31.01.2007. Zu Hause bei Diktatoren, "Bei uns in Auschwitz", in russischen Gefängnissen und mitten zwischen zwei Schwestern, die den gleichen Mann lieben: die besten Bücher im Februar.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen
Bücherbrief- in
Arno Widmanns Vom Nachttisch geräumt- in
Vorgeblättert- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
Die besten Bücher der zweiten Jahreshälfte finden Sie übrigens in den
Büchern der Saison. Und natürlich haben wir sämtliche
Literaturbeilagen ausgewertet.
Buch des MonatsTadeusz BorowskiBei uns in AuschwitzErzählungen
"
Richtigen Hunger hat man, wenn man einen Menschen als etwas Essbares betrachtet." Beklemmend findet die
FR, wie detailreich
Tadeusz Borowski sein Leben als Häftling in Auschwitz, in den "Displaced Persons"-Lagern der Nachrkiegszeit oder nach der Heimkehr in Warschau beschrieb. Dass Borowski in einem der erschütterndsten Berichte aus dieser Zeit keine klare Trennung zwischen Opferen und Tätern machte, will die
Zeit nicht als Sarkasmus auslegen, sondern sieht den Lageralltag als Zustand, der mit den Mitteln der Vernunft nicht begreiflich ist. In der
Welt erklärt Arno Lustiger das 1963 erstmals auf Deutsch erschienenen Buches zu einem
Meilenstein der Literatur über Auschwitz - auch dank der kongenialen neuen Übersetzung von Friedrich Griese.
LiteraturArkadi BabtschenkoDie Farbe des KriegesAus Russland kommen drei lesenswerte Zeugnisse von Krieg, Gefängnis und Terror. Selten hat die
SZ so nüchterne und zugleich eindringliche Schilderungen der
Grausamkeiten des Krieges gelesen, wie sie der als Achtzehnjähriger im ersten Tschetschenien-Krieg eingesetzte
Arkadi Babtschenko liefert. In literarischer Hinsicht befindet sich Babtschenko auf Augenhöhe mit Michael Herr und Erich-Maria Remarque, versichert sie. Die
Zeit will
Julia Jusiks Großreportage über
"Die Schule von Beslan" all jenen ans Herz legen, die zum Händeschütteln so gern nach Moskau reisen. Schlicht unerträglich kommt ihr all das vor, was die
Newsweek-Journalistin über das
Massaker in Beslan im Jahr 2004 zusammengetragen hat. In
Grigori Paskos Tagebuch
"Die rote Zone" über seine vierjährige Inhaftierung verfolgt die
FR gebannt, wie Pasko trotz oder geraden wegen der alltäglichen Willkür zum zornfreien Beobachter seiner selbst, des brutalen
kleinwüchsigen Gefängnisdirektors und der Mithäftlinge wird.
Silke ScheuermannDie Stunde zwischen Hund und WolfRoman
Zwei Schwestern lieben den gleichen Mann. Aus dieser Vorlage macht die bisher als Lyrikerin bekannte
Silke Scheuermann einen Roman, der das große alte Thema der Liebe aufregend neu behandelt, wie die
Zeit bewegt notiert: Lakonischer und
ironischer als Judith Hermann, dabei mit einer Beobachtungskälte, die an Rilke erinnert. Die
taz hat dichte Momente erlebt und poetische Sprachbilder entdeckt und kann diese seltene Mischung aus Anteilnahme,
Kälte und Schonungslosigkeit wärmstens empfehlen.
Abdulrazak GurnahDie AbtrünnigenRoman
Liebe unter den Bedingungen des Kolonialismus: Ein
englischer Orientalist verliebt sich 1899 in eine Kenianerin. In seinem komplexen Roman verhandelt der aus Sansibar stammende
Abdulrazak Gurnah en passant die verschiedenen Identitätskonzepte von Afrikanern und Europäern. Ein großes Werk, urteilt die
NZZ, das Aufschluss gibt über die
Kisuaheli- und Muslimkultur in Ostafrika. Und das die Herkunft vieler noch heute andauernder Konflikte in zwingender Weise verständlich mache. Komplex und anspruchsvoll, gibt die
NZZ zu, aber sehr lohnend.
Rick Moody WassersucherRoman
Für seine gnadenlose
Satire über die Mediengesellschaft hat
Rick Moody ein kongeniales Format gewählt, jubelt die
NZZ. Die 31 Kapitel erinnern sie an eine Fernsehserie, mit jeweils einer Hauptfigur. Der Roman lebe von dieser eingebauten Sprunghaftigkeit ebenso wie dem schwach
durchschimmernden roten Faden, um den sich zahlreiche Nebenschauplätze gruppieren. Die
SZ mag den opernhaften Sound dieser 600-seitigen
Comic Novel. Die
FAZ kann den Trubel nicht nachvollziehen und sieht Moodys neues Werk bloß als "Musterbuch für Creative Writing".
Herman Melville ClarelGedicht und Pilgerreise im Heiligen Land
Einfach ist
Hermann Melvilles Eops in
18.000 Versen nicht, warnen alle Kritiker. Wer sich trotzdem traut, dem versprechen sie die Entdeckung eines singulären Werks. Die
Zeit fühlt sich bei der Pilgerreise der Hauptfigur, die in zahlreiche Dispute über
Gott und die Welt verwickelt wird, an
Dantes "Divina Commedia" und
Miltons "Paradise Lost" erinnert. Fragen zu Säkularismus und Religion, die uns heute noch umtreiben, sieht die
FAZ nach einem
berauschenden Lektüreerlebnis zwar nicht beantwortet, aber ungemein anregend diskutiert. Nur verliert die Übersetzung den erstaunlichen Drive, den das Original auszeichnet, wie die
SZ moniert.
SachbuchMichael Kittner ArbeitskampfGeschichte, Recht, Gegenwart
Schon zwei Jahre alt, aber für unseren Nachttisch-Kolumnisten
Arno Widmann eines der
wichtigsten Sachbücher der vergangenen Jahre. Vor 25 Jahren wären von diesem Buch innerhalb kürzester Zeit 100.000 Exemplare verkauft worden, schätzt er. Aber auch die Kollegen sind begeistert. Die
SZ spricht von einer wahrhaft
allumfassenden Beschreibung der Geschichte des Arbeitskampfes, und auch die
FAZ freut sich über die reiche Fundgrube von 800 Seiten, auf denen vom Streik der
thebanischen Nekropolenarbeiter im Jahre 1155 vor Christus bis zum Streik um die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie im Jahre 2003 nach Christus das Thema erschöpfend behandelt wird.
Konrad Paul LiessmannTheorie der UnbildungDie Irrtümer der Wissensgesellschaft
Endlich hat es mal jemand aufgeschrieben, seufzt die
SZ zufrieden nach der Lektüre von
Konrad Paul Liessmanns wortgewaltiger Abrechnung mit den
Universitätsreformen. Bachelor und Bologna, all diesen Unsinn habe der Wiener Philosoph mit "intellektueller Schärfe und
stilistischer Energie" wunderbar auf den Punkt gebracht. Die
taz ist ebenfalls ganz einverstanden, ihr genügt allerdings schon das Vorwort, in dem Liessmann für sie leider schon den Großteil seines
Pulvers verschießt. Auf einige Unbeugsame, die trotz des Wirbels um Exzellenzinitiativen und Hochschulrankings noch ihren Heidegger und Kant lesen, hofft nun die
FAZ.
William EasterlyWir retten die Welt zu TodeFür ein professionelleres Management im Kampf gegen die Armut
Wer sich Fragen zur
Sinnhaftigkeit der Entwicklungspolitik der vergangenen 50 Jahre stellt, ist bei
William Easterly richtig, meint die
taz. Hier lese man eine profunde Kritik an den Konzepten der WTO und ähnlichen Riesenplänen wie der
Milleniums-
Ankündigung der UNO, die Armut bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren. Kleinteilige und individuelle Hilfe statt großer Visionen ist laut Easterly gefragt, etwa in Form von
Moskitonetzen für Afrika, denn an Malaria sterben immer noch wesentlich mehr Menschen sterben als an Aids. Nur die wirtschaftlichen Hintergründe hätte sich die
taz noch ein wenig stärker beleuchtet gewünscht.
BildbandPeter York Zu Besuch bei Diktatoren Eine
bebilderte Kulturgeschichte der Selbstinszenierungen von Tyrannen hat die
FAZ in dem Band des Journalisten und Stilkritikers
Peter York vorgefunden. Amüsiert zeigt sie sich über die Hilflosigkeit der US-Soldaten, die nach der Invasion des Irak in den Palästen
Saddam Husseins vor Bildern standen, die eindeutig der amerikanischen
Fantasy-Trash-Kultur entsprungen zu sein schienen. Auch das Bodenmosaik mit dem Konterfei von George W. Bush und der Inschrift "Bush is criminal" verursachte demnach Kopfzerbrechen, weil niemand ein
Bild des Präsidenten schleifen wollte.