Im Kino

Unterm Nudelholz

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
12.12.2012. Im ersten Teil von Peter Jacksons Verfilmung des "kleinen Hobbit" kommt das Leichte und Naive der Vorlage gründlich und in 48 frames per second unter die Räder. Todd Lincolns "Apparition - Dunkle Erscheinung" inszeniert ein geisterhaftes Technokratenduell.

Zwischen Peter Jacksons preisgekrönter "Herr der Ringe"-Trilogie und diesem neuen, ersten Film der ebenfalls als Trilogie konzipierten Verfilmung von Tolkiens Kinderbuch "Der kleine Hobbit", mit dem der Sprachhistoriker 1937 den phantastischen Kosmos von Mittelerde erstmals beschrieb, liegen nicht nur neun Jahre, sondern ein ganzer Medienwechsel samt folgenreicher Umstrukturierung des Kinobetriebs: Die volldigitale Produktionsweise ist durchgesetzt (freilich, ein paar wenige Idealisten werden vom Betrieb als 35mm-Fanatiker gerade noch geduldet), im Bereich großbudgetierter Produktionen ist an 3D so gut wie kein Vorbeikommen mehr. Mit "Der Hobbit" setzt Jackson dem nun noch einen obendrauf: Gedreht wurde nicht nur in 3D, sondern gleich im "High Frame"-Verfahren, also mit 48 statt der üblichen 24 Bilder pro Sekunde, was dem Film nicht nur die berüchtigten Unschärfen bei schnellen Bewegungsabläufen austreibt, sondern auch ein teures Equipment-Upgrade der Kinos erforderlich macht. Der Keil zwischen hochgerüstetem Kinobetrieb, der schon zur Amortisierung seiner Investition vermehrt auf große Eventfilme setzen muss, und den zu solchen Ausgaben kaum befähigten Einzelbetrieben wird damit noch ein bisschen tiefer ins Gewebe der ohnehin schon parzellierten Kinokultur getrieben.

Dafür steht Mittelerde nun gehörig Kopf - oder wenigstens die Kamera. Diese ist in "Der Hobbit" auf eine Weise entfesselt, wie man das beim elegisch-getragenen Epos der ersten Trilogie (der die neue zweite, ähnlich wie bei "Star Wars", als Vorgeschichte dient) kaum für möglich gehalten hätte: Herrschte dort ein ästhetischer Modus der Gegenüberstellung und Distanzwahrung zwischen Kamera und Motiv vor, umkreist die "Hobbit"-3D-Kamera das Geschehen und die Figuren in ständigen Bewegungen und macht dabei selbst vor Überschlägen und langen, komplizierten Plansequenzen (die, darf man wohl zu Recht mutmaßen, ihre Montage-Nähte digital kaschieren) nicht halt, wie um in einem fort auf die Attraktion flüssiger Bewegungsabläufe hinzuweisen. Das Bild wird darüber zum Wuselbild: Wenn Orks und Zwerge sich in Massen keilen, entstehen für Sekunden Schlachtengemälde, die noch bis in kleinste Details auf physisch-organische Weise belebt wirken - an die animierte Digital-Knetmasse aus Massenszenen vergleichbarer Art in früheren Blockbustern erinnert hier nichts mehr.


Doch das scharfe, klare Bild, das über weite Strecken tatsächlich die Leinwand-Membran zu überwinden scheint, sich also wie eine räumliche Fortsetzung des Kinosaals in weite, immersive Räume ausnimmt, dieser neue, von 48 Bildern pro Sekunde gestützte Bewegtbild-Typus kommt nur zu einem gewissen Preis: Was dem epischen Panorama und den Schlachtenbildern eine neue, fazinierende Beweglichkeit verleiht, schmurgelt bei den meisten anderen Szenen rasant zum Urlaubsvideo-Look zusammen. Die neugewonnene Plastizität der Bewegungsabläufe lässt an Fernsehen und DigitalVideo denken - ein Eindruck, den auch die an Naturlicht gemahnende Ausleuchtung mit blassen, farbentsättigten Bildern unterstützt. Das wunderbare "bigger than life" im cremigen Gloss-Look, den man den früheren "Herr der Ringe"-Filme attestieren konnte, schwindet hier rasant zur Vermittlung profaner Präsenz.

Immerhin überwindet die übersanfte Bewegungsästhetik ein weiteres, altes Problem des Spezialeffektekinos: Endlich sind die zahlreichen Monstren - hier nun Trolle, Orks und nicht zuletzt Felsmassiv-Giganten, die einander aufs Apokalyptischste verdreschen - wirklich nahtlos ins Geschehen und die Interaktion integriert. Für den Lurch Gollum - seinerzeit der in seiner emotionalen Intensität atemberaubendste Spezialeffekt der alten Trilogie - gilt dies ganz buchstäblich: Darsteller Andy Serkis wurde hier nicht mehr im separaten Motion Capturing gefilmt und später digital aufbereitet eingefügt, sondern spielte nun leibhaftig vor der Kamera mit. In der berühmten Rätselszene beim unterirdischen See, bei der Bilbo Beutlin den armen Teufel überlistet und jenen Ring in Besitz nimmt, der die Ereignisse der früheren drei Filme in Gang setzt, finden sich Großaufnahmen von Gollums Gesicht, in denen allenfalls noch das etwas zu künstliche Glänzen seiner Iris die digitale Herkunft des Wesens verrät; das asig-fahle Fleisch, das strähnig-sieche Haar gewinnt eine körperliche Präsenz, dass man beides förmlich mit den Fingerkuppen zu ertasten meint.


Das Bedauerliche am Film ist freilich, dass sich über vielmehr als das Bild eigentlich kaum etwas sagen lässt. Dass Jackson das Franchise melkt, lässt sich schwerlich bestreiten: Wenn der Film nach drei teils endlos verlabert wirkenden Stunden mehr oder weniger willkürlich an einem Punkt endet, an dem die literarische Vorlage gerade mal 100 von nicht einmal 300 Seiten hinter sich gebracht hat, spürt man Jacksons Erzählstrategie auch rein körperlich: Streckung der Streckung wegen (mit Schaudern denkt man schon jetzt daran, dass die fertige "Hobbit"-Trilogie in unvermeidlichen, um im Kino vorenthaltenen Szenen erweiterten Special-Edition-DVDs wohl auf stolze 12 Stunden anschwellen wird). Die Geschichte, wie Gandalf Bilbo Beutlin auf ein Abenteuer mit 13 Zwergen mitnimmt, die ein Drache um Dynastie und Reich gebracht hat (im Buch war es nur ein Schatz), gerät in Jacksons Filmfabrik ordentlich unters Nudelholz: Passagen werden gedehnt, Rückblenden und Vorgeschichten länglich ausgewalzt, jede Szene bis aufs letzte ausgereizt. Zu beklagen ist dabei zweierlei: Nicht nur gerät das Leichte und Naive, das Tolkiens Buch (ganz im Gegensatz zur mythensatten Gravitas von Tolkiens drei "Herr der Ringe"-Bücher) auszeichnet, zugunsten einer düsteren Epik unter die Räder, die dann auch noch in Jacksons erzählverhinderndem Verfahren um ihr Recht auf angemessene Wirkungsentfaltung gebracht wird.

Relativ frühzeitig findet sich ein Bild, in der das ganze Unglück dieses dem Erfolg hinterhergeworfen wirkenden Films zum Ausdruck kommt: Da schiebt sich vor prächtigem Panorama ein lidschäftiger, fliegender Drachen - das Kinderspielzeug - ins Bild, der einem echten Drachen nachempfunden ist. Die Illusionen und kindlich-naiven Glücksfantasien, die sich vor prächtiger Landschaft an dieses ästhetisch defizitäre Stück Handwerk knüpfen, sind der Stoff, aus dem die Leseerlebnisse von Büchern wie "Der kleine Hobbit" gemacht sind. Der Moment dauert nicht lang: Ein echter Drache taucht auf und schlägt mit gehörigem Krawall ein Inferno los, dessen lodernden Flammen nicht nur die hier gezeigte Welt, sondern gerade auch der Flugdrache aus Holz und Papier zum Opfer fallen. Im Grunde genommen ist dieser wuchtig-polternde Drache nichts anderes als dieser Film selbst.

Thomas Groh

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"Wenn alle Stricke reißen, können wir immer noch hier arbeiten" meint Ben zu Kelly im Supermarkt, zwischen zwei riesenhaft-bedrohlichen Regalen. Ein solcher Satz der tristen Selbsterkenntnis wird nicht allzu oft gesprochen im amerikanischen Kino dieser Tage. Und noch erstaunlicher ist, dass man Ben, einem deplatzierten Hipster und beruflich wenig erfüllten Elektrotechniker, diesen Satz auch noch abnimmt. Und dass man auch versteht, wie es gemeint ist, wenn Kelly, seine ebensowenig erfüllend in einer Tierhandlung angestellte Freundin, abwiegelnd und vage positiv auf bessere Zeiten in der Zukunft verweist.

In solchen Momenten scheint in diesem ansonsten hochschematischen Film eine interessante Schwundstufe des american dream durch, eine, die sich mit Müh und Not ans letzte verbliebene, durch die Finger zerrinnende vornehmlich kulturelle Kapital klammert. Ben und Kelly stehen im Übrigen auf world cuisine. Vielleicht hat die zerbrechlich, fast außerweltlich wirkende Hochglanz-Ästhetik, die "Apparition - Dunkle Erscheinung" (Regie: Todd Lincoln, ein Name, den man sich wohl eher nicht merken muss) gerade in den für die eigentliche Handlung nebensächlichen "Übergangsszenen" bestimmt, tatsächlich etwas zu tun mit dem Amerika der Gegenwart. Ob dieses sonnendurchflutete, von Wüste umgebene, von freundlichen Pendlern bewohnte Palmdale, California nun der Himmel oder die Hölle auf Erden ist, weiß man auch nach dem Film nicht so ganz.

Das Grauen schleicht sich in einen solchen Ort zumindest anders ein als in heruntergerockte Altstadtaltbauwohnungen oder in ausladende, herrschaftliche Landhäuser. Ben und Kelly wohnen in einem Neubau, genauer gesagt in einem am addretten, leicht ornamentalen, swashbucklertauglichen Stil spanischer Landhäuser orientierten Stück Architektur-Pastiche. Dessen scheinbare Individualität sofort wieder zunichte gemacht wird durch die Tatsache, dass die Nachbarhäuser exakt identisch sind. Ein Haus, das Geschichte gerade in seiner Inkorporierung historischer Markierungen leugnet. Kein Ort für Gespenster, eigentlich, kein Ort für Heimsuchungen, die ja fast immer Heimsuchungen durch eine verdrängte (und also nicht wie hier: luftdicht verspiegelte, zum Zitat degradierte) Vergangenheit sind. Weil "Apparition" dann aber doch ein sehr plumper Film ist, muss Kelly genau darauf auch noch in einem Dialog verweisen: "Das Haus ist zu neu, als dass er darin spuken könnte. Es hat keine Geschichte."


Und es spukte doch. Allzu lange kommt man nicht darum herum: "Apparition" ist vielleicht auch, an den Rändern, ein gar nicht mal so schlecht fotografierter, mit gar nicht mal so schlechten Elektrobeats unterlegter Film über das in Luxusderivaten noch gerade eben restentspannt vor sich hin lebende, abends vor dem HD-Fernseher gemeinsam einschlafende Mittelklasseamerika; in erster Linie aber: ein ziemlich schlechter Horrorfilm. Als solcher nimmt er seinen Anfang bei zwei Prologen, die an die derzeit im Genre allgegenwärtige Found-Footage-Methode angelehnt sind: Zwei Filmschnipsel, einer auf analog-räudige Siebzigerjahre, einer auf digital-räudige Gegenwart getrimmt, die verwackelte Aufnahmen parawissenschaftlicher Experimente zeigen. Natürlich sucht das, was damit auf die Welt losgelassen wurde, auch die rhetorisch komplett fiktionale und glücklicherweise wackelkamerafreie Zweisamkeit von Ben und Kelly heim. Es geht da unter anderem um ein Tor zu Geisterwelt, um Bens verschwundene Ex-Freundin und um eine Art übernatürlichen Faradayschen Käfig zum Schutz gegen aufdringliche Geisterwesen.

Fast schon technokratisch, generalstabsmäßig vorbereitet zumindest brechen diese Geister über die Welt hinein; da bleibt kein Raum für leise Irritationen, für Ambivalenzen, im Gegenteil sind das zupackende und ziemlich hässlich digital animierte Gespenster, die sich noch dazu mit Vorliebe in die allzu bekannten Bilder weitaus effektiverer Vorgängerfilme hüllen (eine Szene mit Anleihen bei den diversen "Body Snatcher"-Verfilmungen ist ganz schön, zugegeben). Und ebenso fast technokratisch ist die Antwort der Betroffenen. Ein wenig Beziehungskrach gibt es zwar schon, schließlich spukt irgendwie auch die verschollene Ex. Aber dann werden schnell und (in Maßen) vernünftig Pläne geschmiedet, und irgendwie hat man das Gefühl, dass zumindest Ben nicht nur die übernatürlichen Wesen, sondern auch seinen inneren Nerd domestizieren möchte. Inzwischen ist er längst ebenso langweilig geworden wie die Gespenster, die er einst rief. Und unter solchen Voraussetzungen ist es einem bald völlig egal, wer bei diesem Technokratenduell am Ende die Nase vorn haben wird.

Lukas Foerster

Der Hobbit: Eine unerwartete Reise - USA / Neuseeland 2012 - Originaltitel: The Hobbit: An Unexpected Journey - Regie:Peter Jackson - Darsteller: Martin Freeman, Ian McKellen, Cate Blanchett, Ian Holm, Christopher Lee, Hugo Weaving, Elijah Wood, Orlando Bloom - Länge:169 min.

Apparition - Dunkle Erscheinung - USA 2011 - Originaltitel: The Apparition -Regie: Todd Lincoln - Darsteller: Ashley Greene, Tom Felton, Sebastian Stan, Julianna Guill, Luke Pasqualino, Rick Gomez, Suzanne Ford, Anna Clark, Meena Serendib - Länge: 84 min.
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