26.05.2003. Verwechslungen ausgeschlossen: Die Gebrüder Christopher Hitchens und Peter Hitchens spielen eine gewichtige Rolle im britischen Journalismus. Der eine ist superlinks und war für den Irak-Krieg. Der andere ist erzreaktionär und ein erbitterter Feind der Eroberung von Bagdad.
Vor ein paar Jahren ging in London und Washington das Gerücht um,
Christopher Hitchens und
Peter Hitchens seien in Wirklichkeit ein und dieselbe Person. Es gab keine Fotografien, auf denen sie gemeinsam zu sehen waren, und am Telefon klangen ihre Stimmen identisch.
Dabei sind Verwechselungen heute eigentlich ausgeschlossen.
Christopher Hitchens ("The Hitch"), seit 1980 in
Washington beheimatet, Kolumnist von
The Nation und
Vanity Fair, hat es zu dem gebracht, was man "Institution" nennt - nicht nur in Amerika oder der englischsprachigen Welt, sondern weit darüber hinaus. Er ist ein
unkonventioneller Linker, ein brillanter Rhetoriker und Polemiker, ein erstklassiger Stilist und außerordentlich produktiver Journalist, Kommentator und Buchautor. Zu denen, deren Ruf er publizistisch ruiniert hat, gehören
Henry Kissinger und
Bill Clinton. Nunmehr in seinen Mit-Fünfzigern, kleidet er sich mit einer englischen Nonchalance, die ans
Verwahrloste grenzt, raucht unentwegt, trinkt eine Menge alkoholischer Getränke ohne sichtbare Wirkung und liebt es, opulente Mittagessen zu bestellen, um sie dann kaum zu berühren. So beschreibt ihn unter anderem sein Freund
Martin Amis in seinem Buch "Experience". Wenngleich er die Pose des Einzelkämpfers und "contrarian" (Hitchens' Selbstbezeichnung) pflegt, ist er alles andere als einsam. Zu seinen besten Freunden zählen neben Amis beispielsweise die Schriftsteller
Julian Barnes,
Salman Rushdie und
Francis Wheen.
Sein drei Jahre jüngerer Bruder
Peter Hitchens ist derzeit noch auf dem Weg zu so etwas wie einer "Institution". In den siebziger Jahren ging er als Reporter zum
Daily Express, eine der
respektableren Boulevardzeitungen, arbeitete als Korrespondent in Moskau während des Untergangs der Sowjetunion und Mitte der neunziger Jahre in Washington (wo sich die Brüder aber selten trafen). Unter seinen Kollegen war Peter Hitchens als "Bonkers" bekannt, eine Reverenz an seine ans Verrückte grenzende Zähigkeit, mit der er journalistischen Aufträgen nachkam. So verfolgte er im britischen Wahlkampf von 1992 den damaligen Führer der Labour Party,
Neil Kinnock, quer durchs Land und rief ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit impertinente Fragen hinterher. Ende 2000 verließ er den
Daily Express unter Protest, nachdem die Zeitung von
Richard Desmond (ein Porträt aus dem
Guardian) übernommen worden war, dessen Medien-Imperium sich vor allem durch
pornografische Publikationen finanziert. Bei alldem ist Peter Hitchens politisch immer weiter nach rechts gewandert und nun nach eigenem Bekunden ein "Reaktionär". Er lebt in
Oxford und schreibt
Kolumnen in der konservativen Boulevardzeitung
Mail on Sunday mit dem Tenor "Hängt sie auf!". Er wettert gegen "Europa", "unbegrenzte Einwanderung", die "liberale Elite" und alleinerziehende Mütter, die allesamt den
Verfall Großbritanniens heraufbeschwören, und verlangt das allgemeine Recht auf Waffenbesitz.
Dass es so gekommen ist, ist bemerkenswert, denn die jugendlichen Hitchens-Brüder sind einst vom gleichen Ausgangspunkt gestartet. Beide gingen auf eine
englische Privatschule, was ihre identische Art zu reden erklärt. Sie waren die ersten in ihrer Familie, die diesen Schritt auf der klassischen Karriereleiter machen konnten. Ihr Vater,
Commander Eric Hitchens, kam aus einfachen Verhältnissen, brachte es zum Offizier in der britischen Marine und arbeitete nach der Pensionierung als Finanzverwalter in einer Schule. "Sein Schiff hat die
'Scharnhorst' versenkt", erinnerte sich Christopher Hitchens vor einem Jahr im
Interview mit dem
Observer, "so ein gutes Tagwerk habe ich bislang noch nicht vollbracht - ein Nazi-Kriegsschiff zu versenken." Zwei Nachspiele gab es zu ihrer Jugend, das erste schrecklich, das zweite überraschend: Die Mutter, Yvonne, starb 1973 in einem Athener Hotelzimmer, nachdem sie mit ihrem Liebhaber einen Selbstmordpakt geschlossen hatte. Als beide Brüder Mitte 30 waren, erfuhren sie von ihrer Großmutter, dass sie jüdischer Abstammung sind.
Beide waren in jungen Jahren linksradikale "troublemaker". Der Trotzkist Christopher Hitchens trat der "International Socialist Party" bei, als diese noch aus "fünf Leuten und einem Hund" bestand. Auch Peter Hitchens wurde Mitglied der Internationalen Sozialisten, schwenkte
Vietkong-Fahnen, attackierte Polizisten, die einen Auftritt des umstrittenen Konservativen und Einwanderungsgegner
Enoch Powell schützten, und entschuldigte sich gegenüber einem Universitätslehrer mit den Worten: "Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe versucht, die
Revolution in Gang zu bringen."
Mit dem Studium gingen die Wege dann bereits ein wenig auseinander: Christopher studierte in Oxford (wo er sich ein Zimmer mit dem Dichter
James Fenton teilte), Peter in York. Trotz eines schlechten Universitätsabschlusses bekam Christopher ein Stipendium für einen Amerikaaufenthalt und danach einen Posten beim Magazin
New Statesman (wo zu der Zeit auch Martin Amis arbeitete). Schnell wurde aus ihm ein bekannter, linker Kommentator. Peter startete bei einer Lokalzeitung und kam dann zum
Daily Express.
Christopher Hitchens ist ein
Kosmopolit im Politischen wie Literarischen. Er hat knapp zwanzig Bücher veröffentlicht, zahlreiche Konfliktherde bereist, über die UNO und internationale Probleme wie Zypern oder über die Kurden und die Palästinenser geschrieben und es nie gescheut, Kontroverses oder gar "Unsagbares" auszusprechen oder zu schreiben. Geradezu legendär sind seine Attacken auf
Mutter Theresa (unter dem vieldeutigen Titel
"The Missionary Position" bei Verso erschienen, wie viele seine Bücher), Prinzessin Diana oder die britische "Queen Mum". Dabei ist er ein großer "Konversationalist", dessen Witz und Charme sein Publikum in den Bann schlägt.
Gerade letzteres geht seinem Bruder eher ab. Peter Hitchens Pose ist die des
Wadenbeißers. England ist ihm Welt genug, und sein Ruhm ist noch jung: Kurz vor seinem Abschied vom
Daily Express erschien sein erstes Buch, "The Abolition of Britain: From Lady Chatterley to Tony Blair" (Quartet Books). Es ist ein Lamento über das verschwundene "alte England" mit seinem
warmen Bier und den langen Schatten, den die Nachmittagssonne aufs dörfliche Kricketfeld warf, und eine Abrechnung mit jenen Kräften, die für das Verschwinden des Idylls angeblich verantwortlich sind. Sein Bannstrahl trifft dabei alle und alles: die Beatles und die Pille, Margaret Thatcher und Tony Blair. Sogar
Zentralheizung und Doppelverglasung gilt Peter Hitchens' Zorn: Sie hätten zum Verfall der Familie beigetragen, da es durch diese Neuerungen nicht mehr notwendig sei, sich um eine Wärmequelle wie früher den Kamin zu versammeln. Anfang des Jahres erschien sein jüngstes Werk, "A Brief History of Crime". Danach versinkt England im kriminellen Sumpf, und nur die Wiedereinführung der Todesstrafe kann Abhilfe schaffen. Nicht überall wird Peter Hitchens ernst genommen, aber immer öfter besetzt er als Fernsehkommentator oder Diskussionsteilnehmer die
extrem konservative Position.
"Familienduelle" sind vor diesem Hintergrund heute verlockende mediale Ereignisse und haben gelegentlich auch stattgefunden. Das Verhältnis der beiden ist nicht sonderlich eng, und obwohl Christopher behauptet, ihre politischen Differenzen seien "trivial", liegen doch Welten zwischen ihnen. Dies war auch während des
Irak-Krieges so, wenngleich beide auf unvermuteten Seiten auftauchten. In der pro-Krieg eingestellten
Mail on Sunday polemisierte Peter Hitchens gegen den Feldzug und die britische Teilnahme - "eine Dummheit ... ein
amerikanischer Krieg, nicht im Interesse Großbritanniens". Christopher Hitchens unterstützt dagegen seit dem 11. September den "Krieg gegen den Terrorismus" der Regierung Bush. Das Anti-Kriegs-Boulevardblatt
The Mirror engagierte ihn als kontrapunktische Stimme, und seine
Polemiken ("
Saddam ist Hitler, Saddam ist Stalin - warum haben wir ihn so lange toleriert?") machten den offiziellen Leitartiklern das Leben schwer und brachten wohl selbst überzeugte Kriegsgegner ins Schwanken.
Seit dem Wochenende sind die Hitchens-Brüder beim
Hay-Literaturfestival zu erleben. Auch hier zeigt sich die Differenz. Peter Hitchens stellt sein neues Buch vor und diskutiert über Englands nahen Untergang. Christopher Hitchens ist gleich fünfmal vertreten, diskutiert die Weltlage und tritt sogar solo auf, unter dem Titel "Late Night Hitch". Es scheint nur einen echten "Hitch" zu geben.