Im
New York Times Magazine berichtet James Verini, begleitet von erschütternden Bildern Paolo Pellegrins, aus dem zerstörten ukrainischen
Charkiw, wo die Absurdität der Geschichte den Ukrainern trotz aller Verzweiflung nicht entging: "So sehr Putin auch von der
Wiedergutmachung der Geschichte sprach, seine Truppen bombardierten ohne Rücksicht auf die Geschichte - ohne Rücksicht auf Russlands eigene Geschichte. Diese Heuchelei stand in den Gesprächen der Charkiwer über den Krieg immer im Hintergrund, wenn nicht im Vordergrund. Schlimmer als heuchlerisch, schlimmer als ironisch, wie sie betonten, war die Belagerung
sadomasochistisch. Selbstmörderisch. Russland behauptete, die Ukraine sei Russland, hat sich Russland mit der Invasion der Ukraine dann nicht selbst überfallen? Wollte es sich selbst umbringen? Was könnte man sonst daraus schließen? Den Russen war
ihr eigenes Leben ebenso gleichgültig wie das ihrer Opfer. Schauen Sie sich nur an, wie sie ihre Truppen behandelten: Sie schickten sie unausgebildet, unterernährt und ohne Kommando in die Schlacht und ließen ihre Leichen
auf dem Schlachtfeld verrotten - um 'von Hunden gefressen zu werden', wie es hieß."
Außerdem hat die
NYT ein ganzes Dossier der
Geschichte Haitis seit seiner Befreiung von der Sklaverei gewidmet. Mehrere Artikel behandeln die
Geschichte der Reparationen, die Haiti nach seiner - durch eigene Kräfte erfolgten! - Befreiung an Frankreich zahlen musste, die Banken
in Frankreich und
den USA, die Haiti auch nach Abbezahlung seiner "Schulden" aussaugten, und die
Forderungen nach Reparation, die zuletzt der ehemalige Staatspräsident
Jean-
Bertrand Aristide gestellt hatte - dessen Privatvermögen laut Wikipedia auf 40 Millionen Dollar geschätzt wird. Und eben das fehlt leider: ein Artikel, der auch die
Kollaboration und Korruption haitianischer Machthaber (die teilweise durchaus angerissen wird) beschreibt. Nicht um das Unrecht, das Haiti angetan wurde, zu relativieren. Sondern weil er verdeutlichen würde, dass in der Forderung nach Reparationen sehr ungemütliche Fallstricke lauern: Etwa die Frage, an wen diese ausgezahlt werden sollten. Dass Haiti aber schon im 19. Jahrhundert, direkt nach der Befreiung, unter Androhung von Gewalt von den Franzosen
buchstäblich ausgeblutet wurde, steht außer Frage, liest man den
ersten Artikel: "Es wird oft als 'Unabhängigkeitsschuld' bezeichnet. Aber das ist eine falsche Bezeichnung. Es war
ein Lösegeld. Der Betrag überstieg bei weitem die mageren Mittel Haitis. Allein die
erste Rate war etwa sechsmal so hoch wie das Einkommen der Regierung in jenem Jahr, basierend auf den offiziellen Einnahmen, die der haitianische Historiker aus dem 19. Jahrhundert, Beaubrun Ardouin, dokumentiert hat. Aber das war der Sinn der Sache und Teil des Plans. Der französische König hatte dem Baron einen zweiten Auftrag erteilt: Er sollte dafür sorgen, dass die ehemalige Kolonie
einen Kredit bei jungen französischen Banken aufnahm, um die Zahlungen zu leisten. Dies wurde als Haitis 'doppelte Schuld' bekannt - das Lösegeld und der Kredit, um es zu bezahlen - eine überwältigende Last, die das junge Pariser internationale Bankensystem ankurbelte und dazu beitrug, Haitis Weg in die Armut und Unterentwicklung zu zementieren. Den Aufzeichnungen Ardouins zufolge überstiegen allein
die Provisionen der Bankiers die Gesamteinnahmen der haitianischen Regierung in jenem Jahr. Und das war nur der Anfang. Die doppelte Verschuldung trug dazu bei, dass Haiti in einen
Schuldenkreislauf geriet, der das Land mehr als 100 Jahre lang lähmte, ihm einen Großteil seiner Einnahmen entzog und seine Fähigkeit beeinträchtigte, die für eine unabhängige Nation
unerlässlichen Institutionen und Infrastrukturen aufzubauen. Generationen, nachdem versklavte Menschen rebelliert und die erste freie schwarze Nation in Amerika gegründet hatten, wurden ihre Kinder gezwungen, für andere zu arbeiten, manchmal für wenig oder gar keinen Lohn, zuerst für die Franzosen, dann für die Amerikaner, dann für ihre eigenen Diktatoren."