Magazinrundschau - Archiv

Le Figaro

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Magazinrundschau vom 12.12.2006 - Figaro

Am kommenden Donnerstag treffen sich in Paris zahlreiche Intellektuelle und Politiker, um die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft gegenüber der gegenwärtigen Atompolitik des Iran zu demonstrieren. Einige der Teilnehmer erläutern im Figaro vorab ihre Beweggründe, daran teilzunehmen. Der Philosoph Andre Glucksmann etwa erklärt: "Wir sind gewarnt: Die Bombe der islamischen Revolution ist nicht 'wie die anderen', sie transportiert eine spezifische Gefahr, indem sie die Risiken einer apokalyptischen Fehlentwicklung vervielfacht. Stanley Kubrick hat alles vorausgesehen, außer Teheran." Und der Schriftsteller Pascal Bruckner schreibt: "Europa sollte den kleinen persischen Führer [im Original auf Deutsch, d. Red.] wenigstens als einen Feind betrachten, ihn auch als einen solchen bezeichnen und an der Seite der Vereinigten Staaten keinerlei Optionen ausschließen, auch nicht eine militärische. Aber um eine Diktatur zu beenden, müsste man zu einer Kultur des Muts zurückfinden, um die es auf unserem alten Kontinent nicht gerade zum Besten bestellt ist."

Im Figaro Litteraire erklärt der Mittelalterexperte Jacques Le Goff die Bedeutung des Nationalgefühls und der Kenntnis der Geschichte für die aktuelle Politik.

Magazinrundschau vom 05.12.2006 - Figaro

In Cicero online war uns dieses interessante Gespräch zwischen dem deutschen Bestsellerautor Daniel Kehlmann und Alexander Solschenizyn gar nicht aufgefallen - es war wohl nicht freigestellt. Darum verlinken wir auf die Übersetzung im Figaro. Solschenizyn spricht hier unter anderem über die beunruhigende Frage, ob die Katastrophen des 20. Jahrhunderts unausweichlich waren. Er meint, ja: "Die bolschewistische Revolution von Oktober 1917 war eine direkte und absolut unvermeidliche Folge aus der Februar-Revolution. Wollte Gott, dass sich die Dinge so abspielen? Gott hat uns die Freiheit der Wahl nie abgenommen. Wir schaffen uns unsere Geschichte selbst. Wir stoßen uns selbst ins Grab. Und die Notwendigkeit oder Absurdität der Leiden hängt von der Fähigkeit der Leute ab, aus der Geschichte Lehren zu ziehen. Um über die Weltgeschichte im allgemeinen zu sprechen, glaube ich, dass ohne die russische Revolution eine andere, ähnliche, Revolution stattgefunden hätte, als Verlängerung der französischen Revolution. Denn die Menschen müssen für den Verlust des Gefühls der Begrenzung in ihren Begierden und Ansprüchen (...) bezahlen."

Magazinrundschau vom 28.11.2006 - Figaro

Auf der Meinungsseite nimmt der Philosoph Alain Finkielkraut noch einmal Stellung zur Affäre um den Philosophielehrer Robert Redeker, der wegen eines islamkritischen Artikels Morddrohungen erhielt. Redeker lebt zur Zeit im Versteck. Finkielkraut kritisiert das "Ja, aber..." mit dem Intellektuelle und Politiker Redekers Recht auf Meinungsfreiheit verteidigten und fordert Klarheit: "Selbst falls er unrecht hat - Redeker ist kein Rassist, wie Olivier Roy und andere behaupten. Redeker greift nicht eine Gemeinschaft an, sondern er verurteilt, was er für die Intoleranz und den Bellizismus einer religiösen Lehre hält. Den Gerechtigkeitsaposteln, die sich an Redekers Vehemenz stören, weil diese Lehre angeblich die Religion der Armen ist, bringen wir in Erinnerung, dass Sartre mitten in der stalinistischen Eiszeit aus der gleichen Mitleidslogik heraus jeden Antikommunisten als Hund bezeichnete. Wer den Sieg des Infamen verhindern will, muss Schluss machen mit der Idee, dass die Erniedrigten, Beleidigten, Verdammten dieser Erde stets unschuldig sind, auch wenn sie Schuld tragen, und dass die 'Herrschenden' stets schuldig sind, auch wenn sie unschuldig sind."

Magazinrundschau vom 26.09.2006 - Figaro

Die Sensation der rentree litteraire haben wir im Perlentaucher leider verpasst: Jonathan Littells 900 Seiten starker und in Frankreich bereits 170.000 mal verkaufter Roman "Les bienveillantes". Die Geschichte des Buchs ist allein schon verrückt genug: Ein unbekannter jüdischer Amerikaner schreibt auf französisch die fiktiven Memoiren eines SS-Manns, reicht sie bei Gallimard ein - und das Buch wird trotz stolzer Honorarforderungen sofort angenommen! Der Figaro litteraire meldet in der letzten Woche, dass das Buch als Favorit für praktisch alle Literaturpreise des Jahres gehandelt wird. "Wahre Spannung" liegt laut Figaro über der Angelegenheit, vor allem zwischen zwei der wichtigsten Preise, dem Prix Femina und dem Prix Goncourt: "Es gab schon einmal einen Streit. Im Jahr 1959 war Andre Schwarz-Barts Roman 'Dernier des Justes' eindeutiger Favorit für den Goncourt. Die Goncourt-Akademiker fürchteten, dass die Damen vom Femina ihnen zuvorkamen und verliehen den Preis einfach zwei Wochen vor dem vorgesehenen Datum."

Der Nouvel Obs macht Littells Buch in dieser Woche zum Anlass für ein online leider nicht zugängliches Titeldossier. Verwiesen sei zum Trost noch einmal auf Jürg Altweggs sehr instruktiven - vom Perlentaucher stiefmütterlich zitierten! - FAZ-Artikel vom 11. September, auf eine Besprechung in der NZZ, eine Kritik in Telerama und auf ein kleines Interview mit Littell in Le Monde. Recht polemisch eine Kritik in der NZZ: "ein Hauch von Obszönität".

Außerdem lobt Umberto Eco in einem Interview den europäischen "Sinn für Geschichte", den er dem amerikanischen "Verlust der kollektiven Erinnerung" gegenüberstellt. Als zweiter europäischer Alt- und Großintellektueller nach Habermas skizziert Eco hier auch eine Kritik des Internets: "Die Herrschaft des Internets, das eine Masse nicht hierarchisierter Elemente liefert, verschärft den Verlust der historischen Perspektive noch. Gerade die Überfülle an Informationen kann genau so gefährlich sein wie ihr Mangel." (Mit anderen Worten: lieber eine bibliotheque nationale mit Zugangsbeschränkung für zertifizierte Forscher als Google Book Search!)

Magazinrundschau vom 19.09.2006 - Figaro

In seinem Essay "L'Extreme Gauche plurielle" (Autrement) beschäftigt sich der Philosoph und Politikwissenschaftler Philippe Raynaud mit der extremen Linken. Er untersucht darin das Denken und die Kämpfe einer radikalen Bewegung, welche die französische Debatte nach wie vor beherrscht. Seine These: Viele einflussreiche, dem großen Publikum teilweise unbekannte Denker spielten via eines "kulturellen Linksextremismus" für die "Aufrechterhaltung des revolutionären Traums" in Frankreich eine erstaunliche Rolle. Den tatsächlichen Einfluss auf die politische Diskussion beschreibt er im Interview mit dem Figaro so: "Zunächst stellt die extreme Linke, ganz banal, einen Wahlfaktor dar: In keinem anderen europäischen Land hat sie im politischen Leben derart viel Gewicht. Das bereitet den Sozialisten echte Sorge, ihre Situation wäre weniger kompliziert, wenn die kommunistische Partei ihr Partner wäre. Doch der Einfluss der extremen Linken wird sich bei ihren Wählern bemerkbar machen. In der sozialen Debatte sind die Fragen der Globalisierungskritik sehr präsent und die extreme Linke profitiert darin vom allgemeinen Antiliberalismus in Frankreich. Wir sind zweifellos eines der wenigen Länder, in dem der Begriff 'liberal' eine Beleidigung ist. (...) Der Erfolg einer Zeitschrift wie Le Monde diplomatique mit einer Auflage von 400.000 ist ein Hinweis auf diese radikale Tendenz. So gibt es erstaunlicherweise selbst in der Provinz eine Art von Lesezirkeln, in denen sich Leute treffen, um Le Monde diplomatique zu lesen - wie die bourgeoisen Protestler zur Zeit der Aufklärung."

Magazinrundschau vom 06.06.2006 - Figaro

Das Französische befindet sich in einem glücklichen Aufschwung, behauptet Maurice Druon auf den Meinungsseiten des Figaro - das muss er aber auch, denn als Vorsteher der Academie francaise ist er für solche Erfolge zuständig. In seinem Artikel beklagt er sich allerdings vor allem über das mangelnde Engagement der französischen Regierung und erinnert noch mal daran, warum die Völker der Welt auf das Französische warten: "Die Globalisierung erlaubt es der Wirtschaftsmacht der Vereinigten Staaten, den Planeten mit seinen kulturellen Produkten und Nichtigkeiten zu überschwemmen. Und die Völker machen sich mehr oder weniger bewusst Sorgen über eine sterile Uniformisierung, in der sich ihre Persönlichkeit, ihr Erbe, ihre Differenzen auflösen. Daher eine Rückkehr zu der anderen universellen Kultur, zur älteren, humanistischeren - nämlich der französischen und also auch zu ihrer Sprache. Das Französische wird zur Garantie für das Überleben einer Vielfalt von Kulturen."

In einer ausführlichen Bittschrift fordert eine Reihe französischer Wissenschaftler und Intellektueller - darunter die Historiker Jean-Pierre Azema, Pierre Nora, Jacques Le Goff und der Schriftsteller Max Gallo - die Überführung der sterblichen Überreste des Historikers und Mitbegründers der Zeitschrift Annales Marc Bloch (1886-1944), der von der Gestapo erschossen wurde, ins Pantheon. Der "mit Sicherheit einer der bedeutendsten französischen Historiker" jüdischer Abstammung habe es nach der Okkupation trotz eines Angebots aus den USA vorgezogen, in Frankreich zu bleiben und "nur einen einzigen Gedanken" gehabt: Widerstand. Die Bittschrift endet mit dem Satz: "Monsieur le president de la Republique, wird es nicht Zeit, dass dieses Mannes gedacht wird, wie er es verdient, und ihm Ehre erwiesen wird."

Magazinrundschau vom 27.12.2005 - Figaro

Die Debatte um eine staatlich verordnete Geschichtsauffassung hält an. Die Creme de la creme der französischen Geschichtswissenschaft hat nun eine Petition mit dem Titel "Freiheit für die Geschichte!" verfasst. Darin, so berichtet der Figaro, verlangen die Historiker nicht nur die Aufhebung eines Gesetzesartikels, mit dem die "positiven Seiten" der französischen Kolonialgeschichte als Lehrstoff in den Schulen verordnet wurde, sondern auch die Außerkraftsetzung von Gesetzen, die die Leugnung des Holocaust oder des Völkermords an den Armeniern unter Strafe stellen. Pierre Nora erkennt im Interview die besten Absichten dieser Gesetze an, erklärt jedoch, dass in der Zwischenzeit durch eine Vervielfachung solcher "Erinnerungs-Gesetze" deren "perverse Auswirkungen" sichtbar würden. "Erinnerung ist nicht Geschichte. Vor zwanzig Jahren ging es noch darum die Rechte und die Legitimität gewisser sozialer, religiöser, sexueller Minderheiten anzuerkennen. Es war eine bescheidene Erinnerung. Heute jedoch haben bestimmte Verteidiger der Erinnerung einen Hang zur Aggressivität. Sie setzen ein tyrannisches, mitunter terroristisches Erinnern durch, besonders gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Seriöse Historiker werden bestimmten Lobbies zum Fraß vorgeworfen, die jetzt mit den Gesetzen drohen, um Wahrheiten zu verbergen. Man muss die Tempelwächter bestimmter Vergangenheitsbewältigungen hindern, die historische Forschung als Geisel zu nehmen.."

Magazinrundschau vom 01.11.2005 - Figaro

Der Figaro litteraire interviewt Claude Levy-Strauss über die Zeit seines New Yorker Exils - Anlass ist das Erscheinen von Emmanuelle Loyers Band "Paris a New York" (Auszug) über die französischen Intellektuellen im amerikanischen Exil zur Zeit der Occupation. Für Levy-Strauss waren das fruchtbare Jahre: "In der New School for Social Research und in der Ecole libre des hautes etudes haben Leute, die sich sonst nie getroffen hätten, gelernt, miteinander zu arbeiten. Ohne das Exil hätte ich niemals jemand wie Jacques Maritain kennengelernt. Unweit des Village und des Union Square konnten wir denkwürdigen Begegnungen beiwohnen."
Stichwörter: Levy-Strauss, Claude

Magazinrundschau vom 27.09.2005 - Figaro

Der dreißigste Todestag von Hannah Arendt wird in Frankreich ausführlicher gewürdigt als hierzulande. So erscheinen erstmals in französischer Übersetzung ihr "Denktagebuch 1950-1973" (Seuil) sowie "Macht und Gewalt" ("Responsabilite et jugement", Payot). Außerdem wurde "Vom Leben des Geistes" neu aufgelegt. In einem gründlichen Verriss bewertet Patrice Bollon den als "biografischen Essay" apostrophierten Band "Dans les pas de Hannah Arendt" von Laure Adler als wenig überzeugend, in manchen Punkten gar verfehlt und "anachronistisch". Die Lektüre der 672 Seiten starken Buchs sei eine "Schinderei". "Dieses geschwätzige und flache Werk ist nicht in einem Punkt vollständig. Während Madame Adler uns keine der unzähligen Reisen von Hannah Arendt vorenthält - einschließlich der Abflugzeiten - verzichtet sie unter anderem darauf, über die Unterstützung Hannah Arendts zu berichten, die diese 1966 dem umstrittenen Theaterstück 'Der Stellvertreter' von Rolf Hochhuth leistete, das sich mit der Untätigkeit von Papst Pius XII. angesichts des Holocausts befasste!"

In einem Interview erklärt der französische Wissenschaftsphilosoph Michel Serres, dass das "Ende des Öls nicht die Apokalypse" sei. Er sieht die Welt, "die Zeit, den Raum und natürlich die Wirtschaft" allerdings am Beginn einer "Nach-Öl-Ära" und somit vor einer "grundlegenden Umstrukturierung" stehen. "Im Grunde ist das Wichtigste nicht Öl, sondern Ideen zu haben."

Pierre Assouline lobt schließlich noch den neuen Roman von Jean-Philippe Toussaint. "Fuir" (Editions de Minuit) sei einer der "zartesten" Texte des Bücherherbstes.

Magazinrundschau vom 20.09.2005 - Figaro

Die in Frankreich heftig geführte Debatte um die Psychoanalyse, deren Vertreter dort viel größeren intellektuellen Einfluss haben als hierzulande, dürfte nun durch ein "Schwarzbuch" neu angefacht werden. Denn "Le Livre noir de la psychanalyse" zählt ihre Opfer, schreibt Paul Francois Paoli. "Wie viele Tote? Das ist die Frage, die uns bei der Lektüre eines Buchs anspringt, das eine große Debatte verspricht und einen Skandal gleich dazu, ... das aber dennoch enttäuscht. Es gehört schon einiges dazu, einen solchen Titel zu wagen und nach der Anprangerung der Verbrechen des Stalinismus und des Kolonialismus auch die Psychoanalyse als eine Geißel des letzten Jahrhunderts zu betrachten." Auch gerate die Auseinandersetzung mit der Person Freuds doch etwas zweifelhaft. Freud hat "nicht gedacht", war "ahnungslos" und hat die Ideen anderer geklaut, musste Paoli lesen. "Und ein Geschäftemacher war er auch noch. Nachdem er begriffen hatte, dass ihn seine Methode reich und berühmt machen würde, hat er seine Konkurrenten ausgeschlossen, Jung und Adler verfolgt, Ernst Jones und Ferenczi domestiziert. Ein Monster, dieser Freud! (...) Dieses Buch enthält vermutlich einige unbestreitbare Wahrheiten, aber warum diese Übertreibung?"