Magazinrundschau - Archiv

El Pais Semanal

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Magazinrundschau vom 28.03.2017 - El Pais Semanal

"Frauen heiraten Frauen, um ihr Erbe zu retten". Monika Rebala stellt die Institution der "Nyumba Ntobhu" vor, derzufolge eine ältere Frau eine jüngere heiraten kann: "Dies ist eine lokale Tradition des etwa 700.000 Personen umfassenden Stamms der Kuria aus der Umgebung des Victoria-Sees. Die Frauen haben keine andere Wahl - die Stammesgesetze verbieten ihnen jegliches Erbe, auch das ihrer verstorbenen Ehemänner. Wenn sie keine Söhne haben, dürfen die männlichen Verwandten ihren gesamten Besitz untereinander aufteilen. Eine Witwe, die ihr Haus und Land behalten will, muss eine andere Frau heiraten, die einen Sohn hat. Die Regierung von Tansania toleriert diese Tradition, weil sie keine sexuellen Beziehungen mit einschließt. Auch für alleinerziehende junge Frauen ist die Myumba Ntobhu oft die einzige Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern. Die älteren Frauen zahlen heutzutage durchschnittlich zehn bis zwanzig Rinder für eine Gattin. Auf die Kinder dieser neuen Verbindung haben Männer keinerlei Ansprüche. Sie erhalten den Nachnamen der älteren und gehören ihr." (Mehr dazu bei den Netzfrauen.)

Magazinrundschau vom 21.02.2017 - El Pais Semanal

Die in New York lebende mexikanische Schriftstellerin Valeria Luiselli schreibt über die an den Wänden ihres Arbeitszimmers hängenden Karten der amerikanisch-mexikanischen Grenze: "Auf einer zeigen rote Punkte die Stellen an, wo in der Wüste von Arizona Leichen von Migranten gefunden wurden. Auf einer anderen sind die bereits bestehenden 500 Kilometer der Mauer zu sehen, die Donald zu errichten verspricht - Bill und George haben ihm die halbe Arbeit bereits abgenommen. Am schrecklichsten ist aber ein aus dem Internet ausgedrucktes 'maßgeschneidertes' Exemplar der 'Custom Maps of Migrant Mortality'. Gibt man im Suchfeld der entsprechenden Seite einen Namen ein, erscheint, falls die Überreste des Betreffenden tatsächlich gefunden wurden, ein roter Punkt auf einer Satellitenkarte samt allen dazu vorhandenen Informationen. Auf meiner Karte ist so der Tod von Josseline Hernández verzeichnet. Alter: 14. Todesursache: verdurstet. Koordinaten: N 31' 34.35 W 111' 10.52. Was für Karten es wohl in 20 Jahren geben wird? Marskolonien? Dekodifizierte Genomregionen? Noch nicht von der Gedankenpolizei der sozialen Netzwerke überwachte Gebiete? In jedem Fall sorgen wir Schritt für Schritt, Stimme für Stimme, Tweet für Tweet für ihre 'maßgeschneiderte' Entstehung."

Magazinrundschau vom 13.12.2016 - El Pais Semanal

"Fátima, la alegría." Beatriz de Moura, die 1968 mit ihrem damaligen Mann, dem Architekten Óscar Tusquets, den berühmten Verlag Tusquets Editores gründete, dessen Leitung sie erst 2014 abgab, erinnert sich an das Mädchen, das sich um sie kümmerte, als sie kurz nach dem zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern in Algier lebte - de Mouras Vater war damals dort brasilianischer Botschafter: "Ohne es zu wollen, zeigte Fátima, die wie eine ältere Schwester für mich war, mir die Welt jenseits des Spiegels, in dem meine seltsame Familie sich betrachtete. Trotz der unverständlichen Gleichgültigkeit meiner Eltern, begriff ich, dass sich unter dem Gewirr der Dächer und Terrassen der weißen Stadt, die sich zu den Füßen des Hügels ausbreitete, auf dem unser prachtvolles Haus stand, ein völlig anderes Leben abspielte. Wenn ich heute, ein ganzes Leben danach, auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeer ins Wasser steige, sehe ich dagegen Hunderte, ja Tausende Fátimas vor mir, die mit ihren Kindern im Arm schreiend auf der Flucht vor ihren Landsleuten sind, die sich in einem primitiven Rausch gegenseitig abschlachten. Und ich fühle mich auf so sinn- wie nutzlose Weise schuldig an etwas, was ich nicht benennen kann, weil es schlichtweg keinen Namen dafür gibt."
Stichwörter: Algier, Mittelmeer, Algiers, El Pais

Magazinrundschau vom 25.10.2016 - El Pais Semanal

Statt sich, wie ursprünglich geplant, mit den Einnahmen aus dem Verkauf der Übersetzungsrechte mehrerer seiner Bücher eine Wohnung in Madrid zu kaufen, hat Héctor Abad einen Verlag gegründet, "Angosta Editores". Durch das enge Nadelöhr, auf das der Name Angosta anspielt, sollen vor allem junge, noch unbekannte kolumbianische Autoren Einlass in die Welt der Literatur finden. "Dass es sich um ein Non-Profit-Unternehmen handelt und ein Bankrott keineswegs ausgeschlossen ist, versteht sich von selbst, aber Gewinn ist nicht das Ziel des Ganzen", erklärt Verlagslektor José Ardila der Pais-Reporterin Sally Palomino. "Dafür wollen wir, über die bloßen Friedensgespräche hinaus, etwas zur gegenwärtigen Lage in Kolumbien beitragen: Kulturelle Projekte dieser Art eröffnen neue Betätigungsfelder, auf denen alle möglichen Samen ausgebracht werden können. Schon allein dadurch, dass man sich auf die Suche nach jungen Talenten macht, wird man ein Teil dieser neuen Situation."

Magazinrundschau vom 02.08.2016 - El Pais Semanal

Javier Cercas widerspricht Michel Houellebecqs Lob des Brexit in allen Punkten: "Unfug die Behauptung, Europa habe keine gemeinsame Kultur - Europa zehrt nicht nur von einer gemeinsamen historischen und religiösen Grundlage, seit Jahrhunderten befruchten sich auch seine Künstler, Schriftsteller und Philosophen gegenseitig. Unfug die Behauptung, Europa habe keine gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen - für wen, egal ob innerhalb oder außerhalb Europas, sollte das gelten? Was wiederum die zwischen uns Europäern bestehenden Unterschiede angeht, so wirken sie etwa von China oder Indien aus - wo tatsächlich sehr unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Religionen zusammenleben - winzig, ja, kaum wahrnehmbar. Und wer, außer den verstocktesten Nationalisten, behauptet, kulturelle Unterschiedlichkeit innerhalb einer politischen Einheit sei unmöglich oder nicht erstrebenswert? Unfug auch die Behauptung, je größer ein Staatsgebiet, desto schwieriger ein demokratisches Zusammenleben - genau das Gegenteil ist wahr: Wie Jürgen Habermas geschrieben hat, ist Demokratie nur in einem einzelnen Land wehrlos gegen die Ultimaten eines grenzübergreifenden rasenden Kapitalismus. Es stimmt, ein Schriftsteller soll für Unruhe sorgen, den Finger in die Wunde legen, sagen, was niemand hören will - aber wenn es um Politik geht, ist eine langweilige Wahrheit tausend mal besser als interessanter Unfug."

Magazinrundschau vom 12.07.2016 - El Pais Semanal

Die von der deutschen Kritik gefeierte mexikanische Schriftstellerin Valeria Luiselli macht sich Gedanken zur Wahrnehmung der Kultur ihres gequälten Heimatlandes: "Alle Lateinamerikaner - und jetzt auch die Spanier: Herzlich willkommen! - reisen mit der Last durch die Welt, dass sie unglaublich kaputten Ländern angehören, die, was ebenfalls kaum zu glauben ist, trotz allem noch nicht verschwunden sind. Kein Wunder, dass sich die anderen da fragen, wie es sein kann, dass in unseren Ländern die kleine 'Hoch'-Kultur neben und trotz einem derart katastrophalen politischen und gesellschaftlichen Zustand existiert. Darum ist es auch nur normal, dass beispielsweise norwegische Schriftsteller bei Lesungen gefragt werden, ob sie morgens Müsli frühstücken oder sich mit der rechten oder der linken Hand die Zähne putzen, während ein Lateinamerikaner unweigerlich erklären soll, wieso es in einem Land, das Kokain, Favelas, Korruption, den Zika-Virus, Telenovelas oder einen Mariano Rajoy hervorbringt, auch Literatur gibt. Auf diese so berechtigte wie gutgemeinte Frage gibt es immer nur die gleiche, ein wenig entnervte Antwort: Tja, meine Damen und Herren, wir sind nun mal komplexer, raffinierter und widerstandsfähiger als man denkt."

Magazinrundschau vom 03.05.2016 - El Pais Semanal

"Vom Roman lernen, heißt siegen lernen", lautet Javier Cercas' Rat an Europa, wenn es um Flüchtlinge und Zuwanderung geht: "Der Roman wurde durch Cervantes zur Gattung der Gattungen, zu einem unglaublich wendigen und nahezu endlos anpassungsfähigen Mischlings-Artefakt, einer Art ständig mutierendem, allesfressendem Monster, das verschlingt, was immer in seine Nähe kommt, und sich eben dadurch verwandelt, ohne jemals seine Identität zu verlieren. Dieser unersättliche Appetit, diese Fähigkeit, sich unaufhörlich zu verändern, garantiert die unerschöpfliche Vitalität des Romans - wie auch die Europas: Europa hat nur dann eine Zukunft, wenn es so weitermacht wie in der Vergangenheit, das heißt, wenn es alles in sich aufnimmt, was nicht Europa ist, wenn es sich andere Kulturen, Lebensweisen und Werte auf kreative Weise aneignet und sie in europäische Kulturen, Lebensweisen und Werte verwandelt und so zeigt, dass es eine freiere, wohlhabendere und friedlichere Gesellschaft hervorbringen kann als alle anderen, eine Gesellschaft, in der alle leben und der alle ähnlich sein möchten. Die Identität des Romans besteht genau wie die Identität Europas in seiner Fähigkeit, andere Identitäten aufzunehmen, ohne aufzuhören, er selbst zu sein. Genau darin gründen seine Kraft und seine Zukunft, genau wie die Kraft und die Zukunft Europas."

Magazinrundschau vom 29.03.2016 - El Pais Semanal

Javier Cercas' neuer Roman El impostor (Der Betrüger) hat den chinesischen Taofen-Preis für den besten ausländischen Roman des Jahres erhalten. Das Buch erzählt die wahre Geschichte des Spaniers Enric Marco, der während der gesamten Franco-Zeit in Barcelona ein völlig unpolitisches Leben als Automechaniker führte, kurz nach Francos Tod jedoch mit der Lüge, Jahrzehnte lang anarchistischer Widerstandskämpfer gewesen zu sein, innerhalb kürzester Zeit Generalsekretär der wiedergegründeten mythischen Anarchistengewerkschaft CNT wurde. Nach dem Niedergang der CNT erfand sich Marco ein weiteres Mal neu und schaffte es als angeblicher Ex-Flossenbürg-Häftling an die Spitze des Verbandes der ehemaligen spanischen KZ-Häftlinge. "Wenn es um die härtesten Teile unserer persönlichen wie auch kollektiven Vergangenheit geht, lügen wir gerne", erklärt Cercas. "Hoffentlich finden sich in China Leute, die sich bei der Lektüre dieses Buches sagen: So wie dieser Mann dürfen wir nicht mit unserer Vergangenheit umgehen."

Magazinrundschau vom 29.09.2015 - El Pais Semanal

Raquel Garzón unterhält sich mit der argentinischen Philosophin Beatriz Sarlo: "Im Oktober sind in Argentinien Präsidentschaftswahlen und ein 12-jähriger Zyklus geht zu Ende, die Kirchner-Ära. Wie wird man sich an Cristina Kirchner, die nicht noch einmal kandidieren kann, erinnern?" -"Nach dem Tod ihres Mannes Néstor Kirchner ist ihr etwas Schwieriges gelungen: Sie hat ihr eigenes Charisma geschaffen, und zwar gleich bei der Totenwache für ihren Mann. Damit hat sie sich die Macht gesichert, denn der Peronismus stellt sich sofort an die Seite der Macht. Als typisch für ihre Amtsausübung würde ich die ungleiche Verteilung von Wohltaten bezeichnen wie auch die ungleichmäßige Entwicklung des argentinischen Kapitalismus, mit stark korrupten Zügen."-"Und was fehlt in Argentinien weiterhin?"-"Etwas, was es in Uruguay und Chile bereits gibt, ein stärkeres Gefühl für Rechtsstaatlichkeit. Das fehlt hierzulande Politikern wie Bürgern gleichermaßen, ob es um das Respektieren roter Ampeln oder das Bezahlen von Steuern geht."-"Und was heißt heute progressiv?"-"Wer progressiv ist, dem geht es um Gleichheit. Aber nicht bloß Chancengleichheit - die kann ein Hilfsmittel sein, aber wenn nicht noch etwas dazukommt, bringt sie den Ärmsten und Jüngsten nichts, weil ihnen die Mittel fehlen, um sich ihrer zu bedienen. Dieser Unterschied muss von Anfang an klar sein."

Magazinrundschau vom 18.08.2015 - El Pais Semanal

Im Interview mit dem argentinischen "Sojakönig" Gustavo Grobocopatel präsentiert die Journalistin Leila Guerriero das faszinierende Porträt eines Menschen mit hundertprozentig geschlossenem kapitalistischem Weltbild. "Grobo" bewirtschaftet gigantische Monokulturen mit genetisch veränderten Pflanzen und Unmengen hochgiftiger Unkrautvernichtungsmittel - "dass die Vernichtungsmittel giftig sind, ist bisher nicht wissenschaftlich bewiesen, und Fruchtfolge durchzusetzen, wäre Aufgabe des Staates, aber der tut nichts." Mittlerweile sind 53 Prozent der Anbauflächen Argentiniens Sojamonokulturen. "2008 lud mich der kommunistischen Agrarführer Juan Carlos Alderete zu sich nach Hause ein, um über die aktuelle Finanzkrise zu sprechen, die für ihn das Ende des Kapitalismus anzuzeigen schien. Ich sagte ihm, dass es mir eher nach einer Kursanpassung aussah, die den Beginn eines noch stärkeren Kapitalismus einleitete." Grobocopatel schuf sein Agrarimperium, in dem er das bisherige Geschäftsmodell auf den Kopf stellte: "Landwirtschaft ohne Land, ohne Kapital und ohne Arbeit: Ohne Land, weil du es bloß mietest; ohne Arbeit, weil du die Arbeit "auslagerst"; und ohne Kapital, weil man es dir leiht. Ob wir dieses Konzept erfunden haben, weiß ich nicht, aber keiner hat diese Idee so weit getrieben. Dieses Modell demokratisiert den Zugang zum Geschäft, du brauchst kein Sohn von Landbesitzern mehr zu sein, unterschieden wird jetzt nur noch zwischen denen, die sich anpassen, und denen, die das nicht tun - und verlieren. Jedenfalls gab es noch nie in der Geschichte eine so gute Zeit und einen so guten Ort, um landwirtschaftliche Geschäfte zu betreiben und nützlich für die Gesellschaft zu sein."