dieter Schwarz (Lidl & Co. Südfrüchtenhandlung, 46 Milliarden). Dass man viele Milliardäre mit ihrer geballten Macht kaum kennt, ist eines der Probleme mit ihnen. Willy Staley fragt Kerry Dolan, die die Forbes-Liste mit Dutzenden von Kollegen erstellt, was der Alptraum eines Milliardärs, den man nicht dingfest machen kann, für sie ist: "Sie sagte mir, das sei jemand, der in den neunziger Jahren still und leise einen Anteil an einem Unternehmen für, sagen wir, 250 Millionen Dollar verkauft und ihn dann gut investiert hat. Heute könnte ein solcher Mann mit seinem Reichtum tun, was er will: Lastwagenladungen von Nazi-Memorabilien kaufen, versuchen, den Bürgermeister zu überreden, die städtische Kanalisation zu privatisieren, oder vielleicht beides, und Sie würden nichts davon mitbekommen. Und eigentlich hätte er nicht einmal besonders klug mit seinem Geld umgehen müssen. Hätte er 1992 250 Millionen Dollar in einem S.&P.-Tracking-Indexfonds geparkt und es dabei belassen, wäre er heute mehr als 4 Milliarden Dollar wert."

Außerdem im Special: Michael Steinberger porträtiert den Milliardär Nicolas Berggruen, der in Berlin in zwiespältiger Erinnerung ist, nun aber gute Taten in Los Angeles verbringt und fortan von sich behaupten kann, dass die New York Times ihn mit den Medici verglichen hat (am 20 November 2010 notierten wir über ihn: "Auf der letzten Seite (des FAZ-Feuilletons) erzählt der Karstadt-Investor und Milliardär Nicolas Berggruen im Interview mit Ingeborg Harms, wie er durch sein Nicola-Berggruen-Institute Einfluss auf die Politik nehmen will. Als Berater dient ihm unter anderem der deutsche Gasmann Gerhard Schröder.")

Magazinrundschau vom 05.04.2022 - New York Times

Wer um 2000 nach New York reiste und sich für Film interessierte, hat wahrscheinlich mehrere Stunden in der legendären, mehrstöckigen Videothek "Kim's Video" verbracht, wo es gefühlt sogar das gab, was es nicht gibt. 2009 musste der Laden schließen - die gigantische Filmsammlung wurde (unter Tränen der New Yorker Cinephilie) nach Italien verschifft, wo sie den Grundstock eines Kulturzentrums bilden sollte, das sich jedoch nie materialisiert hat. Nun ist sie nach New York zurückgekehrt, berichtet Gabe Cohn in einer an skurrilen Anekdoten nicht armen Reportage: Die ursprünglich in Austin gegründete (und wie "Kim's Video" ähnlich legendäre) Kinokette Alamo Drafthouse hat sich die 550 Kartons umfassende Sammlung unter den Nagel gerissen, um damit ihre Dependance in Manhattan um eine Videothek zu erweitern. Dahinter steckt "eine Langzeitstrategie, um die Alamo-Kinos zu Orten umzugestalten, an denen man länger verweilt, die eine physischere Erfahrung bieten als ein Streamingdienst. Schon ursprünglich grenzte sich die Kette von ihren Mitbewerbern mit ähnlichen Formen gehobenen Geektums ab - inklusive Gourmetburgern, loungigen Kipp-Sesseln und Lobbys voller Erinnerungsstücke. Doch nun, da der Gang ins Kino sich in einen Streamingkrieg verwandelt hat, bei dem tausende Filme nur einen Klick weit entfernt liegen - worin könnte da die Bedeutung einer Videothek im Jahr 2022 bestehen? ... Für Skip Elsheimer, der das Videoprojekt von Alamo leitet, besteht der fundamentale Aspekt eines Besuchs in einem Videoladen vielleicht gerade darin, die Cover durchzusehen, deren Gestaltung eingehend zu betrachten und die Texte auf der Rückseite zu lesen. 'Wenn die Leute diese Erfahrung machen und damit die Erfahrung, wie es damals war, zu Kim's zu gehen, dann ist das schon ein Erfolg', sagt er. 'Wenn sie was ausleihen, dann ist das großartig. Wenn sie ein Kim's-T-Shirt oder einen Aufkleber mitnehmen, ebenso.' Aber bei der Videothek im Alamo-Kino in Raleigh fangen die meisten Gäste mit dem Stöbern an und belassen es auch dabei. 'Die schnappen sich ein Bier und klappern einfach die Regale ab', sagt er. 'Irgendwas daran fühlt sich einfach irre gut an. Es kitzelt das Gehirn.' Bei Alamo soll das Verleihgeschäft Teil einer Erfahrung sein, der größeren des Kinobesuchs. Und nun, da die meisten Videotheken verschwunden sind (...) ist dies vielleicht tatsächlich die Art, wie ein moderneres Publikum von heute Videotheken auffassen könnte, insbesondere was jüngere Generationen betrifft, die solche Läden nie selbst besucht haben."

Magazinrundschau vom 29.03.2022 - New York Times

Wie anfällig sind demokratische Gesellschaften für das Appeasement gegenüber Autokratien und Diktaturen, vor allem, wenn diese etwas zu bieten haben? Wie manipulierbar sind die Öffentlichkeiten in Demokratien? Warum bewundern gewählte Politiker Finsterlinge wie Wladimir Putin, von denen erwiesen ist, dass sie Giftmörder und Kriegsverbrecher sind, oder behaupten zumindest, sie einhegen zu können? Eliot Cohen erzählt in seinem ausführlichen Putin-Porträt eigentlich nicht viel Neues über Putin, aber spricht mit einigen, die mit ihm umgingen, und sie sagen immer wieder über Putin: "Something is definitely different." Als hätte sich Putin geändert und nicht ihre Wahrnehmung Putins, der ihnen nur näher auf die Pelle rückt. Kann man es fassen, was man Cohen etwa von einem hohen diplomatischen Berater Frank-Walter Steinmeiers, Thomas Bagger, zitieren hört? "'Im Nachhinein betrachtet, hätten wir schon vor langer Zeit mit dem beginnen sollen, was wir jetzt in aller Schnelle tun müssen', sagt der ranghöchste deutsche Diplomat Bagger, 'unser Militär zu stärken und die Energieversorgung zu diversifizieren. Stattdessen haben wir mitgemacht und die Ressourcenströme aus Russland noch verstärkt. Und wir haben eine ausgehöhlte Armee mitgeschleppt.' Und er fügt hinzu: 'Wir haben nicht erkannt, dass Putin sich in eine historische Mythologie hineingesponnen hat und in Kategorien eines tausendjährigen Reiches denkt. So jemanden kann man nicht mit Sanktionen abschrecken.'"

Die Oscars haben nicht erst durch die Entgleisung bei ihrer Verleihung am Sonntag ihre Relevanz verloren, das Hollywood-Kino befindet sich schon seit Jahren im Niedergang. Bereits vor der peinlichen Oscar-Nacht schrieb Ross Douthat: "Statt Filme für Erwachsene zu produzieren, bediente die Traumfabrik nur noch die Bedürfnisse von Teenagern: "Die Globalisierung erweiterte den Markt für Hollywood Produktionen, doch das globale Publikum erforderte einen schlichteren Erzählstil, der besser zwischen Sprachen und Kulturen übertragbar war, mit weniger Komplexität, Eigenheiten und kulturellen Spezifika. Das Internet, der Laptop und das Iphone personalisierten die Unterhaltung und machten sie unmittelbar verfügbar, auf eine Weise, die gleichfalls Hollywoods potentielles Publikum erweiterte, aber die Menschen auch an kleinere Bildschirme gewöhnte, an privates und unterbrochenes Schauen, das Gegenteil vom gemeinschaftlichen Kino. Spezialeffekte eröffneten spektakuläre (wenn auch manchmal antiseptisch wirkende) Blick und machten es möglich, Geschichten zu verfilmen, die lange nicht für die große Leinwand tauglich waren. Die Kassenschlager, die mehr noch als ihre Vorgänger der 1980er Jahre auf Effekte zielten, bestärkten eine Fan-Kultur, die den Studios ein kalkulierbares Publikum einbrachten, allerdings zu dem Preis, dass traditionelle Aspekte des Kinos der Jedi-Religion oder dem Marvel-Kult untergeordnet wurden. All diese Verschiebungen begünstigten und wurden begünstigt durch eine weitgreifende 'Verteenagerung' der westlichen Kultur, die Ausweitung des Geschmacks und der Unterhaltungsgewohnheiten der Jugendlichen auf all das, was man heute unter Erwachsensein versteht."

Magazinrundschau vom 22.03.2022 - New York Times

Lange nichts von William Langewiesche gehört, einem der großartigsten Reporter Amerikas. Seine Art, Geschichten zu erzählen, die nicht permanent "Ich ich ich" sagt, ist fast altmodisch geworden. Und er ist auch in seiner jüngsten Reportage ein mutiger Autor, nicht so sehr, weil er sich in den brasilianischen Regenwald begibt, sondern weil jeder von Anfang ahnt, dass seine Geschichte kein gutes Ende haben wird. Er porträtiert den freien Anthropologen Edward Luz, der für wirtschaftliche Interessenten gegen Schutzgebiete für unberührte Völker kämpft - nicht gerade ein sympathischer Job. Aber Langewiesche ist auch ehrlich genug darzulegen, dass die Utopie der Unberührtheit selbst in der Ethnologie umstritten ist. Luz ist Sohn eines evangelikalen Priesters, und wie man heute auch an anderer Stelle erfährt, ist nichts zerstörerischer als ideologischer Wahn: "Der Vater von Edward Luz, dessen Name ebenfalls Edward Luz lautet, leitet heute den brasilianischen Ableger der 'New Tribes Mission'. Die Mutterorganisation in den Vereinigten Staaten und die ihr angeschlossenen Organisationen entsenden weltweit etwa 3.000 Missionare. Sie lebt von reichlichen Spenden evangelikaler Kirchen in ganz Nordamerika. Im Jahr 2017 änderte sie ihren Namen in Ethnos 360, einige Jahre nach einem Skandal um Kindesmissbrauch in ihren Internaten im Senegal und auf den Philippinen. Die Gruppe wurde 1942 von einem bekehrten Kalifornier namens Paul Fleming gegründet, der als junger Mann eines Nachts in Los Angeles aufwachte und seine Mutter sah, die neben seinem Bett kniete und für sein Seelenheil betete. Dieses Erlebnis scheint ihn geprägt zu haben. Er wurde Missionar, wurde nach Britisch-Malaya geschickt, um Seelen zu retten, erkrankte an Malaria und kehrte nach Kalifornien zurück, um sich zu erholen. Später half er mit, die New Tribes Mission zu gründen, um das Evangelium zu allen 'unberührten' Völkern der Welt zu bringen, wie es seiner Meinung nach in der Bibel gefordert wird, um die Wiederkunft Christi einzuleiten." Langewiesches Reportage spielt in einem der abgelegensten Teile des Dschungels - und auch hier zeigt sich, dass seine Zerstörung nicht mehr aufzuhalten ist.

Magazinrundschau vom 15.02.2022 - New York Times

Der Investor Peter Thiel (Paypal, Facebook Palantir) - sich selbst als libertär bezeichnender Rechts-Außen und nebenbei Träger des Frank-Schirrmacher-Preises mit Laudator Sebastian Kurz (der inzwischen in seinen Diensten steht) - ist jetzt einer der zwei oder drei Hauptfinanziers all jener Republikaner, die gegen die wenigen verbliebenen republikanischen Trump-Gegner antreten. Dafür gibt Thiel 20 Millionen Dollar aus und gehört damit zu den zwei oder drei größten Finanziers der Trump-Fraktion. Ryan Mac und Lisa Lerer schreiben ein alles in allem recht braves Porträt dieser modernen Inkarnation des Hasses auf Demokratie. Aber er ist verheiratet mit seinem langjährigen Boyfriend, erfährt man nebenbei, mit dem er zwei Kinder hat. "Was Thiels Parteispenden von anderen abhebt, ist die Konzentration auf Kandidaten der extremen Rechten, die mit den von Trump vertretenen Verschwörungstheorien hantieren und sich selbst als Rebellen darstellen, die entschlossen sind, das republikanische Establishment und sogar die breitere amerikanische politische Ordnung zu stürzen. Diese Kampagnen haben Millionen an Kleinspenden gesammelt, aber Thiels Reichtum könnte die Verlagerung von Ansichten, die einst als marginal galten, in den Mainstream noch beschleunigen - und ihn selbst zu einem neuen Makler der Macht auf der Rechten in Amerika machen."

FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube hat laut Deutschlandfunk betont, dass der Schirrmacher-Preis an Thiel für Schirrmacher selbst d'accord gegangen wäre. Sebastian Kurz war zum Zeitpunkt der Preisverleihung noch österreichischer Bundeskanzler. Laut Thiel-Biograf Max Chafkin schätzt Thiel seinen neuen Angestellten Sebastian Kurz, weil dieser den Brückenschlag von der extremen Rechten zum Mainstream geschafft habe, heißt es in einem Bericht des ORF.

Aufatmen kann man in dem Porträt, das Jonah Weiner über Bob Odenkirk schreibt: jenem genialen Darsteller eines kleinen Ganoven in "Better Call Saul", dem vielleicht auch gegen Thiel ein Rezept einfallen würde.

Magazinrundschau vom 18.01.2022 - New York Times

James Verini schildert in einer langen Reportage die komplexe, oft paradoxe Situation auf der ukrainischen Seite der Front zu den abgespaltenen Gebieten am Donbass. Die Bevölkerung fühlt sich oft Russland verbunden, die ukrainischen Soldaten der Ukraine. Sie blicken mit Misstrauen auf die Bewohner, die sie zugleich gegen die Russen verteidigen. Verini erzählt auch über Maryna und ihre Schwägerin Valia, die er in ihrem schönen Garten an der Front besucht: "Der Krieg verschlimmerte eine schlechte Situation noch. Monatelang lebten sie im Keller. Marynas Vater war behindert, und sie trugen ihn jeden Tag unter die Erde. 'Wir wussten nicht, wer die Sezessionisten waren', sagt Maryna. 'Wir waren alle gleich, und dann wachten wir eines Morgens auf, und plötzlich waren die Leute unten an der Straße Sezessionisten. Und wir waren Gott weiß wer.' Jetzt waren sie der Feind. 'Die Soldaten sagten: 'Ihr seid hier alle Sezessionisten.'' Sie hatten nicht die Mittel fortzugehen. Und selbst wenn, wohin? Und Maryna spricht einen Satz aus, den ich immer wieder von Menschen im Donbass hörte: 'Wer braucht uns?'"