Im Kino

Positiv Unheimliches

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Friederike Horstmann
22.07.2015. Ein ameisenkleiner Paul Rudd bekommt es in Peyton Reeds "Ant-Man" mit allerlei bösen Bösewichten zu tun. Die Frage nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verhandeln auch eine Reihe von Künstlerfilmen, die derzeit in der Berliner Galerie Johnen präsentiert werden.


Verfilmungen von Superheldencomics aus dem Hause Marvel bestimmen das Blockbuster-Segment der gegenwärtigen Kinolandschaft maßgeblich. Nun bekommt das Marvel Cinematic Universe mit "Ant-Man" Zuwachs. Dem Presseheft kann man entnehmen, dass die Figur des Ameisenmannes ihren ersten Auftritt in den Comics bereits 1962 hatte und ein Gründungsmitglied der Avengers ist. Zu Beginn der Kinoversion wird Meistereinbrecher und -trickbetrüger Scott Lang (Paul Rudd) aus dem Knast entlassen und muss feststellen, dass das Leben als Ex-Knacki seine Härten hat. Als sein Chef in einem Donut-Laden von seiner Vergangenheit Wind bekommt, bescheinigt er ihm zwar, dass das Verbrechen, für das er einsaß, verdammt cool war, muss ihn aber dennoch feuern. Seine Tochter liebt ihren Daddy zwar über alles, aber die Mutter verweigert ihm den Umgang, solange er sich nicht in der Freiheit etabliert hat, mit beiden Beinen fest im Leben steht.

Derart mit leeren Händen dastehend braucht es nicht allzu viel Überzeugungsarbeit durch seine drei alten Kumpels und Komplizen, ihn zu einem Einbruch zu überreden. Dieser stellt sich als abgekartetes Spiel heraus, hinter dem der Wissenschaftler und Firmengründer Dr. Hank Pym (Michael Douglas) steht. In dem Safe, den Scott knackt, befindet sich nichts außer einem rotschwarzen Anzug, der, wie der Protagonist schnell herausfinden wird, seinen Träger auf die Größe einer Ameise einschrumpft, und ihn damit, winzig, aber mit Bärenkräften ausgestattet, zu einer perfekten Waffe macht.

Die Szene, in der Scott sich das erste Mal in Ant-Man verwandelt ist die tollste des Films. Relativ schmerzlich muss er feststellen, was nur logisch ist, nämlich dass für einen ameisenkleinen Superhelden die normale Umwelt riesengroß wird (was schon die interessanteste Prämisse des Films ist). Zunächst wird der schmutzige Duschboden zu einer beeindruckenden Canyon-Landschaft, dann das Wasser aus dem Hahn zu einer reißenden Flutwelle. Wenig später landet Scott, der zunächst verständlicherweise wenig Begeisterung zeigt, in einer Disco, wo er sich, von einem Ventilator durch die Luft geschleudert, an den Rillen einer Schallplatte festhalten muss, doch wehe, wenn die Nadel kommt. Hier ist der Film, der zu weiten Teilen als Komödie angelegt ist, so durchgeknallt und over the top, wie er es im Ganzen gerne wäre.



Pyms Plan ist einfach: Mit Hilfe seiner Schrumpf-Technologie und Scotts kriminellen Fähigkeiten soll verhindert werden, dass die Technologie in die falschen Hände gerät - die in diesem Fall Darren Cross gehören, der Pyms Firma nach seinem im Prolog gezeigten Ausscheiden übernommen hat und sie nun gemeinsam mit Pyms Tochter Hope leitet. Cross wird gespielt von Corey Stoll, der auf ambitionierte und abgründige Figuren spezialisiert ist (in der ersten Staffel der Serie "House of Cards" spielt er einen Alkoholiker, der für das Amt eines Senators kandidiert). In einer Szene relativ zu Beginn, die zeigen soll, wie böse dieser Bösewicht ist, spült er einen firmeninternen Kritiker, nachdem er ihn mithilfe nicht ganz ausgereifter Technologien in einen schleimigen Fleck verwandelt hat, in der Toilette herunter.

Die Motivation aller Figuren steht im Zeichen der Familienzusammenführung. Ein merklich in die Jahre gekommener Michael Douglas gibt Pym als Übervater, der sich mit seiner Tochter mit dem sprechenden Namen Hope (Evangeline Lilly) aussöhnen will, die ihm vorwirft, nach dem Tod ihrer Mutter nicht für sie da gewesen zu sein. Dem Protagonisten Scott ist Pym Mentor und Trainer, der seinen Schützling dazu bewegt, seine Fähigkeiten für das Gute einzusetzen. Und der Böse erscheint als verlorener Sohn, der sich aufgrund krankhafter Machtgeilheit von seinem einstigen Vorbild abwandte und nun verzweifelt versucht, dieses zu überflügeln. An der Art, wie Evangeline Lilly, die in "Lost" Kate spielte, ihre Figur anlegt, zeigt sich, wie sehr die "starke Frau" im gegenwärtigen Hollywoodkino zum Klischee erstarrt ist. Stets gekleidet wie die Führungspersönlichkeit, die sie ist, darf sie Scott in seinen ersten Trainingseinheiten gehörig vermöbeln, und muss sich doch langsam in ihre Rolle als vergebende Tochter und love interest einfinden, den weichen Kern unter der supertoughen Oberfläche offenbaren.



Ohne mich mit der Materie weiter auszukennen, passt mein Eindruck von "Ant-Man" zu der Kritik am Superhelden-Genre von Matt Zoller Seitz: "As long as people are talking, there"s a chance the movies will be good. As soon as the action starts, the films become less special." So ist Scott eine durchaus interessante Figur und Paul Rudd gibt ihn charismatisch genug, um die Zuschauersympathien ganz auf seine Seite zu holen (wobei man durchaus bemängeln könnte, dass der Film diese Sympathien etwas angestrengt will. Das Verbrechen Scotts bestand darin, dass er mittels einer Hacker-Attacke Gelder von der Firma, in der er arbeitete, zurück an deren ausgetrickste Kunden überwiesen hatte.) Gerade dann, wenn es so richtig los geht, hört "Ant-Man" einfach auf, mich zu interessieren. Dann nämlich, wenn der Film sich in seinem finalen Drittel in ein Heist-Movie verwandelt, in dem sich der Titelheld, unterstützt von einer regelrechten Armee verschiedenster, ziemlich drollig computergenerierter Ameisen, nicht nur Zugang zu Pym Tech verschafft, sondern danach trachtet, die festungsartige Firmenzentrale in Schutt und Asche zu legen.

Einerseits ist der Film deutlich darum bemüht, dem Action-Spektakel neue Impulse abzuringen: Wenn etwa im Show-Down eine auf Lebensgröße aufgepumpte Baby-Modelleisenbahn-Lok in ein Polizeiauto kracht, ließe sich das fast als ironischer Kommentar auf das von Zoller Seitz bemängelte "things crashing into other things" lesen. Andererseits aber zelebriert er regelrecht das Verschwinden des Menschen in der Blockbuster-Maschinerie - und zwar buchstäblich. Ant-Man muss sich im Finale auf subatomare Größe einschrumpfen, rauscht vorbei an psychedelisch anmutenden Atomen und darf der erste Mensch sein, dem es gelingt, aus diesem Zustand zu alter Größe zurückzukehren. Es wird niemanden wundern, dass der Film zwar nicht gleich mit einem echten Cliffhanger endet, aber doch am Schluss einige Ausblicke bietet, worum es in Teil Zwei gehen wird. Mich hat "Ant-Man" eher in dem Vorurteil bestätigt, dass das serielle Erzählen heutzutage im Fernsehen besser aufgehoben ist als auf der großen Leinwand.

Nicolai Bühnemann


Ant-Man - USA 2015 - Regie: Peyton Reed - Darsteller: Paul Rudd, Michael Douglas, Evangeline Lilly, Corey Stoll, Anthony Mackie, Jufy Greer - Laufzeit 117 Minuten.

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Eine Schwarzweißfotografie von Candida Höfer aus dem Jahr 1977 zeigt den Eingang des Kölner Kinos "Hansa Theater". Mit Setzbuchstaben wird ein "Cinema Italiano" beworben, mit einem Plakat auf den eingeschränkten Aufführungsbetrieb hingewiesen: "In den Sommerferien - keine Jugendvorstell.". Mit dieser Einladungskarte bewerben die beiden seit Anfang Mai fusionierten Berliner Galerien Johnen und Esther Schipper ein gemeinsam kuratiertes Kinoprogramm. Unter dem Titel "Sommer Kino" werden 13 Filme von etwa zweieinhalbstündiger Länge gezeigt, die meisten sind aus den vergangenen zehn Jahren. Zwischen den vier hier besprochenen Einzelfilmen lassen sich lose Verbindungen knüpfen: Die Frage nach Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Präsenz und Absenz, Faktischem und Vermutetem gewinnt in allen Filmen dadurch Relevanz, dass Leerstellen und Lücken die Arbeiten in ihrem Ton- und Bildverhältnis bestimmen. (Foto: Candida Höfer, "Kino Weidengasse Köln I 1977")


Anri Sala, It will happen exactly like that, 2008, Videostill. © Anri Sala

Im Halbdunkeln gefilmt zeigt Anri Salas "It Will Happen Exactly Like That", 2008, einen nächtlichen Birkenwald. Auf einer Lichtung markiert eine vage wahrnehmbare Figur mit einer Maschine die weißen Linien eines Fußballfeldes, während aus dem Off mit großen Pausen und in ruhigem Tonfall die Stimme eines italienischen Sportreporters zu hören ist. Er moderiert das legendäre Viertelfinale Argentinien gegen England während der Fußballweltmeisterschaft 1986, bei dem eines der berühmtesten Tore der Fußballgeschichte erzielt wurde: Diego Maradonas regelwidriges Handtor, das er nach dem Spiel als "Die Hand Gottes" bezeichnete und das Argentinien gegen England gewinnen ließ - vier Jahre nach dem Falkland-Konflikt. Als "Voice of God" hören wir die körperlose Kommentarstimme des Off-Sprechers, der eine geradezu prophetische Deutungsmacht für sich reklamiert und das Fußballereignis im Futur reformuliert. Der "Voice-of-God narration" ist von Seiten ideologiekritischer TheoretikerInnen oft der Vorwurf gemacht worden, patriarchalistisch und manipulativ zu sein. Durch die rudimentäre Kommentierung im Futur, ihre ungewöhnlich gleichmäßige Intonation und die Diskrepanz zwischen Bild und Ton ist der verbale Teil des Films hier gerade nicht eine Legende der Bilder, nicht deren Unter- oder Überbau, sondern eine Möglichkeit zur Distanzierung. Das körperlose Voice-over gleitet an den Aufnahmen ab, beide bleiben für sich, wahren Autonomie und fusionieren zu keiner zeitlichen Einheit.


Ceal Floyer, Untitled Credit Roll (CMIYC), 2013. Foto: Amelie Proché © Kölnischer Kunstverein, 2013.

Ausgangspunkt von Ceal Floyers humoristisch absurdem Konzeptfilm "Untitled Credit Roll (CMIYC)", 2013, bildet vorgefundenes Filmmaterial, das einem Spielfilm entnommen und mit minimaler Geste bearbeitet ist. Floyer rückt den oft marginalisierten Abspann in den Fokus, benutzt die Closing Credits, um durch weiße Markierung alle Namen der am Film Mitwirkenden und die Art ihrer Beteiligung, sei es als Schauspieler, Regisseur oder Produzent unkenntlich zu machen. Die weiß getünchten Gebilde mit kurvigen Rändern laufen langsam auf dem monochrom schwarzen Bildgrund vom unteren zum oberen Rand. Die variierenden Strichstärken verweisen auf unterschiedliche Hierarchien, die zwei nebeneinander laufenden Kolumnen auf Funktion und Ausführende. Floyer hat dem Titel in Klammern ein Akronym "CMIYC" hinzugefügt. Kryptisch verschmitzt steht es für Steven Spielbergs Gaunerkomödie "Catch Me If You Can", deren Vorspann als Vorlage diente. Im Entzug der Sichtbarkeit wird gerade nichts mehr erfasst oder gar gecatcht. Im Gegensatz zum visuell abstrahierten Abspann bleibt die pathetische Filmmelodie akustisch erkennbar. Getünchte Sichtbarkeiten, nicht signifizierbare Leerstellen sind für Floyer ein entscheidender Eingriff, der dem akustischen Pathos Grenzen setzt. Momenthaft wirkt Musik fadenscheinig, mit falscher Emphase behängt. Gleichzeitig werden die Credits durch Foyers Eingriffe entfunktionalisiert, Beteiligung anonymisiert, der Blick auf Arbeitsökonomien zurückgewiesen. Im Gegensatz zum deutschen Begriff des Abspanns, der die rahmende Funktion betont, fokussiert das englische Credits den Produktionsprozess. Momenthaft eröffnet die feierlich-sinfonische Melodie deshalb auch vage umrissene Filmerinnerungen. Durch die radikale Subtraktion bleiben diese Sinnzusammenhänge absichtsvoll fragmentarisch, instabil und imaginär.


Ryan Gander, And You Will be Changed (Centre Pompidou, Paris), 2014 Video. Filmstill: Art Basel

Auch in Ryan Ganders Video verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion, wird Absenz thematisch. In "And you will be changed (Centre Pompidou, Paris)", 2014, stehen Kunst und die Verfahren ihrer Vermittlung im Fokus. Der Film zeigt eine Führung der Kuratorin Emma Lavigne durch die Pierre Huyghe Retrospektive im Jahr 2013 im Pariser Centre Pompidou, nachdem die Ausstellung bereits demontiert wurde. Während die Arbeiten nicht zu sehen sind, werden sie durch Beschreibungen vermittelt. Die Räume sind leer, sichtbar sind neben den Überresten und Umrissspuren der Werke nur die eingebauten Wände, die ihrerseits Übernahmen der vorausgegangenen, Mike Kelley gewidmeten Ausstellung sind. Farbspuren auf dem Boden verweisen auf pinkfarbene Pigmenthaufen, dunkle Handabdrücke auf eine schwarze Eisbahn. Der Kuratorin scheint die Absenz der Kunstwerke nicht bewusst, sie zeigt auf die Arbeiten, in die Richtung, wo sie installiert waren. Durch die visuelle Obdachlosigkeit bleiben ihre Interpretationen haltlos, kuratorische Erzählstrategien treten in den Vordergrund. Die unsichtbaren Werke können erst in der Vorstellung des Betrachters Gestalt annehmen. In der sprachlichen Vergegenwärtigung der Kunst wird unscharf, was Dokumentation, was Imagination ist. Die Umschreibungen und Überbleibsel verdichten sich zu porösen Geschichten. Schon Huyghe spekulierte bei seinem alternativen Ausstellungsformat darauf, dass sein Publikum mit den Arbeiten vertraut ist. Mit seiner als Versuchsanordnung konzipierten Werkpräsentation kommentierte er den Ausstellungsbetrieb, revidierte die Vorstellung, Kunst könne oder solle in irgendeiner Form vermittelt werden. Ganders Video konzentriert sich auf ein Paradox, macht es zur künstlerischen Praxis, zeigt, dass Sprachformen und Kunstformen durchweg eigene Inhalte produzieren.


Pierre Huyghe, De-extinction, 2014, Film. Courtesy the artist, Hauser & Wirth, London and Anna Lena Films, Paris

In Huyghes eigenem Experimentalfilm "De-extinction", 2014, gleitet die Kamera durch eine orangefarbene Umgebung. Zwischen Schärfen und Unschärfen oszillierende Bilder formen einen unbestimmten Raum, den wir nicht definieren können. Aus Dunkelheit und unscharfen Umrissen konkretisieren sich scheinbar schwebende Insektenkörper. Die in Bernstein eingeschlossenen Tiere tauchen auf und ab, verändern sich, verlieren ihre Konturen, werden schemenhaft, verschwinden. Die Kamera fährt durch die orangebraunen Räume, über die Insektenkörper, deren Gesichter und Extremitäten, zögert manchmal bei ihrer Fahrt, verharrt auf einem Detail, wie um einen Moment nachzudenken. Während ihrer eigensinnigen Untersuchungen haftet die mikroskopische Kamera ganz nah an den fadendünnen Fühlern, vielgliedrigen Antennen und metallisch glänzenden Facettenaugen. Manchmal ist sie völlig affiziert von den Trophäen ihrer Expeditionen. Was sie zum Vorschein bringt, ist ein positiv Unheimliches, das immer wieder in eine ästhetische Abstraktion umschlägt. Auf der Tonspur sind die surrenden, sporadisch pulsierenden Geräusche der Kamera zu hören. Schwebende Kamerabewegungen, schwankende Schärfen und wechselnde Licht- und Schattenverhältnisse verflüssigen die verfestigten Formen und Strukturen, verlebendigen die Fossilien.

Diese Transsubstantiation der 30 Millionen Jahre alten Viecher klingt auch im Titel des Videos "De-extinction" an. Extreme Großaufnahmen der filmisch dynamisierten Insekten komprimieren Distanzen und Distanzierungen, zwingen den Betrachter, die Augen weit aufzureißen. Manche dieser Nahbilder ekeln, manche faszinieren. Der Slow-Motion-Mikrokosmos erinnert an Aquarien, er wirkt gleichzeitig kontingent und artifiziell. Durch die ungeheuerlichen Blickwinkel treten Eigenheiten hervor, die das bloße menschliche Auge nicht wahrzunehmen vermag. Filmisch aufwendig in Szene gesetzt schwankt der Streifzug durch die verborgene Parallelwelt zwischen visuellem Spektakel und wissenschaftlichem Reiz, zwischen Abstraktion und Konkretion. Der Grenzgang führt Phänomene vor Augen, die Transgressionen zwischen Animalischem und Vegetabilischem darstellen und eine anthropomorphe Perspektivierung unterlaufen.

Friederike Horstmann

Die Ausstellung "Sommer Kino" ist noch bis zum 25.07. in der Johnen-Galerie zu sehen.