Robert D. Kaplan wusste es schon vor 30 Jahren, als er über das ausgetrocknete Mali flog: "Die am meisten
benachteiligten Länder Westafrikas waren ein Mikrokosmos, wenn auch in übertriebener Form, für die Unruhen, die uns rund um den Globus erwarten würden. Von Afrika können wir sicherlich etwas lernen",
erinnert er uns im
New Statesman. Überbevölkerung, Dürre, ethnische Konflikte, Korruption und Kriege werden einen gewaltigen Migrationsdruck auf Europa schaffen, das an diesen Entwicklungen nicht gerade unschuldig ist, warnt Kaplan. Was könnte die Lösung sein? Mehr Demokratie? So einfach ist es nicht, zuallererst sollte man genau hingucken, empfiehlt er: "Um diese Welt zu begreifen, ist es wichtiger, sich mit den
Realitäten vor Ort zu befassen als mit politikwissenschaftlichen Abstraktionen. … Im Jahr 2006 machte ich mit Spezialkräften der US-Armee in
Mali eine extreme Erfahrung. Dort erfuhr ich, dass die Stadt
Timbuktu mit ihren Lehmziegelhäusern und gelegentlichen Satellitenschüsseln nicht, wie das Klischee besagt, das Ende der Welt ist, sondern ein
Teil der modernen Welt, die ich hinter mir ließ, als ich tiefer und nördlicher in die Sahara vordrang. Ich war auf dem Weg nach
Araouane, einem Ort mit wenigen Brunnen oder Einwohnern, der dennoch auf einer Landkarte verzeichnet war, als wäre er Cleveland. Aber niemand in Timbuktu, geschweige denn in der weit im Süden und Westen gelegenen Hauptstadt Bamako, hatte eine Ahnung, ob in Araouane
noch Menschen lebten und wie es um ihre Sicherheit und Gesundheit bestellt war. Die Green Berets mussten das herausfinden, indem sie sich tatsächlich dorthin begaben. Sie rechneten damit, dass sie von Timbuktu aus
vier Stunden bis nach Araouane brauchen würden. Wegen platter Reifen, überhitzter Autobatterien und wiederholtem Steckenbleiben im Sand dauerte es 11 Stunden. Araouane war ein Trümmerhaufen, in dem nur noch
Frauen,
Kinder und alte Menschen lebten, während die Männer auf den Karawanenrouten Banditentum und Handel betrieben. Mit der Einführung der Demokratie in Mali wurden die Politiker unter Druck gesetzt, die gesamten Hilfsgelder im bevölkerungsreichen Süden, in der Nähe der Hauptstadt Bamako auszugeben, wo die Wähler ihre Stimme abgaben. Dies war nur eine Art, wie Demokratie die
unmöglichen Grenzen Malis noch unwirklicher machte. Die Situation in diesen Wüstengebieten hat sich seit meinem Besuch durch den Zustrom radikaler islamistischer Gruppen in gewisser Weise verschlimmert. Als die französischen Kolonialherren im 19. und frühen 20. Jahrhundert diese Grenzen zogen, platzierten sie die Hauptstädte
so weit südlich und so nah an der Savanne wie möglich - zum Teil, damit die Städte lediglich eine nördliche Verlängerung der westafrikanischen Küste darstellen, wo sich die Kolonialtruppen meist aufhielten. Die Hauptstädte und die in ihrer Nähe lebenden Menschen sind eigentlich Teil der Sahelzone, einer ökologischen Übergangszone zwischen Wüste und Grasland. Doch aufgrund der
vom Imperialismus gezeichneten Landkarte sind die Regierungen von Niger und Mali auf die Zuständigkeit für
riesige Wüstengebiete angewiesen, die sich über die Sahara erstrecken und den größten Teil ihres Rechtsgebiets ausmachen. Niger ist so groß und leer, dass die libysche Grenze im Nordosten von der Hauptstadt Niamey weiter entfernt ist als die Großen Seen Nordamerikas vom Golf von Mexiko."