Saidiya Hartman

Aufsässige Leben, schöne Experimente

Von rebellischen schwarzen Mädchen, schwierigen Frauen und radikalen Queers. Wie junge schwarze Frauen vor hundert Jahren die Freiheit erfanden
Cover: Aufsässige Leben, schöne Experimente
Claassen Verlag, Berlin 2022
ISBN 9783546100427
Gebunden, 528 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Anna Jäger. Im frühen 20. Jahrhundert erprobten junge afroamerikanische Frauen in großstädtischen Slums neue, subversive Formen der Liebe und der Solidarität außerhalb von Konvention und Gesetz: nichteheliche Partnerschaften und flüchtige Ehen, queere Identitäten und alleinerziehende Mutterschaft. Ihre Lebensentwürfe waren revolutionär, doch sie selbst sind vergessen. In ihrem Buch erweitert Saidiya Hartman unsere Vorstellung von Geschichtsschreibung radikal. Sie belebt das historische Archiv mit literarischer Imagination und rekonstruiert die experimentellen Welten und rebellischen Begehren dieser Vorreiterinnen. "Aufsässige Leben, schöne Experimente" erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal als eine Geschichte schwarzer Weiblichkeit.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.07.2022

Rezensentin Marina Martinez Mateo bewundert, wie Saidiya Hartman in ihrer Studie zeigen kann, dass Versklavung und Rassismus auch nach dem offiziellen Ende der Sklaverei in den USA fortbestanden. Indem die Autorin Archivmaterial wie Gerichtsprotokolle, Fotos, Studien und Zeitungsartikel auswertet und mit fiktionalen Passagen aus der Perspektive schwarzer Frauen anreichert, entsteht laut Mateo eine Art "Gegenerzählung", die neben den Geschichten von Ausbeutung und Segregation auch Geschichten von Widerständigkeit, Gemeinschaft und Sinnlichkeit erzählt. Plastisch werden die Gedanken und Gefühle der Frauen sowie die Topografie Harlems, so Mateo, der die Gefahr einer Reproduktion des "exponierenden Blicks auf schwarze Frauen" durchaus bewusst ist. Für Mateo ist die Publikation dennoch ein "großer Gewinn".
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.07.2022

Rezensent Andreas Eckert empfiehlt Saidiya Hartmans neues Buch als Versuch, Erfahrungen schwarzer Frauen während der "Great Migration" zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Darstellung zu verhelfen. Wie die Autorin auf Grundlage von soziologischen Daten und Gerichtsakten die Sehnsüchte ihrer Figuren imaginiert, findet Eckert zugleich faszinierend und irritierend. Hartmans Verfahren zwischen Geschichtsschreibung und Literatur vermittelt dem Leser laut Eckert das Leben dieser Frauen als anarchisches Dasein jenseits gängiger (Geschlechter-)Normen. Ob dahinter politisches Kalkül oder nackte Notwendigkeit steckte, bleibt für Eckert allerdings ungeklärt.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 09.07.2022

Rezensentin Marlen Hobrack ist beeindruckt und getroffen von Saidiya Hartmans Buch. Die Professorin für afroamerikanische Literatur hat eine "serielle Biografie" verfasst, in der sich die Stimmen der Porträtierten zu einem "Chor" vermischen, so Hobrack - porträtiert werden schwarze und queere Frauen der zweiten und dritten Generation nach der Sklaverei, die in den Archiven, die Hartman aufgesucht hat, nur als "Delinquentinnen" auftauchen, wie Hobrack erklärt. Im Bestreben, gegen diese Herabstufung anzuschreiben, erzählt die Autorin literarisch-frei von Einzelschicksalen und füllt dabei Lücken imaginativ aus - neu sei diese Methode nicht, spannend aber trotzdem, so die Kritikerin. Auch die starke Rhythmik in Hartmans Sprache, die sie an Rap erinnert und eine "Sogwirkung" entwickelt, findet sie beeindruckend. Gerade, weil die geschilderten Schicksale zum Teil so "erschütternd" seien - die Frauen erlitten Vergewaltigungen, ungerechtfertigte Verhaftungen und andere Gewalt - schätzt Hobrack den großen Verdienst der Autorin, diesen Frauen eine Stimme zu geben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 07.05.2022

Rezensentin und Kulturwissenschaftlerin Novina Göhlsdorf ist hingerissen von der Beweglichkeit, dem "Tanz" von Saidiya Hartmans Text. In einer spannungsreichen Mischung aus Geschichtsschreibung, Sozialgeografie und Literatur, so Göhlsdorf, widmet sich die Professorin für afroamerikanische Literatur und Kulturgeschichte hier mit großer, auch in Göhlsdorfs Kritik spürbar werdender Emphase dem Leben schwarzer Frauen um 1900, als viele Schwarze nach der Abschaffung der Sklaverei in die großen Städte zogen, nur um sich dort in anderen Formen der Unfreiheit wiederzufinden, wie Göhlsdorf resümiert. Wie Hartman dabei das unerschöpfliche Freiheitsstreben vor allem der Frauen freilegt, sei es in alltäglichen Akten der Rebellion, sei es im Ausleben ihres auch queeren Begehrens, und wie sie sich dabei auf Archivmaterialien bezieht, diese aber beherzt literarisch "überschreibt" in einer Methode, die sie selbst "kritisches Fabulieren" nennt, hinterlässt großen Eindruck bei der Kritikerin. Ein Buch so "aufsässig und experimentierfreudig" wie seine Protagonistinnen, das auch in der deutschen Übersetzung von Anna Jäger einen mitreißenden Rhythmus erzeugt, schwärmt Göhlsdorf.