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Überraschende Wurzeln: theroot.com

Von Lara Grund
25.08.2008. Theroot.com ist ein faszinierendes Internetmagazin für Afroamerikaner. Es wird von Henry Louis Gates geleitet und von der Washington Post betrieben.
Ahnenforschung ist eine Leidenschaft in Amerika, bei Weißen wie bei Schwarzen, aber manchmal stoßen die Suchenden auf Wurzeln, von denen sie nicht einmal ahnten, dass es sie geben könnte. Der Schauspieler Don Cheadle war noch nicht überrascht, als er von Henry Louis Gates jr., einem der bekanntesten schwarzen Intellektuellen der USA, erfuhr, dass seine Vorfahren Sklaven waren - aber als er hörte, wer die Sklavenhalter waren, staunte er doch... Das sehenswerte Video findet sich auf Gates' von der Washington Post betriebenen Seite theroot.com:



Bereits ein halbes Jahr ist theroot.com schon online, ein Magazin mit Fokus auf einer schwarzen Autoren- und Leserschaft, das ein ungewöhnliches Konzept verfolgt: Aktuelle Themen und Debatten finden sich hier, aber auch Werkzeuge zur Erforschung von afroamerikanischen Herkunftsgeschichten. Gestoßen sind wir auf theroot.com durch ein Buch des Publizisten John McWhorter (mehr hier), das neulich in der SZ erwähnt wurde. McWhorter vertritt in seinem letzten Buch eine sehr kritische Auffassung über die politische Rolle des HipHop. Theroot.com brachte einen Auszug aus seinem Buch.

Im Einführungsvideo erklärt Henry Louis Gates, neben dem Journalisten Donald E. Graham einer der Chef-Redakteure, was ihn dazu bewogen hat, theroot.com ins Leben zu rufen. Der prominente Harvard-Professor hat die Aufarbeitung afrikanischer Geschichte, Kultur und Literatur zu seinem Lebensthema gemacht und ist überaus aktiv, wenn es darum geht, afro-amerikanischen Perspektiven mehr Gewicht zu verleihen. Zu diesem Zweck publiziert das aktuelle Online-Magazin eine Reihe von Beiträgen, die jenseits des üblichen Rechts-/Links Schemas liegen. Einige bekannte Namen wie Malcolm Gladwell, Autor des Bestsellers "Blink" und Harvard-Soziologe William Julius Wilson konnten dafür gewonnen werden. In den News werden Themen aufgegriffen und verlinkt, die aus Sicht der Macher in den Mainstreammedien nicht ausreichend Beachtung finden. In den Rubriken Views und Blogs finden sich explizit strittige Standpunkte, die die Meinungsvielfalt der schwarzen Gemeinschaft unterstreichen sollen. Unter anderm geht es hier um Gesundheit und Wohnen, aber auch um Politik, Gesellschaft und Sport. Aktuell gibt es beispielsweise Neues über Obama-Videos, den Erlebnisbericht eines demokratischen Delegierten und einen Auszug aus Stephen L. Carters Roman "Palace Council" zu lesen.

Wirklich orginell ist jedoch die Sektion "roots". In Zusammenarbeit mit der DNA-Testseite "AfricanDNA.com", die ebenfalls vom Multitalent Gates gegründet wurde (worin er übrigens keinen Interessenkonflikt sieht), können hier alle Interessierten mehr über ihre Familiengeschichte in Erfahrung bringen. Um einen eigenen Stammbaum zu erstellen, muss man sich zunächst unter dem Titel "roots" anmelden, zwei Wege führen dann zum Ziel, dazu instruieren den Nutzer kurze Videos. Wichtige Orientierungshilfen, so erfährt man, liefern Aussagen von Familienmitgliedern, Dokumente, sowie Archive ortsansässiger Kirchen und Behörden. In der Regel kann die Datenspur mindestens bis zur Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1865 zurück verfolgt werden. Vor der offiziellen Registrierung wurde die schwarze Bevölkerung lediglich als Eigentum ihrer weißen Herren gelistet!

Eine andere Methode sind genetische Testverfahren, die Aufschluss darüber geben können, aus welchen Gebieten Afrikas die Vorfahren stammen - ein starkes, wenn auch nicht absolutes Indiz, das Rückschlüsse sowohl auf die mütterliche als auch auf die väterliche Linie der Abstammung zulasse.

Besonders eindrucksvoll sind die bereits erwähnten Videos, die Gates mit einigen Prominenten für die PBS-Serie "American Lives (2)" 2006 und 2008 produziert hat. Darin konfrontiert er bekannte Gesichter mit ihrer unbekannten Herkunft und fördert dabei Erstaunliches zutage: Die Biografie von Morgan Freemanns Ururgroßmutter zeigt zum Beispiel, wie Einzelschicksale zeitweise über die Schranken der Rassendiskriminierung triumphierten: Sie lebte über dreißig Jahre, während und nach Beendigung der Sklaverei, als schwarze Frau mit einem weißen Mann zusammen, neben dem sie und ihre Kinder unter gleichem Namen begraben wurden.



Weitere Videos gibt es von Tina Turner (hier), der Autorin Bliss Broyard, der Journalistin Linda Johnson Rice und vielen mehr.

Den Mut zu kontoversen Themen beweist die Seite aktuell auch mit einem Bericht über Homophobie und Aids-Aktivismus in Jamaika. Sehr lesenswert!