Werner J. Patzelt

Ungarn verstehen

Geschichte, Staat, Politik
Cover: Ungarn verstehen
Langen-Müller / Herbig, München 2023
ISBN 9783784436784
Gebunden, 480 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Glaubt man den deutschen Leitmedien, ist das Urteil über Ungarn schnell gefällt. Aber handelt es sich bei dem von Viktor Orbán regierten Land wirklich um eine Halbdiktatur voller Korruption? Ein knappes Jahr lang begab sich der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt vor Ort auf Spurensuche. Welche geschichtlichen Ereignisse prägten das Land und seine Eliten? Wie funktioniert das politische System und wie sind die Positionen in der hitzigen Debatte um den heutigen Charakter Ungarns begründet? Patzelt schließt die Lücke zwischen bloßen Wahrnehmungen und wirklichem Wissen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2024

Man sollte bei diesem Buch schon im Vorwort genau hinschauen, empfiehlt Niklas Zimmermann, denn dort wird erwähnt, dass der Autor Werner Patzelt 9 Monate lang am Budapester Mathias Corvinus Collegium als "Senior Fellow" unterwegs war. Es handelt sich dabei, führt Zimmermann aus, um einen elitären Think Tank, der dem ungarischen Fidesz-Ministerpräsident Viktor Orbán zuarbeitet, und entsprechend tendenziös liest sich dieses Buch. Solange Patzelt historische Fakten zum Beispiel hinsichtlich Orbáns Wandlung vom Liberalen zum Konservativen aufarbeitet, konzediert Zimmermann, ist das noch einigermaßen satisfaktionsfähig, aber insgesamt wird deutlich, dass es dem Autor vor allem darum geht, den ungarischen Politiker einem bürgerlichen Publikum in Deutschland schmackhaft zu machen. Das zeigt sich zum Beispiel, führt der Rezensent aus, in der Bewertung von Figuren wie dem angeblich zu Unrecht im Westen geschätzten Gyula Horn, vor allem aber in der Art und Weise, wie Zimmermann vorgibt, die finale Beurteilung Orbáns seinen Lesern zu überlassen, tatsächlich aber sogar die korrupten Strukturen des Landes als Beitrag zur Unabhängigkeit Ungarns verteidigt. Hinter der Rhetorik des Abwägens steckt, da ist sich Zimmermann sicher, in erster Linie Propaganda.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 06.07.2023

Das ist schon ein Husarenstück (und zwar im wörtlichen Sinne). Werner J. Patzelt ist "Research Director" am Mathias Corvinus Collegium in Brüssel und schreibt ein Buch mit dem Titel "Ungarn verstehen", das mal einen angeblich erfrischend anderen Blick auf Viktor Orbans Ungarn werfen will. Besprochen wird es in der NZZ von Alexander Grau, einem "Philosophen und Visiting Fellow des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit", wie man nach schnellem Googeln herausfindet, also einem Ableger des Corvinus Collegiums. Und weder das eine noch das andere wird in der NZZ erwähnt. Dass der emeritierte Politologe Patzelt als Funktionär des MCC sein Buch quasi im Dienst der ungarischen Regierung geschrieben hat, erfährt man auch nicht im Klappentext des Langen-Müller Verlags. Das Corvinus Collegium, muss man wissen, ist Orbans Gegenstück zu George Soros' "Open Society Foundation" und ausgestattet mit geradezu pharaonischen Geldmitteln - Mariam Lau berichtet in der Zeit von einem 1,7 Milliarden Euro-Budget, das die offiziell private Stiftung von Orban bekommen hat und mit dem sie Rechtspopulisten und "Konservative" aus der ganzen EU aktiv vernetzt. Kein Wunder also, dass Alexander Grau Patzelts Buch in höchsten Tönen (mit ein paar wohl der Kosmetik dienenden Einschränkungen) lobt. Wie schön, so Grau, dass Patzelt endlich "Materialien und Fakten" zu Ungarn zusammenstelle, wie angenehm, dass Patzelt "Vorverurteilungen meidet", "Objektivität in Reinform" gebe es doch ohnehin nicht. Schlimm, dass Ungarn häufig zum Opfer von Ressentiments werde. Ungarn habe eben andere Konsequenzen aus dem 20. Jahrhundert gezogen als Deutschland. Es gebe eben nicht nur den westlichen Liberalismus, sondern auch andere Strömungen. Kurz: Wir müssen Ungarn ganz neu denken, meinen Autor und Rezensent. Wir dagegen denken: Vielleicht sollten sich Journalisten intensiver mit den extrem hoch subventionierten Vernetzungsaktivitäten der Orban-Regierung befassen.