Arundhati Roy vergleicht im
Interview die Massenproteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA, die der Tod
George Floyds ausgelöst hat, mit Indien, wo ständig Menschen - vor allem Muslime und Dalit - Opfer von Polizeigewalt werden. Doch wären solche Demonstationen gegen Rassismus oder das Kastensystem undenkbar, vom Schleifen von Denkmälern ganz zu schweigen, meint Roy. Den Hashtag #
dalitlivesmatter empfindet sie nicht als unrechtmäßige Aneignung: "Ich denke, es ist ein Versuch, sich
zu solidarisieren und etwas vom Licht der 'Black Lives Matter'-Bewegung zu suchen, die allein durch die Tatsache, dass sie in den USA stattfindet, mächtiger und sichtbarer ist als jede andere. In Indien lag
das Kastenwesen lange unter dem Radar der internationalen Aufmerksamkeit - eine Form des Nichtsehens, an der selbst die bekanntesten und angesehensten Intellektuellen und Akademiker mitgewirkt haben. Davon abgesehen - niemand steht über Rassismus. Er nimmt an verschiedenen Orten unterschiedliche Formen an. In
Südafrika zum Beispiel gibt es Fremdenfeindlichkeit von schwarzen
Südafrikanern gegenüber Nigerianern und Afrikanern aus anderen afrikanischen Ländern. Und wie wir wissen, wird die Kastenunterdrückung, der Brahmanismus, von jeder Kaste praktiziert, die die Kaste unter ihr unterdrückt, das geht die ganze Leiter hinunter, sogar noch innerhalb der politischen Kategorie der 'Dalit', wie Sie selbst in Ihren eigenen Kämpfen erlebt haben. Wenn man etwas
lange genug anstarrt, wird es sich immer als komplizierter erweisen als die Rhetorik, die es umgibt. Aber die Rhetorik ist wichtig. Sie bietet den Menschen einen Rahmen, in dem sie ihre Gedanken organisieren können."