Julia Franck

Welten auseinander

Cover: Welten auseinander
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
ISBN 9783100024381
Gebunden, 368 Seiten, 23,00 EUR

Klappentext

Das Mädchen wird in Ostberlin geboren. Julia ist acht, als ihre Mutter sie und die Schwestern in den Westen, erst ins Notaufnahmelager Marienfelde und dann nach Schleswig-Holstein mitnimmt. In dem chaotischen Bauernhaus kann die Dreizehnjährige nicht länger bleiben und zieht aus, nach Westberlin. Neben der Sozialhilfe verdient die Schülerin Geld mit Putzen, sie lernt ihren Vater kennen und verliert ihn unmittelbar, macht ihr Abitur und begegnet Stephan, ihrer großen Liebe. Wenn sie sich erinnert, ist es Gegenwart.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.11.2021

Wie sinnvoll es sein kann, ins "Bergwerk der eigenen Geschichte" zu steigen, lernt Rezensentin Verena Mayer mit Julia Francks autobiografischen Erzählungen. Stein für Stein hole Franck Brocken ans Licht, untersucht, bearbeitet und setzt sie zusammen, bis sie ein Gebilde ergeben, aus dem sich so etwas wie Geschichte ablesen lässt, eine Familiengeschichte, die jedoch immer wieder auch auf die große Geschichte verweist, so Mayer. Im neuen Roman widmet Franck sich nun der eigenen Vergangenheit - dem Aufwachsen zwischen Ost und West, ihrer Flucht aus der DDR, dem Leben mit einer egomanischen Mutter, lesen wir. Dieses autobiografische Erzählen, so Mayer, birgt jedoch einige Gefahren: Persönliche Kindheitserfahrungen zum Beispiel, als wie aufregend man sie auch empfunden haben mag, ergeben nicht zwangsläufig eine gute Geschichte für Erwachsene. Wenn man Mayer richtig versteht, umgeht die Autorin diese Gefahren jedoch durch Selbstreflexion und multiperspektivische Erzählweise. Einzelne Szenen aus ihrer Kindheit beschreibe sie in kristallklarer Sprache aus der Ich-Perspektive, über ihre Teenager-Zeit hingegen erzähle sie vorwiegend in personaler Erzählform und nicht ohne Ironie. So entsteht eine eindringliche, facettenreiche Geschichte, die nicht nur ein Leben zwischen Ost und West erzählt, sondern auch vom Erinnern selbst, so die angetane Rezensentin.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.10.2021

Für Rezensentin Anke Dörsam laufen in Julia Francks Roman alle Fäden ihrer vorherigen Veröffentlichungen zusammen. Viele frühere Themen würden aufgegriffen in der Geschichte um die Protagonistin Julia, in der die Autorin ihre eigene Herkunft, ihr Dasein zwischen den Welten Ost und West verhandelt, und zwar auf sehr einprägsame Weise, wie Dörsam durchblicken lässt. So verfolgt sie gespannt, wie die Protagonistin ihren Mitschülern in Westdeutschland erfundene Geschichten über sich erzählt, weil die wahre ihr "unwahrscheinlich" und chaotisch scheint, wie Dörsam Franck zitiert. Auch die Liebesgeschichte zwischen Julia und einem Westberliner aus bürgerlichen Verhältnissen, in der der Roman Halt finde, berührt die Rezensentin mit ihrer "Wärme und Uneingeschränktheit". Ein Roman, der behutsam das "Neuland" zwischen den Welten erkundet, von dem sich die Deutschen immer noch zu wenig erzählen, schließt Dörsam.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 21.10.2021

Dieses Buch "hat sich die Wahrheit zur Pflicht und die Schönheit zur Kür gemacht", schreibt Rezensent Burkhard Müller - und es erstaunt ein wenig, dass seine Besprechung von Julia Francks neuem Roman schließlich doch in einer Hymne endet. Denn zunächst weist Müller auf einige, wie er findet, Schwächen des Romans hin: Wenn ihm Franck hier ihre eigene Kindheits- und Jugendgeschichte erzählt, begonnen beim Aufwachsen in prekären Verhältnissen im Ostberliner Künstlermilieu über die jugendliche Flucht nach Westberlin bis hin zum plötzlichen Tod ihres Jugendfreundes Stephan, spürt Müller die aufrichtigen Mühen der Autorin, weder "Opfergeschichte" noch abgestandene Insidergeschichte aus dem Berlin der Neunziger zu erzählen. Auch die Rührung über die eigene Person schimmert dem Rezensenten gelegentlich allzu sehr durch. Macht aber nichts, meint er dann, denn wenn Franck über die eigene Kindheit schreibt, in einem Mix aus kindlicher Erinnerung und Einordnung der Erwachsenen, stellt er fest: Ein Ton, so natürlich und lebhaft, ganz ohne Pathos und Ironie, sucht unter den gegenwärtigen deutschen Romanen seinesgleichen. Franck hat ihre "Form" gefunden, schließt er.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.10.2021

Rezensentin Melanie Mühl bewundert Julia Franck für den nüchternen Stil, wenn die Autorin in ihrem neuen Buch über die eigene, chaotische Familiengeschichte berichtet, über den notorischen Mangel an Liebe in der eigenen Kindheit, das Hadern mit dem Jüdischssein, die Rettung durchs Schreiben. Auch eine schöne, wenngleich tragische Liebesgeschichte findet im Buch Platz, erklärt Mühl. Der "freie Ton", mit dem Franck über all das schreibt, stimmt Mühl trotz aller Traurigkeit im Buch froh.
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Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 14.10.2021

Rezensent Eberhard Falcke rät, nicht zu sehr nach literarischer Klasse zu suchen im neuen Buch von Julia Franck. Ein Roman ist es sowieso nicht, meint er, stattdessen handelt es sich um Autofiktion. Die Autorin erzählt laut Falcke von ihrer frühen Sozialisation in einem chaotischen Künstlerhaushalt in der DDR, von jüdischen Vorfahren, Entfremdungen und erster Liebe und von ihrer Entwicklung zur Schriftstellerin. Stilistisch überzeugt das den Rezensenten nicht immer, das Pathos im Text stößt ihm mitunter unangenehm auf. Der beschriebene Weg aber nötigt Falcke dennoch Respekt ab gegenüber der Tapferkeit der Ich-Erzählerin. Und von allgemeiner Gültigkeit scheint ihm die "eindringlich" erzählte Geschichte auch zu sein.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 14.10.2021

Rezensentin Meike Fessmann hat Julia Francks autobiografischen Roman "Welten auseinander" gern gelesen. Die Autorin beschreibt darin ihre chaotischen Kindheit, die von der Flucht aus der DDR und den komplizierten Familienverhältnissen und -verlusten geprägt ist, die erste große Liebe, vor allem aber die "Scham", die sie immer wieder überfällt und die sich auf alles mögliche beziehen kann: die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie, die Herkunft aus dem Osten, das Judentum, das eigene Benehmen. Manchmal wird das etwas zäh, aber alles in allem ein lesenswertes Buch, besonders vor dem Hintergrund heutiger Identitätsdebatten, lobt Fessmann.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 02.10.2021

Marianna Lieder schaut kritisch auf Julia Francks Schriftstellerinnen-Comeback. Francks Beitrag zur nicht-fiktionalen Selbsterkundungsliteratur überzeugt sie nicht durchweg durch Authentizität. Wenn Franck vom Aufwachsen in einer Künstlerfamilie zwischen Ost und West erzählt, von Traumata, Geschlechterrollen und Selbstbehauptung und von der starken Großmutter scheint Lieder zwar gebannt, sprachliches Pathos und die dauernde Beschwörung von Scham machen der Rezensentin die Lektüre aber nicht immer leicht. Wäre es nicht ehrlicher gewesen, den Stolz (es trotz allem geschafft zu haben) hinter der Scham zu thematisieren, überlegt Lieder.

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