Magazinrundschau - Archiv

Music & Literature

2 Presseschau-Absätze

Magazinrundschau vom 16.02.2016 - Music & Literature

Zutiefst beeindruckt stellt der russisch-amerikanische Lyriker Eugene Ostashevsky die revolutionäre Lyrik der 1990 in Omsk, Sibirien, geborenen Dichterin Galina Rymbu vor. Insbesondere ihr Gedicht "the dream is over, Lesbia, now it's time for sorrow..." (englische Übersetzung hier, es ist das mittlere der drei Gedichte) lässt ihn nicht los. Parolen werden hier nicht geboten, im Gegenteil: Es geht um "das historische Jetzt, wann man sich genau an dem kurzen Moment wiederfindet, von dem an alles anders sein wird. Für die amerikanische Lyrik ist die Frage nach der Geschichte keine so natürliche. Auf einer Ebene denkt das Lesbia-Gedicht über das historische Jetzt nach: mittels Anspielungen auf Catull und - weniger offensichtlich - auf Horaz' Ode an den Tod Kleopatras. Anspielungen, die sich, indem russische und römische Situationen nebeneinander gestellt werden, gegenseitig erhellen. Auf einer anderen Ebene, wenn Rymbu zum dritten Mal das Wort 'Zeit' sagt, hören wir das Wort im Kontext des selben Themas (der Bestimmung eines historischen Wandels) wie bei Mandelstam. Ihre 'freien Verse' beschwören antikes Versmaß, wie im Echo auf Sappho, der ursprünglichen Lesbia, in Zeile vier. Doch trotz Rymbus Anspielungen auf die historische Vergangenheit ist ihre Sprache atemberaubend modern und flüssig und spielt dieses morphologische Spiel, das im Slang von Sprachen mit Flexionen möglich ist. Technologische Begriffe, die umgangssprachlich benutzt werden und politische Klischees wie den Putin-Slogan 'Russland erhebt sich von den Knien', dreht sie um gibt sie der lebendigen Sprache zurück."

Im Interview mit dem Übersetzer Jonathan Brooks Platt erklärt Rymbu, warum es ihrer Meinung nach Unsinn ist, von politischer Dichtung zu erwarten, sie solle "einfach" sein: "Man könnte glauben, die Unterdrückten hätten eine einfache Sprache, dass wir mit einer Serie von Reduktionen arbeiten sollten, damit wir uns als Künstler sprachlich verständlich machen können. Aber so etwas wie eine einfache Sprache gibt es nicht, sowenig wie es einfache Emotionen gibt. Hier ist alles sogar noch komplizierter - ein echtes Rattennest von Komplexität, gemacht aus den Sprachen der Gewalt, ideologischem Druck, Propaganda, biopolitischer Manipulationen, Resten aus der Vergangenheit, Fantasien, Hoffnungen und gewissen Samen der 'Emanzipation' - was bedeutet, teils gewalttätige Konzepte, die eine Vorstellung davon geben, was die 'einfachen Leute' zur Freiheit führen könnte. In diesem Sinne ist die Idee einer 'einfachen Sprache' einfach ein totaler syntaktischer, lexikalischer und diskursiver Kollaps. Damit kann man nicht arbeiten."

Magazinrundschau vom 27.10.2015 - Music & Literature

Mit großer Begeisterung schildert der Komponist George Grella in einem ausführlichen Artikel seinen Besuch bei den Ostrava Days, einem Festival für Neue Musik in Tschechien, das von dem Flötisten und Komponisten Petr Kotik gegründet wurde und alle zwei Jahre im Sommer stattfindet. Nirgends sonst kann man im Moment so viel Neue Musik so hervorragend vorgetragen hören, versichert Grella, nirgends trifft man so viele Komponisten in Person und nirgends ist das Publikum Neuer Musik gegenüber so aufgeschlossen wie in dieser, vom Bergbau und der Stahlindustrie geprägten Stadt, schwärmt Grella. Es gibt neben klassischen Werken der Moderne auch viel zeitgenössische Musik junger Komponisten. Dabei fiel Grella etwas auf: Heute gehören fast alle Komponisten einer Akademie an, die sie bezahlt. Bis vor etwa 50 Jahren war das noch anders. "Monteverdi, Bach, Beethoven, Mahler, Ives, Stravinsky, Debussy: sie alle waren arbeitende Komponisten und Musiker oder hatten Brotjobs. Harry Partch baute sein musikalisches Universum aus dem Nichts auf, bevor das IRCAM auch nur ein Schimmer in den Augen von Pierre Boulez war. Steve Reich und Philip Glass hatten ihren Anteil an Unterricht, aber ihr Durchbruch geschah fern von der Akademie. Das gilt auch für La Monte Young und Terry Riley. ... Hörte man der Musik in Ostrava zu, war es eine Überraschung, dass die älteren Stücke den stärksten Eindruck machten, dass die befriedigenden Sicherheiten der Geschichte das verlockende Gefühl übertrafen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Aber das Pendel schwingt weiter und in zwei Jahren kann es zur anderen Seite ausgeschlagen haben."

Auch in diesem halbstündigen Video von 2013 bekommt man einen ganz guten Eindruck von dem Festival: