Václav Marhouls Verfilmung von
Jerzy Kosińskis gleichnamigem Skandalroman "The Painted Bird" über einen jüdischen Jungen, der sich während des Zweiten Weltkriegs durchs polnische Hinterland schlagen muss und dabei zahlreiche Grausamkeiten erlebt, bringt die Filmkritik ganz schön zum Ächzen - schon bei der Filmpremiere in Venedig vor zwei Jahren, aber auch jetzt zum Kinostart (
unser Resümee): Die Geste des Films ist die
großer osteuropäischer Filmkunst: Schwarzweiß, gedreht auf 35mm-Kinomaterial, teuer eingekaufte Stars (Harvey Keitel, Stellan Skarsgård, Udo Kier), eine Drehzeit von mehreren Jahren und annähernd drei Stunden Laufzeit. Georg Seeßlen, sichtlich verstört von dieser Kino-Erfahrung,
versucht in einem der großen Essays, für die er so berühmt wie berüchtigt ist, den Fragen nach der
Schönheit der Grausamkeit und dem Verhältnis von
Erhabenheit und Skandal im Kino auf den Grund zu gehen. "Wie 'Saló' oder 'Antichrist' erreicht auch 'The Painted Bird' einen Punkt der
nihilistischen Erhabenheit, eine fundamentalistische Steigerung des transzendentalen Stils: Der Menschheit an sich ist nicht zu helfen. Die Menschen nehmen bis zu einem gewissen Grad ihre Verdammung an, indem sie aus ihrer Niedertracht ein Schauspiel machen. Es ist überflüssig, eine andere Aussage darin zu sehen, sich danach zu fragen, ob diese Bilder dem historischen Geschehen gerecht werden, ob ihre schockierende Wirkung als Mahnung verstanden werden kann, ob sie einer Gesellschaft im Zustand der Verrohung einen kritischen Spiegel vorhalten will, oder ob, anders herum, wie bei Kosiński das Trauma zur Manie umgeschaffen wird, ob sich das Opfer
an den Taten infiziert, ob ein Härtetest des Torture Porn sich hier mit ästhetischen und historischen Bezügen umgibt, damit um jeden Preis ein Œuvre maudit entstehe, wie durchdacht das Konzept - extreme Grausamkeit in extrem schönen Schwarz-Weiß-Bildern - sein mag. Auch die Skandale bei den Aufführungen, die moralischen Windungen von uns Kritikern - all das sind Nebenaspekte. Was bleibt, ist die Erfahrung, durch einen Film
aus dem Kino vertrieben worden zu sein, früher oder später, empörter oder depressiver, voll Zorn oder voll Trauer, vertrieben wie aus einem Paradies, vertrieben wie aus einer Kindheit der Wahrnehmung, in die eine fundamentale Form der Heimatlichkeit zu scheinen versprach, vertrieben auch wie aus einem Diskursraum und einer moralischen Anstalt, vertrieben wie aus einer mehr oder weniger demokratischen Konsensmaschine, vertrieben wie aus einer Oase in der Wüste namens Wirklichkeit. Was bleibt, ist die Frage, ob und womit wir diese Vertreibung aus dem Kino
verdient haben."