Magazinrundschau - Archiv

Babelia

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Magazinrundschau vom 01.12.2009 - Babelia

Zum bevorstehenden zweihundertsten Jubiläum der Unabhängigkeit einer Vielzahl lateinamerikanischer Nationen schreiben in Babelia eine Reihe sehr lesenwerter lateinamerikanischer Autoren. Der salvadorianische Schriftsteller Horacio Castellanos Moya (den The Nation diese Woche porträtiert) zitiert in seinem Beitrag einen mexikanischen Schuhputzer, dem er zunächst nicht recht glauben will: "Hierzulande ist alle hundert Jahre der Teufel los: 1810 wegen der Unabhängigkeit, 1910 wegen der Revolution, und 2010 wird es wieder so sein - niemand kann das aufhalten. So steht es im Himmel geschrieben." Bis er sich abschließend konsterniert fragt, ob der Mann nicht recht hat: "Steht uns nicht ein neuer Zyklus infernalischer Gewalt bevor (wie sie in Mexiko bereits in vollem Gange ist), kaum verhüllter Gewaltherrschaft (wie in Honduras, Venezuela, Nicaragua) und Kriegen zwischen Nachbarländern (was sich derzeit zwischen Caracas und Bogota bzw. Lima und Santiago abspielt, kommt einem doch nur zu bekannt vor)? Jedenfalls: Was gibt es eigentlich zu feiern? Abgesehen von der einen oder anderen künstlerischen Leistung leiden wir unter dem Kater von zweihundert Jahren Enttäuschung, während unsere Regierungen uns weiterhin mit Trugbildern von Wohlstand und Entwicklung ködern wie einst die spanischen Konquistadoren mit ihren Glasperlen und ihrem falschen Schmuck."

Magazinrundschau vom 14.07.2009 - Babelia

"Es war einmal: die Revolution." Der chilenische Schriftsteller Rafael Gumucio grübelt über die Aufgaben und Möglichkeiten des aktuellen Romans: "Die Revolution war bislang der geheime Held fast aller südamerikanischen Romane. Wie aber soll man von einer traurigen Revolution erzählen? Was, wenn wie in Chile die neoliberale Revolution gewonnen hat? Wie soll man Diktatoren in Anzug und Krawatte beschreiben, Militärs, die süchtig nach Wahlen sind, Che Guevaras, die mit Drogen handeln, Bankmanager, die in ihrer Jugend eben die Banken überfielen, die sie heute leiten? Das große Werk der Meister des 'Booms' der lateinamerikanischen Literatur scheint im Vergleich dazu ein Kinderspiel: Wer daran glaubte, dass die Welt sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, konnte an der Rolle des Erzählers zweifeln, damit spielen; wir dagegen können uns bloß auf uns selbst verlassen. Uns stellt sich die Herausforderung, vom Wandel ohne Revolution zu erzählen. Also nicht mehr erzählen, was den Schrecken der Nordamerikaner oder Europäer erregt, sondern das, was uns schon lange nicht mehr wundert."

Magazinrundschau vom 07.04.2009 - Babelia

"Das Teatro Colon ist eine Metapher für Argentinien - dafür, was es einmal war, was wir nicht haben erhalten können, und was wir nun womöglich endgültig zerstören." Soledad Gallego-Diaz hat sich gründlich im Chaos der 2001 begonnenen Renovierungsarbeiten des mythischen Opernhauses von Buenos Aires umgesehen - es sieht nicht so aus, als ob der ohnehin schon verspätete Wiedereröffnungstermin 2010 zu den 200-Jahr-Feiern der argentinischen Unabhängigkeit eingehalten werden könnte: "In den letzten dreißig Jahren starben vier Generaldirektoren dieses Theaters an einem Herzinfarkt. Andere traten rechtzeitig von ihrem Amt zurück oder wurden entlassen - all das verwundert nicht angesichts der heillosen Interessenkonflikte rund um das Gebäude, das nicht nur die angeblich beste Akustik, sondern wohl auch den größten Personalbestand aller Opernhäuser der Welt haben dürfte: 1300 Personen - bei der Mailänder Scala sind es 910, im Londoner Covent Garden 915. Ein mit den Renovierungsarbeiten beauftragter Bauleiter entdeckte einmal verblüfft in einem Kellerraum eine um einen voll beladenen Tisch sitzende Gruppe von Männern: 'Wer ist das denn?' - 'Die Geschiedenen', hieß es: 'Sie gehören zur großen Familie der Beschäftigten des Colon. Sie sind geschieden und wohnen jetzt erst einmal hier. Da sie allein sind, feiern sie manchmal sonntags zusammen.'"

Magazinrundschau vom 30.12.2008 - Babelia

Javier Mozas schreibt über die architektonische Gegenwart Serbiens: "Mit Titos Tod endete die Architektur in Serbien. Titos Nachfolger war außerstande, auch nur ein einziges erwähnenswertes Gebäude errichten zu lassen. Er leistete sich den Spaß, eine U-Bahn-Station ohne dazugehörige U-Bahn-Linie zu bauen und, ein Jahr nach der Niederlage, ein schizophrenes 'Denkmal des Sieges über die NATO' zu errichten. Dies sind nur die herausragenden Beispiele seines Versagens. Das im Krieg zerstörte Verteidigungsministerium steht bis heute unverändert da: Es gibt kein Geld für die Wiederinstandsetzung, außerdem wollen die Leute es als Mahnmal für die ausländische Aggression gegen das serbische Volk erhalten. Die Bürger Belgrads können es selbst nicht glauben, in welch heruntergekommenem Zustand sich Architektur und Stadtplanung derzeit befinden - das einzig Gute an der gegenwärtigen serbischen Architektur ist die Hoffnung, sie könne irgendwann aus ihrer Asche wieder auferstehen."

Magazinrundschau vom 07.10.2008 - Babelia

Der mexikanische Schrifsteller Carlos Fuentes - gerade ist sein neuer Roman "La voluntad y la fortuna" erschienen - zeigt sich im Interview sehr besorgt über die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen mexikanischer Staatsmacht und Drogenmafia: "Heutzutage ist das Leben hier viel gefährlicher als früher. Ich traue mich nicht mehr, zu Fuß um den Block zu gehen. Alle fordern mehr Sicherheit. Das ist sehr riskant, denn Sicherheit gibt es manchmal bloß mit einem autoritären Regime, einer Diktatur. Die große Herausforderung wird es sein, Sicherheit unter demokratischen Verhältnissen zu gewährleisten. Die Sicherheit hat viel mit dem Drogenhandel zu tun. Ein wichtiger erster Schritt wäre, dass sich sechs, sieben, acht Länder zusammentun und beschließen, Straffreiheit für Drogenkonsum zu gewähren. Natürlich würden dann mehr Drogen konsumiert. Aber nachdem Roosevelt die Prohibition aufgehoben hatte, gab es zwar weiterhin Alkoholiker, was es jedoch nicht mehr gab, waren Al Capones."

Magazinrundschau vom 26.08.2008 - Babelia

"Was für ein absurdes Unternehmen." Der spanische Schriftsteller Javier Marias ist seit einiger Zeit unter die Verleger gegangen: Libros del Reino de Redonda, ein Projekt im Stil von Hans Magnus Enzensbergers "Anderer Bibliothek". Marias' Zwischenbilanz fällt eher bescheiden aus: "Die einzige Möglichkeit, nicht völlig den Mut zu verlieren und das Handtuch zu schmeißen, besteht darin, nicht zu wissen, wie hoch die jährlichen beziehungsweise sämtliche mittlerweile aufgelaufenen Verluste sind. Es reicht mir, solange es nicht zum Ruin führt, und ich mache weiter, bis es mir zu anstrengend oder zu langweilig wird oder mich die Gleichgültigkeit der Literaturbeilagen dazu zwingt, den Laden dicht zu machen - wenn die Leser nicht einmal mitbekommen, dass die Bücher erscheinen, was soll es dann? Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass die Titel sich in einigen Jahren in Sammlerobjekte verwandeln, die von manchen verzweifelt gesucht werden, weil sie die vollständige Kollektion besitzen wollen. Das nennt man dann vielleicht, für die Nachwelt arbeiten. Ich versichere, dass dies nicht meine Absicht war."

Magazinrundschau vom 01.07.2008 - Babelia

"Der Kapitalismus hat uns zerstört, man sieht es bloß noch nicht." Miguel Mora interviewt den Nestor der italienischen Kommunisten, Pietro Ingrao, geboren 1915, zeitweilig Vorsitzender des PCI, Parlamentspräsident, leitender Redakteur von L'Unita: "Bedeutet Berlusconis dritter Sieg für Italiens Kommunisten die völlige Niederlage? Nein, das hieße ja, das Spiel ist zuende, und das möchte ich nicht sagen. Der Leninismus, an den ich geglaubt habe, ist allerdings gescheitert. Wir haben verloren. Dass die Spielregeln so komplex sind, damit haben wir nicht gerechnet. Wir haben uns, zum Beispiel, zu sehr um Westeuropa gekümmert, und zu wenig um den Osten. Aber wir haben auch Großartiges zustande gebracht, Stadtregierungen erobert, eine einfallsreiche Gewerkschaft aufgebaut, sogar einen Dialog mit der Religion geführt. Aber wir haben das Land nicht verändert, nicht die Macht errungen, unser Angriff ist fehlgeschlagen. Trotzdem, verglichen mit der Niederträchtigkeit Berlusconis waren wir großartig."

Magazinrundschau vom 20.11.2007 - Babelia

"Glauben Sie an den Teufel?" Cecilia Dreymüller interviewt Alexander Kluge anlässlich des Erscheinens der spanischen Ausgabe seines Buches "Die Lücke, die der Teufel lässt": "Ich glaube, dass der Mensch Teufel erzeugt, wenn er sich über seine Taten nicht vollständig Rechenschaft ablegt. Wenn wir unser Wissen teilweise ausblenden, kommt vom Horizont her etwas auf uns zu, was wir als Teufel bezeichnen können. Ein alter Weggefährte, der die Erfahrungen der Menschheit in seinem Spiegel sammelt. Ich glaube aber auch, dass man einen Ausweg aufzeigen muss: Wenn die Welt so schrecklich ist wie in Verdun oder Auschwitz, möchte ich begreifen, wie das Böse konstruiert wird, aber auch, wie es sich dekonstruieren lässt."

Von der Kochkunst lernen, heißt siegen lernen - Vicente Verdu stellt zehn Grundregeln auf, die ein würdiges Fortleben des Romans im 21. Jahrhundert ermöglichen sollen: "Schluss mit einer Literatur, die den Leser am Kragen packt und keuchend und schlaflos zur ultimativen Offenbarung auf der letzten Seite schleift. Ein Roman, der den Namen zeitgenössisch verdient, folgt dem Vorbild der Slow Food-Bewegung und nimmt Rücksicht auf die vielfältige, zur Interaktion fähige Sensibilität seiner Rezipienten, verführt durch Formschönheit und ästhetische Effizienz."

Magazinrundschau vom 29.05.2007 - Babelia

Fakt & Fiktion: Vor sechs Jahren untersuchte ein kurzer spanischer Roman das Verhältnis zwischen beidem am Beispiel des Spanischen Bürgerkrieges. Das Buch löste landesweit eine heftige Auseinandersetzung über die Vergangenheit aus und wurde seither über eine Million mal verkauft. Anlässlich der ersten Taschenbuchausgabe seiner 'Soldaten von Salamis' äußert sich der Autor Javier Cercas erneut zum Thema: "Eignet sich die Fiktion besser, um Geschichte zu erzählen? - Keineswegs. Die Geschichte muss von den Historikern erzählt werden. Die Fiktion darf sich der Geschichte bedienen, aber was dabei herauskommt, ist und bleibt Fiktion, kein Ersatz für Geschichte. Allerdings kann diese Fiktion Licht auf manche Gebiete der Geschichte werfen, die die Historiker nicht erhellen können - vielleicht, weil die Fiktion sich nicht von vornherein unter dieser Prämisse an die Arbeit machen muss."

Einer, der hierzu einiges zu sagen hat, ist der britische Historiker Paul Preston (s. a. hier). Er hat soeben ein Buch über die Rolle der internationalen Berichterstatter während des Spanische Bürgerkrieges vorgelegt: "Im Spanischen Bürgerkrieg wurde der Journalismus erwachsen: die Reporter hatten, vor allem in der republikanischen Zone, die Möglichkeit, unmittelbar bis an die Front zu gelangen, auch Vertreter von Zeitungen, die sich nicht eindeutig für eine der beteiligten Seiten aussprachen - mit Letzterem war es im Zweiten Weltkrieg vorbei. In dieser Hinsicht funktionierte die Spanische Republik tatsächlich bis zuletzt weitgehend wie eine Demokratie."

Magazinrundschau vom 29.08.2006 - Babelia

Schluss mit dem Genie-Kult! Der holländische Architekt Felix Claus spricht über seine Zusammenarbeit mit dem Architekten Kees Kaan und "die Tragödie der gegenwärtigen Architektur: Viele Architekten, die solide, professionelle Arbeit leisten könnten, versuchen um jeden Preis genial zu sein. Wir sind lieber gut als interessant. Der öffentliche Raum verkörpert unsere Vorstellung von Freiheit. Eine gute Stadt ist besser als ein gutes Haus. In Holland kehren die Leute in die Städte zurück. Sie haben genug von Schwimmbad, Garage, Hund - sie entdecken die Vorzüge des Lebens in einem Stadtviertel wieder, wo man zu Fuß zur Schule gehen kann. Die Stadt ist immer noch der beste Ort, an dem man leben kann, die Vorstädte bringen uns um."

Den Mund durchaus voll nimmt der französische Komponist Michel Legrand, der u. a. für Jean-Luc Godard, Claude Lelouch, Louis Malle und Robert Altmann gearbeitet hat: "Heutzutage kann ich nirgendwo einen guten Filmkomponisten entdecken, es bleiben bloß noch John Williams und Ennio Morricone, obwohl ich den in der letzten Zeit manchmal langweilig finde. Die Musik der Avantgarde ist eine Sackgasse. Atonale, serielle, experimentelle Musik, das ist alles tot. Das Werk von Leuten wie Boulez oder Stockhausen kommt mir oft wie der reinste Betrug vor. Zum Glück merken wir allmählich, wie wir hier über den Tisch gezogen werden. Die Musik der Zukunft wird sich, glaube ich, derjenigen der großen Meister der Vergangenheit annähern."