Magazinrundschau - Archiv

Himal

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Magazinrundschau vom 30.04.2024 - Himal

Pakistan droht nach einer ersten Abschiebewelle weiteren Hunderttausenden von Afghanen im Land mit der Deportation in ihr Heimatland, berichtet Jamaima Afridi. Der Druck ist erheblich, betroffen sind Menschen, die teils in dem Land geboren wurden und sich dort eine Existenz aufgebaut haben. "Für Frauen stellt eine Rückkehr nach Afghanistan im Besonderen ein Risiko dar, da die Taliban Frauenrechte immer weiter einschränken, darunter auch das Recht zu arbeiten, auf Zugang zu Bildung und Zutritt zum öffentlichen Raum." Die Rechtsanwältin Moniza Kakar "ergänzt, dass Journalisten und Musiker ebenfalls ernsthaften Gefahren entgegen sehen, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren, vor dem Hintergrund, dass die Taliban die Pressefreit und die Musik einschränken, da das Regime sie für unislamisch hält." Die Regierung habe "eine klare Richtlinie für eine freiwillige Rückkehr zu einem angekündigten Termin', sagt Muhammad Abbas Khan, Pakistans Chefbeauftragter für afghanische Flüchtlinge. 'Sollte eine freiwillige Rückkehr nicht stattfinden, beginnt dieselbe Verfahrensweise, die auch bei illegalen Afghanen greift.' ... Ein Schlüsselaspekt dieser Vertreibung ist, dass viele Flüchtlinge dazu gezwungen waren, ihren Besitz zurückzulassen, oft inklusive Fortbewegungsmittel, Unternehmen oder anderen Besitz, der über Jahre durch harte Arbeit angehäuft wurde. Afghanischen Flüchtlingen ist es in Pakistan legal nicht gestattet, Immobilien und Unternehmen anzumelden. Daher sind sie dafür oft auf die Hilfe von pakistanischen Partnern angewiesen. Doch die pakistanische Regierung hat denen, die deportiert werden, lediglich gestattet, 50.000 Pakistanische Rupien mit sich zu nehmen. Das entspricht in etwa 168 Euro. Viele sahen sich daher dazu gezwungen, ihren Besitz zum niedrigen Preis abzutreten oder auf Geld zu verzichten, dass sie Freunden geliehen haben."

Magazinrundschau vom 23.01.2024 - Himal

Zille Huma, Maira Mumtaz und Johar Imam berichten von den bedrückenden Zuständen in Pakistans Gefängnissen: Nicht nur sind diese völlig überfüllt, medizinisch unterversorgt und hygienisch desolat - ein Großteil der inhaftierten Menschen muss solche Bedingungen auch noch ohne Urteilsspruch ertragen, da sie ihren Prozess noch erwarten. "Frauen, die in Pakistan ohnehin schon gesellschaftlich diskriminiert werden, berichten auch von diskriminierender Behandlung in den Gefängnissen. Manche von ihnen merken an, dass Schilder ihnen die Wichtigkeit des Purdah (der Schleier) und von Haya (Bescheidenheit) nahelegen. Stillende Mütter sprechen von einem Mangel an Privatsphäre in manchen Gefängnissen und dass sie anzüglichen Kommentaren des Aufsichtspersonals ausgesetzt sind. Jene, die keine andere Möglichkeit haben, als ihre jungen Kinder mit in die Haft zu bringen, erzählen von einem Mangel an nahrhaftem Essen und Schuleinrichtungen, die zu ihrer Lage passen. Für die Art und Weise, wie Frauen inhaftiert werden, gibt es keinen eindeutigen Standard im Land. Einige Regionen haben gemischtgeschlechtliche Gefängnisse, andere trennen nach Geschlechtern. Dies führte in manchen Fällen dazu, dass Frauen sehr weit weg von ihren Familien eingesperrt werden, in Haftanstalten, die für sie angemessen scheinen. Inhaftiere Frauen sind auch einem erhöhten Risiko sexuellen Missbrauchs ausgesetzt, da sie im Zuge der Überfüllung den Raum mit Männern teilen müssen und weil Gefängniswärter und -direktoren oft Männer sind. Im Bezirk Faisalabad haben 82 von 134 inhaftierten Frauen zwischen 2006 und 2012 sexualisierte Gewalt erlebt, wie das Justice Project Pakistan berichtet. ... In pakistanischen Gefängnissen herrscht eine Atmosphäre der Überwachung und Repression vor, während Armut, minoritäre ethnische oder religiöse Identitäten, subnationalistische Bestrebungen und dissidente politische Ansichten unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit bestraft werden. Dieses Gefängnissystem zu reformieren, ist äußerst schwierig, Dafür wären nicht nur neue Gesetze und Systeme nötig, man müsste auch festverankerte, diskriminierende Einstellungen abbauen, die Justizirrtümer begünstigen."

Das Magazin hat darüber hinaus einen ganzen Schwerpunkt zu Gefängnissen im asiatischen Raum: Haroun Rahimi beschreibt, wie sich das Jusizsystem unter den Taliban in Afghanistan geändert hat. Andrew M Jefferson berichtet von den desolaten Zuständen in Gefängnissen in Myanmar. Und Sharmila Purkayastha liest Texte und Gedichte, die in Gefängnissen entstanden sind.

Magazinrundschau vom 09.01.2024 - Himal

Vor 20 Jahren war der indische Schauspieler Shah Rukh Khan auch in Pakistan, wo Bollywoodfilme damals noch verboten waren, ein absoluter Held, erinnert sich Rafay Mahmood in einem schönen, wehmütigen und sehr aufschlussreichen Text. Geschaut hat man die Filme damals selbst noch als Soldat beim Militär unter dem Risiko drakonischer Strafen auf geschmuggeltem Equipment und mithilfe von Raubkopien, erfahren wir. Doch im Verhältnis zwischen Pakistan und Indiens berühmtestem Schauspieler hat sich etwas spürbar geändert, stellt Mahmood fest: Die pakistanische Öffentlichkeit reagiert nämlich weitgehend uninteressiert auf Khans aktuelles Comeback nach vier Jahren Filmpause. Die Gründe sind vielfältig und liegen auch in der phasenweise Liberalisierung während einer Zeit der Entspannung zwischen Indien und Pakistan: "Zwischen 2008 und 2023 schaute die neue Generation an Kinogängern unter den Pakistanis hauptsächlich Bollywood-Helden voller Machismo. Sie wussten nicht, was ihnen in den guten alten Zeiten von Shah Rukh entgangen ist und hatten daher auch wenig Grund, sich über seine Rückkehr zu freuen. Die Millennials wiederum, die Shah Rukhs frühere, romantische Leinwandpersona im Herzen bewahren, haben mittlerweile andere Prioritäten im Leben." Auch die Bollywoodfilme haben sich verändert, Shah Rukh Khans Comebackfilm "Pathaan" zum Beispiel ist  "verglichen mit Shah Rukhs großen Hits aus den Nullern anders im Tonfall und wie er indisch-pakistanische Themen aufgreift. 'Main Hoon Na' von 2004 etwa nutzte den Gefangenenaustausch zwischen Indien und Pakistan als zentralen Erzählkniff. Heute, da die Filmindustrie in Mumbai sich der hindunationalistischen Weltsicht der indischen Regierung gebeugt hat, scheint es völlig ausgeschlossen, dass ein Bollywoodfilm heute Einheit, Verständnis und Versöhnung zwischen den beiden Ländern nach vorne kehrt." Früher hatte Shah Rukh öffentlich für Aussöhnung plädiert. Das ist insbesondere in Social-Media-Zeiten nicht mehr der Fall: Er "hat auf die harte Tour lernen müssen, sich nicht mehr zur Politik und den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten des immer untoleranteren Indiens zu äußern. Doch wenn Fans die unerbittlichen Schrecken der Nachrichten verfolgen und von Krise zu Krise springen, dann wünschen sie sich nach wie vor, dass Indiens berühmtester und beliebtester Muslim sich von seiner unvergleichlichen Position aus dazu äußert. ... Es ist vor allem diese Hoffnung, für die Shah Rukh in Leben und Werk stets stand, die uns an seiner neuen Leinwandpersona und seiner persönlichen Verschlossenheit enttäuscht." Hier der Trailer zu "Pathaan", der in seinem martialischem Tonfall wirklich nichts mehr von dem Shah Rukh Khan aus den alten Liebes-Musicals spüren lässt, dem einst Millionen Herzen zuflogen:

Magazinrundschau vom 05.12.2023 - Himal

Fast unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit hat Pakistan entschieden, Millionen Afghanen, die zum Teil seit 1980 im Land leben, nach Afghanistan zu deportieren. Der Grund ist laut Premierminister Anwar-ul-Haq Kakar, dass die afghanischen Taliban seit 2021 Terrorgruppen wie Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), den Islamischen Staat Khorasan (IS-K) und zahlreiche separatistische Gruppen der Belutschen unterstützten, berichtet Salman Rafi Sheikh. "Die TTP hat in den letzten Jahren mehrere Anschläge in Pakistan verübt, ebenso wie der IS-K, bei dessen äußerst raffinierten Anschlägen unter anderem im Juli 2023 54 Menschen getötet wurden. Separatistische Gruppen der Belutschen, die in dem seit langem andauernden Aufstand gegen die pakistanische Herrschaft in Belutschistan aktiv sind, haben in der Vergangenheit Zufluchtsorte in Afghanistan gefunden. Politische Entscheidungsträger in Pakistan scheinen zu glauben, dass Afghanistan für anti-pakistanische Elemente attraktiver geworden ist, und machen dafür eindeutig die Taliban verantwortlich. Ein Beamter des pakistanischen Innenministeriums sagte mir unter der Bedingung der Anonymität: 'Alle in Afghanistan ansässigen Gruppen haben es nur auf Pakistan abgesehen. Der IS-K hat China und Russland nur einmal in Afghanistan angegriffen. Aber Pakistan wird seit dem Abzug der USA sowohl innerhalb Afghanistans als auch innerhalb seiner eigenen Grenzen angegriffen.' Der Beamte bezog sich dabei auf Anschläge innerhalb Pakistans sowie auf die pakistanische Botschaft in Kabul im Dezember 2022, für die der IS-K die Verantwortung übernahm. Die militante Gruppe bekannte sich auch zu einem Selbstmordanschlag auf das Außenministerium in Kabul im Januar 2023, an einem Tag, an dem eine chinesische Delegation Gespräche mit den Taliban in der Region führen sollte. Zuvor, im September 2022, hatte sie einen Selbstmordanschlag auf die russische Botschaft in Kabul verübt, bei dem zwei russische Diplomaten ums Leben kamen. Der Beamte sagte, dass 'dies möglich geworden ist, weil - und wir haben Gründe dafür, dies zu glauben - die afghanischen Netzwerke, die in Pakistan ansässig sind' - d.h. afghanische Flüchtlinge - 'als Kanäle für Terrorgruppen fungieren, um einzudringen und Anschläge zu verüben ... Ihr Ziel ist es, die Grenze [gemeint ist die Durand Line, d.Red.] irrelevant zu machen und pakistanisches Gebiet zu kontrollieren'."

Magazinrundschau vom 17.10.2023 - Himal

"Die Vögel des Friedens weinen in Käfigen/Die Leben unserer Kinder wurden durch eure Entscheidungen ruiniert", so lautet eine Zeile des Lieds, das bei den Protesten des Pashtun Tahafuz Movement im Jahr 2018 gesungen wurde, erinnert sich Hurmat Ali Shah. Ausgelöst durch den Tod von Naqeebullah Mehsud, der von der Sindh-Polizei unter falschen Anschuldigungen gefoltert und erschossen wurde, protestierten die Paschtunen gegen ihre alltägliche Entrechtung in Pakistan und ihre Rolle als "Bauern in einem blutigen Spiel", das sie über Jahrzehnte hinweg immer wieder zwischen das pakistanische Militär und die militanten Islamisten treibt, die in Khyber Pakhtunkhwah, der mehrheitlich paschtunischen Provinz an der afghanisch-pakistanischen Grenze aktiv sind. "Wenn sie uns unsere Rechte nicht geben/werden wir uns in einer kühnen Rebellion erheben", so geht das Lied weiter, und Hurmat Ali Shah bemerkt: In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich die Unterdrückung der Paschtunen in ihrer Lyrik niedergeschlagen. Eigentlich geprägt von Motiven wie Mystik, Liebe und Schönheit, haben sich "der Ton und das Timbre verändert, und die gemeinsamen Wörter und Themen waren nun jang (Krieg), aman (Frieden), zulm (Unterdrückung). Janan (Geliebte) wurde durch jang ersetzt, während die Sehnsucht nach masti (Ekstase) von der Sehnsucht nach aman (Frieden) abgelöst wurde. Früher war wajood (Existenz) das übergreifende Anliegen, doch jetzt verschmelzen wajood und zulm zu einem neuen Bewusstsein eines von Vernichtung bedrohten politischen Körpers. Diese Veränderungen prägen die paschtunische Poesie der heutigen Zeit. Wie der junge Dichter Ali Khan Umeed sagt:

Dalta da bal shante da sarru raaj dy
Dalta da ghatu topaku raaj dy
Pa hagha kaly ke dolay qaht shwe
Bas pa ogu da janazu raaj dy

Dieses Land wird von einer anderen Art von Lebewesen regiert
Dieses Land wird von großen Kanonen regiert
Hört zu! In dieser Stadt herrscht eine Hungersnot an Dolis
Die Schultern werden stattdessen zum Tragen von Leichenbahren benutzt.

Hier verwendet Umeed starke kulturelle Symbole, um die neue Lebenswirklichkeit zu vermitteln. In den paschtunischen Ländern - einschließlich Swat, der Heimat des Dichters - war es Tradition, eine Braut auf einer Doli, einer mit Blumen, Spiegeln und Kristallen geschmückten Sänfte, vom Elternhaus in ihr neues Heim zu tragen. Heute benutzen paschtunische Männer ihre Schultern, um stattdessen die Leichenbahren zu den Friedhöfen zu tragen."

Magazinrundschau vom 26.09.2023 - Himal

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Seit Generationen ist das Leben von Süd- und Westasiaten in vielfältiger Weise miteinander verknüpft, weiß Namrata Raju. Das Buch "Sovereigns oft he Sea: Omani Ambition in the Age of Empire" der indischen Historikerin Seema Alavi schließt nun endlich die "historische Lücken für diejenigen, die an einer zusammenhängenden Geschichte Omans, Sansibars und Südasiens interessiert sind", freut sich Raju. Entlang den Geschichten von fünf omanischen Sultanen erklärt der Band "die Verflechtung von Südasien, Westasien und Ostafrika durch Politik, Wirtschaft, den anglo-französischen Kolonialismus, den Sklavenhandel und unzählige Gemeinschaftsbeziehungen. Alavis Buch erzählt diese Geschichte aus der Sicht der Sultane und mit Fokus auf den Indischen Ozean von 1791 bis in die 1880er Jahre und lässt den Leser über die strengen Grenzen der Nationalstaaten nachdenken und darüber, ob die heutigen Grenzen jemals angemessen erklären können, wer wir heute sind und woher wir kommen." Der moderne Oman, so Raju, bildet angesichts seiner geschichtsträchtigen Vergangenheit "eine Brücke zwischen der alten und der neuen Welt". Ein Beispiel für die Gemeinsamkeiten der Kulturen, verrät sie, sind die Geschichten über Dschinns, die heute noch immer eine bedeutende Rolle spielen: "Man glaubt, dass Dschinns verborgene Wesen sind, die in einer Parallelwelt zu den Menschen existieren und weder unbedingt gut noch böse sind. Eng verwoben mit dem islamischen Glauben gibt es im Oman auch heute noch Gerüchte über Dschinns. So erzählte mir ein alter Freund in Oman, dass unerschrockene Reisende manchmal davor gewarnt werden, eine ältere Anhalterin mitzunehmen, die bei der Darsait-Überführung in Muscat auftaucht. Ohne dass die Reisenden es merken, entpuppt sich die Dame bald als Dschinn mit Ziegenbeinen. Solche Geschichten sind auch heute noch in der südasiatischen Landschaft anzutreffen. So glaubt man zum Beispiel, dass in Delhis berühmtem Feroz Shah Kotla, der 1354 von Feroze Shah Tuglaq erbaut wurde, Dschinns wohnen."

Magazinrundschau vom 29.08.2023 - Himal

Was Kaschmir für Indien ist, ist Belutschistan für Pakistan: Auch dort kämpft eine starke Bewegung für die Unabhängigkeit, berichtet der pakistanische Politologe Salman Rafi Sheikh. "Das pakistanische Militär ist mindestens seit 2006 in intensive Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen in Belutschistan verwickelt, als Akbar Bugti, der Sardar des Bugti-Stammes, in einer von General Pervez Musharraf, dem damaligen Präsidenten Pakistans, genehmigten Operation getötet wurde. Diese Aktion löste das aus, was Belutschen-Nationalisten heute als den 'fünften Unabhängigkeitskrieg' in Belutschistan seit 1948 bezeichnen, als sich ein Teil der Belutschen gegen den Beitritt zum neuen unabhängigen Pakistan erhob. In den letzten zehn Jahren hat sich Pakistans interner Krieg in Belutschistan nicht nur deshalb verschärft, weil der Staat es versäumt hat, den eigentlichen Grund für den separatistischen Aufstand anzugehen - d. h. die Forderung der Belutschen nach Kontrolle über die reichen Bodenschätze der Provinz und nach einem gerechten Anteil an der Macht -, sondern auch, weil sich der Staat bei dem Versuch, den Aufstand niederzuschlagen, in überwältigender Weise auf die Anwendung von Gewalt verlassen hat." Bisher hat das nicht viel genützt, obwohl die Belutschen nicht nur gegen Pakistan kämpfen, sondern auch gegen China. "Für die belutschischen Aufständischen ist China eine moderne Ostindien-Kompanie, die die Ressourcen Belutschistans ausbeutet, ohne der lokalen Bevölkerung irgendeinen Nutzen zu bringen. Chinesische Firmen bauen die Bodenschätze Belutschistans ab, und der Ausbau des Hafens von Gwadar ist die Krönung des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors."
Stichwörter: Pakistan, Belutschistan

Magazinrundschau vom 22.08.2023 - Himal

Amish Raj Mulmi stellt einige Bücher tibetischer Autoren vor, die im Exil nach einem neuen Zugang zu ihrer alten Heimat suchen. Und auch hier lernt man verstehen, wie sehr die Erfahrung des Exils auf den Menschen lastet: "Wie eine tibetische Prophezeiung voraussagte, sind die 130.000 Exiltibeter auf der ganzen Welt wie Ameisen über die Erde verstreut und größtenteils unsichtbar geworden. Ihre Geschichte wurde unter dem Begriff der 'Tibet-Frage' subsumiert, was bedeutet, dass die individuellen Geschichten der Vertreibung und des Leids in der Regel in Überlegungen zu Politik, Territorium und Souveränität eingeordnet werden, die auf die Annexion der tibetischen Hochebene durch die chinesische Regierung in den 1950er Jahren folgten. Jetzt erhebt eine neue Generation tibetischer Schriftsteller, die in englischer Sprache schreiben, Anspruch darauf, die Stimme des Exils zu sein durch eine Literatur, die bewusst das Trauma der Vertreibung hervorhebt, den vorherrschenden Erzählungen über Tibet widerspricht und den Diskurs von der harten Politik der Tibet-Frage wegbewegt. Die zeitgenössische tibetische Literatur, die aus der Entwurzelung der Tausenden von Menschen entstanden ist, die vor ihnen die eisigen Pässe des Himalaya in ein fremdes Land überquert haben, rebelliert gegen die traditionelle Fetischisierung Tibets und seiner Kultur durch den Westen. Doch ein Vertriebener zu sein, bedeutet unweigerlich auch, performativ zu sein. Wie der Schriftsteller und Übersetzer Tenzin Dickie in der Einleitung zu der bahnbrechenden Anthologie 'The Penguin Book of Modern Tibetan Essays' schreibt: 'Im Exil kann es sich manchmal so anfühlen, als ob wir zu viel reden; wir versuchen immer zu schreien, unser Exil, unsere Unterdrückung zu unterstreichen. Während sich tibetisches Schreiben aus dem Inneren oft wie ein Code wirkt, kann das Schreiben von außen manchmal wie eine Karikatur erscheinen. Sie müssen sich verstecken, und wir müssen auftreten.'"

Magazinrundschau vom 15.08.2023 - Himal

Sehr detailfreudig (und für Außenstehende vielleicht nicht immer ganz einfach nachvollziehbar) perspektiviert Karthick Ram Manoharan das tamilische Gegenwartskino vor dem Hintergrund seiner Geschichte und noch mehr vor dem gesellschaftspolitischen Kampf um das Kastensystem. Sein Befund: Aktuelle Produktionen (wie etwa Mari Selvarajs Polit-Thriller "Maamannan") kritisieren das Kastensystem und sind damit auch den Kinokassen erfolgreich. Sie knüpfen damit zumindest sachte an eine Welle von Filmen aus den Fünfzigern und Sechzigern an, die zumindest zwischen den Zeilen eine vorsichtige Kritik am Kastensystem durchscheinen ließen. Dass solche Entwicklungen nicht linear verlaufen, sondern Konjunkturen und Moden unterliegen, verdeutlicht der Politologe auch: Denn insbesondere das tamilische Kino der Neunzigerjahre zeichnete sich durch aggressiven Nationalismus und eine entschiedene Befürwortung des Kastensystems aus. "Neben 'Thevar Magan' waren auch "Chinna Gounder', 'Yejamaan' und 'Naataamai' im Kino erfolgreich. Die drei letztgenannten handelten von Gounders, einer gesellschaftlich und politisch dominanten Kaste im Nordwesten des indischen Staates Tamil Nadu. Der politische Kontext, in dem diese Filme veröffentlicht wurden, ist ebenfalls vielsagend. Zwischen 1991 und 1996 erlebte Tamil Nadu das erste Regime von J. Jayalalithaa, der Anführerin der Partei 'All India Anna Dravida Munnetra Kazhagam' (AIADMK), die der 'Dravida Munnetra Kazhagam'-Partei (DMK) nachfolgte. Die AIADMK genießt unter den Gounders und Thevaren erheblichen Rückhalt. Diese Gemeinschaften vergrößerten in dieser Zeit ihren politischen Einfluss. Es war auch eine Zeit, als progressive Aktivisten von der Polizei wegen angeblicher Verbidungen zu tamilischen Militanten gejagt wurden und als die Premierministerin in aller Öffentlichkeit ihre religiösen und abergläubischen Sentimente zur Schau stellte. ... Hinzu kam, dass die Neunziger auch die Zeit waren, als die wirtschaftliche Liberalisierung im großen Stil in Indien Einzug hielt. Viele Gemeinschaften in ganz Indien reagierten auf diesen Schub an Neoliberalismus und Globalisierung unter dem Eindruck, dass ihre Auffassungen von Zugehörigkeit und Tradition unter Beschuss waren. Der Erfolg solcher Filme, die ländliche Kasten verherrlichten, kann als Teil dieser Reaktion betrachtet werden."

Magazinrundschau vom 18.07.2023 - Himal

Kanchana N. Ruwanpura analysiert in ihrem Buch "Garments without Guilt?" den Arbeitsmarkt in der Textilindustrie Sri Lankas. Er hat das Image, den Näherinnen bessere Arbeitsbedingungen zu bieten als zum Beispiel Bangladesch. Aber das stimmt nur zum Teil, lernt Dina M. Siddiqi, die das Buch für Himal gelesen hat: "Wie kann es sein, überlegt Ruwanpura gleich zu Beginn, dass 'ein Land scheinbar stabile und sichere Fabrikgelände und Arbeitsbedingungen bieten kann und dennoch keinen existenzsichernden Lohn zahlt?' Anders ausgedrückt: Welche Art von Gerechtigkeit bringen die Verhaltenskodizes der Unternehmen mit sich, und in wessen Augen sind die daraus resultierenden Praktiken ethisch? ... 'Garments without Guilt?' lenkt unsere Aufmerksamkeit auch darauf, wie die Ästhetik ethischer Praktiken ebenso viel verschleiert wie offenbart. So wird beispielsweise ein Verbot der Wochenendarbeit durch längere Arbeitstage kompensiert. Es ist faszinierend zu erfahren, dass für einige Arbeiterinnen und Arbeiter die Bekleidungsfabriken in ihrer schieren materiellen 'Pracht' - glänzend, sauber und neu - eine Art Traumwelt darstellen, Räume, die mit Touristenzielen verwechselt werden könnten."