9punkt - Die Debattenrundschau - Archiv

Gesellschaft

2283 Presseschau-Absätze - Seite 2 von 229

9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.04.2024 - Gesellschaft

Die Szenen, die sich an der Columbia University ereignet haben (unser Resümee), erinnern Jennifer Wilton in der Welt an die dreißiger Jahre in Deutschland, so "brutal" offenbare sich hier der Antisemitismus. Wie groß wäre wohl der Aufschrei, würde es sich um Schwarze oder Homosexuelle und nicht um gejagte Juden handeln, meint Wilton. Dass sich ein "totalitärer Diskurs" an den Universitäten etablieren konnte, habe auch mit den Institutionen und Lehrenden zu tun: "Einige wenige Stimmen machen in den USA seit Jahren darauf aufmerksam, dass Pluralität unter den Lehrenden gerade in den renommiertesten Bildungseinrichtungen immer geringer wird, dass sich bestimmte Narrative zu einer Mastererzählung entwickelt haben - in der, nebenbei, antiisraelische und antizionistische Motive ihren Platz haben - gegen die immer weniger Widerspruch geduldet wird. Sie warnen davor, dass Aktivismus und Lehre verknüpft werden, ohne dass man sich daran sehr stören würde. Es sollte aber ein deutliches Störgefühl geben, wenn nicht mehr gelehrt, sondern indoktriniert wird."

Immer bizarrere und düstere Szenen spielen sich derweil auf dem Campus ab, der seit Tagen von Pro-Hamas-Gruppen besetzt ist. Dieses Video zeigt, wie eine Gruppe jüdischer Studenten, die auf dem Campus Präsenz zeigen wollte, unter Sprechchören vom Gelände gedrängt wird: "We have Zionists who have entered the Camp."



"Nein, nicht jeder hat einen Anspruch auf eine Debatte", ruft in der taz Jonas Reese den Coronaleugnern zu. Er erinnert sich noch gut an die Aidsdebatte. Schon damals gab es "Leugner und Querdenker. In der Aids-Pandemie hatte ihr Handeln schwerwiegende Folgen. In Südafrika sind zahlreiche Menschen gestorben, weil ihr Land eine Zeit lang vom Aids-Leugner Thabo Mbeki regiert wurde. Man hätte daraus einiges lernen können. Dass das nicht passiert ist, ist ein großes Versäumnis. Bei Corona darf sich das nicht wiederholen." Zwar sei es "richtig und wichtig, über Leugner und ihre Behauptungen zu berichten. Solche Narrative lassen sich nicht einfach ignorieren. Nur ist es ein Fehler, ihre Aussagen als Beitrag zu einer Debatte einzustufen. Ihre Verschwörungserzählungen dürfen nicht gleichberechtigt neben erwiesenen Fakten stehen. Coronaleugner haben nichts in Talkshows verloren. Sie haben nichts zum Diskurs beizutragen. ... Das hätte man aus der Aids-Pandemie für die Zeit mit Corona längst lernen können."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.04.2024 - Gesellschaft

Die New Yorker Polizei hat die Ausschreitungen auf dem Campus der Columbia University offenbar nicht in den Griff bekommen, ein Rabbiner der Universität hat jüdischen Studenten geraten, nicht mehr in die Uni zu kommen. Videos in den sozialen Medien zeigen zahlreiche Ausfälle von Pro-Hamas-Demonstranten, heißt es in einem dpa-Ticker, der etwa bei Spiegel online nachzulesen ist: "In einem ist zu hören, wie Teilnehmer rufen: 'We say justice, you say how? Burn Tel Aviv to the ground' (deutsch: 'Wir sagen Gerechtigkeit, ihr sagt wie? Brennt Tel Aviv bis auf den Grund nieder'). In einer anderen Aufnahme werden die jüdischen Studierenden aufgefordert, zurück nach Polen zu gehen. Aus Sicht des Rabbis haben die Ereignisse deutlich gemacht, dass weder die Universität noch die Polizei für die Sicherheit jüdischer Studierender garantieren könnten."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.04.2024 - Gesellschaft

Die Sozialforscherinnen Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky führen eine Studie zu den "Auswirkungen des 7. Oktober auf die jüdische und israelische Community" durch. Vielen sei "Indifferenz bis hin zur Billigung der Gewalt" entgegengekommen, sagt Chernivsky im Gespräch mit Frederik Eikmanns in der taz: "Ihnen begegnet emotionale Kälte, wenn es darum geht, die Wirkung des Terrors und die eindringliche Präsenz der Bedrohung anzuerkennen. Interviewpartner*innen nehmen auch den scharfen Kontrast zur erlebten Solidarität mit der Ukraine wahr. Einige haben Familien, die gleichzeitig von zwei Kriegen in der Ukraine und in Israel betroffenen sind. Manche beschäftigt die Verleugnung sexualisierter Gewalt im Zuge des Angriffs und der Geiselnahmen."
Stichwörter: 7. Oktober, Ukraine

9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.04.2024 - Gesellschaft

Mit Entsetzen blickt Torsten Harmsen in der Berliner Zeitung auf eine im Rahmen des TU-Forschungsprojektes "Decoding Antisemitism" von Matthias J. Becker geleitete Studie, die den drastisch gewachsenen Antisemitismus in Nutzerkommentaren in Medien aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland untersuchte: "Eine international völlig neue Form antisemitischer Kommunikation habe der Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 hervorgerufen, sagt Matthias J. Becker. Die bisherigen antisemitischen Stereotype seien am Tag selbst und in der Woche danach in eine offene Glorifizierung von Gewalt und Mord gegen Juden umgeschlagen, mit Kommentaren wie: 'Ist richtig so', 'Das sollte jetzt jeden Tag passieren', 'Die weiblichen Opfer verdienen das.' 'Auf der britischen Seite waren das teils mehr als 50 Prozent der Kommentare, auf französischer Seite manchmal sogar 60 Prozent und in Deutschland bis zu 25 Prozent.' Als schockierend empfinden die Forscher die Verbindung von 'dehumanisierenden Äußerungen' mit Sexismus und pornografischen Inhalten. In den Folgewochen sei der Online-Diskurs wieder zurückgekehrt 'zu den üblichen Mustern der Dämonisierung Israels'."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.04.2024 - Gesellschaft

In der Zeit wundert sich Peter Neumann über das angebliche "Klima der Angst", das laut New York Times, London Review of Books oder dem Guardian in Deutschland herrschen soll. Sogar von einem "philosemitischen McCarthyismus" als Ausfluss deutscher Erinnerungskultur ist die Rede, der jede Kritik an Israel unterbinden solle. Diese Bezichtigungen sind mittlerweile "selbst zur Pose im erinnerungspolitischen Kulturkampf geworden", meint Neumann. "Es ist aber nicht nur die überzogene Kritik, die zur Verteidigung aufruft: Das Besondere an der deutschen Erinnerungskultur ist ihre Resilienz. Ihre Widerstandskraft gegen allzu schrille Bekenntnisse. Es ist äußerst befremdlich, dass ausgerechnet jene, die nach dem Terror der Hamas jeden Sinn für die Trauer um die israelischen Opfer vermissen ließen, nun ihrerseits die Unfähigkeit zu trauern beklagen. Das heißt nicht, einer Opferkonkurrenz das Wort zu reden, eine solche darf es nicht geben. Es zeigt nur, wie weit gerade viele linke Stimmen in den vergangenen Monaten immer noch von der grundlegenden Einsicht entfernt sind, dass jedes menschliche Leben gleich viel wert sein sollte, mag es sich dabei um das einer Israelin oder eines Palästinensers handeln."

Im taz-Interview hält der Rechtsanwalt Michael Plöse den Abbruch des Palästina-Kongresses für nicht grundrechtskonform. Plöse beriet am Wochenende die Veranstalter und macht als einen Grund für den Abbruch die mediale Berichterstattung im Vorfeld des Kongresses aus: "Es gab in jedem Fall eine politische Erwartung, das war doch den Medien deutlich zu entnehmen. (...) Für mich ist offensichtlich, dass der zuständige Polizeidirektor mit einer abweichenden Entscheidung karrieretechnisch einen Fehler begangen hätte. Hätte er grundrechtskonform entschieden und die Versammlung weiterlaufen lassen, hätte er den in ihn gesetzten Erwartungen nicht entsprochen und Schlagzeilen provoziert, dass die Polizei Antisemiten schützt. Dass es sich um einen 'Israelhasser-Kongress' handelt, war ja vorher schon überall zu lesen. Er hat also ohne einschlägige Rechtsgrundlage entschieden und mildere Maßnahmen verworfen."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.04.2024 - Gesellschaft

Als die jetzige Bundesregierung antrat, versprach sie, auch den Paragrafen 218 zu ändern, der Schwangerschaftsabbrüche für grundsätzlich rechtswidrig hält, unter bestimmten Voraussetzungen jedoch straffrei stellt. Jetzt hat eine unabhängige Kommission zum Thema einen Entwurf für eine Reform vorgestellt. Im Interview mit der taz erklärt die beteiligte Strafrechtlerin Liane Wörner das Ergebnis: "Derzeit werden zu Beginn von Schwangerschaften rechtswidrige, aber straffreie Abbrüche durchgeführt. Das betrifft die meisten der in Deutschland durchgeführten Abbrüche. Rechtmäßigkeit ist die Ausnahme und bedarf der Feststellung einer Indikation, also zum Beispiel der medizinischen oder kriminologischen. Wir empfehlen: Am Anfang der Schwangerschaft grundsätzliche Rechtmäßigkeit, gegen Ende grundsätzliche Rechtswidrigkeit mit Ausnahmen. Doch auch dann müssen Regelung und Ausnahmen nicht zwingend im Strafgesetzbuch geregelt sein."

"218 ist ein Unrechtsparagraf, der nichts befriedet", kommentiert Bascha Mika in der FR: "Gibt es für Männer irgendein vergleichbares Gesetz, das dermaßen stark in ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung eingreift? Hier wird Machtpolitik über Körperpolitik - den weiblichen Körper - ausgetragen. Seit der Spätantike müssen Frauen um das Recht auf Abtreibung streiten. Die Herrschaft über Frauenkörper ist die älteste und effektivste Form weiblicher Unterdrückung. Wen wundert's, dass Papst Franziskus den Schwangerschaftsabbruch noch vor wenigen Tagen als Verstoß gegen die Gott gegebene Würde des Menschen geißelte. Dabei zeigen alle Untersuchungen: Weder hat die Kriminalisierung der Abtreibung jemals geholfen, Abbrüche zu verhindern, noch sind diese nach einer Liberalisierung gestiegen. 60 Länder haben in den vergangenen drei Jahrzehnten ihre Abtreibungsregeln zugunsten der Frauen liberalisiert."

Die Expertinnenkommission hätte in ihren Forderungen noch weitergehen müssen, meint Ronen Steinke in der SZ: "Die Pflicht, dass eine Schwangere sich einen Beratungsschein holen und drei Tage warten muss, bevor sie in den ersten zwölf Wochen abtreiben darf, wird schon lange kritisiert - die Kommission aber hält sich hier auffallend bedeckt."

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Die Philosophin Theodora Becker, die gerade das Buch "Dialektik der Hure" veröffentlicht hat, hat selbst zehn Jahre als Prostituierte gearbeitet, worauf aber weder sie noch der Verlag gerne eingehen. Ihr Buch solle für sich sprechen, erklärt sie im NZZ-Gespräch, in dem sie sich auch deutlich gegen ein Prostitutionsverbot ausspricht: "Schweden wird immer als Vorbild genannt. Dort ist die Prostitution aber nicht verschwunden. Das Verbot hat zu einer noch stärkeren Diffamierung und Diskriminierung der Frauen geführt, die trotzdem dieser Tätigkeit nachgehen. Es findet eine Remoralisierung der Gesellschaft statt. Wer für ein Prostitutionsverbot ist, will einen Aspekt der Sexualität verbannen, der einem schmutzig, unkorrekt, gewaltsam, gefährlich oder überschreitend vorkommt. Das Überschreiten von Normen ist nicht nur positiv, aber es ist ein Teil der Sexualität, der sich in der Prostitution gesellschaftlich auf sehr sichtbare Weise äußert."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.04.2024 - Gesellschaft

Aufsehen erregte diese Woche nicht nur ein Bericht, der zu dem Schluss kommt, die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen sei "nach verfassungs-, völker- und europarechtlicher Prüfung 'nicht haltbar'"(Unser Resümee). Es wurden auch die Ergebnisse der Elsa-Studie vorgelegt, in der ein Team um die Fuldaer Wissenschaftlerin Daphne Hahn die prekäre Versorgungslage von ungewollt Schwangereren untersuchte, berichten Patricia Hecht und Dinah Riese in der taz: "Mehr als jede vierte Frau musste mehr als eine Einrichtung kontaktieren, um einen Termin für einen Abbruch zu bekommen. 15 Prozent mussten für den Eingriff weiter als 50 Kilometer fahren, mitunter sogar weiter als 100 Kilometer. Was auch daran liegt, dass die Zahl der Ärzt*innen, die Abbrüche vornehmen, seit Jahren sinkt. Rund 100.000 Abbrüche gibt es jedes Jahr, aber nur rund 1.100 Stellen melden derzeit, dass sie diese durchführen - die Zahl hat sich seit 2003 fast halbiert."

Das 2004 in Frankreich verabschiedete Kopftuchverbot hat "einer unerbittlichen Islamophobie Tür und Tor geöffnet, die sich in einer Fixierung auf das Aussehen muslimischer Frauen und Mädchen verkörpert", behauptet die französische Journalistin und Autorin Rokhaya Diallo im Guardian: "Hidschab tragende Sportlerinnen wurden inzwischen aus den Teams ausgeschlossen und durften ihren Sport nicht ausüben, auch nicht bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Ironischerweise dürfen französische Sportlerinnen in ihrem eigenen Land keinen Hidschab tragen, während die Regeln des Internationalen Olympischen Komitees Frauen aus anderen Ländern erlauben, mit Hidschabs anzutreten. Unternehmen in Privatbesitz sind nicht wie der öffentliche Sektor an die Regeln des Laizismus gebunden. Doch die Verwirrung ist so groß, dass viele so tun, als ob sie es wären, wie eine Kontroverse in dieser Woche über die Behandlung einer Hidschab tragenden Aushilfskraft in einem Schuhgeschäft in Straßburg zeigte. Laizismus, konzipiert zum Schutz der Freiheit, ist zu einem Instrument der Belästigung, Demütigung und Ausgrenzung geworden."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.04.2024 - Gesellschaft

Die Sozialarbeiterin und Leiterin staatlich anerkannte Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen im Evangelischen Beratungszentrum in München Sabine Simon gibt im SZ-Interview mit Elisa Britzelmeier ihre Einschätzung über die Folgen der möglichen Legalisierung von Abtreibungen. Vor allem hängen die Auswirkungen davon ab, so Simon, ob damit auch die Beratungspflicht für Schwangere, die abtreiben wollen, wegfällt (unser Resümee). Organisationen wie pro familia fordern das, Simon sieht es etwas anders: "Wir machen seit Jahren die Erfahrung, dass die meisten Frauen die Beratung als letztlich hilfreich erleben. Zu uns kommen etwa viele Frauen, die erst seit Kurzem in Deutschland sind und teils gar nicht wissen, wie das mit Mutterschutz und Elternzeit funktioniert oder welche finanziellen Hilfen ihnen zustehen. Mit diesem Wissen können sie dann aber eine informierte Entscheidung treffen. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass die meisten Frauen ohne diese Verpflichtung nicht zur Beratung gegangen wären. Ob diese Erfahrung dazu berechtigt, Frauen weiterhin eine Beratungspflicht aufzuerlegen, dazu gibt es bei den verschiedenen Trägern unterschiedliche Haltungen."
Stichwörter: Abtreibung

9punkt - Die Debattenrundschau vom 11.04.2024 - Gesellschaft

Der lange hoch angesehene, inzwischen verstorbene Berliner Sexualkundler Helmut Kentler ist weitgehend diskreditiert, seit aufgearbeitet wurde, dass er Problemkinder gern bei Pädophilen unterbrachte. Gerade wurde dazu an der Uni Hildesheim ein Bericht vorgelegt. Seine Lehren zur Förderung frühkindlicher Sexualität zirkulieren in Kitas und Schulen allerdings bis heute, wie ausgerechnet die Junge Freiheit herausgefunden hat, schreibt der Jugendforscher Martin Voigt in der FAZ: "Im Sog der 68er-Bewegung, als das Brechen der Schamgrenzen als Befreiung schlechthin galt, transformierte Kentler die Thesen der Sexualforscher Wilhelm Reich und Alfred Kinsey zu den 'genitalen Rechten der Kinder' in die Praxis deutscher Sexualerziehung. Kentler trat im Fernsehen auf, er schrieb Bestseller und regelmäßig in Illustrierten. Noch im Jahr 2000 wirkte er an einer Pro- Familia-Publikation zur Sexualforschung und Sexualerziehung über kindliche Sexualität mit. Niemand störte sich daran, dass er zentrale Thesen bei Kinsey entlehnte, der protokolliert hatte, wie oft man Kinder, teils im Säuglingsalter, zum Orgasmus bringen konnte."

Thomas Holl liest für die FAZ mehrere Berichte, wonach junge Frauen links, junge Männer dagegen rechts wählen. Amerikanische Medien sprechen schon davon, dass es in Wirklichkeit zwei "Gen Z" gebe. Auslöser sei unter anderem die #MeToo-Bewegung, berichtet Holl unter Bezug auf den deutschen Demokratieforscher Wolfgang Merkel: "Im Zuge dieser Bewegung, meint Merkel, erlebten und fürchteten Männer oft den Verlust ihres Status und ihrer Karriere. 'Männer müssen sich auf für sie ungewohnte Kommunikationsformen mit Frauen einlassen und können sich keine maskulinen Dominanzsprüche mehr leisten.' Das frustriere jene, die ihre neue Rolle noch nicht gefunden hätten oder sie gar nicht anstrebten. Als Folge dieser Verweigerung entwickelten viele junge Männer eine Neigung zu Parteien, die 'simplifizierend und illiberal sind, die Werten einer vergehenden Männlichkeit huldigen und undemokratische Ziele verfolgen'."

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Im Welt-Interview mit Jakob Hayner spricht die Journalistin Pauline Voss über ihr Buch "Krokodilstränen"; in dem sie den Wokismus kritisiert und erklärt, warum Michel Foucault sich als Galionsfigur dieser Bewegung eigentlich gar nicht eignet. Ihren Altersgenossen wirft sie vor, den Kampf gegen Diskriminierung zu instrumentalisieren: "Wenn man erfolgreich gegen Diskriminierung kämpfen würde, dann wäre man eines Tages selbst überflüssig. Weil es der Wokeness jedoch um die Diskursmacht und nicht um die Zustände geht, kann sie niemals an den Punkt kommen, wo sie ein vernünftiges politisches Ziel erreicht hat."

9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2024 - Gesellschaft

Für die taz haben Patricia Hecht und Dinah Riese den 600seitigen Bericht der 18köpfigen von der Bundesregierung eingesetzten "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" gesichtet, der sich mit der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, Eizellenspende und altruistischer Leihmutterschaft beschäftigt und zu dem Schluss kommt: "Nach verfassungs-, völker- und europarechtlicher Prüfung sei die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen 'nicht haltbar'". Bahnbrechend, so Hecht und Riese, sei, dass "zum ersten Mal hierzulande eine ernsthafte Abwägung der Grundrechte der Schwangeren und der Rechte eines Embryos vorgenommen wird. Ein Zwang zur Fortsetzung einer noch frühen Schwangerschaft stelle einen 'nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte der Frau dar'. Je kürzer die Schwangerschaft bestehe, desto eher sei ein Schwangerschaftsabbruch zulässig. In den ersten drei Monate sollen Abbrüche demnach legal sein - offen lassen die Sachverständigen aber, ob das über weitreichende Ausnahmen im Strafrecht geregelt oder ob der Paragraf 218 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden sollte. In dem Fall könnte er durch ein eigenes Gesetz für reproduktive Rechte ersetzt werden."

"Das ist ein historischer Moment", sagt Alicia Baier, Ärztin und Mitbegründerin des Vereins Doctors for Choice Germany im taz-Gespräch. Die Umsetzung "würde bedeuten, dass wir Menschen- und Frauenrechte in Deutschland endlich achten. Nicht umsonst wurde die Bundesrepublik für ihre restriktive Rechtslage von der UN-Frauenrechtskonvention gerügt. Eine weitreichende Umsetzung würde Abbrüche endlich als das anerkennen, was sie sind: als wichtige medizinische Leistung statt als Straftat. Und es würde eine gute und gerechte Versorgung möglich, nicht zuletzt, indem der Eingriff Kassenleistung wird."