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Stichwort
Harry Potter
Rubrik: Vorgeblättert - 7 Artikel
Vorgeblättert 14.03.2002 […] Michael Maar, der sich in seinem am 22. März erscheinenden Buch Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte mit Joanne K. Rowlings Zauberlehrling philologisch auseinandersetzt. Außerdem finden Sie hier Informationen zum Autor, hier zum Buch.
Gekürzter Auszug aus dem vierten Kapitel "DER FEUERKELCH"
Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte
Der große Autor war auch ein großer Leser, und seine Urteile […] ja wenig hielt; denn wenn er Hemingway, Pasternak, Conrad und Lampedusa zu den Jugendbuchautoren rechnete, war es durchaus nicht als Kompliment gemeint.
Und trotzdem könnte Nabokov vieles an Harry Potter gefallen haben. Niemand muß uns daran erinnern, geschweige denn ihn, daß sein eigenes Werk sich in einer anderen Sphäre bewegt, die der Zauberlehrling nie auch nur angestrebt hat. Aber die Strähne […] ist nicht von Lockhart, sondern ein Titel aus dem Kochbuch-Sortiment), der rührt bei Nabokov eine vertraute Saite an. [...]
Aber nicht die Sprache oder die Namen sind der Grund, warum Nabokov Harry Potter hätte mögen können, sondern die exakte Phantasie und die Kunst der Komposition. Nabokov, der raffinierteste Handlungskonstrukteur des zwanzigsten Jahrhunderts, schätzte den schachspielartigen Aufbau […]
Vorgeblättert 14.03.2002 […] Harry Potter lebt in einer märchenhaften Welt, und das tun auch die Helden Nabokovs, dessen Werk von Märchenmotiven strotzt. Besonders vertraut war ihm die Verwandlung Cinderellas. Professor Pnin, der den falschen Zug zu nehmen pflegt und Visionen von seinen toten Eltern hat - Pnin, der als russischer Emigrant in Amerika lehrt, wo er trotz moralischer Noblesse als leicht lächerliche Figur gilt, hält […] hält bei seiner Einweihungsparty nicht zufällig ein Privatissimum über Cinderellas Schuhe. Harry Potter als Aschenputtel, der im Schrank unter der Treppe wohnt und in dem sich ein bedeutender Zauberer verbirgt, hätte beim Mentor Pnins immer einen Stein im Brett.
Wie bei Rowling hindert die Märchentönung auch bei ihm nicht die luzideste Beobachtung der Wirklichkeit. Nabokov hatte wenig übrig für Prosa […] lange verfällt, trägt nachgerade Züge eines Voldemort. Zerschlüge man sein buntes Glas, schreibt er, fände sich die schaudernde Seele einer vollkommen schwarzen Leere gegenüber. Gerade das ist bei Harry Potter anders, und gerade das hätte Nabokov an ihm geschätzt: man sieht durchs Märchenprisma genauer auf die Welt.
Der Blick selbst ist bei beiden Autoren ein ethischer. Beide nehmen sie das Böse auf […]
Vorgeblättert 14.03.2002 […] Werken wie mit den artesischen Brunnen ist, daß sie sich nämlich umso höher erheben, "je tiefer die Grube ist, die das Leiden in unserem Herzen ausgehoben hat", wie es bei Proust heißt, dann wäre Harry Potter ohne diesen Tod nie so hoch über sich hinausgewachsen.
Sechs Monate nachdem ich das Buch angefangen hatte, starb meine Mutter, was mich tief getroffen und damit auch das Buch geprägt hat. Ich hätte […] eines Jungbrunnens. Aus der Asche ersteht er neu; die Sanduhr wird umgedreht, wie bei Hermiones Zeitreise, und das nächste Leben beginnt.
Das Muster des Phönix schillert durch alle Seiten der Harry Potter-Saga. Leben und Tod sind in diesen Büchern nicht kategorial geschieden. Sie sind entgegengesetzte Enden auf einem Farbspektrum, mit gleitenden Übergängen: Echos, Wiedergänger, Patroni, Schatten […]