Zutiefst beeindruckt
stellt der russisch-amerikanische
Lyriker Eugene Ostashevsky die revolutionäre Lyrik der 1990 in Omsk, Sibirien, geborenen Dichterin
Galina Rymbu vor. Insbesondere ihr Gedicht "the dream is over, Lesbia, now it's time for sorrow..." (englische Übersetzung
hier, es ist das mittlere der drei Gedichte) lässt ihn nicht los. Parolen werden hier nicht geboten, im Gegenteil: Es geht um "das
historische Jetzt, wann man sich genau an dem kurzen Moment wiederfindet, von dem an alles anders sein wird. Für die amerikanische Lyrik ist die Frage nach der Geschichte keine so natürliche. Auf einer Ebene denkt das Lesbia-Gedicht über das historische Jetzt nach: mittels Anspielungen auf
Catull und - weniger offensichtlich - auf
Horaz' Ode an den Tod Kleopatras. Anspielungen, die sich, indem russische und römische Situationen nebeneinander gestellt werden, gegenseitig erhellen. Auf einer anderen Ebene, wenn Rymbu zum dritten Mal das Wort '
Zeit' sagt, hören wir das Wort im Kontext des selben Themas (der Bestimmung eines
historischen Wandels) wie bei
Mandelstam. Ihre 'freien Verse' beschwören antikes Versmaß, wie im Echo auf Sappho, der ursprünglichen Lesbia, in Zeile vier. Doch trotz Rymbus Anspielungen auf die historische Vergangenheit ist ihre Sprache
atemberaubend modern und flüssig und spielt dieses morphologische Spiel, das im Slang von Sprachen mit Flexionen möglich ist. Technologische Begriffe, die umgangssprachlich benutzt werden und politische Klischees wie den Putin-Slogan 'Russland erhebt sich von den Knien', dreht sie um gibt sie der lebendigen Sprache zurück."
Im Interview mit dem Übersetzer Jonathan Brooks Platt
erklärt Rymbu, warum es ihrer Meinung nach
Unsinn ist, von
politischer Dichtung zu erwarten, sie solle "einfach" sein: "Man könnte glauben, die Unterdrückten hätten eine
einfache Sprache, dass wir mit einer Serie von Reduktionen arbeiten sollten, damit wir uns als Künstler sprachlich verständlich machen können. Aber so etwas wie eine einfache Sprache gibt es nicht, sowenig wie es einfache Emotionen gibt. Hier ist alles sogar noch komplizierter - ein echtes
Rattennest von Komplexität, gemacht aus den Sprachen der Gewalt, ideologischem Druck, Propaganda, biopolitischer Manipulationen, Resten aus der Vergangenheit, Fantasien, Hoffnungen und gewissen Samen der 'Emanzipation' - was bedeutet, teils gewalttätige Konzepte, die eine Vorstellung davon geben, was die 'einfachen Leute' zur Freiheit führen könnte. In diesem Sinne ist die Idee einer 'einfachen Sprache' einfach ein totaler syntaktischer, lexikalischer und diskursiver
Kollaps. Damit kann man nicht arbeiten."