Im Kino

Alles kaputt

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
06.08.2015. "Mission: Impossible 5 - Rogue Nation" von Christopher McQuarrie ist gleichzeitig klassisches Unterhaltungskino und zeitgemäßes Abbild einer verfensterten Welt. Alexandre Ajas "Horns" holt erst am Ende den Hammer heraus.


Die Verfensterung der Welt, die Welt als Schauspiel vernetzt-medialer Oberflächen: Erst manipulieren wir den großen Kriegsjumboflieger der Russen per iPad, mobilem Internet und - offenbar - Direktschaltung zur NSA. Später werden Smartphones zu Überwachungskameras, Laptops zum wichtigsten Utensil der Teilhabe am Weltgeschehen, Bleistift-Skizzen von Menschen zum Info-Futter beim Anzapfen des britischen CCTV-Systems ("Ich habe sie!"), und wenn die von Tom Cruise nunmehr zum fünften Mal und immer noch äußerst agil verkörperte Figur des Ethan Hunt sich am Ende mit dem Oberbösewicht Solomon Lane (Sean Harris) zum konzentrierten Showdown-Dialogduell an einen Tisch setzt, ist letzterer rein körperlich gar nicht anwesend, sondern sitzt - da GoogleGlass in dieser Welt keine Brille mehr, sondern eine höchsteffektive Kontaktlinse ist - in Form eines Vertrauten Hunts vor ihm. Der überträgt an den fernen Lane alles, was er sieht, und ein an seinem Körper befestigtes Sprengstoffbündel zwingt ihn alles, was Lane ihm einflüstert, wortwörtlich wiederzugeben. Eine Live-Schaltung, buchstäblich.

Ständig sind in "Mission Impossible - Rogue Nation" Menschen auf diese Weise zugleich an- und abwesend: Hier und dort, mal weg und wieder da - Lebens- und Spionagerealität im Gadget- und App-Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts, dessen öffentlicher Raum zusehends in die Geräte wandert (vielleicht auch deshalb feiert das ewig als James-Bond-Epigone gehandelte "Mission Impossible"-Franchise seine markanten Postkarten-Einstellungen aus aller Welt in diesem Fall mit ganz besonderem Nachdruck - im Kino blicken wir ja eh immer schon durch ein Fenster auf die Welt). Doch "MI:5" (man darf gespannt sein, was sich die Macher für den sechsten Teil ausdenken, wenn die Filmabkürzung zugleich den britischen Geheimdienst bezeichnet) ist kein Cyberthriller in der virtuellen Arena - vielmehr dient die Verfensterung der Welt dazu, den Körper in Situationen zu führen, in denen er seine Agilität, Elastizität, Flexibiliät und Souveränität unter Beweis zu stellen hat: Cruise, zur Drehzeit 52, legt Wert darauf, seine Stunts zum großen Teil selbst zu absolvieren. Die Produktion wiederum legt Wert darauf, den Einsatz des Computers bei den Actionszenen aufs Nötige reduziert zu haben. So darf Hunt: Am Äußeren eines abhebenden Flugzeugs kleben. In einer gefluteten Turbine schwerste Atemnot erleiden. Im wie aus einem alten asiatischen B-Movie entnommen wirkenden Folterkeller erst Schmerzen erleiden und sich dann selbst befreien. Hinter der Bühne der Oper Wien bei laufendem Betrieb waghalsige Klettermanöver unternehmen. Mit dem Motorrad wilde Verfolgungsjagden auf Serpentinen veranstalten. Sich hinter Masken zum Verschwinden bringen und im richtigen Moment wieder zum Vorschein kommen.

Und das alles ist, ja: toll. Und auf tolle Weise insofern altmodisch, da vor allem das Vokabular des alten Eurospy-Films nochmals durchdekliniert wird, ohne auf Retro-Pastiche abzuzielen. Vielmehr vermengen sich die Tugenden des klassischen Unterhaltungsfilms mit zeitgenössischer handwerklichen Professionalität: Würde "Goldfinger" heute gedreht und adäquat ins Hier und Jetzt transponiert werden - er würde "MI:5" nicht völlig unähnlich sehen.



Das dürfte auch mit dem Regisseur Christopher McQuarrie zu tun haben. Bereits in der Lee-Child-Verfilmung "Jack Reacher", ebenfalls mit Cruise in der Hauptrolle, war es ihm geglückt, althergebrachte Genrefilm-Tugenden zeitgenössisch aufleben zu lassen. Doch wo "Reacher" sich noch überschaubar und noir-existenzialistisch gab, greifen McQuarrie/Cruise nun dem Franchise gemäß global Raum und reihen ein wunderbares Set Piece ans andere. Diese zugespitzten Set Pieces - grandioser, früher Höhepunkt: das virtuose Attentäter-Ballett in der Wiener Oper, Hitchcockreferenz inklusive - sind es, weshalb man sich diesen Film ansieht. Die Handlung ist auf ein Minimum eingedampft, bleibt orientierendes Gerüst - in a nutshell: Hunts Spezialeinheit wird wegen fortgeschrittenen Rabaukentums auf sensiblem außenpolitischen Parkett von der CIA kassiert und der auf eigene Faust losziehende Hunt zur Fahndung ausgeschrieben. Zeitgleich stößt er auf die Existenz einer üblen, international operierenden Agenten-Organisation namens "Das Syndikat", von der beim CIA wiederum keiner etwas wissen will. Mittendrin, toll veruneindeutigt gespielt von Rebecca Ferguson, der wahren Entdeckung dieses Films: Eine Doppelagentin mit dem schönen Pulp-Namen Ilsa Faust, die Hunt mal rettet, mal das Gewehr auf ihn anlegt, zum Love Interest wird (oder Hunt zu ihrem?), aber stets einen eigenen Kopf bewahrt. Kein dekoratives Püppchen-Beiwerk, sondern eine der wunderbarsten Actionfilmheldinnen der letzten Jahre.

Im Zeitalter der "Big things crashing into bigger things"-Superheldenblockbuster ist "Mission Impossible 5 - Rogue Nation" eine kleine, fast melancholisch umwehte Wohltat: Ein Unterhaltungsfilm, der Unterhaltungsfilm sein will, ohne sein Publikum zynisch für blöde zu halten, der seinem Publikum aber auch das Bedürfnis nach Unterhaltung nicht abspricht. Spannend, temporeich, souverän inszeniert - ein Film, aus dem nichts als Liebe zum großen Genrekino spricht, das er vom Schicksal des gleichförmigen Markt- und Meinungsforschungskinos bewahren will. Schön.

Thomas Groh


Mission: Impossible - Rogue Nation - USA 2015 - Regie: Christopher McQuarrie - Darsteller: Tom Cruise, Jeremy Renner, Simon Pegg, Rebecca Ferguson, Ving Rhames, Sean Harris - Laufzeit: 131 Minuten.

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Erst war Ig Perrish (Daniel Radcliffe) horny, jetzt ist er gehörnt: Zunächst hat ihn seine Jugendliebe Merrin, mit der er gerade noch heißen Baumhaussex hatte, plötzlich verlassen - für einen anderen, wie sie andeutete. Die Hörner, die sie ihm (vielleicht) aufgesetzt hatte, wachsen ihm schließlich tatsächlich, allerdings erst, nachdem sie brutal ermordet im Wald aufgefunden wurde. Ig selber war der Hauptverdächtige, ist lediglich mangels Beweisen freigesprochen worden. An diesem Punkt setzt der Film ein. Eigentlich keine uninteressante Ausgangssituation: Eigentlich ist alles schon vorbei, die Jugend kaputt, das Mädchen tot, die Nachbarn möchten ihn am liebsten lynchen.

Und Ig muss eben nicht nur, um sein Leben und das Andenken an Merrin zu bewahren, den wahren Täter überführen, sondern auch die beiden massiven Zinken loswerden, die ihm eines morgens urplötzlich aus der Stirn schießen und die fortan als eher ungeformte Metapher auf nicht allzu elegante Weise im Film ihr Unwesen treiben. Igs Umwelt reagiert erst einmal sonderbar: Die Leute, denen er begegnet, sehen zwar, dass etwas nicht stimmt, kümmern sich aber kaum um den Auswuchs (maskenbildnerisch ist der überaus gelungen, der exakte Übergang von Biologie zu Spezialeffekt ist auch in Großaufnahmen kaum erkennbar), beginnen statt dessen schnell, ihm Dinge von sich selbst zu erzählen, von denen er eigentlich lieber nichts wüßte.

Die Horrorfilme, mit denen Alexandre Aja sich einen Namen gemacht hat, fielen stets durch einen selbst in ihrem Genre bemerkenswerten Hang zur Bösartigkeit auf. Blutigen Reißer wie der meisterliche "Haute Tension", das rabiate Remake von "The Hills Have Eyes" oder der unterschätzte Mystery-Schocker "Mirrors" gehen ziemlich rücksichtslos mit ihren Figuren um; was freilich Filmen, die in geradliniger Manier Urängste verhandeln, sich dem totalen, irrationalen, subjektzermalmenden Schrecken hingeben, nicht unbedingt unangemessen ist.



Sein neuer Film ist allerdings ein anderer Fall: Die fantastischen Elemente sind - zumindest zunächst - nur Beiwerk, im Kern ist "Horns" eine romantische Teenieromanze voller Kummer, Verzicht und Todessehnsucht. Und nebenbei eine Satire, von der man nicht so recht sagen kann, was ihr Objekt ist - das ewige Kleinstadtamerika vielleicht (der ansonsten etwas überkandidelten Kamera gelingen einige schöne Aufnahmen von neonbeleuchteten Diners und tristen main streets), aber da alles reichlich unspezifisch bleibt, scheint es eher um die menschliche Natur selbst zu gehen. Denn egal wem Ig behörnt entgegen tritt: Irgendeine obszöne bis unappetitliche oder zumindest sozial unangemessene Seelenregung fördert er noch jedesmal zu Tage. Blöd nur, dass der Film da nicht ein bisschen unterscheidet, dass er eine homosexuelle Fantasie (die auch noch erwidert wird! Eigentlich eine Utopie, nur leider kann sich der Film keinen Begriff von ihr machen…) im exakt gleichen, spekulativ-zynischen Tonfall behandelt wie emotionale Verkalkung oder ordinäre Mordlust: In einen Menschen hineinschauen können hat in "Horns" nicht das geringste mit Empathie zu tun, dafür umso mehr mit voyeuristischer Schadenfreude.

Ein begnadeter Satiriker ist Aja jedenfalls nicht, ein allzu sensibler Romantiker leider auch nicht. Die Liebesgeschichte von Ig und Merrin entfaltet sich in überzuckerten Erinnerungsbildern, die kaum eine Ahnung von Intimität vermitteln (Radcliffe immerhin ist als leidender Liebender ziemlich super - allerdings vor allem dann, wenn er die asozialen, selbstzerstörerischen Aspekte seiner Passion darstellen darf). Mehr in seinem Element ist Aja, wenn er einen Drogenrausch mit barocker Bildgewalt visualisiert; und erst recht, wenn er seinen Film gegen Ende doch noch, ohne allzu stringente innere Motivation, in Richtung Horrorspektakel umleitet, wenn er auf seine Figuren totbringende Schlangen hetzt oder ihnen mit Schrotflinten den halben Kopf wegbläst (und dabei auch den Wald mithilfe von Schlingpflanzen in eine erstklassige Geisterbahnkulisse verwandelt).

So gründlich wandelt sich der Tonfall des Films, dass man am Ende etwas ratlos zurückbleibt. "Horns" basiert auf einem erfolgreichen Roman des Young-Adult-Subgenres "Dark Fantasy" - und auch die Verfilmung bewegt sich lange im "Twilight"-Register: Junge, blasse Menschen mit komischen Namen schmachten sich gegenseitig an, die schon ziemlich hässlichen Digitalbilder wirken wie mit einem tendenziell krebserregenden Putzmittel blank poliert, alles Fantastische ist offensichtlicher Ausdruck jugendlicher Sexualneurosen. Dann holt Aja den Hammer heraus und macht einfach alles kaputt.

Lukas Foerster

Horns - USA 2013 - Regie: Alexandre Aja - Darsteller: Daniel Radcliffe, Max Minghella, Joe Anderson, Juno Temple, Kelli Garner, James Remar, Heather Graham - Laufzeit: 120 Minuten.