9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Kulturpolitik

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9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2024 - Kulturpolitik

Beim Thema Restitution von Raubkunst gab es in Deutschland zum einen ein zeitlich bedingtes, "natürliches Vergessen", erklärt die  Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Tagesspiegel-Interview mit Nicola Kuhn, zum anderen eine "gewollte Amnesie". Zusammen mit ihrem Kollegen Albert Gouaffo aus Kamerun fand Savoy heraus, dass sich an die 40.000 Kulturgüter in deutschen Museen befinden - die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichten sie in einem "Atlas der Abwesenheit" (hier frei verfügbar), der letztes Jahr große Wellen schlug (Unser Resümee). Savoy begrüßt, dass die Restitution der Raubgüter und die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen mittlerweile in der öffentlichen Debatte angekommen sind ("Noch vor sieben Jahren nannte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den deutschen Kolonialismus eine Sommerloch-Debatte"). Die oft geäußerte Befürchtung, die deutschen Museen könnten sich leeren, hält sie für Unsinn: "Sollten von den 40.000 kamerunischen Kulturgütern in Deutschland 5000 zurückgehen, blieben 35.000 - immer noch genug. Viele Staaten und communities wollen nur zurück, was ihnen historisch wichtig ist. Ich bin unbesorgt. Das größte Beispiel für eine Restitution war 1815, als Napoleon besiegt wurde. Der Louvre musste alles zurückgeben, was Frankreich in Preußen, Österreich, Italien, Flandern, den Niederlanden sich angeeignet hatte. Den Louvre gibt es immer noch. Als diese Schätze weg waren, kamen andere Sammlungsgebiete: Ägypten, Mesoamerika, Mesopotamien. Museen sind lebende, hungrige Organismen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.04.2024 - Kulturpolitik

Der unter anderem vom Historiker Jörg Ganzenmüller und Oliver von Wrochem, dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme unterzeichnete Brandbrief zu Claudia Roths Konzept zur Erinnerungskultur (Unsere Resümees) hat es in sich, meint Christian Staas auf Zeit Online, der daraus zitiert: "Der zentrale Stellenwert der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen für das staatliche Selbstverständnis der Bundesrepublik wird in den inhaltlichen Ausführungen nicht deutlich, vielmehr erscheint die wiederholte Erwähnung der 'Menschheitsverbrechen der Shoah' wie ein pflichtschuldiges Mantra. Das Papier kann als geschichts-revisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden." Staas findet, das sei doch etwas fatalistisch und empfiehlt Dialog: "Womöglich liegen die Positionen ja am Ende gar nicht so weit auseinander. Denn so wichtig es ist, den wolkigen Ideen aus dem Entwurf des Kulturstaatsministeriums Konturen zu verleihen und die Arbeit der bestehenden Gedenkstätten zu sichern, so destruktiv wäre es, nun in der Debatte gegeneinander auszuspielen, was letztlich zusammengehört. Dass Ganzenmüller und Wrochem in ihrer Kritik nicht aufs Neue die Front Kolonial- versus Holocaustgedenken eröffnen, ist da schon mal ein gutes Zeichen. Und auch sonst enthält ihr Schreiben viel Bedenkenswertes - etwa die Hinweise auf die Gefahren der grassierenden Geschichtsfälschungen in sozialen Netzwerken und auf konservatorische Herausforderungen."

Einen anderen Ton schlägt Joachim Käppner in der SZ an. Zwar findet er die Aufregung um Roths Konzept auch ein wenig übertrieben, nichtsdestotrotz liegt die Kulturstaatsministerin mit ihrem Entwurf komplett daneben: "Im Entwurf Roths erscheint Erinnerungskultur als eine Art staatlicher Belehrungsauftrag, den man zeitgemäß um Antikolonialismus und Migrationsgeschichte zu erweitern habe. Dabei hat sich diese Erinnerungskultur, die heute zu den Pfeilern der deutschen Demokratie gehört, eigendynamisch über die Jahrzehnte entwickelt; oftmals, wie in der Ära Helmut Kohl und seiner reaktionären 'geistig-moralischen Wende', gerade in Opposition zu den Regierenden. Die Politik darf und soll das Gedenken fördern, aber nicht verordnen, und genau das wird hier voll Eifer versucht."

Auch Ayala Goldmann fürchtet in der Jüdischen Allgemeinen eine "weichspülende Geschichtspolitik, die allen gefallen soll": "Die Schoa, der Mord an sechs Millionen Juden, ist kein Verbrechen unter vielen. Wenn ein Entwurf des deutschen Kulturstaatsministeriums daran den geringsten Zweifel lässt, ist er das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht."

Lisa Berins stellt sich in der FR hinter Claudia Roth, die auch in der Kritik steht, weil sie bei der Preisverleihung der Berlinale (unser Resümee) geklatscht hatte und beim Thema Antisemitismus laviere: "Man kann Kritik an einer zurückhaltenden Politik Roths üben, auf der anderen Seite ist es eine utopische Vorstellung, dass ein in der Gesellschaft grassierender Antisemitismus durch eine 'durchgreifende' Kulturpolitik einfach so aus der Kulturszene 'herausgehalten' werden könnte. Ein gesamtgesellschaftliches Problem braucht wohl auch eine gesamtgesellschaftliche Lösung. Mit dem Finger auf eine einzelne Politikerin zu zeigen, riecht jedenfalls nicht nur nach parteipolitischer Agitation und womöglich nach Misogynie, sondern ist auch einfach unlogisch."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2024 - Kulturpolitik

Mit Martina Šimkovičová hat die ultrarechte Nationalpartei (SNS) eine besonders honorige Person zur neuen slowakischen Kulturministerin ernannt, berichtet Yelizaveta Landenberger in der FAZ. Wegen Hassposts zu Migranten vom slowakischen Privatsender Markíza entlassen, verbreitet sie auf ihrem eigenen Internet-Desinformationssender Verschwörungstheorien und bekannte auf Facebook, sie wolle "der größte Homophob der Slowakei werden". Ihre Umstrukturierungen lassen entsprechend nichts Gutes erahnen: Sie will etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS zugunsten einer Art Staatsfernsehen auflösen und Direktoren staatlicher Galerien ohne Angabe von Gründen entlassen können, berichtet Landenberger. "Auch die Vergabe von Fördermitteln (...) möchte Šimkovičová kontrollieren. De facto würde das ein Aus für aus öffentlichen Mitteln finanzierte Kulturzentren bedeuten, die ein für die ultrarechte Ministerin politisch unliebsames Profil aufweisen. Zuvor hob Šimkovičová schon das infolge des Angriffskriegs gegen die Ukraine eingeführte Kooperationsverbot mit russischen und belarussischen Institutionen auf. Šimkovičová selbst bezeichnet ihre Linie als 'Rückkehr zur Normalität'. 'Die LGBT-Organisationen werden nicht länger vom Geld der Kulturabteilung parasitieren', schrieb sie in einem offiziellen Post auf Facebook."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 09.04.2024 - Kulturpolitik

Das Konzept von Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Erinnerungskultur, das Demokratie- und Migrationsgeschichte einbeziehen will, wird auch von sämtlichen Leitern der deutschen Gedenkstätten kritisiert (Unsere Resümees), berichtet in der FAZ Andreas Kilb. Er kann's nachvollziehen: Nationalsozialismus und DDR seien keine Fälle politischer Kriminalität, sondern Staatsverbrechen gewesen. Ein Unterschied "ums Ganze. Er verpflichtet die Nation, auf deren Boden die Taten geschahen, zu fortdauerndem Gedenken. Insofern sie diesen Unterschied einebnen will, ist die Geschichtskonzeption Claudia Roths tatsächlich revisionistisch. Auschwitz gehört nicht zur gleichen Kategorie wie die Mordserie des NSU." Und auch die Einbeziehung des Kolonialismus kritisiert Kilb, weil Roth die deutsche mit der europäischen Kolonialgeschichte vermischt. Damit "begeht sie den zweiten geschichtspolitischen Tabubruch ihres Konzeptpapiers. Denn ein Erinnerungsort, der den Kolonialismus durchgängig europäisierte, würde gerade das Spezifische der kurzen deutschen Kolonialherrschaft verwischen - etwa die Tatsache, dass sie in Ostafrika den arabischen Sklavenhandel beendete oder in Kamerun von der Kollaboration einheimischer Stammesgemeinschaften profitierte, die das Deutsche Reich dem Britischen Empire vorzogen. Der 'Lernort' würde zur Schule des Verlernens."

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Etwas zwiespältig hatte Claudius Seidl kürzlich in der FAZ über die Debatte um neurechte Spender des Berliner Stadtschlosses sowie über Philipp Oswalts Buch über Architektur als Identitätspolitik nachgedacht (Unser Resümee). Dass Seidl mit Blick auf das Schloss von einer "neurechten Bildpolitik" sprach, will der Architektursoziologe Harald Bodenschatz ebenfalls in der FAZ nicht stehen lassen: "Selbst wenn das Schloss in Berlin vollständig von rechten Spendern finanziert worden wäre, wäre es nicht automatisch ein rechtes Schloss. (…) Manche Rekonstruktionen werden von den neuen Rechten begrüßt. Ja und? Soll das denn heißen, dass alles, was die neue Rechte gut findet, auch rechts ist und wir dies den Rechten überlassen sollen? Das Schloss, die Garnisonkirche, die Frankfurter neue Altstadt? Oder auch gleich noch Goethe und Schinkel, die von den Altnazis glühend verehrt wurden? Das ist doch absurd, vor allem aber ist es politisch abwegig, ja eine Kapitulation."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.04.2024 - Kulturpolitik

Im taz-Gespräch erklären die ungarischen Schriftsteller Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki, wie der Kulturbetrieb in Ungarn zunehmend zentralisiert wird. Krusovszky sagt: "Ein einziger Mann wird künftig für alle Ausgaben des Staates auf literarischem Gebiet verantwortlich sein: Szilárd Demeter. Er war früher der Redenschreiber von Orbán und ist heute der berüchtigte Präsident des Literaturmuseums. Demeter ist absolut regierungstreu." Und auch Libri, der größte ungarische Verlag, wurde vor einem Jahr von der konservativen Stiftung Mathias Corvinus Collegium (MCC) übernommen, wozu Czinki erläutert: "Libri ist nicht nur ein Verlagshaus, sondern auch eine Buchladenkette. Der Staat kontrolliert jetzt also die meisten Buchhandlungen in Ungarn. Ich glaube nicht, dass die Regierung versuchen wird, den Verlagen vorzuschreiben, was sie veröffentlichen sollen und was nicht, aber sie kann kontrollieren, welche Bücher in die Regale und Schaufenster der Buchhandlungen kommen."

Nachdem Claudia Roth Einblicke in ihr "Rahmenkonzept Erinnerungskultur" gewährt hatte, das vorsieht, dass neben dem Holocaust und der DDR-Diktatur künftig auch deutsche Kolonialverbrechen sowie Migration ihren Platz haben sollen (Unser Resümee), "hatten sich Verbände und Arbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten zur Erinnerung an das NS-Unrecht und die SED-Diktatur in einem Brief an die Kulturstaatsministerin gegen die Aufnahme der Themen Migrationsgesellschaft und Demokratiegeschichte ausgesprochen", berichtet Lisa Berins in der FR: "Roths Entwurf, so heißt es in dem Brief, leite 'einen geschichtspolitischen Paradigmenwechsel ein, der zu einer fundamentalen Schwächung der Erinnerungskultur führen würde'. Er verabschiede sich von dem Konsens, nationalsozialistische Verbrechen nicht zu relativieren und SED-Unrecht nicht zu bagatellisieren. 'Das Papier kann als geschichtsrevisionistisch im Sinne der Verharmlosung der NS-Verbrechen verstanden werden', folgerten die Unterzeichnenden, darunter etwa die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland." Roth will die Gedenkstätten nun zu einem Runden Tisch einladen.

Für die "10 nach 8"-Kolumne von Zeit Online hat die Autorin Priya Basil das Kigali Genocide Memorial in Ruanda besucht, das an den Völkermord an den Tutsi erinnert. Warum gibt es keine derartigen Gedenkstätten in Deutschland, fragt sie: "Wie seltsam, als deutsche Staatsbürgerin zum ersten Mal in Ruanda auf ein Denkmal für die ermordeten Herero und Nama zu stoßen - dabei lebe ich doch in Berlin, einer Stadt mit mindestens fünfzig Denkmälern für einstige Verbrechen, einer Stadt, die sich das Gedenken an die Gräueltaten des Dritten Reiches, die Schrecken der DDR zur Aufgabe gemacht hat. Ein Ort, der so gut im Erinnern ist, dass er vergisst. Deutschland hat kein offizielles Mahnmal für den Völkermord, den es in Namibia begangen hat. Berlin hat, soweit ich weiß, keine Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Kolonialismus vor der Nazizeit. In der gesamten Stadt gibt es nur wenige offizielle Schilder, die auf den deutschen Imperialismus außerhalb Europas hinweisen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.04.2024 - Kulturpolitik

Der Architekt Philipp Oswalt fordert gemeinsam mit Jürgen Zimmerer und anderen Kulturwissenschaftlern von Claudia Roth die Einsetzung einer unabhängigen Fachkommission zur Überprüfung der Spendenpraxis beim Humboldt Forum, meldet der Tagesspiegel: "Für die Überprüfung der anonymen Spender, die auch dem Bund und der Stiftung Humboldt Forum nicht namentlich bekannt sind, seien ergänzend unabhängige Expert:innen zu beauftragen, die Vertraulichkeit wahren und einen Bericht ohne namentliche Nennung der Spender für die 25 anonym gespendeten Millionen Förder-Euro zu verfassen. Weiter heißt es in dem Forderungskatalog, alle Spendenbeträge aus nicht korrekten Quellen sollten gemeinnützigen antirassistischen Initiativen zugutekommen. Ebenso sollten 'die durch solche Spenden ganz oder teilweise finanzierten Bauteile' geschwärzt oder anderweitig kenntlich gemacht werden. Zudem solle die Stiftung Humboldt Forum die Zusammenarbeit mit dem Förderverein Berliner Schloss beenden, die die Spenden für den Fassadenschmuck zusammengetragen hatte." Zimmerer veröffentlicht den ganzen Text dieses Manifests auf einem Blog der Uni Hamburg.

9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.04.2024 - Kulturpolitik

In der SZ fasst Peter Richter den Streit um die Potsdamer Garnisonkirche zusammen (mehr hier). Die Kritik am Wiederaufbau durch die Gruppe um den Architekten Philipp Oswalt kann er zwar nachvollziehen, aber "inzwischen beschwören leider linke Kritiker den vermeintlichen 'Geist von Potsdam' fast obsessiver als die rechten Anhänger des Preußenerbes selber - so als wäre das ein ortsansässiges Gespenst, das zwanghaft im Morgennebel aus den Seen steigt. Solche Potsdam-Phobien haben leider selbst etwas raunend Essentialistisches. Auch was die 'Remigrations'-Konferenz in diesem Landhaus bei Potsdam neulich betrifft, folgende These: Wenn der angestrebte Regierungssitz noch in Bonn läge, hätte die stattdessen auf irgendeiner Feinschmeckerburg in NRW stattgefunden. Von dort, aus einer Bundeswehrkaserne in Iserlohn, kam schließlich auch die Idee, die Potsdamer Garnisonkirche einst wieder aufzubauen und mit ihrem Glockenspiel schon mal anzufangen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.04.2024 - Kulturpolitik

Luftbild der im Wiederaufbau befindlichen Garnisonkirche, 2023, © Raimond Spekking, Lizenz: CC BY-SA 4.0 DEED

Ähnlich wie die wiedererrichtete Fassade des Berliner Hohenzollernschlosses am Berliner Humboldt-Forum spaltet auch die geplante Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonkirche die Gemüter (siehe auch hier). Andreas Kilb berichtet in der FAZ von der Eröffnung eines Teils des Baus, des Kirchturms. Von Gegendemonstrationen begleitet, verwahrte sich Bischof Stäblein vor Gläubigen gegen eine Vereinnahmung durch die extreme Rechte. Kilb ist dem Wiederaufbau insgesamt zugetan, kritisiert aber beide Konfliktparteien: "Anhänger wie Gegner des Rekonstruktionsprojekts verbindet die Illusion, man könne die Garnisonkirche von ihrer Geschichte reinigen - sei es, dass man sie, wie die Sprengkommandos der DDR, möglichst vollständig beseitigt, sei es, dass man ihre Relikte demokratischen Zwecken weiht wie jenen Feldaltar, vor dem sich einst die Soldaten der Wehrmacht versammelten. Aber Geschichte lässt sich nicht exorzieren. Man kann sie nur bewältigen, indem man sie erzählt. Das muss in Potsdam geschehen."

Das Klima in der Kulturwelt ist "vergiftet" - und zwar für israelische und palästinensische Künstler, konstatiert Meron Mendel in der SZ. Während auf der einen Seite alle Stimmen delegitimiert werden, die Empathie für die israelischen Opfer fordern, wie es jüngst beim Magazin Guernica geschah (unser Resümee), macht Mendel auch die Absagen von Kunstveranstaltungen palästinensischer Künstler als Problem aus: "Im Kontext des Nahostkonfliktes wird die Kunstfreiheit von mindestens zwei Seiten angegriffen: von Pro-Palästina-Aktivisten, die Veranstaltungen sprengen und Menschen niederbrüllen, wie zuletzt bei einer Lesung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Und auf der anderen Seite von Amtsträgern in der Kunst- und Kulturwelt, die palästinensische und propalästinensische Stimmen aus der Öffentlichkeit verdrängen wollen. Beide Seiten bedienen die Logik des Boykotts. Beide Seiten bedrohen die Kunstfreiheit in diesem Land. Wir sollten eines nicht vergessen: In Zeiten, in denen die AfD in Geheimtreffen schon Pläne für die Phase nach der Machtübernahme schmiedet, ist die Gefahr für die Kunstfreiheit nicht nur eine Spekulation."

Aus Spargründen wollen die Staatlichen Museen zu Berlin ab dem 16. April die Öffnungszeiten verändern, einige Museen sollen nicht nur montags, sondern auch am Dienstag geschlossen bleiben, darunter das Alte Museum, das Bode-Museum, das Kunstgewerbemuseum und die Sammlung Scharf-Gerstenberg, meldet Andreas Hergeth in der taz: "Das alles gilt übrigens nicht für die 'Stars' unter den Berliner Museen. Unverändert bleiben laut SPK die Öffnungszeiten für die Alte und Neue Nationalgalerie, die Gemäldegalerie, den Hamburger Bahnhof, das Museum für Fotografie sowie das Pergamonmuseum. Auch die langen Donnerstagabende bis 20 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, dem Hamburger Bahnhof und dem Museum für Fotografie bleiben erhalten."

"Der Landesregierung, speziell dem Kultur- und dem Finanzsenator (beide CDU) möchte man zurufen: Geht's noch?", kommentiert Hergeth in einem zweiten Artikel: "Das ist am falschen Ende gespart. Nicht nur wegen der Touristen aus aller Welt, die Geld in die Stadt bringen. Sondern auch, weil Museen niedrigschwellige und inklusive Bildungsorte sind."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 02.04.2024 - Kulturpolitik

Nicht nur das Berliner Stadtschloss, auch die Rekonstruktion des Turms der Potsdamer Garnisonkirche wird von Rechtsextremen unterstützt, meint in der taz der Architekt Philipp Oswalt und bezieht sich dabei auf den rechtsnationalen Oberstleutnant a. D. Max Klaar, der das Projekt schon vor dem Mauerfall unterstützte: "Im Sommer 2000 traf sich Max Klaar mit Bischof Wolfgang Huber und unterbreitete ihm seine Vision: Der Turm der Garnisonkirche solle von außen originalgetreu nachgebaut werden. Darin solle eine Kapelle als Ort der Verkündung in Verantwortung der evangelischen Kirche entstehen, die oberen Etagen sollten dagegen eine Ausstellung über den 20. Juli 1944, den Tag des versuchten Attentats auf Hitler, beherbergen - soweit er vom Potsdamer Infanterieregiment 9 ausging, dem großteils ehemalige Adlige angehörten. Als Träger solle eine Stiftung gegründet werden.  ... Es ist ein trauriges und extremes Beispiel dafür, wie rechtsextreme Ideen anschlussfähig werden für die gesellschaftliche Mitte und diese infiltrieren."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.03.2024 - Kulturpolitik

Der Architekturhistoriker Philipp Oswalt kritisierte neulich erneut den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses mit Geldern von rechten Großspendern scharf (Unser Resümee). Was aber an den Statuen rechts sein soll, erschließt sich Matthias Heine in der Welt nicht: "Verblüffend an der Jeremiade von Zimmerer/Oswalt ist, dass acht Juden, die vor mehr als 2.500 Jahren lebten und deren Prophetenworte bis heute große Teile der heiligen Schriften des Judentums füllen, neuerdings als deutsch-völkische Symbolgestalten interpretiert werden. Am allerverblüfftesten wären wohl die Nazis gewesen. Die strichen nämlich den Namen eines der Acht - Zacharias - 1934 aus dem Buchstabieralphabet, weil sie es künftig judenfrei haben wollten. Auch Jakob und Samuel, zwei andere Namen aus dem alten Testament, mussten damals weichen." Und überhaupt versteht er die ganze Aufregung über die Spender nicht: "Dass Leute, die sehr viel Geld haben, seltener links sind", sein nun wirklich "keine neue Erkenntnis. Es macht den Wiederaufbau des Schlosses, der vom Bundestag demokratisch beschlossen wurde, noch lange nicht zu einem Nazi-Projekt."