Wenn der in Britannien kultisch verehrte Popkritiker
Ian Penman in
"Fassbinder. Thousands of Mirrors" über
Rainer Werner Fassbinder schreibt, kann Owen Hatherley nur
staunen, wie gut Penmans Mischung aus Post-Punk und französischer Theorie zu Fassbinders Mix aus
radikalem Denken und schlechtem Geschmack passt. Stichwort: Kunst und Ware. "Es gab keinen logischen und schon gar keinen finanziellen Zwang, drei oder vier abendfüllende Filme pro Jahr zu drehen: Fassbinder tat es, weil es ihm Spaß machte, und vermutlich, um eine Art Trieb zu befriedigen. Wenn man in einen Fassbinder-Rausch verfällt - Penman erzählt hier von einigen - fällt oft auf, wie gut die Filme sind, und zwar nicht trotz, sondern wegen dieser Überproduktion. Selten wünscht man sich, er hätte das Tempo gedrosselt, gelernt, seine Filme 'handwerklich' zu gestalten, über ihnen geschwitzt. Ein Teil des Vergnügens liegt in der Art, wie gut ihre
stachelige Unfertigkeit, ihre rohen Darbietungen und Folgefehler neben der
üppigen Kinematografie, den extravaganten Kleidern und der großartigen Musik funktionieren. Die zahllosen kitschig-modernistischen Interieurs sind ebenso Stars wie die Schauspieler. Alles ist
schnell, aber nichts zufällig. Die Schauspieler in den Melodramen von Mitte der 1970er Jahre, schreibt Penman, sehen aus 'wie ganz normale (müde, zerstreute, unbedeutende, träge, zurückgebliebene) Menschen: die Dinge, die sie tragen, die Art, wie sie lümmeln, rauchen, trinken, essen, ins Leere starren'; sie sind umgeben von Siebzigerjahre-Ramsch, den 'grellen, knalligen Farben der neuen Konsumgesellschaft', die einen halluzinatorischen Effekt erzeugen, 'als wäre der Alltag selbst eine Droge'. Kitsch ist für Fassbinder von entscheidender Bedeutung, sowohl in seinem persönlichen Geschmack (der Mann war kein Minimalist) als auch in seiner konventionelleren modernistischen Überzeugung, dass Kitsch immer dazu da ist, etwas zu verbergen. Penman behauptet, Fassbinder sei von den 1930er Jahren besessen, aber da bin ich mir nicht sicher... Fassbinders eigentliche Obsession waren
die fünfziger Jahre und das von den USA finanzierte Wirtschaftswunder in Westdeutschland. In seinen Filmen ging es nicht darum, wie eine Gesellschaft faschistisch wird, sondern darum, wie eine eben noch faschistische Gesellschaft Kleider, Autos, Wohlstand und Reichtum, Sex und Macht als Mittel gebraucht, um zu vermeiden, dass sie über ihren
Aufstieg aus rauchenden Ruinen nachdenkt - ganz zu schweigen von ihrer eigenen Duldung (oder noch schlimmer) des Völkermords.
Fassbinders Wut auf das deutsche Bürgertum war nicht die übliche Verachtung für Bequemlichkeit und Heuchelei; es war eine glühend heiße Wut darüber, dass ein Volk, das für solche Schrecken verantwortlich war, so selbstgefällig sein konnte." Heute, meint Penman übrigens, würde sich Rainer Werner Fassbinder in der neuen Medienwelt tummeln, ach was, er wäre der König dieses "
wilden zerfetzten Reiches", er würde TikTok-Videos drehen und einen Podcast über Schlager und Sexpolitik moderieren. Warum nur interessiert sich Social Medien kein bisschen für RWF?
Weiteres: In einem schier endlosen Essay
befasst sich Amia Srinavasan mit der
Rede- und Wissenschaftsfreiheit an britischen und amerikanischen Universitäten und kommt zu dem Ergebnis, dass die Linken viel Radau machen, die Rechten dagegen die Gesetze verschärfen.