Es ist eine jener typischen Kritiken aus der
New York Review, fair bis in die Zehenspitzen, immer darauf aus, vor den Einwänden das Positive zu benennen. Und
Tim Wu, Erfinder der "Netzneutralität", eines Grundbegriffs der digitalen Ära, Rechtsprofessor an der Columbia-Universität und Autor einiger wichtiger Bücher über die Digitalisierung,
bespricht Shoshana Zuboffs Buch "The Age of Surveillance Capitalism", und er findet
einiges Wichtige darin, das wichtigste im Titel selbst: "Überwachungskapitalismus" sei eine wahrhaft geniale Prägung. Zuboff sieht die Internetnutzer als Versuchskaninchen in einem gigantischen
behaviouristischen Experiment, das darauf abzielt, unser Verhalten zu manipulieren. Wu kann Zuboff weithin zustimmen, wenn sie den
allumfassenden Zugriff von Google, Facebook und anderen Plattformkonzernen auf die Daten der Nutzer kritisiert, allerdings kann er ihr nicht folgen, wenn sie Google als
das Böse an sich sieht: Nach all ihren Argumenten, so Wu, "bleibt eine harte Frage:
wie wichtig ist das überhaupt? Haben Google und Facebook als Beeinflusser unseres Verhaltens tatsächlich eine größere Durchschlagskraft auf uns als traditionelle Werbekonzerne oder andere Einflussquellen? Dem
Marlboro Man, der 1954 debütierte, schrieb man eine Steigerung der Zigarettenverkäufe um 3.000 Prozent zu, nachdem die Zigarette zunächst als Frauenmarke vermarktet worden war (Slogan: 'Mild wie der Mai'). Und wie sollen wir den Einfluss Googles gegenüber dem eines Mediums wie
Fox News bemessen, der der traditionellen Propagandaformel folgt? Kann der Einfluss von Plattformen tatsächlich mit früheren Formen der Propaganda verglichen werden, die etwa die Deutschen hinter Hitler versammelte?" Nun ja, der
Hinweis auf China, das den Überwachungskapitalismus mit dem Totalitarismus verbindet, kommt in Wus Kritik auch - es wird aber nicht ganz klar, ob auch Zuboff zu dem Thema etwas sagt.
Coco Fusco
stellt zwei kubanische Romane vor, die zeigen, wie sehr sich das
Leben auf Kuba in den letzten zwanzig Jahren verändert hat, nicht zuletzt wegen der
digitalen Technologien, die auch dazu beigetragen haben, die alten Antagonismen zwischen linken Revolutionären und ihren hartleibigen Gegnern aufzulösen. Heute lässt sich niemand mehr vorschreiben, was er auf
Facebook,
Youtube oder
Whatsapp zu sagen hat: "Zwei im vergangenen Jahr veröffentlichte Romane,
Carlos Manuel Álvarez' 'The Fallen' und
Enrique Del Riscos 'Turcos en la niebla' (Die Orientierungslosen), sind Beispiele für diese Entschlossenheit. 'The Fallen' wurde von Frank Wynne mit großer Präzision ins Englische übersetzt. Del Riscos Roman ist noch nicht übersetzt, aber er sollte es sein, wenn auch nur, um
Kubaphile, die kein Spanisch sprechen, dazu zu ermutigen, nicht mehr von Che Guevara und Fidel zu fantasieren und zur Kenntnis zu nehmen, wie die gegenwärtige amerikanische und kubanische Politik das Leben der Kubaner prägt. Diese Schriftsteller sind nicht nur kritisch gegenüber ihren Ältesten und der Welt, die sie geschaffen haben, sondern blicken auch ziemlich ironisch auf die scheinheilige Haltung der Gegner der kubanischen Regierung und die
verwirrende Selbstgefälligkeit ihrer Landsleute. Obwohl beide Autoren das Gefühl vermitteln, dass die Revolution gescheitert ist, halten sie sich nicht mit Ursachenforschung oder Schuldzuweisungen auf, sondern widmen sich den Mühen und Selbsttäuschungen der einfachen Kubaner."
Außerdem in der
NYRB:
Anne Enright, Madeleine Schwartz,
Joshua Hunt, Anna Badkhen,
Lauren Groff und andere Autoren
berichten in kurzen Briefen von ihren Erfahrungen mit der Pandemie. Fintan O'Toole
nutzt Bernie Sanders' Memoiren zu einem umfassenden Porträt des Politikers. Janet Malcolm
verliert sich in einem Foto, das Erinnerungen an eine
frühe Liebe wachruft. Luc Sante
liest Essays von
Glenn O'
Brien. Und Ethan Bronner
liest zwei Bücher zum Stand der Beziehungen zwischen amerikanischen und israelischen Juden.